Die Botschaft
V. 7-8: Ich muss nicht stark sein, denn es sieht jemand tiefer, misst mit anderen Maßen und schaut auf das Wesentliche. Dies ist die Botschaft an die Gemeinde in Philadelphia (heute: Alasehir) im sechsten der sieben Sendschreiben an christusgläubige Gemeinden in Kleinasien gegen Ende des 1. Jh. n. Chr. (Offb. 2,1-3,22).
Auftraggeber und Adressat(en)
Auftraggeber ist der auferstandene Christus, der sich als „der Heilige, der Wahrhaftige“ vorstellt (V. 7) und im „Namen meines Gottes“ (V. 12) spricht; darum nehmen beide Epitheta Gottesattribute aus der Hebräischen bzw. Griechischen Bibel auf (Ex. 34,6; Jes. 6,3; Hos. 11,9; Ps. 31,6). Auffallend ist die Adressierung an den „Engel der Gemeinde“. Gemeinde im Sinne der Offb. des Johannes erscheint durch die Beziehung eines Engels, eines Gottesboten, zu ihr in einem himmlischen Licht und ist mehr als menschliche Augen sehen und beurteilen. In der Sicht auf die Gemeinde und das Urteil des Auferstandenen über sie zählt nicht die große (Glaubens)Kraft (δύναμις), sondern, dass sie sein „Wort“ „bewahrt“ und seinen „Namen nicht verleugnet“ hat. Zweimal ist vom „Wort“ die Rede, zuerst allgemein, später konkret als „Wort der Geduld“ (V. 8.10).
„Wort“ in die Zeitumstände
Die Gemeinde hat unter den schwierigen Zeitumständen während der Herrschaft des römischen Kaisers Domitian (80-96 n. Chr.) und unter den Nachwirkungen des römisch-jüdischen Krieges (66-74 n.Chr.) an Christi Wort von der Geduld festgehalten und sich zum „Heiligen, Wahrhaftigen“ öffentlich bekannt (V. 8.10). Darum steht der Gemeinde die himmlische Tür offen, und niemand wird sie ihr zuschließen, weil der Auferstandene es so „gegeben hat“ (δέδωκα „ich habe gegeben“, Perfekt!, V. 8); die originale Übersetzung M. Luthers hat diesen Sinn bewahrt: „Sihe / Jch habe fur dir gegeben eine offene thür“. Das biblische Motiv der „Schlüsselgewalt“ („Schlüssel Davids“, V. 7, vgl. Jes. 22,15-25) bekräftigt die alleinige Zuständigkeit Christi für den Zugang zum messianischen Festsaal.
Gegenwind
Im Unterschied zur christusgläubigen Gemeinde genoss die jüdische Gemeinde in Philadelphia gesellschaftliches Ansehen, und sie zog auch Menschen nichtjüdischer Herkunft an. Darum hatte es die christliche Gemeinde schwer, sich angesichts der konkurrierenden Attraktivität des Judentums zu entwickeln. Auseinandersetzungen, auch feindselige, bestimmten den Gemeindealltag. Aber die Gegner – so der Zuspruch, V. 9 – werden erkennen, dass Jesus, der Christus Gottes, seine Gemeinde geliebt hat (V. 9). Als (innere) Gegner werden „einige aus der Synagoge“ (nicht alle!) genannt, die vorgeben, Juden zu sein, die aber in Wahrheit diesen Ehrennamen zu Unrecht tragen, weil sie den Weg ihres Gottes mit seinem Volk und Jesus, seinem Sohn, verachten (V. 9). Neben den inneren Gegnern wird in den prophetischen Kreisen um Johannes der römische Staat als äußerer Feind und Gegner gesehen, mit dem sich die prophetischen Kreise auseinandersetzen und – wahrscheinlich als Kontrast und Kritik der für den römischen Kaiser Domitian gebrauchten Prädikation als „dominus et deus“ – zum Bekenntnis Gottes als „Herr, unser Gott“ auffordern (Offb. 4,11).
„Überwinden“
Die sich zu Christi Wort und Namen Bekennenden, die „festhalten“ (κράτει, Imperativ, V. 11), was sie (an ihm) haben, und die so auf sein angekündigtes Kommen, seinen „Advent“, geduldig Wartenden werden „überwinden“, und niemand wird ihnen den „(Sieges-)Kranz“ (στέφανος, V. 11) nehmen. Christus wird sie zu (tragenden) „Säulen“ im „Tempel meines Gottes“ machen, und er wird auf sie den Namen Gottes und des neuen Jerusalem schreiben (V. 11.12). Zu den bildhaft genannten Säulen gehörten in der Geschichte des Gottesvolkes seit Noah die „Gerechten“ (zaddikim, vgl. Jer .1,18: „eiserne Säule“) und in den frühen christusgläubigen Gemeinden die Apostel (Gal. 2,9; vgl. Eph. 2,19-22; 1. Petr. 2,5). Wer sich zum Namen Jesu, dem Christus/Messias bekennt, bekennt sich zum Namen seines Gottes, des Gottes Israels (V. 8.12). Das Sendschreiben an die Gemeinde in Philadelphia endet wie die sechs anderen mit einem eindringlichen Aufruf zum Hören (V. 13).
Predigtwege
Das (briefliche) Sendschreiben bietet verschiedene homiletische Möglichkeiten:
Der*die Liturg*in schreibt (zusammen mit beruflich tätigen und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern) einen Brief an die eigene Gemeinde (über die aktuelle Gemeindesituation, über den „Ist“-Zustand und Herausforderungen).
Anknüpfung an die im Sendschreiben verwendeten Bilder: Tür – Schlüssel(gewalt) – Säule. Zum Bild von der offenen Tür vgl. Paulus: „Betet für uns, auf dass Gott uns eine Tür für das Wort auftue und wir vom Geheimnis Christi reden können“ (Kol. 4,3).
Mut zum Kennenlernen Andersdenkender und Andersglaubender sowie zur argumentativen Auseinandersetzung und Dialog mit ihnen; Vorsicht bei der Abgrenzung, Anknüpfungsmöglichkeiten suchen, unterschiedliche Positionen ehrlich und sachlich benennen! Für V. 9 wünsche ich mir die nötige israeltheologische Sensibilität für das Thema „Kirche und Israel“ (legendum: Offb. 7,4-8 und 21,12!). Dank des Wortes des Christus, „des Heiligen, des Wahrhaftigen“ (V. 3), und seines Weges mit „meinem Gott“ (V. 12) weitet sich die Liebe Gottes zu Israel auf die Völker und gibt unserer menschlichen Kommunikation entsprechende Impulse.
Kirche sein: Die kleine Kraft (des Glaubens) und das Bewahren des Wortes Christi und seines Namens. Die Rede von der „kleinen Kraft“ (V. 8) kann heute einen Impuls im Hinblick auf die nötigen Kirchenreformen geben: Nicht die Größe der Gemeinden und ihre gesellschaftliche Anerkennung bestimmt das Movens der ekklesialen Erneuerung, sondern die Bewahrung des Wortes Jesu und die Beständigkeit, darauf zu hören.
Bezug zum Kirchenjahr, Advent: Zeit der Geduld und des Wartens als verbindende Haltung der Kirche mit Israel als „wanderndes Gottesvolk“.
Liedempfehlung:
EG 7 O „Heiland, reiß die Himmel auf“ (Wochenlied)
EG 185.4 „Agios o Theos“
EG 236 „Ohren gabst du mir“
EG 262 „Sonne der Gerechtigkeit“ (Str. 6: „…und mit unserer kleinen Kraft“)
Literaturempfehlung:
M. Karrer, Die Johannesoffenbarung, Teilband I: Offb. 1,1-5,14, EKK 24/1, Göttingen 2017
Heinz Janssen