Persönliche Fragen zum Einstieg1
Bei einer Verkehrskontrolle hat es geblitzt und ausgerechnet mich hat es erwischt. Ist das in Ordnung und zahle ich ohne zu murren, weil ich die Strafe zu Recht verdient habe? Oder rege ich mich auf, weil hier einfach nur gnadenlos abgezockt wird?
Wie geht es Ihnen als Steuerzahler? Sind Sie dankbar, dass damit ein funktionierendes Gemeinwesen ermöglicht wird? Oder zitieren Sie lieber aus dem Schwarzbuch der Steuerzahler, um auf unnötige Verschwendungen hinzuweisen?
Fällt es Ihnen leicht, den Regierenden Respekt zu erweisen? Oder sind Ihnen „die da oben“ eher suspekt und vor allem darauf aus, ihre eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen?
Anleitung für Staatsmasochisten?
Erich Kästner (1899-1974) blieb nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland. Als kritischer Zeitzeuge füllte er heimlich ein blaues Buch mit einer Geheimschrift, das er 1961 in Auszügen veröffentlichte. Am 9. Juli 1945 notierte er in seinem Tagebuch:
„Immer wieder wird der amerikanische Vorwurf, die deutschen Gegner der Diktatur hätten kläglich versagt, als ungerecht empfunden. Wer so abschlägig urteile, heißt es, sei ein Ignorant oder ein Pharisäer oder beides. Man habe, heißt es, so wenig tun können wie ein Gefesselter, der zusehen muss, wie seine Frau und seine Kinder gequält werden.
Ich weiß, dass der Vergleich zutrifft. Trotzdem fürchte ich, dass auch der Vorwurf stimmt. Wir nehmen die Bibelzeile ‚Seid untertan der Obrigkeit, die Gewalt über euch hat!‘ wörtlicher als andere Völker. Wir bleiben untertänige Untertanen, auch wenn uns größenwahnsinnige Massenmörder regieren. Und was uns an der Empörung hindert, sind nicht nur die Fesseln. […] Wir sind bereit, zu Hunderttausenden zu sterben, sogar für eine schlechte Sache, doch immer auf höheren Befehl. […] Es gehört zum Charakter. Wir sind politisch subaltern. Wir sind Staatsmasochisten.“2
Was der Schriftsteller in einer kritischen Momentaufnahme mit einer allzu wörtlichen Auslegung von Röm. 13 verknüpft, spiegelt auch die Deutungswende dieser Verse in der theologischen Diskussion nach dem Zweiten Weltkrieg wider. Wie bei vielen Bibelstellen gilt auch hier: Wenn man einige wenige Verse aus dem Zusammenhang reißt, können sie leicht missbraucht werden und in die Irre führen.
Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist
Wie aber ist Röm. 13 dann zu deuten? Ausgerechnet die apostolischen Aufforderungen in 13,6f, die staatlichen Steuern zu zahlen, korrespondieren mit dem Evangelium des Sonntags in Mt. 22,17ff. Jesus fordert dazu auf, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist. Der Gottessohn lässt sich nicht auf falsche Alternativen ein, sich entweder Gott oder dem Staat unterzuordnen, sondern unterscheidet die beiden Herrschaftsbereiche.
Umso erstaunlicher ist, dass Paulus so positiv von der Bedeutung der heidnischen Obrigkeit schreibt, während das Römische Weltreich von dem (später) berüchtigten Kaiser Nero regiert wurde. Sie hat die Aufgabe, im Auftrag Gottes das Böse jetzt schon einzudämmen. Grundsätzlich ist Paulus ein Befürworter der öffentlichen Ordnung, was ihn nicht hindert, im konkreten Einzelfall Gott mehr als den Menschen zu gehorchen.3 In ihrer richtenden Gewalt ist die Obrigkeit Gottes Dienerin und darin zu unterstützen. Und umgekehrt, wer sich dem Staat widersetzt, handelt ausdrücklich gegen Gottes Mandat.
Konkretionen
Die klaren Worte des Apostels provozieren. Gesamtbiblisch ist Paulus mit seinen Aussagen zur Obrigkeit allerdings in guter Gesellschaft. Durch die Schrift zieht sich die Aufforderung, die Regierenden zu achten und für sie zu beten.
Röm. 13 ist aus der Perspektive eines römischen Untertanen im römischen Weltreich formuliert, der kaum politische Mitbestimmungsmöglichkeiten hatte. In einer modernen Demokratie ist das anders. Wir können, dürfen, sollen politisch mitwirken, dass die Regierenden ihr von Gott gegebenes Mandat in rechter Weise ausüben können.
Konkret: Mir wird wichtig, für Menschen zu beten, die bei Polizei, Gericht, Politik arbeiten. Und für Menschen, die in Unrechtsstaaten unter den Repressalien ihrer Diktatoren leiden. Für Organisationen, die sich für menschenwürdige Haftbedingungen einsetzen …
Anmerkungen
1 Vgl. Hauskreismagazin Nr. 59, Juli bis September 2021, 34f.
2 Erich Kästner: Notabene 45. Ein Tagebuch, Zürich 2017, 230.
3 Vgl. Apg 5,29.
Albrecht Schödl