Eine Engelgeschichte zum Michaelistag

Michaelis ist der „Tag des Erzengels Michael und aller Engel“. Brauchen wir so etwas in der evangelischen Kirche? Vielleicht haben wir uns zu lange zu wenig Gedanken über Engel gemacht, obwohl sie doch biblische Gestalten sind: Boten, Mittler zwischen Himmel und Erde, Lebenshelfer und Lebensretter, Heroen, Kämpfer, Wächter, Aura des Heiligen, Wolke des Göttlichen, himmlische Musici und irdische Inspiratoren, also eine Art Musen … Zu wenig Gedanken! Und dies, obwohl der Angelus im Evangelium steckt.

In diesem Jahr fällt der Michaelistag auf einen Sonntag, was Anlass dazu geben könnte, aus der Perikopenordnung am 18. Sonntag nach Trinitatis auszubrechen und auf den Michaelis-Text auszuweichen. Zum diesjährigen Michaelistag ist eine Engelgeschichte aus Numeri vorgesehen: die Bileamerzählung, die sich dort über drei Kapitel hin erstreckt – eine Geschichte, in der ein Engel, aber auch eine kluge Eselin eine entscheidende Rolle spielen.

 

Was Gott segnen will, soll und kann der Mensch nicht verfluchen

Der vorgeschlagene Abschnitt aus 4. Mos. 22 ist das Fragment aus einem größeren Erzählzusammenhang, das ohne diesen nicht so recht verständlich wird. Wer ist Bileam? Wohin ist er unterwegs? Was hat es mit seiner (sprechenden) Eselin auf sich? Und was mit dem Engel, der Bileam mit einem Schwert bewaffnet in den Weg tritt, um ihn angeblich zu töten?

Ich empfehle, für die Predigt auf den gesamten Erzählzusammenhang aus den Kapiteln 22-24 zurückzugreifen und die Story auf spannende, vielleicht auch leicht verfremdete Weise nachzuerzählen, z.B. könnte man sie aus der Perspektive der Eselin schildern.

Das Oberthema ist der Fluch über Israel, zu dem der moabitische König Balak den „Propheten“ Bileam bewegen will. Doch der wird durch allerlei Umstände immer wieder dazu gebracht, statt des erwarteten Fluchwortes Segenssprüche zu spenden. Einen „Propheten“ nenne ich Bileam, weil die Geschichte insgesamt an eine andere „Prophetenlegende“ erinnert – die des Jona. Wie bei Jona muss Gott auch hier manchen Umweg einschlagen und manchen Eingriff in den Gang der Ereignisse vornehmen, um gegen menschlichen Willen und Widerstand zu seinem Ziel zu gelangen. Und wie bei Jona trägt die Geschichte Bileams und Balaks komische und humorvolle Züge.

Nach einem Auftakt (22,1-4), der die Motive Balaks eröffnet und das Handlungsdrama in Gang setzt, folgt ein erster Akt (22,5-20), in dem Boten Balaks (in zwei Anläufen) zu Bileam kommen und ihm den Auftrag ihres Herrn überbringen. Ein zweiter Akt (22,21-35) schildert die Begegnung Bileams mit dem Engel auf dem Weg nach Moab. Im dritten Akt (22,36-23,10) treffen Bileam und Balak aufeinander. Balak gibt Bileam den Auftrag, Israel zu verfluchen, um auf diese Weise das Geschehen eines bevorstehenden Kampfes zu beeinflussen, doch heraus kommt am Ende ein Segen. Im vierten Akt (23,11-24,9) wiederholt sich diese Szene zwei weitere Male mit nuancierter dramatischer Steigerung. Der letzte Akt (24,10-25) eröffnet mit dem Zorn Balaks, der Bileam nach Hause jagen will. Bileam jedoch – schon im Abgang begriffen – spricht einen letzten vierten Segen über Israel aus.

 

Göttliche Pädagogik“

Die Bileamerzählung hat ihre eigenen literarischen Qualitäten. Man kann sie als Drama, als Prophetensatire, als religiös-lyrische Dichtung lesen. Der theologische Fokus der Gesamterzählung liegt auf der Erwählung und Verheißung des Volkes Israel. Für eine Predigt an Michaelis spare ich mir jedoch diesen Themenkreis aus und fokussiere mich auf zwei Aspekte der Geschichte, die auch in dem kurzen Abschnitt 22,31-35 gebündelt werden. Hinzu kommen noch zwei Traumgesichte Bileams im Verlauf des ersten Aktes (22,9ff und 22,20).

Die „göttliche Pädagogik“, die der „HERR“ Bileam angedeihen lässt, bedarf verschiedener Initiativen und Medien, um zum Ziel zu kommen, obwohl Bileam von Anfang an weiß, dass er entgegen der Wahrsagerei und der Überredungskünste der Boten Balaks nur auf Gottes Willen hin ausgerichtet ist und gegen diesen Willen – hat er sich ihm nun einmal kundgetan – nichts ausrichten kann.

Zunächst sind es zwei Träume, in denen Gott zu Bileam spricht. Sodann bietet Gott die Weisheit einer sehenden und sprechenden Eselin auf, um Bileam vom falschen Weg abzubringen, und schließlich stellt er ihm einen Engel, bewaffnet mit einem Schwert, in den Weg. Träume und Engel als Wegweiser für einen etwas begriffsstutzigen Propheten – das mag ja noch angehen, aber eine sprechende Eselin – das ist schon ein Alleinstellungsmerkmal. Dabei erweist sich die Eselin als die „bessere Prophetin“. Sie ist diejenige, die des Engels noch vor Bileam gewahr wird …

 

Von Eseln und Engeln

Bileam ist auf dem Rücken seiner Eselin unterwegs nach Moab. Ihnen stellt sich ein Engel in den Weg, doch Bileam sieht ihn nicht. Nur seine Eselin hat ein Sensorium für die göttliche Mitteilung und Warnung. Das schon ist kurios: der Mittler braucht eine weitere Mittlerin. Bileams Eselin verhält sich so, wie Esel nun einmal sind: störrisch. Erst trabt sie mit Bileam vom Weg ab auf ein Feld, dann drängt sie ihn in einem ummauerten Weinbergpfad auf die Seite und quetscht Bileam den Fuß ab; an einer weiteren Engstelle schließlich beugt sie sich nieder. Bileam versteht das Verhalten seiner Eselin nicht und schlägt sie – und die setzt sich sprechend zur Wehr.

Eine keineswegs sture, sondern hellsichtige Eselin belehrt Bileam über Gottes Wege. Sie ist die Seherin – und er der blinde und sture Bock. Es bedarf der Weisheit einer Eselin, um den Seher Bileam über das aufzuklären, was er nicht sieht: den warnenden Engel Gottes, der sich Bileam in den Weg stellt, um ihn von einem verhängnisvollen Irrweg abzubringen. Die Schöpfungspyramide steht Kopf. Im Gewand der Fabel wird die Eselin, das gewöhnliche Last- und Reittier, zum Vehikel einer göttlichen Offenbarung.

Bei Bileam dämmert es nur langsam: erst muss Gott einen Engel schicken, dann einer Eselin den Mund öffnen und schließlich noch Bileam die Augen. Ziemlich viel Nachhilfe für einen, der es eigentlich wissen sollte. Doch Gott beweist eine Eselsgeduld im Umgang mit Bileam. Gelehrsamkeit ist eben offenbar keine Garantie für Wahrheitserkenntnis. Manchmal sind es die einfachen Weisheiten, sprich: Eseleien, die zielführend sind.

Dass Bileam einen Engel braucht und der Engel einen Esel (eine Eselin (!) – die Weisheit ist auch im Hebräischen weiblich), ist eine köstliche Pointe für den Michaelistag. Man kann diese Art göttlichen Humors eigentlich nur lächelnd und dankbar zur Kenntnis nehmen.

 

Peter Haigis