1. Zum Text

In 2. Kor. 2,14-7,4 verteidigt Paulus sein Apostolat. Unsere Perikope 4,14-18 steht im größeren Zusammenhang von 4,7-18.

In V. 7-11 redet Paulus im Wir-Stil von sich als Apostel, wobei das Gesagte für alle Christen gilt. Die Bedrohung ist offensichtlich, aber darin offenbart sich das Leben Jesu (V. 8f). Die korinthische Kritik an seiner Person aufnehmend, seine Schwachheit (irdenes Gefäß) demonstriere nicht die Kraft Gottes (Schatz), weist Paulus auf Jesu Weg vom Tod zum Leben, der sich beim Apostel wie bei den Glaubenden zeige.

V. 12-15 thematisiert die Wirkung der apostolischen Verkündigung. Paulus’ Hingabe an den Tod durch Dienst und Verkündigung weckt das Leben in den Korinthern. Im Geist des Glaubens an Jesu Auferweckung verbunden ist die zukünftige Auferweckung als Aufhebung aller Widersprüche zu erwarten. Dies ruft schon jetzt Gnade und Danksagung hervor.

Mit V. 16-18 verdeutlicht Paulus, dass es keinen Grund gibt, sich entmutigen zu lassen. Auch wenn der äußere Mensch dem Tod geweiht ist, wird der innere tagtäglich erneuert. Und die überschwängliche Herrlichkeit, die noch unsichtbar ist, wird alles zeitliche Leid in den Schatten stellen.

 

2. Zur Aussage

Paulus spricht vom äußeren Menschen, der verfällt, und vom inneren Menschen, der tagtäglich erneuert wird. Dabei ist jeweils der ganze Mensch gemeint. Der äußere Mensch in seiner Sichtbarkeit und der innere Mensch in seiner Unsichtbarkeit. Äußerer und innerer Mensch dürfen hier nicht missverstanden werden als Unterscheidung vom Menschen als Leib einerseits und Menschen als Seele-Geist andererseits. Das Neue, das Christus an uns wirkt, ist wie der Schatz in irdenen Gefäßen. Der äußere – der wahrgenommene – Mensch zeigt sich in seiner Schwachheit, seiner Anfechtung, seinem Leiden, seiner Vergänglichkeit, ob leiblich oder psychisch. Der innere – der eschatische – Mensch ersteht täglich neu durch die Kraft Gottes.

Das Neue, Kommende, Herrliche ist schon da, gerade wenn der Tod Jesu an uns sichtbar ist, damit sein Leben an uns offenbar werde. Paulus ist sich gewiss, dass der, der den Herrn Jesus auferweckte, auch uns einst auferwecken wird. Somit lenkt Paulus den Blick auf die überschwängliche Kraft Gottes, die Hoffnung weckt – und uns auf die kommende, noch unsichtbare – übermäßige Herrlichkeit „schauen“ lässt. Dieser Blick auf das Unsichtbare relativiert alle sichtbare Bedrängnis, die zeitlich, also begrenzt ist. Noch leben wir im Glauben und nicht im Schauen. Doch dieser Glaube lässt uns von der ermutigenden Hoffnung auf das Kommende her leben, lässt die Kraft Gottes in uns täglich neu wirksam werden, lässt Christus in uns wahr werden bzw. uns „in Christus“ sein (vgl. Gal. 2,20). Darin wird das Zukünftige auf geheimnisvolle Weise gegenwärtig.

 

3. Zur Predigt

„Darum werden wir nicht müde…“ kann Paulus den Korinthern sagen, der seine Gewissheit aus der Kraft Gottes schöpft, die in den Schwachen mächtig wird (vgl. 2. Kor. 12,9). Das treibt ihn an, das bewegt ihn, das ist seine Ermutigung. Paulus vertraut nicht auf seine eigene Kraft, sondern auf die Kraft eines Stärkeren. So können wir analog zu 2. Kor. 4,8f formulieren: „Wir sehen Kriege um uns herum, aber wir verzweifeln nicht. Wir nehmen beängstigende extremistische Tendenzen wahr, aber wir lassen uns nicht einschüchtern. Wir leiden am Bedeutungsverlust der Kirche(n), aber wir sehen Christus an unserer Seite. Wir sehen schwierige Zeiten vor uns, aber wir lassen uns nicht entmutigen.“ Denn wir haben den im Auge, der neues Leben schaffen kann (vgl. 2. Kor. 5,17), der uns tagtäglich erneuert, auch wenn wir das Sterben Jesu an unserem Leibe tragen (V. 10), der den Herrn Jesus auferweckt hat (V. 14) – und durch den uns die Herrlichkeit verheißen ist (V. 15).

Von Erschöpfung ist momentan viel die Rede. Die Corona-Zeit in ihren verschiedenen Facetten wirkt noch nach. Der Ukraine- und Gaza-Krieg lasten auf unserer Seele. Die Auswirkungen des Klimawandels sind unabsehbar. Der Aufschwung der Rechten in unserem Land und anderswo macht uns besorgt. Die zunehmende Komplexität im Alltag lässt das Leben undurchschaubarer werden. Der raue Umgang untereinander, die harsche Sprache, der Mangel an Empathie, die Unfähigkeit aufeinander zu hören beflügeln die Tendenz der Entfremdung in unserer Gesellschaft. Doch wir werden nicht müde, wir lassen nicht nach, wir machen nicht schlapp, wir resignieren nicht, wir lassen uns nicht entmutigen. (Dazu möge jede/r ihre/seine gemeindenahen Beispiele finden.)

Der Philosoph Wilhelm Schmid sagt in einem „SPIEGEL“-Interview: „Was gab den Menschen über Jahrhunderte Orientierung? Religion, Tradition, Konvention. Und genau die drei zählen heute nichts mehr. Gott soll das gesagt haben? Dann kommt das für mich nicht infrage. Schon mein Großvater hat es so gemacht? Dann ich auf keinen Fall. Alle machen es so? Dann ich erst recht nicht.“ Vielleicht stachelt uns das an. Es gilt nachzudenken: Wie kann Kirche bzw. christliche Verkündigung diese Orientierungslücke auch nur ansatzweise versuchen zu füllen. Wie mitten im Tod zum Leben ermutigen? Durch überraschende Ideen, ungewöhnliche Wege, beherzte Zugänge?! Die Kraft Gottes wird uns ermutigen, die Hoffnung stimulieren. „Es ist geradezu ein Lebensgesetz der Kirche, dass die Flamme immer am Erlöschen ist – und weiterbrennt! Es ist Gottes Sache, dass und wie er das macht.“ (Gottfried Voigt)

 

4. Zum „Verständnis“

Zur Ermutigung (in einfacher Verstehensweise) eine kleine Geschichte: „Es geschah einmal, dass aus der Erde eine kleine Pflanze emporwuchs. Sie freute sich so über das Licht und die Luft, dass sie sich mit allen Kräften entfaltete und größer und größer wurde. Ja, bald konnte man sehen, wie ein kleiner Baum dastand, mit zarten Zweigen und Blättern, in einem wunderschönen Grün. – Eines Tages ließ das Bäumchen seine Blätter traurig hängen, und auch die kleinen Äste neigten sich zur Erde. – Ein Vogel, der in dieser Gegend gerne in den Zweigen der Bäume sang, merkte das, flog auf einen der Äste und fragte den jungen Baum, was geschehen sei. – ‚Ach‘, klagte der Baum, ‚ich will nicht mehr weiterwachsen. Wenn ich alle die schönen, großen, starken Bäume um mich sehe, wie sie ihre mächtigen Zweige gegen den blauen Himmel recken, dann denke ich: Das schaffst du nie!‘ – Der Vogel wiegte sich eine Weile auf dem biegsamen Ast, während er nachdachte. Dann sagte er: ‚Du musst Geduld haben. Jeden Tag bekommst du so viel Sonne, Regen und Wind, wie du gerade brauchst. Nimm das an und sei zufrieden! Alles andere wird sich von selbst finden!‘“ (Fundort unbekannt)

 

Lieder

EG 390 „Erneure mich, o ewigs Licht“
EG 398 „In dir ist Freude“
EG+ 93 (EKHN) „Anker in der Zeit“

 

Zitate:

Wilhelm Schmid, „Die Lösung ist: leg dich fest, lass dich ein“, in: Der SPIEGEL Nr. 1/30.12.2023, 110-113 (Zitat: 112)
Gottfried Voigt, Auslegung der Predigttexte, Reihe IV: Die himmlische Berufung, Göttingen 1973, 228

 

Kurt Rainer Klein