„Etwas stimmt nicht mehr!“
Ein grundsätzliches Gefühl beschleicht Menschen gegenwärtig mit umgreifender Macht: „Etwas stimmt nicht mehr!“ – im Staat und mit der Politik, in der Gerechtigkeit und mit der Verteilung, im Wohlstand, in der Flüchtlingssituation, angesichts der Krisen und Kriegs- und Terrorkatastrophen. An allem, was man gefühlt anfasst, zerbröckeln sicher geglaubte Haltungen, Faktenkompetenzen und Gesprächskulturen. Meinungen werden „gehatet“. Menschen bedroht. Manche Streitkultur verliert jeglichen demokratischen Glanz und menschliches Gloria.
Demgegenüber sprechen immerhin zwei geistesgeschichtliche Antipoden schlechthin, Gottessohn und des Teufels Beitrag, ausgesprochen sachlich, fast emotionslos miteinander. Es ist ein Bibliolog besonderer Art, in dem einer sich methodenwiderständig nicht auf das vorgeschlagene Schriftverständnis einlässt und sich alles andere als in die wörtlichen Zitate wörtlich fallen lässt. Außerdem ist es ohnehin ein denkbar ungerechter Dialog. Während Jesus ausgehungert sich die vorgegebene Situation nicht aussuchen kann und zum Mitspielen – Hiob ähnlich – gezwungen wird, spielt der Teufel – wie schon im Prolog Hiobs – das Spiel mit Worten und Zitaten, um den anderen mit seinen eigenen Waffen oder besser Worten zu schlagen. Da stimmt schon etwas nicht.
„Etwas stimmt überall nicht mehr!“
Die Verben der Perikope malen die Dynamik der Geschichte – fast unmittelbar und ohne andere Beschreibungen zu benötigen – vor Augen. Es ist ein verbales, rhetorisches Battle. Der eine tritt auf, stellt Orte und Worte. Der andere reagiert im Wortduell gleichermaßen bibelfest. Schon folgt die nächste Runde: „Wiederum.“ Im Film wäre es ein Flug aus der trockenen Tiefe der nomadenvertrauten Wüste über die öffentliche Stadt mit allen religiösen, ambivalenten Implikationen in die bildhaft machtvolle Natur- und Kulturlandschaft der Berge. Ein grundsätzliches Gefühl beschleicht Menschen gegenwärtig mit umgreifender Macht. Wohin man gerade schaut, so scheinen die Voten einstimmig: „Etwas stimmt überall nicht mehr!“
„Etwas stimmt schon von Anfang an nicht mehr!“
Nino de Angelo hat es „engelhaft“ im Schlager besungen, dass etwas nicht mehr stimmt, wenn ein Kind nicht mehr lacht wie ein Kind. Etwas stimmt schon von Anfang an nicht mehr, liest man die Perikopen des Sonntags des Mythos (1. Mos. 3) und der biblischen Versuchungsprotagonisten (Hiob 2) und Judas (Joh. 13). Es ist das Paradox-Verstörende und Theologisch-Herausfordernde, dass die Auflösung gerade nicht der Dualismus von Satan oder Gott ist; es wäre ja auch eine gnadenlose Auslieferung. Jenseits von Eden ist das Leben diesseits. Ein Leben zwischen Gefahr und Dornen. Leben, das stolpert und stürzt (Ps. 91).
Die gottesdienstlichen Passionsfeste feiern die Nichtselbstverständlichkeit; im Angesicht eines außerordentlichen Hungers (V. 1f), ohne Gottesbeweise (V. 5-7) und mit konsequentem Machtverzicht (V. 8-11). Der gestreckte Weg von Wüste bis Berg entspricht dem Weg von Kreuz zum Auferweckten. In der Versuchung am Anfang des Evangeliums blitzt die Bergspitze am Ende (Mt. 28,16) auf; in der so ganz anderen Form göttlich auferweckender Macht. Vom Ende her wandert das Leben immer Jenseits von Eden.
Versuchung und Verschwörung
Die Predigt wird nicht schnell über die Versuchungsorte hinwegfliegen, sondern für Mensch und Gesellschaft wüste Zeiten, öffentliche Diskurse bis hin zu mutigen Positionen und Proklamationen zur Sprache bringen. Denn die Versuchung könnte eine Schwester der Verschwörung sein. Die Versuchungsmentalität des Teufels ist argumentativ bestechend bis durchsichtig. Da ist Mut, sich auf den Teufelskreis einzulassen. Da ist ein Dialog mit Wegstrecke auf Augenhöhe. Da ist die Konsequenz, die Person mit dem Versuchungsglauben nicht herablassend zu behandeln, sondern entschieden. Christus agiert methodisch sicher im Umgang mit Versuchungstheorien. Es distanziert sich vom Inhalt, übernimmt keine vereinfachte Gut-Böse-Einteilung und geht verbal auf die Zwischenstufen ein, um das scheinbar Einfache, Dualistische und Machtvolle als Elemente von Versuchungstheorien aufzudecken.
Im Diesseits steht am Anfang (Mt. 4) und Ende (Mt. 28), biografisch nachzulesen und nachzufolgen, die Proklamation des Auferweckten und die engelshafte Gemeinschaft derer, die sich bei ihm finden. Darum ist die (diakonische) Kirche sowohl der Ort, um sprachfähig zu sein mit denen, die plötzlich satansmäßig von der Bildfläche der Öffentlichkeit verschwinden und mit denen, die plötzlich sichtbar werden in einer diakonisch-dienenden Gemeinschaft um den Auferweckten (Mt. 4,11.
Lars Hillebold