Fest der Ausgießung des Geistes
Wir feiern die Ausgießung des Heiligen Geistes. „Ausgießen“ erinnert uns an Wasser, und das Wasser ist ein biblisches Bild für den Geist (vgl. Jes. 44,3; Joh. 7,38f). Wenn Wasser ausgegossen wird auf trockene Erde, dann gehen da plötzlich Samen auf, von denen vorher keiner etwas ahnte. Dann wird alles grün, dann blüht es in allen Farben. In der Wüste von Juda kann man dieses Schauspiel jedes Frühjahr beobachten. Der Heilige Geist, ausgegossen auf „der Kirche Feld“ (EG 135, 4): da entsteht neues Leben, da wächst Neues auf, da entfaltet sich etwas, da kommt etwas zur Blüte. Da wird erst richtig Gemeinde, Kirche Jesu Christi.
Gemeindeaufbau durch den Heiligen Geist
In unserem Text ist die Rede davon, dass der Leib Christi, also die Kirche, die Gemeinde, auferbaut werden soll, da soll Wachstum sein, hin zu Christus, hinein in das Maß der Fülle Christi. Sehr geheimnisvoll, wie da gleichzeitig von Maß und von Fülle geredet wird. Fast paradox. Aber das Maß ist Christus selbst, so viel ist klar. Und es geht von Christus aus und führt zu Christus hin. Von ihm her wird der ganze Leib zusammengefügt und zusammengehalten, von ihm her. Und er wächst auf ihn hin in der Einheit des Glaubens und in der Erkenntnis des Sohnes Gottes. Es geht alles von Christus aus, und es führt alles zu Christus hin. Das wirkt der Heilige Geist.
Und wie macht er das? Das ist die spannende Frage. Es geht nämlich anscheinend nicht einfach so, quasi wie von selbst. Der Geist wirkt nicht ohne uns in uns. Er baut seine Gemeinde nicht, ohne dass wir Menschen beteiligt wären. Da ist vom Leib Christi die Rede: von sich gegenseitig unterstützenden Gliedern und Gelenken, von Wachstum und Reife. Da sind wir alle gemeint, als Glieder oder Gelenke, wir alle, die wir ein Teil am Leib Christi sind. Wir sind und bleiben aufeinander angewiesen. Nach Pfingsten anscheinend mehr denn je. Der Heilige Geist wirkt durch das Zusammenspiel der unterschiedlichsten Menschen und ihrer Gaben. Wir sind und bleiben darauf angewiesen, aufeinander zu hören, einander zu lieben, aufeinander einzugehen, miteinander auf dem Weg zu sein.
Das heißt aber auch mit anderen Worten: Wir sind noch nicht fertig. Wir sind noch nicht vollendet. Da ist noch weiter Raum für Wachstum und Reifung, für Entwicklung. Dass die Gemeinde Jesu Christi den Heiligen Geist empfangen hat, macht dieses Zusammenwachsen und das gemeinsame Wachsen auf ein Ziel hin überhaupt erst möglich. Und wir merken: das geht nicht in einem Automatismus, sondern nur durch ein befreites Menschsein. Befreit. Aber eben: Menschsein. Wegen Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie ihren Schöpfer oder ihren Seelsorger.
Gaben und Dienste, nicht Ämter
Und nun gibt Gottes Geist bestimmte Gaben, die in besonderer Weise zum Wachstum der Einheit und zum Aufbau des Leibes Christi helfen und dienen sollen. Die werden nicht unpersönlich-allgemein genannt, sondern personal: Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer. Diese Gaben werden durch konkrete Menschen ausgeübt, es sind konkrete Dienste durch bestimmte Personen, die vom Heiligen Geist so gebraucht werden. Durch sie soll die Gemeinde zum Dienst befähigt werden, durch sie soll sie in der Einheit des Glaubens wachsen und in der Erkenntnis Jesu reifen.
Diese Gaben und Dienste sind ihrerseits nicht hierarchische Ämter, sondern charismatische Beauftragungen, die nur aus dem Geist Christi, aus dem Geist der Fußwaschung heraus wahrgenommen, aber auch nur so aufgenommen und angenommen werden können. Die Bezeichnungen sind keine „Titel“, man nimmt sie eher durch ihre Auswirkung wahr, als das groß darüber geredet werden müsste. Wenn man sie benutzen wollte zum Herrschen und Beeindrucken, zum Groß-Sein und in Geltungssucht, dann verlören sie ihre besondere Vollmacht.
Geist der Liebe
Pfingsten scheint ein Fest mit Sprengkraft zu sein, das die Christen nicht nur zusammen, sondern auch auseinander zu bringen vermag. Weil es auch unreifen Umgang mit den Gaben gibt, weil die Geistbegabung nicht davor schützt, egozentrisch damit umzugehen. Dieses Risiko geht Gott anscheinend ein, und auch das hat etwas mit unserem Menschsein zu tun. Die Heiligung unseres Denkens und Strebens ist durch Pfingsten nicht überflüssig geworden, sondern überhaupt erst in Freiheit und Liebe möglich. Denn der Heilige Geist ist ein Geist der Liebe. In dieser gegenseitigen Hingabe wachsen wir zur vollkommenen Erkenntnis Christi, d.h. zum vollkommenen Einssein mit Jesus. Ohne diese Hingabe gibt es nur Zertrennung, Fragmentierung und Zerstückelung. So lasst uns singen und bitten: „Komm, Heiliger Geist, und erwecke uns zu neuem Leben, zu neuem Glauben, zu neuer Liebe“ (CANTUS 4, Neue liturgische Gesänge zur österlichen Festzeit, hrsg. v. d. Kommunität Gnadenthal, Hünfelden 1991, Nr. 72, S. 52).
Franziskus Joest