Für mich hat die Perikope zwei Höhepunkte: die kurze und eindringliche Bitte Jesu „Sei gläubig“, das überraschende Bekenntnis des Thomas „Mein Herr und mein Gott!“
Verstehensbarrieren
Mir geht es so: Angesichts der Kreuzigungs- und Auferstehungsgeschichte halte auch ich zuweilen ungläubig inne und staune, über die Geschehnisse, die sich da entfalten. Auch darüber, dass Thomas ebenfalls mitgenommen werden soll. Der Erzählung nach Johannes folgend ist es nicht egal, ob einer übrig bleibt, der ein Mehr an Überzeugung braucht. Wie geht es uns da heute? Gehen wir denen mit Entschlossenheit nach, die sich nach Glauben sehnen, aber erhebliche Verstehensbarrieren nicht (so schnell) überwinden können?
Eine Frage der Entscheidung?
Der Appell an alle Hörenden – damals und heute – steht im Raum: „Seid nicht ungläubig, seid gläubig!“ Als sei das eine Frage der Entscheidung, über die man verfügen könne. Zugleich: Die Vergewisserung, die Thomas fordert, wird erfüllt. Thomas darf seine Finger in die Wunden legen. Man fragt sich unmittelbar: Was aber kann und soll das Erfühlen der Wunden belegen, was die Begegnung mit dem Auferstandenen nicht schon beweisen würde? Wie so oft scheint sich auch hier wieder zu bewahrheiten, dass der Auferstandene nicht als solcher wiedererkannt wird. Er macht sich erst erkennbar durch seine Art des Auftretens und hier durch seine Wunden, die ihn als den Gekreuzigten ausweisen.
„Ungläubiges Staunen“
Es kann nicht verwundern, dass die kritische Distanz bei Thomas zunächst überwiegt. Von der ersten Begegnung hat er nur vom Hören-Sagen erfahren. Aber Berichte können unwahr sein, Fake-News eben. Und dann die Begegnung mit dem Auferstandenen. Möglicherweise lässt sich seine Haltung mit dem Buchtitel von Navid Kermanis Kunstbuch „Ungläubiges Staunen“ beschreiben. Es ist ein Staunen aus der sicheren Ferne, die durch das Erleben von Unglaublichem überbrückt wird, aber noch nicht zur Überzeugung durchdringt.
Kermani beschreibt sein ungläubiges Staunen einmal in Bezug auf den christlichen Glauben so: „Wenn ich etwas am Christentum bewundere oder vielleicht soll ich sagen an den Christen, deren Glauben nicht mehr als nur überzeugte, nämlich bezwang, dann ist es nicht etwa die geliebte Kunst, nicht die Zivilisation mitsamt der Musik und Architektur, nicht dieser oder jener Ritus, so reich er auch sein mag, es ist die spezifisch christliche Liebe, insofern sie sich nicht nur auf den Nächsten bezieht. In anderen Religionen wird ebenfalls geliebt. Es wird zur Barmherzigkeit, zur Nachsicht, zur Mildtätigkeit angehalten, aber die Liebe, die ich bei vielen Christen wahrnehme, die ihr Leben Jesus verschrieben haben, geht über das Maß hinaus, auf das ein Mensch auch ohne Gott kommen könnte. Ihre Liebe macht keinen Unterschied.“ Navid Kermani staunt ungläubig.
Ein Zeichen des Himmels
Ich frage mich: Was ringt mir ungläubiges Staunen ab? Wo möchte ich Gott am Werk sehen und bin mir so unsicher, dass eine vertrauensvolle Annäherung Kraft und Entscheidung kosten?
Mir fällt dazu die Geschichte von der Taufe eines Iraners ein, wie wir sie in der Diakonie erst vor kurzem erlebt haben. Der junge Mann stand vor der Rückführung in sein Heimatland aus der im Transitbereich gelegenen Geflüchteten-Unterkunft des Frankfurter Flughafens. Voller Verzweiflung und mit Angst um sein Leben vertraute er sich einer Pfarrerin an, die für die Diakonie dort tätig ist. Er bittet um Gebet und Taufe – wissend, dass auch der Konfessionswechsel ihm nun in Bezug auf seine Aufenthaltsbewilligung nichts mehr nützen würde. Er bittet stattdessen darum, damit die Taufe ihm in der Zeit nach der Abschiebung Halt im Glauben geben möge. Die Taufe findet adhoc organisiert statt. Völlig unerwartet und ohne jeden Bezug dazu trifft eine Viertelstunde später die Nachricht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ein, dass er aus dem Transit nach Deutschland einreisen darf. Für den Iraner ist das ein Zeichen des Himmels, ein Wunder. „Sei nicht ungläubig, sei gläubig!“ Gestehe ich mir das zu, daran zu glauben oder zumindest darauf zu hoffen, dass Gott hier seine Finger im Spiel hatte?
Vertrauen erweist sich
Man kann es Thomas kaum verdenken, dass er zögert. Die Geschichte stellt uns vor die Fragen: Was kann ich glauben? Was nicht? Wo muss ich mich selbst vergewissern? Tatsächlich: Wie gerne hätte ich diese Thomas-Chance zur Selbstvergewisserung. Wie oft aber bleibe ich skeptisch stehen und sehe kritisch und neidisch zugleich auf die, die so ganz ohne Zweifel sind, weil sie „gesehen“ haben.
Die Perikope endet mit einem katechetischen Satz „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“ Er richtet sich an alle, die nicht mehr in der komfortablen Situation der ersten Jünger*innen sind. Glauben ist Vertrauen – aber wie entsteht solches Vertrauen? Paulus jedenfalls versucht es in seinen Briefen mit Bezug auf Augenzeugen der Auferstehung und will so den Beweis führen. Diese Beweisführung indes war auch nur zeitbezogen und ist für uns nur noch eingeschränkt belastbar, auch wenn Theolog*innen bis in unsere Zeit darauf manche Argumentation gebaut haben.
Ich bin dagegen überzeugt: Vertrauen erweist sich. Aus Versprechen und eingelöstem Versprechen. Wie bei Thomas. Aus dem Wunsch, gesehen und verstanden zu werden – und der Erfahrung, dass dies genauso geschehen ist. Aus der Sehnsucht nach Rettung und Heil und dem Erleben, dass mitten im Unheil und Ungerettetsein die Hand von der anderen Seite da war und Halt geschenkt hat. Aus der Resonanz auf heilsame Worte und Rituale. Aus der Begegnung mit dem unverfügbaren Du.
Es gibt auch heute noch diese Thomas-Momente im Leben – zwischen Zweifel und Distanz und dem wagemutigen Schritt, sich Gott in die Arme zu werfen. Dann gilt: Wer sich Glauben zugesteht, auch wo es keine letzte belastbare Sicherheit gibt, kann sich glücklich schätzen. Der Impuls, den man dafür manchmal braucht, ist die eindringliche und werbende Bitte Jesu „Sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“ Der Schritt über diese Grenze führt dann im besten Falle zu einem – vielleicht auch erst einmal vagen – Glaubensbekenntnis: „Mein Herr und mein Gott!“
Markus Eisele