„Warum müssen wir eigentlich so oft in den Gottesdienst gehen?“ ist eine nie verebbende Frage bei Konfirmand*innen. Eine gute Frage! Was erwarten wir uns eigentlich vom Gottesdienstfeiern? Wollen wir Gott zufrieden stellen? Feiern wir Gottesdienst als Genuss für Seele und Geist? Erhoffen wir uns Impulse für Lebensgestaltung und Sinnfragen? Oder ist es ein Bußritual, bei dem wir unser schlechtes Gewissen reinwaschen?
Am. 5 nimmt uns mitten hinein in diese Frage, die sich an der Kultpraxis einiger Nordreichbewohner*innen entzündet. Gott ist ganz und gar nicht zufrieden mit ihren Gottesdiensten und Opfern. Amos lässt auf die Feiergemeinde einen wahren göttlichen Shitstorm herabregnen, der die Abscheu des HERRN mit allen Sinnen beschreibt. Weder riechen, noch ansehen will er die Gaben, und die Lieder und Gesänge im Tempel dringen nicht mehr an sein Ohr. Was haben die gescholtenen Gläubigen denn nun falsch gemacht und was erwartet Gott von einem gelungenen Gottesdienst?
Eine Narrenpredigt
Das Thema klingt ernst für den Sonntag Estomihi, der am Übergang liegt von der Vor-Passionszeit zur Fastenzeit. Es ist der Karnevalssonntag, an dem in manchen Straßen Deutschlands und mehr noch auf allen Fernsehkanälen die Narren das Bild beherrschen. Am. 5,21-24 wirkt da auf den ersten Blickwie die Vorlage für eine vorgezogene deftige Fastenpredigt an Invokavit.
Doch ist es nicht die Rolle des Narren, den Selbstgerechten und Eitlen den Spiegel vorzuhalten? Amos ist dieser Narr, die unzweifelhaft historische Person, die sich mehr als Hirte und Züchter von Maulbeerbaumfeigen sieht denn als Propheten und um das Jahr 760 v.Chr. aktiv ist. Es gibt keine nennenswerten Gründe, in Am. 5,21-24 nicht des Propheten O-Ton zu erkennen. Das Nordreich erlebt zu dieser Zeit einen wirtschaftlichen Aufschwung mit weitreichendem Handel und reger Bautätigkeit.
Den Spiegel hält er der Elite des Nordreichs vor, die die günstigen makroökonomischen Rahmenbedingungen schamlos zum eigenen Vorteil ausnutzt und der dabei fast jedes Mittel zur eigenen Bereicherung recht zu sein scheint: Ausbeutung (4,1; 5,14), Rechtsbeugung (5,7) und Richterbestechung (5,10.12). Dadurch sind genügend Ressourcen vorhanden, um im Tempel rauschende Opferfeste zu feiern. Denn Amos zählt in V. 21-23 alle bekannten Opferarten auf, auch das verschwenderische „Brandopfer“, bei dem das gute Fleisch komplett verbrannt wird.
Das Brandopfer führt zur einzigen exegetischen Unklarheit: Schließt V. 22a auch die Brandopfer in die Verurteilung ein (Basisbibel, Einheitsübersetzung, Luther 1984), oder nimmt sie diese gerade (wegen ihrer Uneigennützigkeit) aus (Luther 2017, Zürcher)?
Die eigentlich den Priestern zugewiesene Beurteilung, ob das Opfer angenommen wird, spricht Gott selbst aus: lo ärzä– nicht angenommen! Das gilt genauso für die Lieder und die Musik.
Ein Funke Hoffnung
Der Narr, der den Spiegel vorhält, ist immer auch ein Moralist, der sich einer tieferen Wahrheit verpflichtet weiß, und so trägt er in V. 24 einen Funken Hoffnung hinein! Recht und Gerechtigkeit als Bedingung und Folge der Gottesbegegnung mögen in kontinuierlichem Strome fließen. Der Strom als Bild für die Verlässlichkeit und Lebensnotwendigkeit des Wassers, im Unterschied zu den unberechenbaren, temporär auch zur Gefahr werdenden Wadis in Judäa und Samaria. Ohne es explizit auszusprechen, stellt Amos so eine Korrelation her zwischen Lebensführung und Gottesbegegnung.
Nach dem Untergang des Nordreichs ist der ruchlose Jetset des Nordreichs dem tiefen Schweigen der Geschichte anheimgefallen. Die Worte des Narren aber wurden redigiert und ediert und fanden neue Adressaten in Juda und im nachexilischen Israel.
Und so hält der Narr auch uns den Spiegel vor und stellt bohrenden Blickes Fragen: Was feiert ihr denn für Gottesdienste? Glaubt ihr, dass Gott euer Opfer gnädig anschaut und es ihm mit Wohlgefallen in die Nase steigt? Wo fließt bei euch das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein Strom? Haben eure Gottesdienste Konsequenzen für euer Leben und den Lauf der Welt? Oder wie sähe ein Gottesdienst aus, der sich an diesem Anspruch messen lassen kann? Und wie sähe ein Leben aus, das das Feiern eines Gottesdienstes rechtfertigen würde?
Diese Frage mit den Konfirmand*innen zu besprechen und der übrigen Gottesdienstgemeinde, wäre ein spannendes Projekt für diesen Sonntag.
Liturgische Gestaltung
Der Klangraum der Texte des Sonntags kreist um die aufrichtige Nachfolge Jesu, mit dem wir nach Jerusalem hinaufsteigen (Wochenspruch, Lk. 18). Nah bei der Kernaussage von Am. 5 liegt Jes. 58 (III), wo ein „Fasten, an dem ich Gefallen habe“ eng mit ethisch konsequenter Lebensführung zusammenhängt.
Ps. 1 (Wasserströme!) oder Ps. 31 (Wochenpsalm)
Lesung: Mt. 25,31ff; Jes. 58,1-9
„Es kommt die Zeit, in der Träume sich erfüllen“ („Wo wir dich loben“ plus (Wwdl) 37)
EG 675 (Rheinland) „Das könnte den Herren der Welt ja so passen“
EG 658 (Württemberg) „Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehn“
EG 661 (Württemberg) „Ich glaube fest, dass alles anders wird“
„Da wohnt ein Sehnen tief in uns“ (Wwdl + 116)
„Wir strecken uns nach dir“ (Wwdl + 90)
Literatur
Renate Klein, Estomihi: Amos 521-24, in: Studium in Israel (Hg.), Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext. Zur Perikopenreihe 4, Berlin 1999
Görge K. Hasselhoff, „Schwarzbrot statt Berlinerballen“, in: Studium in Israel (Hg.), Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext Plus. Zur Perikopenreihe 4, Berlin 2011
Andreas Smidt-Schellong/Christa Kronshage, Beten und Tun des Gerechten, in: Studium in Israel (Hg.), Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext Plus. Zur Perikopenreihe 4, Berlin 2017
Jörn Kiefer, Annäherungsversuche. Wer Gott wirklich nahekommen will…, in: Studium in Israel (Hg.), Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext Plus. Zur Perikopenreihe 6, Berlin 2023
Matthias Wanzeck