Splitter der Exegese: Aus Rechtfertigung erwählt

Der Abschnitt 1. Kor. 1,26-31 hat die Erwählung von Gott zum Thema. In stilistisch kunstvoll aufgebauten Satzgliedern werden kontrastierende Figuren – wie z.B. die weisheitlichen Charaktere von töricht und weise – einander gegenübergestellt (V. 27f). Das Stichwort des Sich-Rühmens (V. 29.31) führt schließlich das Ziel in Gottes soteriologischer Tat der Erlösung vor Augen. Diese Rechtfertigung aus Gottes Erwählung geschieht in Christus, den Gott zur Weisheit, Heiligung und Gerechtigkeit gemacht hat (V. 30). Aufgrund des Erwählungshandelns durch Gott kommt es zu einer Umwertung von Werten: die gesellschaftlich Unbeachteten werden erwählt, die, die nichts sind und nichts haben.

Die Berufung der Korinther, von der anfangs in V. 26 ist die Rede ist, gilt denen, die sich (mehrheitlich) weder aus der Schicht der Gebildeten noch aus den gesellschaftlich und finanziell Mächtigen noch aus den einflussreichen Familien zusammensetzen. Darin liegt wahrscheinlich ein Reflex der korinthischen Gemeindewirklichkeit vor. Es werden also vornehmlich die sozial Unbedeutenden und Unbeachteten („Geringe“, „Verachtete“) angeredet, in Anknüpfung an die Kreuzestheologie des vorhergehenden Abschnitts 1,18-25.

Paulus greift in 1,26-31 traditionelle Motive auf, interpretiert sie aber gemäß seinem theologisch-soteriologischen Konzept. Die V. 26-29 nehmen mit der Umwertung der Werte apokalyptische Elemente auf, in denen das Ende der Macht der Herrschenden und eine Verkehrung von Macht angesagt werden. In V. 30b (vgl. 1. Kor. 6,11) liegt sodann möglicherweise ein Fragment einer Taufliturgie zugrunde, was den Text mit dem Evangelium des Sonntags, der Taufe Jesu, in Verbindung bringen könnte. Paulus stellt dies in den Kontext des Heilshandelns Gottes, das er auf die eschatologisch qualifizierte Gegenwart bezieht. V. 31b fasst schließlich Jer. 9,22f (LXX) zusammen (vgl. 2. Kor. 10,17 ohne Zitationsformel). Die Rückbindung an die Gnadengaben Gottes wird zum anstrebenswerten Lebensmotto erklärt.

Die Realitäten der Welt werden durch Gottes Erwählungshandeln außer Geltung gesetzt. Nicht nur sozial, sondern auch theologisch werden durch die Umwertung neue Maßstäbe gesetzt, ausgerichtet am Kreuzeshandeln. Denn Gottes Erwählung erfolgt aus Gnade. Es gibt nichts, womit Menschen sich dazu qualifizieren könnten, vielmehr verdanken sie die Rechtfertigung dem Gnadenhandeln Gottes durch das Kreuzesgeschehen. Darum liegt der Ruhm auch bei Gott, nicht bei Menschen, da es nichts gibt, worauf Menschen sich rühmend im Hinblick auf ihr Heil berufen könnten.

Einfach stolz sein auf Gottes Zuwendung

Mit dem Rühmen und was man darunter versteht ist das so eine Sache, weil es vielfältig negativ belegt ist. Einige christliche Kreise propagieren ein schlichtes Leben als gottgefällig. Andere stören sich daran, dass gesellschaftlich Einflussreichen der Weg zu Gott erschwert wird. Doch geht es bei Paulus nicht darum, den sonst Unbeachteten zu mehr Würde in Gottes Reich zu verhelfen? Sie dürfen sich „rühmen“, besser: darauf stolz sein, bei Gott dazu zu gehören, ohne Einlassbedingungen erfüllen zu müssen.

Das Stolz-Sein darf dann auch über Gottes Reich hinaus neu bewertet werden. Stolz-Sein auf etwas ist eine menschliche Eigenschaft, mit der der Seele gezeigt wird, was ihr Mensch wert ist. Der Blick auf die eigene Würde festigt das Selbstwertgefühl. Wenn es allerdings in ein rein leistungsorientiertes Prahlen mit überhöhtem Anspruchsdenken umschlägt, frei nach dem Werbeslogan aus dem Jahr 1995 „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“, dann ist eine Schieflage in der Bewertung eingetreten. Gegen eine Überheblichkeit der Besitzenden und Mächtigen wird hier stattdessen betont, dass die „Leistung“ bzw. die Gabe bei Gott liegt und der Mensch ganz Empfangender ist. Auf dieses Geschenk als „special offer“ Gottes darf man nun aber doch gelassen stolz sein und es dankbar annehmen.

Das menschliche Selbstwertgefühl wird insofern gestärkt, weil es gerade nicht um Erwerb oder Leistung oder Ansehen geht, sondern weil das Kreuz Christi dem Menschen in seiner grundlegenden bloßen Existenz gilt, unabhängig vom sozialen Stand. Der christliche Mensch darf darin aufleben, wie er ist, weil Gott ihn annimmt, anredet und erwählt, zu ihm zu kommen. Die Einladung in das Reich Gottes gibt Balsam auf die Seele, vor allem auf geschundene, verletzte, missbrauchte, unterdrückte und unbeachtete Seelen aller Zeiten und Orte.

Liedvorschläge

„Alle meine Quellen entspringen in dir“ (Kommt, atmet auf [Kaa] 030)
„Du bist da, bist am Anfang der Zeit“ (Kaa 034)
„Der mich atmen lässt“ (Kaa 042)

Antje Labahn