Wertschätzung

I

Die Frage darf erlaubt sein, warum die Auseinandersetzung zum Thema Ehe und Ehescheidung mit der Frage nach der Bedeutung der Kinder zu einer Predigtperikope [Mk. 10,2-9(10-12)13-16] zusammengestellt wurde? Jedes Thema für sich ist hinreichend für eine Predigtausarbeitung.

Mk. 10,2-27 ist ein größerer Textzusammenhang, der die Unterweisung im christlichen Verhalten zum Thema hat. V. 2-12 nimmt das eheliche Verhalten in den Blick, V. 13-16 das Verhältnis zu Kindern, V. 17-27 die Einstellung zu Besitz. Offensichtlich waren das wichtige Fragen der frühen Christenheit im Blick auf die Nachfolge Jesu. Die Besitzfrage bleibt für unsere Betrachtung außen vor.

II

Pharisäer treten zu Jesus, um ihn aufs Glatteis zu führen, ihn als im Widerspruch zur Tora stehend zu entlarven. Sie fragen ihn, ob ein Mann sich von seiner Frau scheiden darf. Im Grunde wissen sie die Antwort im Voraus (5. Mos. 24,1ff). Die Gegenfrage Jesu nach Moses Gesetz beantworten sie mit dem Scheidebrief, der eine Scheidung ermöglicht. Dieser Scheidebrief diente dazu, die geschiedene Frau vor dem Vorwurf des Ehebruchs zu schützen und ihr eine Wiederverheiratung zu ermöglichen. Jesus stellt klar, dass dieses Gebot der menschlichen Herzenshärtigkeit geschuldet ist. Von Anfang der Schöpfung aber gilt: Gott hat den Menschen als Mann und Frau geschaffen (1. Mos. 1,27). Beide sind Ebenbild Gottes. Die Erlaubnis des Mose zur Scheidung konfrontiert Jesus mit dem ursprünglichen Willen Gottes, der Schöpfungsordnung, dass Mann und Frau füreinander bestimmt sind und zu einer unauflöslichen Lebensgemeinschaft in ein Miteinander und Füreinander zusammengespannt sind.

Jesus verlässt den rein männlich patriarchalischen Blick der Pharisäer. Das Gelingen bzw. Scheitern einer Ehe hängt am Handeln und Kommunizieren beider Ehepartner gleichermaßen. Nicht der Mann ist Herr in der Ehe, sondern Gott. Mit dem Bezug auf 1. Mos. 2,24 in V. 7f verweist Jesus auf die Liebe, die Mann und Frau zueinandertreibt. „Ein Fleisch“ weist auf die Intimität der Beziehung, die das erotische einschließt, sich aber darin nicht erschöpft. In dieser partnerschaftlichen Lebensgemeinschaft auf Augenhöhe vollzieht sich der Wille Gottes. Das gemeinsame Joch (V. 9) ist Aufgabe und Herausforderung beider im gemeinsamen Sinne. Die Jünger haken nach, als sie mit Jesus allein sind, und erhalten zur Antwort: Wer sich scheidet, ob Mann, ob Frau, bricht die Ehe.

III

Kinder werden zu Jesus gebracht, von wem auch immer, damit er sie segne. Darüber werden die Jünger harsch und Jesus reagiert emotional heftig. Er nimmt sich Zeit für die Kinder, denn ihnen gehört, wie er sagt, das Reich Gottes. Er empfängt sie, wendet sich ihnen zu, herzt, berührt und segnet sie. Wer wie Kinder liebes- und vertrauensfähig ist, wer ohne Macht und Besitz erscheint, wer sich beschenken lassen und darüber staunen kann, wer klein ist und unauffällig, wer feinfühlig und bescheiden vor Gott, wer „Abba“ beten kann, der empfängt das Reich Gottes wie ein Kind.

IV

Im 21. Jh. fragt man sich, ob demnächst die KI entscheiden wird, wer miteinander eine partnerschaftliche Beziehung eingeht – und damit Dating-Plattformen abgelöst werden. Ob dadurch das Gelingen einer Paarbeziehung garantiert werden kann, bezweifle ich. Paarbeziehung heißt heute nicht nur: Mann und Frau. Und Ehe ist längst nicht überall da, wo Zusammenleben ist. Nicht jeder kommt mit dieser bunten Vielfalt unserer Gesellschaft zurecht. Es gibt auch viel Single-Sein und Einsamkeit (es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist, 1. Mos. 2,18). Es gibt Beziehungsangstgeplagte, gescheiterte Enttäuschte, Beziehungsvagabunden. Paare ohne Kinder, Gleichgeschlechtliche mit Kindern. Kinder, die ein Elternteil entbehren und vermissen. Kinder, die in Patchworkfamilien groß werden oder vernachlässigt bzw. Waise sind. Es gibt gelingende Paarbeziehungen, zufriedene und glückliche Paare, auch altgewordene. Kinder, die Aufmerksamkeit und Achtung erfahren und eine geborgene Kindheit erleben dürfen, die zu selbstbewussten Erwachsenen wurden.

V

Ich möchte „Wertschätzung“ als Thema meiner Predigt fokussieren:

a) Wertschätzung in einer Paarbeziehung, die nach innen von gegenseitigem Verständnis, von Nachsicht und Wohlwollen geprägt ist. Die nach außen in Toleranz und Zurückhaltung auftritt und niemandem vorschreibt, wie er/sie zu sein bzw. zu leben hat. Die stets das Gute in den Blick nimmt und auch offen ist, dieses im Anderssein zu erkennen – und vielleicht für sich selbst gewinnend werden zu lassen.

b) Wertschätzung gegenüber Kindern, die die Zukunft einer Gesellschaft und unserer Kirche sind. Die Zuwendung erfahren, die Geborgenheit erleben, die aus guter Beziehung heraus zu selbstbewussten und starken Erwachsenen heranreifen. Die in Freiheit sich erleben dürfen und ihren Weg ins Leben finden, die Gottes Kinder – welch eine Wertschätzung – sind.

c) Wertschätzung für Gottes Schöpfung, die uns allen Raum zum Leben und Erfüllung schenkt. Wertschätzung für Jesu Deutung des Lebens als Möglichkeit des jederzeit Beschenktwerdens und Gelingens.

Lieder

EG+ 75 (EKHN) „Da berühren sich Himmel und Erde“
EG 629 (EKHN) „Liebe ist nicht nur ein Wort“

 

Kurt Rainer Klein

 

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 9/2023

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