I

Schade, dass die Perikopenkommission V. 8a einem anderen Predigttext zugeordnet hat. Stellt dieser doch die Grundlage, das Vorzeichen, zu den Aussagen des heutigen Predigttextes dar: „Denn ihr wart früher Finsternis, nun aber seid ihr Licht in dem Herrn.“ Durch Taufe und Glaube hat ein Herrschaftswechsel stattgefunden. Ein Grenzübertritt aus dem Reich der Finsternis und des Todes in das Reich des Lichts und des Lebens. Der Herrschaftswechsel ist Voraussetzung für das im Folgenden Gesagte: Sonst wird alles Krampf und bekommt einen unangenehmen moralischen Beigeschmack.

 

II

Jesus Christus selbst ist das Licht. Und die Frucht des durch den Herrschaftswechsel ermöglichten „in dem Herrn-Sein“ sind Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit. Wahrscheinlich gibt es keinen Menschen, der sich nicht wünschen würde, von seinen Mitmenschen mit Güte behandelt zu werden. Güte ist dabei mehr als Freundlichkeit – es schließt Wohlwollen und Hilfsbereitschaft ein. Natürlich wollen wir auch alle gerecht behandelt werden. Wehe, wenn wir merken, dass ein anderer uns übervorteilt. Offensichtliche Ungerechtigkeit ist kaum zu ertragen. Das Gleiche gilt schließlich für die Wahrheit. Ich erinnere mich noch heute an den Augenblick, als ich zum ersten Mal bemerkte, dass meine Mutter mir nicht die Wahrheit sagte. Es war wie die Vertreibung aus dem Paradies: Ich verlor mein grenzenloses Vertrauen und meine kindliche Unschuld.

Wenn es darum geht, wie andere Menschen uns behandeln sollen, ist die Sache klar. Schwieriger wird es, wenn es um unser eigenes Tun gegenüber anderen geht. Da lassen wir es häufig an Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit fehlen. Wir schwer kann es fallen, einem anderen, der uns unsympathisch ist oder uns gar beleidigt hat, wirklich wohlwollend, gerecht und wahrhaftig zu begegnen. Vielleicht hat deshalb die sog. Goldene Regel als Grundlage einer Menschheitsethik allgemeine Anerkennung gefunden: „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch!“ (Mt. 7,12).

 

III

Der Predigttext fordert zur Prüfung des Willens Gottes auf. Christen sollen keine unmündigen Kinder bleiben! Vielmehr sollen sie in verantwortlicher Weise entsprechend der Gebote Gottes handeln, die als große Erlaubnis zum Leben zu verstehen sind. Taufe und Glaube versetzen nicht nur in das Reich des Lichtes, sondern auch in einen Raum der Freiheit und der menschlichen Verantwortung. Die Aufforderung, das Leben bewusst und aktiv zu gestalten, durchzieht den ganzen weiteren Predigttext. Christen sollen wachwerden und aufstehen.

Die Veränderungsgeschwindigkeit des modernen westlichen Lebens lässt sich verstehen als die ins Säkulare transformierte Dynamik des im Eph. skizzierten geistlichen Lebens. Anders als eine lange Auslegungstradition es wahrhaben wollte, stellt der reformatorische Glaube alles andere als eine statische Angelegenheit dar. Martin Luther hat die Dynamik des Rechtfertigungsglaubens einprägsam wie folgt ausgedrückt: „Das christliche Leben ist nicht Frommsein, sondern ein Frommwerden, nicht Gesundsein, sondern ein Gesundwerden, nicht Sein, sondern ein Werden, nicht Ruhe, sondern eine Übung. Wir sinds noch nicht, wir werdens aber. Es ist noch nicht getan und geschehen, es ist aber im Gang und Schwange. Es ist nicht das Ende, es ist aber der Weg. Es glühet und glänzt noch nicht alles, es bessert sich aber alles“ (WA 7, 336, 31-36, Schreibweise modernisiert).

 

IV

Ein Letztes: Dem Predigttext wohnt eine eschatologische Spannung inne. Eines Tages wird alles ans Licht kommen. Das mag auf den ersten Blick bedrohlich erscheinen. Aber ans Licht kommen schließt ins Licht kommen ein. Und was bedeutet das anderes, als dass alles Dunkle hell und verwandelt werden und damit seine Schrecken verlieren wird.

 

Peter Zimmerling