Zur Annäherung
Der Abschnitt Ez. (Hes.) 37,1-14 ist im AT mit seiner an sich schon so reichen Bilderwelt ein herausragender Abschnitt, der seinesgleichen sucht. In dem prophetischen Buch Ezechiel, das Geschichte zu großen Teilen in metaphorischen oder parabolischen Geschichten erzählt, stellt der Text ein unübertroffenes Werk an Erzählkunst dar. Es mag verwundern, dass dieser so bewegende Text erst in letzter Zeit in Reihe VI neu in die Perikopenordnung aufgenommen worden ist.
Erzählt wird über das Aufkommen von Hoffnung. In der kollektiven Erinnerung liegt das Land nach den kriegerischen Zerstörungen in Schutt und Asche. Lebensräume sind zerstört, Menschen ausgewandert, gezeichnet von Leid und Not. Der zentrale religiöse Ort der Gottesverehrung in Jerusalem kann nicht mehr wie gewohnt genutzt werden. Machtstrukturen sind zerbrochen, die Infrastruktur liegt am Boden. In dieser hoffnungslosen Situation stellt sich die Frage, wie Leben und Lebensräume wieder entstehen können. Ez. 37 gibt darauf eine beeindruckende Antwort, indem es auf die Macht des Geistes Gottes verweist, die Leben neu entstehen lässt.
Exegetische Splitter
Der Predigt ist der gesamte Abschnitt Ez. 37,1-14 vorgegeben. Die eigentliche Erzählung von dem Feld der toten Gebeine liegt in V. 1-10 vor, bevor in V. 11-14 eine Deutung auf das Haus Israel und auf das Thema der Wiedergewinnung von Leben aus den Gräbern erfolgt. Zentrales Stichwort, das beides zusammenhält, ist der Geist bzw. die Geistkraft (ruach), der/die von Gott ausgeht und durch die/den Wesentliches ins Leben gerufen wird. Der Prophet Ezechiel ist dabei einerseits als Visionsempfänger beteiligt, genannt mit der im Ez.-Buch typischen Anrede „Menschensohn“ (ben adam in V. 3.9.11); andererseits löst der Prophet durch Ausrichten des Wortes Gottes (V. 4) als Mittel der Weissagung das geschaute Geschehen aus und lässt es Wirklichkeit werden (V. 4.7.9.10).
Der Ausgangspunkt könnte schlechter nicht sein. Eine unzählbar große Menge an Knochen liegt vereinzelt weit gestreut auf einem Feld, ohne dass eine Zuordnung zueinander erkennbar wäre. Der vertrocknete Zustand der Knochen weist auf den schon begonnenen Verwesungsprozess hin. Die ausweglose Situation der Knochen von Toten nimmt jegliche Hoffnung auf eine Wiederkehr von Leben.
Und doch schafft Gott das, was unmöglich scheint. Liest man den hebräischen Text und folgt behutsam den sprachlichen und phonetischen Signalen, so kann man fast hören und fühlen, wie die Knochen aneinanderrücken, mit Sehnen, Fleisch und Haut überzogen werden und wie schließlich das ihnen eingehauchte Leben zu neuer Regung führt. Der Geist ist als Quelle des Lebens unmittelbar mit der Lebendig-Werdung verbunden (V. 5.6.9 und V. 14). Auch wenn dahinter die göttliche Schöpfertätigkeit steht, so geht doch das neue Leben auf die Wirkung der Geistkraft zurück. Der Lebensgeist kehrt damit in die trockenen einzelnen Knochen zurück und lässt aus ihnen wieder Lebewesen entstehen. Ez. 37,1-10 ist, so gesehen, ein einzigartiger Schatz zum Thema der Wiedergewinnung von Leben.
In V. 11-14 folgt eine Interpretation des Bildes. Die Getöteten (V. 9) werden auf das Haus Israel bezogen (V. 11). Unabhängig davon, ob man in der Übertragung eine oder mehrere spätere Erklärungen sieht, liegt hier eine Deutung vor, die das Bild nach einer erneuten Anrede, als Trennungssignal, auf eine geschichtliche Situation bezieht, die mit der Exilskatastrophe zu identifizieren ist. Es geht um die Rückkehr ins Land (V. 12) und um ein friedvolles Leben im Land (14). Jetzt ist zudem konkret mit einem Bildwechsel von der Öffnung der Gräber die Rede (V. 12.13). Damit ist ein Bild für die Wieder-Lebendig-Werdung von Toten verwendet. In einer gesamtbiblischen Lektüre erinnert dies stark an die Auferstehungsmotivik im NT. Da der Text Ez. 37,1-14 jedoch zu Pfingsten gepredigt werden soll, wird der Schwerpunkt hierbei nicht so sehr auf das Thema der Auferstehung gelegt, sondern auf die Wirkung des Geistes abgezielt. Es geht also um die Wirkmächtigkeit des Geistes Gottes, die Leben neu entstehen lässt.
Moderne Anknüpfungspunkte
Anknüpfungspunkte für eine Predigt in Bezug auf die Macht des Geistes gibt es hinreichend. Hier können nur ein paar kurze Impulse gesetzt werden, die aus eigener Praxis und je eigener Situation fruchtbar zu ergänzen sind.
Wer gern in der Welt der Comicliteratur stöbert, könnte sich bei dem Totenfeld an die „Ebene der Toten“ bei „Asterix erobert Rom“ erinnert fühlen. In der 11. Prüfung kehren die toten römischen Krieger auf den „Elysischen Feldern“ des Nachts als Geister wieder und treiben ihr Angst auslösendes Unwesen. Deren Lebendigkeit ist allerdings zeitlich begrenzt und als Schattenwesen nicht mit der Rückkehr in normale Lebensverhältnisse, wie sie in Ez. 37 anvisiert sind, zu verwechseln. Ferner ist nicht ausdrücklich von der Wirkung einer Geistkraft die Rede, auch wenn eine höhere Macht Leben in die Knochen zurückbringt.
Geht die Predigt auf das Proprium des Pfingsttages ein, so liegt es näher, den Schwerpunkt auf mannigfaltige Wirkungen der Geistkraft zu richten. Der Geist als Gottes Wirkmacht, die oftmals stärker aktiv im Hintergrund wahrgenommen wird, kann bei Menschen seine Wirkung entfalten. Zu denken wäre etwa daran, dass Verkrustungen aufbrechen, Schweigen überwunden wird, Menschen zusammengeführt werden, Versöhnung geschieht, Neues entsteht. Die Macht des Geistes kann helfen, neue Horizonte aufzuspannen, die zuvor nicht im Blick waren.
Ähnliche Wirkungen der Geistkraft ließen sich auch bei gemeindlichen oder kirchlichen Prozessen herausstellen, vor allem dann, wenn in dem Gottesdienst das Pfingstfest als „Geburtsstunde der Kirche“ gefeiert wird, wie es in der kirchlichen Tradition diesem Tag auch anhaftet. In schwierigen Zeiten mit zum Teil gravierenden Strukturveränderungen, die den Beteiligten einiges abverlangen, kann die neu-schöpferische Kraft von Gottes Geist als Ermutigung für die Zukunft eingebracht werden. Selbst gegen den Augenschein und entgegen menschlicher Erwartung kann Neues und Wunderbares entstehen, wenn Gottes Geist mitwirkt.
Ausgehend von Ez. 37,1-14 geht es also darum, die Macht des Geistes lebendig zu erfahren und die Schöpferkraft Gottes in vielen Bereichen des Lebens wirken zu lassen.
Lieder
„Erleuchte und bewege uns“ („Kommt, atmet auf“, Nr. 070)
„Du, Herr, gabst uns dein festes Wort“ („Kommt, atmet auf“, Nr. 0159)
Antje Labahn