„Fremde Regungen“
Zwei Zeilen aus Manfred Hausmanns Gedicht „Gebet zur Ernte“ habe ich als Überschrift gewählt. Sie weisen darauf hin, dass wir letztlich von „fremden Regungen“ leben – und nicht aus uns selbst. Das ist für uns Menschen, die wir meist Macher*innen, Planer*innen, Gestalter*innen unseres Lebens sind, eine „harte“ Behauptung. – Das Gleichnis Jesu kann uns deshalb auch ärgern.
Im Gleichnis steht das Gottesreich im Mittelpunkt. Ich möchte es als jenen „Raum“, verstehen, wo anstelle unseres inneren Zwiespalts und unserer inneren Ungewissheit, ob wir Gott vertrauen können, eine ungetrübte Gottesgewissheit lebendig ist, die uns neue Lebensmöglichkeit, neue Achtsamkeit auf uns und unsre Mitwelt eröffnet.
Der Tübinger Religionsphilosoph und Sozialethiker Ernst Steinbach hat das 1939 einmal so gesagt: „Es gibt nur eine Definition, die der Größe von Gottes Reich, seiner Alllebendigkeit gerecht wird: ‚Das Reich Gottes ist inwendig in euch.‘ (Luk. 17,21) … Die Welt ist, was wir von der Welt halten, das Leben ist, was wir aus dem Leben machen. Also kann Gottes Reich für uns nur wirklich werden in der Haltung.“ (Ernst Steinbach, Anweisung zum Leben, Pfullingen 1977, 375)
Doch diese „Vertrauens-Haltung“ ist nicht machbar. Denn der Übergang vom Zweifel zum Gottvertrauen ist mit der Erkenntnis verbunden, die schon Martin Luther im Kleinen Katechismus formulierte: „Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann …“ Da wir uns immer wieder von Gott trennen – also als Sünder – können wir „selbst nichts für die Konstitution des Gottvertrauens beitragen … An den Sündern wirkt Gott allein; sie selbst können nichts dazu tun.“ (Dietrich Korsch, Antwort auf Grundfragen des christlichen Glaubens, Tübingen 2016, 128)
Nicht aus [menschlicher] Vernunft noch Kraft entsteht das Reich Gottes – Wachsen und Gedeihen liegt in des Herren Hand
Unser Gottesreich-Gleichnis beschreibt auch die Unmöglichkeit menschlichen Tuns im Blick auf dessen Umsetzung. Es betont, dass der Säende nach der Aussaat mit der dann folgenden Entwicklung nichts mehr zu tun hat. Der Bauer hat keinen Einfluss auf das Wachstum (V. 27). Verstärkt wird dieser Gedanke in V. 28, denn „von selbst“ reift das Korn (Frucht, Halm, Ähre).
Es wird damit hervorgehoben, dass die Herrschaft Gottes ohne menschliches Zutun kommt. Menschen können dazu nichts beitragen. Es gilt allein nach der Aussaat, das Reifen der Saat abzuwarten. – Wobei die abwartende Geduld auch nicht Nichts ist! – Das „Wachsen“, die „Ernte“ ist aber Geschenk. All dies liegt nicht in unserer Hand. Das ist der Zielpunkt dieses Gleichnisses.
Sowohl das sichere Kommen der Gottesherrschaft wie auch die Unkenntnis des Zeitpunkts seines Kommens sind eher Nebengedanken. Auch ein durch Anklang an Joel 4,13 aufkommender Gerichtsaspekt in V. 29 scheint mir eher sekundär zu sein.
„Ruhiges Reifen gesäter Kraft“
Durch zwei Kontrastbilder kann unser Gleichnis deutlicher werden:
Was wäre, wenn das Reich Gottes einem Berggipfel gliche, von dem man wunderbare Aussicht hat? Es wäre dann ein „Raum“, der „erobert“ und „bestiegen“ werden müsste, wo Leistung belohnt würde und Versagen bestraft. Druck würde da herrschen. Allerdings würde das Sich-Anstrengen gut zu dem passen, wie wir das Leben oft erleben, wo Leistung sich lohnen soll.
Was wäre, wenn es sich mit dem Reiche Gottes so verhielte wie mit einer Explosion, für die man allen Sprengstoff des Leids und der Unzufriedenheit herbeischafft und auch noch das Schwarzpulver des Elends dazutut, um dann die Fackel an die Zündschnur zu legen? – Kein Stein würde auf dem anderen bleiben! (vgl. Eugen Drewermann, Markus-Evangelium, Bd. 1, 344) Leider gibt es viele „Explosionen“ dieser Art und sie werden wohl auch nicht weniger werden, weil weiter so viel Unrecht herrscht.
Weder das eine noch das andere Bild wählt Jesus. Er setzt vielmehr auf das „ruhige Reifen gesäter Kraft“. Er baut darauf, dass Gott mit ihm und uns verbunden ist und immer verbunden bleibt. Er hält sich daran, dass es Gottes Grundtendenz ist, „Menschen in seine Gemeinschaft zu bringen“, komme, was da kommen mag! Das jedenfalls wird in Jesus Christus, dem „Selbstbestimmungsort Gottes“ deutlich (Dietrich Korsch, a.a.O., 156).
So sagt mir Jesu Gleichnis: Wir sind die Erde, in der Gottes Kraft wirken will. Wir sind das Land, auf und in dem Liebe wachsen will. Wir haben Möglichkeiten in uns, die sich bisher nicht entfaltet haben, die aber in uns gepflanzt, in uns gelegt sind. Da ist größere Hoffnung als die brutale Grausamkeit und das qualvolle Elend dieser Welt. Da ist mehr ermutigende Zuversicht als lähmende und aussichtslose Verzweiflung angesichts der Realität dieser Welt. Da ist mehr als der Tod.
Manfred Hausmann beschreibt das in seinem Gedicht so:
Gebet zur Ernte
Hart geschieht’s, doch wenig ist es, was die Hände
auf dem Acker ordnen und erbauen.
Und so bleibt uns nichts vom Anfang bis zum Ende,
als der fremden Regung zu vertrauen,
die dem Saatkorn antut, blindlings zu erquillen,
und dem Halm, im Wachstum dazustehn,
und der Ähre, blütenrauschend sich zu füllen,
und dem Donner, drüberhinzugehn.
Lass, o Gott, dies tief Geheime, dies dein Walten
auch in uns, die du von dir entferntest,
in den Jungen sich bewegen und den Alten,
bis du uns in deine Scheuer erntest.
Manfred Hausmann, Die Gedichte, Frankfurt/M. 1949, zit. nach: F. Schorlemmer (Hrsg.), Das soll Dir bleiben, Stuttgart 2012, 592
Lieder
EG 197,1-3 „Herr, öffne mir die Herzenstür“
EG 196,1-4 „Herr, für dein Wort sei hoch gepreist“
EG 199,1-5 „Gott hat das erste Wort“
EG 196,5+6 „Dein Wort, o Herr, lass allweg sein“
Michael Pfeiffer