Leiden und Herrlichkeit
Ohrwürmer gibt es gesungen und gesprochen. Bei der Rede von den „Kindern Gottes“ stimmen die einen „echt elefantastisch“ und die anderen eher „infantilkritisch“ mit ein. Die Perikope selbst arbeitet mit Beziehungskonstellationen: Kindschaft versus Knechtschaft, Abba und Kinder, Leiden oder Herrlichkeit. Die Pole verbindet, dass sie von Anfang bis Ende nicht getrennt werden, eher die Dinge zusammenhalten. Das Kind bleibt verbunden; doch nicht als Knecht. Eltern-Kind-Beziehungen sind lebenslänglich, auch wenn die Fürsorge sich dreht. Leiden und Herrlichkeit bleiben, gemeinsam am Familientisch. Das ganze Kapitel Röm. 8 wird gedanklich serviert von der Freiheit (V. 1f), vom alten und neuen Leben bis hin zur Aufhebung aller Dualismen, wenn weder Hohes noch Tiefes uns scheiden kann von der Liebe Gottes (V. 39). Wenn alles bleibt, bleibt manches ohne Vergessen? Bleibt sogar manches ohne Vergebung, weil das zwar Menschen trennt, aber doch nicht von Gott? Wie fragen Glaubenskinder?
Lebendigkeit und Gerechtigkeit
Ich wollte nie erwachsen sein, singen die Kinder Gottes, und haben sich doch zur Wehr gesetzt.1 Zur scheinbar inneren Geistlichkeit der Perikope gehört die Lebendigkeit und die Gerechtigkeit (1,17; 3,28), die im Gesetz des Geistes bewahrt ist (V. 2). Hier braucht es vermutlich manche sprachliche Übersetzungs-„Leistung“. Denn Gerechtigkeit ist wie das Abba-Kind-Wochenende mit Augen füreinander (V. 14). Der Geist des Gesetzes ist voll groß- und weitherziger Logik und Verlässlichkeit (V. 15). Er spricht zu den Erben über die Generationen hinweg (V. 16), in der mancher fragend und hoffnungsvoll singt: Erst dann, wenn ich’s nicht mehr spüren kann, weiß ich, es ist für mich zu spät.
Doch es bleibt zu spüren und zu lesen, dass die Zukunft jetzt ist (V. 17): drei Kapitel für die Kinder der Verheißung (9-11) und ein schlichter, wirksamer Vers für uns Adoptierte (1,16).
Geschwisterliche Beziehungsträume
Im Warten auf das Morgenlicht tauchen die Beziehungsträume der römischen Christ*innen auf (Röm. 14-15). Sie sind wenig kaiserlich, priesterlich und mächtig. Sie sind eher geschwisterlich, dienlich und wirksam. Aus der nicht eindeutigen Metapher „Kind/Kindschaft“ werden „Gottes.Zukunft.Erben“. Die gesellschaftlichen, kulturellen, zeitgeschichtlichen, geschlechtsspezifischen Perspektiven auf Kinder vor „Kinder-Klischees“. Gleichzeitig erzählt die biblische Tradition vom Kindersegen, von der Bindung an die Geschichte ihres Volkes, von den ökonomischen Zwängen bis hin zu Kindsverkauf und Kindestod. Der besondere Schutz Gottes für die Kinder sind biblische Fäden aller Anfänge (Gen. 12-50; Rut 1-4) mütterlicher Liebe (Hos. 11) hin zu den Kindern des Glaubens (Joh. 13; Röm. 8; Eph. 5).
Das Bild des fürsorgenden Gottes
Irgendwo tief in mir, bin ich ein Kind geblieben: Erben des Leidens und Erhabene der Herrlichkeit. Wer ein Kind bleibt, bleibt bei Abba. Das Bild des fürsorgenden Gottes kommt auch politisch in den Blick. Denn unten auf dem Meeresgrund, wo alles Leben ewig schweigt, kann ich noch meine Träume sehen, wie Luft, die aus der Tiefe steigt. Aus der Fantasie wird ein Handeln, das aus dem Aussichtslosen Leben schafft. Die Erfahrung Gottes bewahrt nicht vor dem Scheitern. Ich gleite durch die Dunkelheit und warte auf das Morgenlicht. Dann spiel’ ich mit dem Sonnenstrahl, der silbern sich im Wasser bricht.
Die der Geist treibt, die lieben Überraschungen und Wendungen. Und sie bleiben sensibel gegen allzu große Harmoniebilder. Ich wollte nie erwachsen sein ist ein Satz, der weiter geht. Denn die Predigt kann vor Augen führen, dass Kindheitsideale die Kinder in den Armutsregionen der Welt nicht übersehen: unzureichende Bildungschancen, geringe Lebenserwartung, Infektionen mit HIV, Kinderarbeit und -prostitution, Erfahrungen von Krieg und Flucht. Und wer in diese Augen schaut, singt die erste Strophe des Peter Maffay-Lieds zu Ende: Ich wollte nie erwachsen sein, hab’ immer mich zur Wehr gesetzt, von außen wurd’ ich hart wie Stein und doch hat man mich oft verletzt. Auch das ist die Realität der Kinder Gottes, denn sie sind ja Kinder in der Welt; und auch erwachsen.
Anmerkungen
1 https://www.youtube.com/watch?v=sedjBavQYJ8.
Lars Hillebold