Die Verleugnung des Petrus gehört zu den bekannten und in allen Evangelien gut bezeugten Abschnitten. Die Ankündigung fällt bei Lk. knapper aus als bei Mk. und Mt., bei ihm ist es nur Petrus, der das große Treueversprechen abgibt.
Abgründe
Die Passionszeit zwingt uns zu einem Blick in die Abgründe menschlicher Schlechtigkeit: Ein Politiker stiehlt sich aus der Verantwortung, lässt einen Unschuldigen umbringen, wäscht seine Hände in Unschuld; einfache Soldaten lassen ihren Sadismus an einem Menschen aus, der ihnen überstellt wird; religiöse Führer bangen fraktionsübergreifend um ihren Einfluss und liefern einen unbequemen Mann aus dem eigenen Volk der ansonsten verhassten Besatzungsmacht aus. Vielleicht aber ist es bei all dem, womit Jesus doch wohl zu rechnen hatte, noch schlimmer, dass die eigenen Freunde schlafen, als er ihren Beistand braucht, und dass sie sich im entscheidenden Moment aus dem Staub machen. Einer verrät ihn gegen Geld, und ein zweiter, sein nach eigenem Bekunden bester und treuester Freund, beteuert mehrfach, ihn nicht zu kennen.
Identifikation
Der Text bietet sich an für eine Predigt, die zur Identifikation einlädt – nicht wenige Menschen haben die schlimme Erfahrung von Verlassenheit und Verrat gemacht, wenn zuvor beste Freunde plötzlich nichts mehr mit ihnen zu tun haben wollten oder gegen sie Stellung nahmen.
Bevorzugen würde ich jedoch, den Fokus darauf zu legen, dass es ausgerechnet Petrus ist, der Jesus verleugnet, der Jünger, der seinen neuen Namen bekam, weil er der Fels sein sollte, auf den Jesus seine Gemeinde bauen würde. Es ist eben dieser Petrus, der dann zu einer der großen Gestalten der frühen Christenheit wird und hier katastrophal versagt.
Dies bestätigt – nach Jakob, David oder Saulus/Paulus – die Erkenntnis, dass Gott seine höheren Wege nicht mit Heiligen, sondern mit äußerst fehlbaren Menschen geht. Für Heldenverehrung bleibt da kein Platz.
Ich sehe darin keine Schwäche unseres Glaubens. Ganz im Gegenteil: schwach sind Systeme, in denen die Führer als fehlerlos dargestellt und vergöttlicht werden. Der biblische Glaube hingegen rechnet realistisch mit der Fehlbarkeit der Menschen, die eben darum auf Gnade angewiesen sind.
Den ersten Christen waren diese Worte eine Ermutigung. Sie gehörten nicht zu den Vorbildlichen, ihnen war kaum ein Fehlverhalten fremd. Sie erlebten hautnah, wie aus begeisterten Glaubensgeschwistern in Zeiten der Verfolgung Abtrünnige wurden.
Umgang mit unbequemen Themen
Von hier aus lassen sich unschwer Linien ins Heute ziehen. Ich denke dabei an den Anspruch an die Vorbildfunktion von Pfarrerinnen und Pfarrern, insbesondere derjenigen, die hohe Ämter bekleiden. Ich denke an die schlimmen Übergriffe auf Kinder durch Menschen im Dienst der Kirche, womit sich nicht nur unsere katholischen Geschwister auseinandersetzen müssen. Das sind unbequeme Themen, aber sie müssen bedacht und angesprochen werden – nicht nur von denen, die der Kirche und dem Glauben ablehnend gegenüberstehen. Für den Bereich der Politik gilt Ähnliches, wo aufgedeckte „Sünden“ aus der Jugendzeit, eine unbedachte Wortwahl oder ein Lacher im falschen Moment zu allgemeiner Empörung und Rücktrittsforderungen führen.
Zum Schluss der Predigt sollte die Perspektive von Vergebung und Versöhnung in den Blick kommen. Das erscheint mir in jedem Fall angemessener als – wie es in unserem Text der Fall ist – damit zu enden, dass ein Mensch niedergeschlagen zurückbleibt und ein anderer bitterlich weinend verschwindet. Aufzuzeigen wäre, dass die Geschichte von Jesus und Petrus trotz dieser Verleugnung weitergeht, am Ostermorgen, am See Tiberias, am Pfingstfest…
Angemessen erschiene es mir auch, im abschließenden Gebet für uns, die wir so oft hinter unseren eigenen Ansprüchen zurückbleiben, ebenso zu bitten wie für diejenigen, die Unrecht tun und anderen Schmerzen zufügen.
Dietrich Lauter