Dem Himmel so nah oder doch nicht …?

„Wir feiern deine Himmelfahrt mit Danken und mit Loben“ (EG.E 6,1) – somit etwas, dass sich wohl nur einer „Hermeneutik des Einverständnisses“ (Peter Stuhlmacher) ganz zu erschließen scheint, also mit dem glaubenden Ja der Hörenden rechnet. Dazu mag passen, dass viele Christi Himmelfahrt hierzulande eher als „Vatertag“ begehen möchten, und manche Väter (und solche, die es noch werden wollen) gern mit passender (eher höherprozentiger) Stärkung hinaus ins Weite ziehen. Immerhin könnten sie so noch auf viele Gottesdienste treffen, auf Kirche, die an diesem Tag auch hinaus ins Weite drängt und auch dort eine ganz eigene Präsenz zeigt.

Doch Christi Himmelfahrt trägt auch vieles in sich, das weniger zum Feiern denn zum Trauern Anlass gibt: Abschied, Zurücklassen, nötiges Neuausrichten. Fällt in der ersten „Himmelfahrtserzählung“ (Lk. 24,50-53) der Abschied eher knapp und vor allem in „großer Freude“ (52) aus, malt Lk. die zweite Erzählung in dunklen Farben des Abschieds: Einer geht, andere, noch von Jesu Auferstehung überwältigt, schauen ihm eher ratlos nach in einen offenen, für sie gerade leeren Himmel und müssen zurückbleiben. Nach „viele[n] Beweise[n] als der Lebendige“ und „vierzig Tage[n]“, darin er seinen Gefährten vom Reich Gottes erzählte (Apg. 1,3), ist Jesu „Job“ auf Erden getan, die Gefährten müssen ab hier übernehmen. Wenn auch nicht hilflos: „ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein“ (Apg. 1,8). Und doch blicken sie zum leeren Himmel, ein Ort, eine Zeit „dazwischen“, ein Sehnsuchtsraum (bei Reinhard Mey: „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“), den sich jeder und jede selbst ausmalen kann und muss, darin das Alte nicht mehr und das Neue noch nicht manifest ist. Jesu Himmelfahrt ist eine Geschichte der Zurückgelassenen zwischen Abschied und Neujustierung – das betrifft Jesu Gefährten, heutige Gemeinden, aber auch jene, die mit ihrem Predigen den Sehnsuchtsraum zwischen „nicht mehr“ und „noch nicht“ mit eigenen Farben und Strichen ausmalen.

 

Anders als gedacht …?

Vielleicht macht der Blick zum Himmel die, die ab hier „Apostel“ heißen, auch deshalb ratlos, weil vieles nach der Auferstehung anders läuft als gedacht. Sollte jetzt nicht alles schneller gehen? Konkreter? Mit mehr „pomp and circumstance“? Redet Jesus zuvor noch von der βασιλεία τοῦ θεοῦ, wird er auf die (nachvollziehbare) Frage nach dem genauen Wann und Wie eher einsilbig: „Es gebührt euch nicht, Zeit oder Stunde zu wissen, die der Vater in seiner Macht bestimmt hat“ (Apg. 1,7b).

Die Gefährten müssen nicht nur auf Sicht fahren, sondern sich wohl auf ein längeres, vielleicht auch über ihre Zeit laufendes Projekt einstellen. Doch ist der Auferstandene bei ihnen und bereitet sie bestens vor. Schon im Ostermorgen liegen Ende und Anfang eng beieinander: Der lebendige Jesus lässt sich nicht unter den Toten suchen und finden (Lk. 24,5). Mit der Auferstehung beginnt der Glaube an etwas Neues, das sich den Aposteln und den nachösterlichen Gemeinden in unerhörter, weil noch nie gehörter Weise mitteilt. Mit den beiden „men in white“ (Apg. 1,10f) werden (wie mit den „Männer[n] mit glänzenden Kleidern“ in Lk. 24,4) nicht lose Enden angezeigt, sondern eine neue Etappe: nicht im Himmel „spielt die Musik“, sondern weiter auf der Erde, in den Worten und Taten der Apostel, die jetzt übernehmen müssen – und können.

Wie mit Jesu Taufe dessen Wirken initiiert wurde, wird das Pfingstwunder (Apg. 2,1-12) seine Gefährten zum weiteren Wirken ausstatten und losschicken. Wie Jesus zuvor in Vollmacht (ἐξουσία) redet und handelt, können und werden auch die Apostel in Wort und Tat in geistgestärkter ἐξουσία seine Zeugen sein. Langfristig auch weltweit – von Jerusalem über Judäa und Samarien „bis an das Ende der Erde“ (1,8). Mit der Zusicherung, dass Jesus „die Seinen (wieder) zu sich ziehen wird“ (vgl. den Tagesspruch Joh. 12,32). Wer so seinen Weg ins Himmlische antreten kann, kommt wieder. Wann auch immer. So kann Lk. anders, vielleicht ehrlicher Jesu Wiederkunft bedenken, ohne sie aufgeben zu müssen. Udo Schnelle hält fest: „Die Himmelfahrt verändert die Architektur der Endereignisse, denn plötzliche, mit Katastrophen verbundene apokalyptische Ereignisse sind mit einer in Kontinuität zur Himmelfahrt stehenden Parusieerwartung nur eingeschränkt zu verbinden“ (Schnelle, 503).

 

Alles Gute zum Vatertag …? Aber ja doch!

Mit Christi Himmelfahrt wird die Sprech- und Gesprächsfähigkeit des Glaubens zum Thema – vielleicht aktuell auch ihr Fehlen oder nur unzureichendes Funktionieren. Genügend Krisen inner- und außerhalb von Kirchenmauern können sprechunfähig oder -unwillig machen, lassen einen eher leeren Himmel wahrnehmen und auf Erden eher dem Aufbruch wehren. Und wer hochblickt, weiß: Dort ist nicht hier. Abschiede können dauern. Doch irgendwann muss es auf der Erde weitergehen, damit der Himmel über allen aufgehen kann. Das wissen auch die „men in white“ und rufen Zurückgelassene (und Nachfolgende heute) zur Neujustierung: „Was steht ihr da und schaut zum Himmel?“ Die losen Enden wollen und können verknüpft sein. Der offene Himmel, der Sehnsuchtsraum zwischen „nicht mehr“ und „noch nicht“, ist nicht leer oder nur voller Ratlosigkeit, sondern Gottes Spielraum, der gerade an Tagen wie Christi Himmelfahrt zur lichtgefluteten, lebensfrohen Weite lädt.

Wo Christen sich versammeln, wo sie sich darauf einlassen, ihre eigenen Farben und Striche in Gottes Spielraum einzubringen, ist Christus bei ihnen, teilt mit ihnen Gottes δόξα, lässt Gott als liebenden Vater wahr- und ernstnehmen. Christi Himmelfahrt ist ein „Vatertag“: Längst ist Jesus Christus in der Tat angekommen, beim Vater und bei uns. Das können und dürfen Predigt und Gottesdienst als „Himmelfahrtskommando“ eigener Art gerne erzählen, besingen und feiern. Drinnen oder, noch besser, draußen.

 

Literatur

Udo Schnelle, Theologie des Neuen Testaments, Göttingen 32016

 

Patrick Fries