Ein Licht genügt
Um einen dunklen Raum zu erhellen, genügt eine einzige Kerze. In dieser dunklen Jahreszeit zünden wir Lichter an: in den Häusern, auf den Straßen in den Städten. Ein Licht genügt, die Dunkelheit zu bannen. Wir sehnen uns nach Licht, denn ohne Licht gibt es kein Leben. Leben braucht Licht, und wir alle wollen leben.
Finsternis
Jesus ruft, er sei das Licht. Wer an ihn glaubt, bleibt nicht in der Finsternis. „Bleiben“ – das heißt doch, dass wir bereits in der Finsternis sind. Das ist der Ist-Zustand. Die Finsternis herrscht. „Siehe, Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völker.“ So ist es doch. Wer will das leugnen? Das ist nicht etwas, was uns die Kirche erst einreden will. Das ist eine Tatsache, die uns jede Zeitung und jede Nachrichtensendung belegen kann. Die Verlorenheit der Welt ist mit Händen zu greifen, und das kann man auch „Finsternis“ nennen. Die Sprache der Frömmigkeit nennt das auch „Sünde“, aber dieser Begriff ist so vielen Missverständnissen und Verzerrungen ausgesetzt gewesen, dass wir nicht mehr erfassen, was er meint. „Sünde“ meint Getrenntsein von Gott, und „Finsternis“ meint dasselbe.
Es geht nicht um einzelne moralische Vergehen. Es geht überhaupt nicht um etwas „Moralisches“. Es geht um die Gottestrennung, um diese Gebrochenheit des Lebens, die wir alle ahnen. Die Theologie nennt das „Ursünde“, weil sie allem menschlichen Sein und Tun voraus liegt. Ich erkläre das gerne mit einem Vergleich: Wenn jemand in einem dunklen Raum geboren wird und dort aufwächst, dann lebt er in der Finsternis. Da muss er noch gar nichts angestellt haben, da ist noch keinerlei moralische Schuld, aber er ist in der Finsternis. Ihm fehlt die Sonne, ihm fehlt die Wärme, ihm fehlt das Licht. Das ist mit Gottestrennung gemeint. Das ist der Ist-Zustand.
Ein Mensch – das Licht
Und nun kommt Jesus und ruft: Die Tür ist offen, kommt zu mir, ihr sollt leben, ihr sollt Licht haben. Das Glück der Gottesgemeinschaft wird euch geschenkt. „Ich bin als ein Licht in die Welt gekommen, damit wer an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibe. … Gottes Gebot ist das ewige Leben“, darum kommt und glaubt! Ewiges Leben – das ist das Glück der Gottesgemeinschaft. Aber Gott ist personhaft. Gott kann uns das Glück der Gottesgemeinschaft am besten dadurch schenken, dass er uns in einer Person nahe kommt, der auch wir uns persönlich nähern können. Und darum ist Jesus Christus das Licht. Er ist die Gottesgemeinschaft für uns, er in Person. Ihn können wir lieben. Und er liebt uns.
Das Glück der Gottesgemeinschaft heißt Liebe. Es heißt, heimkommen dürfen aus den Verirrungen und Verwirrungen, die in der Finsternis über uns gekommen sind und die wir auch selber angerichtet haben. Das Glück der Gottesgemeinschaft hat einen Namen: Jesus, Jeschua, Gott rettet, oder: Gott hilft. An Jesus führt kein Weg vorbei. Das ist die „enge Pforte“, von der er einmal gesprochen hat. Aber diese Pforte führt in eine ungeahnte Weite, weil wir in Gemeinschaft mit Gott leben dürfen, und dem gehört die ganze Welt.
Darum ist Jesus das Licht, weil er in diese Weite führt. Weil in ihm, in seiner Person, die Gottestrennung aufgehoben ist. Wer zu ihm kommt, wer an ihn glaubt, wer sein Leben ihm anvertraut, braucht kein Gericht mehr zu fürchten, wenn Bilanz gezogen wird. Er ist in die Gottesgemeinschaft hineingerettet und hineingeborgen. Jesus erinnert mit seiner Rede vom Gericht an den letzten Übergang und die endgültige Bilanz. Und er sagt: Ich bin gar nicht dazu da, die Noten zu verteilen. Ich bin dazu gekommen, um zu retten, damit der Übergang gelingt. Denn wer hier schon im Glück der Gottesgemeinschaft gelebt hat – wie gebrochen auch immer unter den Bedingungen dieser Welt –, der findet sie auch dort wieder. Die Gottesgemeinschaft bleibt, weil Gott bleibt, und darum auch das Glück.
Br. Franziskus Joest