Fake-Words

„Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, und nicht auch ein Gott, der ferne ist?“ So die Gottesrede bei Jeremia, fett gedruckt in der Lutherbibel. Schnell wird klar: Das hier ist nichts für Freundinnen und Freunde des „lieben Gottes“. Keine Wohlfühlzone, keine Trostkammer, eher die Lautsprecheranlage für Gottes Wort. Störfeuer, Ungewitter und Hammerschläge sind hier zu erwarten, so die gewohnt drastische Sprache des Propheten. Zur Zeit von Jeremia sind nämlich andere unterwegs, falsche Propheten, die von ihren eigenen Träumen erzählen, die das Volk und die Herrschenden nicht weiter irritieren, sondern nur bestärken auf ihren falschen Wegen. Sie sprechen „aus ihrem Herzen“ und nicht „aus dem Mund des Herrn“ (V. 16). „Fake-Words“ sozusagen, ähnlich den „Fake-News“ von heute. Wären es wahre Propheten, „so hätten sie meine Worte meinem Volk gepredigt, um es von seinem bösen Wandel und seinem bösen Tun zu bekehren“ (V. 22).

Wie schon in der vorexilischen Prophetie geht es hier um Politik, um gut und böse, richtig und falsch, um die Art und Weise, wie wir Menschen unser Zusammenleben organisieren und gestalten: am besten „gut“. Das heißt übersetzt: so dass das Leben gefördert, die Freiheit bewahrt, Gerechtigkeit und Frieden gestärkt werden. Und dafür gibt es Kriterien in Gottes Wort.

 

Geistiges Futter für die Gesellschaft

Es ist gar nicht lange her, da meinte man hierzulande eine Wiederkehr des Religiösen zu beobachten. Der Hauptstadtjournalist berichtete von seiner Mittagspause in der Citykirche, die Ärztin von ihrem Rückzug in die Krankenhauskapelle, der Abgeordnete von der Morgenandacht im Landtag. Was haben sie alle an diesen Orten gefunden? Ihre eigenen Träume, eine irgendwie selbstgemachte, tröstliche Frömmigkeit? Oder auch mal einen Gott, der fern ist, ein Wort Gottes, das aufstört?

Auch heute gibt es Leuchtturmprojekte und Erprobungsräume in unseren Kirchen, die den Menschen Gott nahebringen sollen. Nichts dagegen. Ich will den „nahen Gott“ nicht schlechtmachen, es gibt ihn, und ich brauche ihn. Aber bei Jeremia geht es an diesem Sonntag um etwas anderes. Er fordert uns dazu heraus, der Gesellschaft geistiges Futter zu geben, ethische Orientierung, Gottes Wort. „Wer mein Wort hat, der predige mein Wort recht“, mahnt der Prophet (V. 28).

Fulbert Steffensky hat es einmal so formuliert: „Wir sind verantwortlich für Vision und Gewissen. Es sind genug andere da, die die Leute unterhalten“ (Das Haus, das die Träume verwaltet, 23). Wie recht er hat! Ein Visionsbüro und eine Gewissensagentur sollten wir eröffnen gleich neben der Citykirche und der Lebensberatung.

 

Mit Gottes Wort im Gespräch bleiben

Die neuste Mitgliedschaftsuntersuchung hat sogar zutage gefördert, dass Menschen das von der evangelischen Kirche erwarten: klare Orientierung in ethischen, politischen und sozialen Fragen.

Wie gut, dass so viele Christenmenschen und Kirchengemeinden sich lautstark beteiligen, wenn Hunderttausende auf die Straße gehen für Demokratie und Menschenrechte – und gegen die falschen Propheten von heute und ihre trügerischen Heilsversprechen. In diesen und vielen anderen Fragen fordert uns Jeremia heraus, ernsthaft mit Gottes Wort im Gespräch zu bleiben. Nicht ganz nah als Trost und Unterstützung für das, was wir schon lange wissen und glauben, sondern so, dass es uns befremdet und beunruhigt. Denn wir sind zuständig für Vision und Gewissen.

 

Titus Reinmuth