Bei Jesus

Im Evangelium gibt es die anrührende Geschichte einer blutflüssigen Frau.1 Sie hatte von Jesus und seinen Heilungen gehört und war ihm mit einer großen Menge gefolgt. Von hinten berührt sie im Gedränge heimlich sein Gewand – und verspürt sogleich am eigenen Leib, dass sie durch diese kurze Berührung von schlimmer Krankheit geheilt ist. Der Mut der Verzweiflung lässt sie „handgreiflich“ werden und alle Hindernisse überwinden, um den rettenden Zipfel seines Gewandes zu ergreifen.

 

Bei Sacharja

Vor diesem Hintergrund gelesen, wird die große Zusage des Propheten Sacharja besonders plastisch. In düsterer Lage seines Volkes schildert er seine heilvolle Zukunftsvision im Bild der Völkerwallfahrt. In positiver und friedvoller Absicht werden die Nationen gemeinsam zum Zion aufbrechen, um den Herrn der Heerscharen „anzuflehen“ und im Gottesdienst zu feiern.

Wie ein Lauffeuer wird sich „zu jener Zeit“ unter den Menschen die handgreifliche Sehnsucht nach Gott verbreiten. Einer sagt’s dem anderen, die frohe Botschaft geht von Mensch zu Mensch und greift auf Städte und Völker über. Es reicht, über das Bundesvolk gehört zu haben, „dass Gott mit euch ist“ und gemeinsam macht sich ein großer Menschenstrom auf den Weg nach Jerusalem und zum Volk Israel. Aber nicht, wie in der Geschichte von der blutflüssigen Frau, heimlich und von hinten, sondern öffentlich! Jüdische Menschen werden in positiver (!) Absicht umdrängt und am rettenden Zipfel ihres Gewandes ergriffen. An die Auserwählten und ihre Kleidung darf man sich hängen, um mitgezogen und gerettet zu werden! Gemeinsam mit den Juden werden so alle Nationen „im Schlepptau“ die Nähe des Herrn Zebaoth suchen und ihn anbeten.

 

Am Israelsonntag

Am 10. Sonntag nach Trinitatis gedenken wir der bleibenden Erwählung des jüdischen Volkes und der besonderen Verbindung von Christentum und Judentum.2 Die Bibel bezeugt in vielen Variationen: Im Verlauf seiner wechselvollen Geschichte hat Gottes Bundesvolk über die Jahrtausende hinweg immer wieder die Treue Gottes erfahren und wird sie auch in Zukunft erfahren. Die besondere Stellung des auserwählten Volkes ist schon früh für die übrigen Völker der Heiden offen. Der Segen Abrahams gilt allen Völkern auf Erden.3

Dies gilt es, auch angesichts düsterer politischer Prognosen zu bekennen. Auch wenn die Versuchung naheliegt zu problematisieren und der alte und neue Antijudaismus/Antisemitismus wirklich besorgniserregend ist. Mit den Kommentatoren der Einleitungstexte zu den Proprien des Perikopenbuches ist festzuhalten: „Am Israelsonntag geht es aber nicht um die Probleme, sondern um die Feier. Es gilt, Gott zu loben für die Erwählung seines Volkes und für die Treue, die allen Völkern Zukunft in Gottes Bundeshandeln eröffnet.“4

 

Im Loben Gottes

Wie bekommen wir Zugang zu diesen großen Verheißungen Gottes? Indem wir den Zipfel des Gewandes ergreifen, der uns in Jesus und dem auserwählten Volk begegnet. Wir können feiern, dass auch uns Zukunft eröffnet wird. Durch Jesus Christus sind wir mit-erwählt, für immer zu Gott zu gehören. An der Seite von Gottes Bundesvolk wird der Tag kommen, an dem greifbar wird, was jetzt noch Zukunftsmusik ist.

Gott ist treu. Dafür können wir ihn heute schon loben. Zum Beispiel mit den Worten des Chorals „Lobt Gott, den Herrn, ihr Heiden all, […] dass er euch auch erwählet hat und mitgeteilet seine Gnad in Christus, seinem Sohne.“5

 

Anmerkungen

1 Vgl. Mk. 5,24b-34.

2 Vgl. zum gesamten Absatz den Einleitungstext zum Israelsonntag: Perikopenbuch, hrsg. von der Liturgischen Konferenz für die Evangelische Kirche in Deutschland, Bielefeld und Leipzig 22019.

3 Vgl. Gen. 12,3.

4 Perikopenbuch, ebd.

5 EG 293, 1.

 

Albrecht Schödl