Zum Text
Was für ein Schwergewicht an Text ist dieses Gleichnis, das erstens fälschlicherweise das „Gleichnis vom verlorenen Sohn“ heißt. Zweitens ist es vom Umfang her das längste der Gleichnisse Jesu; sodann ist es drittens im Blick auf seine Bedeutung kaum zu übertreffen. Vielleicht, weil sich in den elementaren menschlichen Lebensvollzügen, die Jesus da erzählte, die Grundsituation von Mensch und Gott widerspiegelt. Dass das so ist, könnte am Ende der exegetischen Arbeit und syst.-theol. Überlegungen stehen.
Richtig ist wohl auf jeden Fall die folgende Äußerung von Charles Péguy: „Es ist das Jesuswort, das den größten Widerhall in der Welt gefunden hat.“ (66) „Überall finden sich seine Spuren, in der Literatur, ebenso in der Theologie, in der Kunst ebenso wie in der Liturgie, im kulturellen wie im religiösen Bereich.“ (60) Jede Auslegung, jede Predigt steht in einer langen Tradition – und schreibt bzw. spricht diese fort1 (Bovon führt 53-66 die alten Auslegungen bis Calvin und Werke aus Kunst und Literatur auf.)
Unabhängig davon, ob das Gleichnis so direkt auf den historischen Jesus zurück geht, welchen Weg es in der Traditionsgeschichte nahm oder was der Anteil des Evangelisten Lukas ist, kann man auf jeden Fall zwei Dinge festhalten. Da ist einmal der mannigfache Bezug auf atl.-jüdische Stoffe.2 Sodann steht im Zentrum des Gleichnisses weder der jüngere noch der ältere Sohn, sondern der Vater (V. 12.17f.20-22.27.29.31), sprich Gott. „Der Vater ist in dem gesamten Gleichnis der eigentlich Handelnde.“ Und: „Das Gleichnis … will sagen: So ist Gott.“3
Zu Gottesdienst und Predigt
1. Mit dem Stichwort Freude könnte ein (Abendmahls-)Gottesdienst gestaltet werden, dessen inhaltlicher und äußerer Gipfel gemäß V. 22.24.27.32 festlichen Charakter gewinnt; der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
2. Eine mehr biblisch-dogmatisch orientierte Predigt könnte vierteilig sein:
a) bei Gott ist Freiheit; er lässt den jüngeren Sohn gehen
b) Gott liebte Adam und suchte ihn und fragte (Gen. 3,9); der verlorene Sohn wird erwartet
c) Gott liebt auch den älteren Sohn/die Frommen. Er wirbt um ihre Mitfreude
d) Gott freut sich über die Rückkehr des Verlorenen.
3. Bildpredigt, etwa mit Rembrandts Gemälden zur Perikope, seiner Feder- und Pinselzeichnung, sowie einer Radierung dazu.
4. Liedpredigt, etwa mit „Gott lädt uns ein“ (https://www.youtube.com/watch?v=TyOJYYzoBac) oder EG 355 „Mir ist Erbarmung widerfahren“4.
Anmerkungen
* So der Titel von Helmut Gollwitzers klassisch gewordener „Einführung in das Lukas-Evangelium“, die seit den 1950er Jahren von verschiedenen Verlagshäusern sehr häufig aufgelegt wurde. Sinnigerweise trägt seine Auslegung von Lk. 15,1-32 die Überschrift „Die Freude Gottes“ (zum Stichwort Freude s. V. 23f.32; indirekt 25.32; negativ 29). Dazuhin steht sie ungefähr in der Buchmitte. Gollwitzers Werk zur Seite steht „Das Bilderbuch Gottes“ von Helmut Thielicke, das ursprünglich 1957 und dann beim 100. Geburtstag Thielickes 2008 wieder aufgelegt wurde. Als weitere Klassiker sind zu nennen: Joachim Jeremias: Die Gleichnisse Jesu, Göttingen 1954, und Julius Schniewind: Die Freude der Busse, Göttingen 1956. Göttliche und menschliche Freude entsprechen sich! – Von der Fülle der Kommentare beschränke ich mich auf François Bovon: Das Evangelium nach Lukas III (EKK), Düsseldorf 2001; Seitenzahlen stehen in Klammern. Bovon nennt über fünf Seiten Literatur! Ein Grundlagenwerk ist auch Ruben Zimmermann (Hg.): Kompendium der Gleichnisse Jesu, Gütersloh ²2015.
1 Vgl. einen eigenen Versuch in: Past.blätter Juni 2024.
2 S. dazu in so gut wie jedem neueren Kommentar; außerdem schaue man in: Werner Grimm, Als Finger Gottes. Annäherungen an Jesus von Nazareth, Tübingen 2021, 169-183.
3 Gerhard Lohfink: Die vierzig Gleichnisse Jesu, Freiburg i.Br. 6. Aufl. 2020, 107.110.
4 Bovons Überschrift über Lk. 15 ist „Die Gleichnisse über das Erbarmen Gottes“.
Gerhard Maier