Wallfahrtslieder

Ps. 126 ist ein Wallfahrtslied. Aus hellenistischer Zeit beschreibt es Philo: „Zehntausende laufen aus zehntausenden von Städten ein; an jedem Fest zum Tempel, die einen zu Land, die anderen über das Meer, aus Osten und Westen und Norden und Süden“ (De Specialibus Legibus I, 69). Wenn die Pilger hinaufgehen (hebr. ‛ālāh) tragen sie wörtlich mit sich: die Erinnerung an die Wanderung von Ägypten nach Palästina sowie die Heimkehr aus dem babylonischen Exil.

Liest man Ps. 120-134 als eine Art Liederbuch im Psalter, ließen sich – wie im Gesangbuch – Themen benennen: „Lieder in der Not, Bitte, Bekenntnis, Freude, Glückwünsche“. Neben der spirituellen Gestaltung werden mit den Wallfahrten vermutlich profane Anlässe verbunden gewesen sein: Tätigkeiten des Hohen Rats, Verwaltung für Instandsetzung von Wegen, Pflege der Zisternen, Festordnungen, Beherbergung der Pilger, Verordnungen (Miriam Nordheim-Diehl, Art. Wallfahrt: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/31000/).

 

Der äußere Berg und der innere Halt

Ich bin dann mal weg aus den bedrängenden Orten wie Sklaverei und Exil (V. 1). Ich will da mal hin, um auf dem Weg die zunehmende Freude und Freiheit zu besingen (V. 2). Ich bin jetzt da und bekenne (V. 3) und denke fürbittend (V. 4-5) an die Fehlenden. Schließlich bündelt sich die Hoffnung am Ende (V. 6). Der Anfangsakkord, wenn aus Träumen ein Rühmen wird, stimmt zum Schlussakkord, wenn Tränen ernten. Der Moment der „Wiederherstellung“ bestimmt den Ton des Psalms.

Das zweimalige hebr. schuw (ändern, wiederherstellen, wandeln) ermöglicht, den Zion doppelt zu verorten: geografisch und metaphorisch. Der äußere Berg und der innere Halt. Was nicht mehr ist und wieder sein kann, spirituell wie gesellschaftlich, denn die Wallfahrt führt zum Ort führt, wo Recht und Ordnung gesprochen werden. Die Wallfahrt führt zu mir, um wieder zurecht und in Ordnung zukommen. Wenn nach dürrer, ausgetrockneter Zeit Südland und Lebensenergie wieder fließt.

 

Klangräume

Der kurze Psalm ist ein Lied. Als Predigtform könnte die Homilie sich anbieten. Es braucht noch eine Melodie. Vielleicht kann der Kantor nach den Versen improvisieren. Vielleicht können Predigttext und das Zenetti-Lied (Aus Traum und Träumen, z.B. EG+ 121) schrittweise zusammenklingen. Es bieten sich auch an: „In dir ist Freude“ (EG 398). Oder thematisch aufwühlender: „Als träumten wir“ (EG+139, O. Schulz).

Der Sonntag und der Kontext regen an, Klangräume zu öffnen. Es gibt – leider weiß ich nicht mehr von wem – eine schöne Collage des Psalms mit stufenweisen Zitation aus Mascha Kalekos „Aufwachen“, das am Ewigkeitssonntag seine Kraft entfalten kann. Der Klang des Liedes, des Psalms, der Musik, des ganzen Gottesdienstes wird zum Aufwachen und Voranschreiten. Die Verben des Textes bringen in Bewegung: lachen, rühmen, sagen, säen, ernten, gehen, weinen, tragen, bringen. Hinter allem verbergen sich Mühen und Emotionen, Hoffnungsbilder und Hilfegesten. Es wird zu einer Melodie der Diakonie Gottes im Angesicht des Todes. Eine Wallfahrt angesichts der Erfahrung der Gefangenheit des Lebens; ein Weg zu den träumenden und tröstenden Kraftquellen; ein Dank zu den Freunden, die bitten; zum Wesen einer Botschaft, die gerade am Ende des Kirchenjahres tröstend davon singen und sagen kann; dass Menschen hinaufgehen, aufwachen, aufstehen – und das innere Bild eines Tages auch ein äußeres an die Seite gestellt bekommt, wie ein Berg Zion ein Zion Gottes werden kann.

 

Lars Hillebold