Ein royales Motto
Im Umgang englischer Royals mit der Öffentlichkeit gab und gibt es das Motto „Never complain, never explain“: nichts öffentlich kommentieren, erklären oder gar beklagen. Royales Leben muss (als Teil seines Fluidums) über allem stehen, irgendwie „außen vor“ sein, unnahbar. Mag sich in dieser Hinsicht auch viel verändert haben, gilt öffentliche Zurückhaltung noch immer als vornehme, „royale“ Eigenschaft, auch als Form souveräner, womöglich kalter und (auch gegen sich selbst) herzloser Selbstgenügsamkeit.
Anders dagegen der Job des Hofnarren: Mut, Wahrheitsliebe, furchtlose Rede. Er konnte Missstände anprangern, aussprechen, was viele nur dachten, wurde dafür sogar bejubelt und gepriesen, auch von seinen Arbeitgebern: Narrenkleid und Streiche waren Dienstausweis und Lebensversicherung: er konnte die Wahrheit sagen, alle mussten lachen, niemand konnte ihm etwas wollen. Wie den modernen Nachfahren, Clowns, Kabarettistinnen, Comedians, Närrinnen im Karneval. Oder den „christlichen Narren“ (Walter Nigg) von Symeon von Edessa, (der nach 29 Wüstenjahren mit Streichen Seelen rettet) über Philipp Neri (der in Rom alles lächerlich macht und es sogar zum Heiligen schafft) zu Hanns Dieter Hüsch (dem „schwarzen Schaf“ vom Niederrhein).
Mit olympischen Rekorden gegen „Überapostel“
Auch Paulus von Tarsus scheint sich im 2. Korintherbrief mit seiner „Narrenrede“ in diese Gruppe einzureihen – mit dem Gegenteil von „Never complain, never explain“: keine vornehme oder „royale“ Zurückhaltung, vielmehr macht Paulus es wie viele: „Da viele sich rühmen nach dem Fleisch, will ich mich auch rühmen.“ (2. Kor. 11,18) Und wenn schon rühmen, dann richtig. Und authentisch: er zählt alle Gefangenschaft, alle Schläge, alle Not akribisch auf, auch um aufrichtig und verlässlich zu sein. Mit dem dreifach verwendeten Komparativ, der Betonung häufiger Todesnöte und sonstiger Martyrien (fünfmal, viermal, dreimal, oftmals, mehrfach…) nimmt Paulus einen fast olympischen Wettkampf auf. Er wendet sich gegen ὑπερλίαν ἀποστόλων (2. Kor. 11,5), „Überapostel“, religiöse „Megastars“, beeindruckende Redner mit beeindruckenden Erfolgen, die offenbar mehr können, mächtiger predigen, mehr umsetzen, stärkeren Eindruck hinterlassen, und ihn in Korinth zu diskreditieren drohen. Diesen begegnet Paulus nicht royal zurückhaltend, sondern eben mit einer Narrenrede.
Des Paulus’ Logik: Schwachheit
Nach allem Rühmen (das irgendwann lächerlich klingen mag) dreht er den Spieß um: „Wenn ich mich denn rühmen soll, will ich mich meiner Schwachheit rühmen.“ (2. Kor. 11,30) Des Paulus’ Narrenrede findet dann doch gleichsam die Kurve zu „Never complain, never explain“: Sein Kriterium heißt ἀσθενεία. „Schwachheit“, damit lässt er einen Blick zu in eigene Schwachstellen und Abgründe – nicht etwa, weil er sich vielleicht doch beklagen wollte, sondern weil jene zu seinem Leben gehören, ihrer kann er sich tatsächlich „rühmen“. Auch in der Parallele zu Christus: weder erheben noch beschweren will sich Paulus, sondern den Weg freimachen (für sich und andere), dass „die Kraft Christi bei […] [ihm] wohne.“ (2. Kor. 12,9b)
Diese Kraft qualifiziert Paulus eben als ἀσθενεία, und diese als wesentliches Momentum der Nachfolge Jesu: „Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ (2. Kor. 12,9) gemäß der Logik einen Vers später: „wenn ich schwach bin, so bin ich stark“ (2. Kor. 12,10). Hier kommen Narrenrede und royale Zurückhaltung zusammen, in einer Logik, die aller menschlichen Erfahrung, allem Denken und Empfinden zu widersprechen scheint.
Glaube ist nicht „fromme Leistungsschau“
Am 5. Sonntag nach Trinitatis ist „Nachfolge“ das Thema. Wissen wir als Gemeinde, auch als Predigende so genau, was das Wort bedeutet? Manchen klingt es oft sehr weit weg vom eigenen Leben, einfach „außen vor“, so wie manche in der Nachfolge wahrgenommen werden. Vornehme Zurückhaltung im Sinne von „Never complain, never explain“ scheint mir für christliche Praxis sinnvoll als Gegenbild zur oft beobachtbaren „frommen Leistungsschau“ zu sein, die mit Glauben verwechselt wird, Leistungs- und Leidensdruck erzeugt, in Wahrheit vom Evangelium ablenkt.
Wo Christi Kraft „in den Schwachen mächtig“ ist, ist kein Leistungsnachweis nötig, kein olympisch-christliches „citius, fortius, altius“. Davon könnte die Predigt erzählen: Wir müssen uns nach keinen Messlatten dehnen und verbiegen, sollten aber eigene Messlatten nicht anderen aufzwingen wollen. Doch sollte auch kein Erfolg, kein noch so gelingendes Leben, keine noch so erfolgreiche Selbstdarstellung den Blick für das Wesentliche, für Gottes unbedingte Liebe in Christus verstellen. Der „Hofnarr“ nimmt es ironisch: „Gerühmt muss werden, wenn es auch zu nichts nützt“ (2. Kor. 12,1). Gegen Eitelkeit, hohles Lobhudeln, sinnloses Ablästern scheint oft kein Kraut gewachsen. Doch darauf besteht Paulus: Gottes Gnade, der Ruf Christi bleibt in Kraft, selbst wo wir zu schwach sind, uns danach zu strecken. Und gibt uns die Chance zu gelegentlichem „Never complain, never explain“.
Literaturtipp
Hans-Georg Sundermann, Der schwache Apostel und die Kraft der Rede. Eine rhetorische Analyse von 2. Kor. 10-13, Frankfurt 1996
Patrick Fries