Gottes geheimnisvolle Präsenz

Im Lied der Hanna heißt es: „Gott tötet und macht lebendig.“ Wenn ich auf Jesu Leidensweg zurückblicke, dann sehe ich allerdings die vielen Menschen, die zu seiner Tötung beigetragen haben. Selbst Jüngerinnen und Jünger sind verstört und versagen. Jetzt aber erleben sie, dass in Jesus von Nazareth Gott selbst gegenwärtig ist und schon immer auf eine verborgene Weise gegenwärtig war. Die Macht der Liebe konnte nichts gegen die Aggression und Gewalt derer ausrichten, die Jesus ans Kreuz geschlagen haben. Doch sie hat ihn durch den Tod hindurchgetragen, so dass er als Christus auferstehen und weiterwirken kann. Dadurch werden sie froh und dankbar. Das feiern wir am Ostersonntag.

Hier liegt für mich die Verbindung zwischen Ostern und dem auch „Dankgebet“ genannten Lied der Hanna: in der Dankbarkeit für und Freude über die existentielle Erfahrung, dass die Macht der Liebe wirkt, dass Gott entgegen allem Schein da ist. Hanna besingt diese für Jüdinnen und Juden schon viel länger geheimnisvolle Präsenz Gottes in ihrem Psalm unabhängig von Jesu Geburt und Tod. Sie singt von ihrer am eigenen Leib spür- und sichtbaren Erfahrung – sie ist schwanger geworden –, dass für Gott alles möglich ist. Lange und inständig hat sie gebetet, dass sie dieses Kind bekommt. Sie nennt es Samuel. Der Name deutet bereits auf Saul hin, den ersten König Israels. Samuel wird der erste Sohn Hannas sein, ein besonderer – Richter und Priester, Königsmacher und Prophet, alles in einem.

 

Umkehr der Verhältnisse

Hanna fasst in Worte, dass die Macht der Liebe persönliche Verhältnisse umkehrt und wie daraus die Gewissheit entsteht, dass auch politisch und gesellschaftlich gerechte Verhältnisse einkehren. Der Gedanke, dass Gott nicht Reiche, sondern Arme und Erniedrigte stützt, feiert hier in der Bibel Premiere. Darauf hat mich die entsprechende Folge des „ZEIT“-Podcasts „Unter Pfarrerstöchtern“ aufmerksam gemacht, in dem die Schwestern Sabine Rückert, stellvertretende Chefredakteurin der „ZEIT“, und Johanna Haberer, Theologieprofessorin, beide Pfarrerstöchter, sich über die Bibel und ihre unglaublichen Geschichten unterhalten.

Hannas Psalm ist immer weiter gebetet worden, durch die Jahrhunderte der Geschichte Israels hindurch. Maria wird zu ihrer Zeit daran anknüpfen mit ihrem „Großmachen Gottes“, dem Magnificat. Auch ihr wird offenbart, dass sich bislang Unterlegene und Unbedeutende freuen können.

Nicht mit einer Geburt allerdings, sondern mit der Auferstehung beginnt die Gottessohnschaft Jesu, wie Lukas in der Apostelgeschichte (Apg. 13,30-33) schreibt: „Gott aber hat ihn auferweckt von den Toten. Über viele Tage hin erschien er denen, die mit ihm von Galiläa nach Jerusalem hinaufgestiegen waren. Sie legen jetzt vor dem Volk Zeugnis von ihm ab. Auch wir verkündigen euch, was den Vorfahren verheißen worden ist. Da hat Gott für ihre Kinder – für uns – ausgeführt, indem er Jesus auferstehen ließ, wie es auch im zweiten Psalm geschrieben steht: Du bist mein Sohn; heute habe ich dich hervorgebracht.“ (Übersetzung Bibel in gerechter Sprache, 2011)

„Das Osterlicht entzündet das Weihnachtslicht.“ (Dekanin i.R. Gerlinde Hühn) Hanna verfügt aber über eine Erfahrung, die Lukas aufgreifen kann, wenn er von der Ostererfahrung aus im Rückblick seine Weihnachtsgeschichte schreibt und mit dem Magnificat der Maria an das Befreiungslied der Hanna anknüpft.

Dass Frauen aufgrund einer Schwangerschaft – ob gewünscht oder passiert – einen großen Hoffnungsschub erleben, ist eine nach wie vor oft gemachte existentielle Erfahrung. Wenn sie diese mit der Hoffnung auf eine Umkehrung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse verbinden, zeigt das für mich ein großes Verantwortungsbewusstsein für die Zukunft. Hanna und Maria werfen ihr ganzes Vertrauen auf Gott, sie erwarten, dass Gott nicht nur privat, sondern auch politisch für Gerechtigkeit sorgt. Ihre Haltung wünsche ich den unzählig vielen Frauen in den verschiedensten Verhältnissen heute, insbesondere dort, wo sie unter dem allgegenwärtigen Patriarchat an Unerfülltheit, Krieg und Unterdrückung, Gewalt und Hunger extrem leiden.

Auch Jugendlichen kann mit diesen bezeugten Erfahrungen, dass Gott alles wenden und für eine neue Wirklichkeit sorgen kann, Mut gemacht werden, sich für Generationengerechtigkeit einzusetzen.

 

Lieder

NL 182 (Württ.) „Mit dir, Maria, singen wir“
EG 611 (Württ.) „Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt“

 

Kathinka Kaden