Viele Predigttexte im Predigttext

Über das im Konfi-Kurs Memorierte hinaus

Wer über die 10 Gebote predigt, spricht zu Menschen, die den Predigttext kennen – sollte man meinen. Schließlich dürften die meisten der im Gottesdienst Anwesenden die 10 Gebote in ihrer kirchlichen Form sogar auswendig wiedergeben können. Allerdings erinnern sie sich damit nur an etwa ein Drittel der biblischen Fassung.

In Ex. 20,1-17 ist zusätzlich von einem eifernden Gott die Rede. Es werden dort, jedenfalls im Unterschied zur lutherischen Fassung, die Gottesbilder verboten. Es gibt eine ausführliche Begründung des Feiertagsgebots, das hier allerdings ein Sabbatgebot ist. Und als Prolog des Ganzen: eine Selbstvorstellung Gottes mit dem Hinweis auf eine gemeinsame Geschichte von Gott und Israel. All dies gehörte nicht zum einst mit mehr oder weniger Freude verinnerlichten Lernstoff.

Jedes Einzelgebot bietet für sich genug Stoff für eine Predigt. Doch wie wäre es, einen der biblischen „Zusatztexte“ zum einst Memorierten zur Grundlage der Predigt zu machen, von ihm aus das Ganze zu beleuchten?

Das Bilderverbot

Zum Beispiel das in lutherischen Gemeinden nicht zum Dekalog gezählte Bilderverbot: Es bietet reichen Stoff für eine Predigt. Nicht um ein grundsätzliches Verbot von Darstellungen geht es, sondern um eine Darstellung des Gottes Israels zum Zwecke seiner kultischen Verehrung. Nichts in der geschaffenen Welt kann Gott angemessen repräsentieren. In einer Kirche mit bildlichen oder symbolischen Darstellungen Gottes könnte gezeigt werden, inwiefern das auch für diese Bilder gilt – und welchen Sinn sie dennoch haben.

Außerdem bieten sich der Predigt viele Möglichkeiten im Blick auf die Frage, welche Bilder wir uns persönlich von Gott machen. Vermutlich eher nicht das eines eifernden Gottes. Für die meisten zeitgenössischen Ohren dürfte diese Gottesrede schwer verdaulich sein. Eine Anfrage an unser Gottesbild? Verdrängen wir den Deus absconditus nur zu gerne zu Gunsten einer glatter aufgehenden Gottesvorstellung? Hilfreich scheint mir in diesem Zusammenhang der Gedanke an die transgenerationale Wirkung menschlicher Untaten sowie der im Text betonte, weit größere Wirkungsgrad der Barmherzigkeit Gottes.

Das Sabbatgebot und seine Begründung

Den größten Raum und auch die Mitte des Dekalogs nimmt das Sabbatgebot samt seiner Begründung ein. Die Konfirmandin hat einmal gelernt: Du sollst den Feiertag heiligen. Hier im „Original“ ist nun vom Sabbat die Rede und von vielem mehr. Die V. 8-11 alleine können gut Grundlage für eine Predigt sein. Die Predigt könnte entfalten, inwiefern der Sabbat ein Geschenk für Israel ist, was das mit dem Sonntag der Christen zu tun hat, und schließlich, welche Gabe der Sabbat und die 10 Gebote als Ganzes sind. Von einem jüdischen Gelehrten stammt der Satz, mehr als Israel den Sabbat gehalten habe, habe der Sabbat Israel gehalten (GPM 55 (2001/4), 426). Diese Aussage kann auch auf den Dekalog bezogen werden.

Die Präambel

Besonders bietet sich die Präambel (V. 2) als Predigttext im Predigttext an. Schon der erste Teilsatz hat es in sich. Was in der Lutherübersetzung mit „Ich bin der HERR, dein Gott“ übersetzt wird, bekommt mit dem Gottesnamen einen anderen Klang: „Ich bin Jahwe, dein Gott“ (nicht: Ich, Jahwe, bin dein Gott!). Gott stellt sich Israel persönlich mit Namen vor. Im Dekalog werden nicht einfach göttliche Regeln direkt von oben erlassen. Die 10 Gebote sind vielmehr Teil eines persönlichen Beziehungsgeschehens zwischen Gott und Israel. Auf den entscheidenden Teil der gemeinsamen Beziehungsgeschichte wird im zweiten Teil der Präambel verwiesen. Sie ist eine Befreiungsgeschichte.

Diese könnte die Predigt narrativ entfalten. Die Gebote, Gottes Regeln für das Leben in der Freiheit, stehen dann am (vorläufigen) Ziel dieser Befreiungsgeschichte. In dem bekannten Konfi-Buch von Hans-Martin Lübking findet sich im Kapitel zu den Geboten eine narrative Version für Konfis.

Die in der Präambel angesprochene Befreiung Israels könnte auch zu einer Themapredigt führen. Zwar sind wir nicht aus der Sklaverei in Ägypten in die Freiheit geführt worden. Aber es lohnt sich, zu fragen: Verbinden auch wir mit Gott etwas Befreiendes? Welche Freiheit schenkt der Glaube? Wie können Gebote, die auf den ersten Blick anscheinend die Freiheit einschränken, der Freiheit dienen?

Verwiesen sei auf den im Internet frei zugänglichen Artikel zum Dekalog von Matthias Köckert im WiBiLex.

Lieder

EG 295 „Wohl denen, die da wandeln“ (Str. 3!)
EG 414 „Lass mich oh Herr in allen Dingen“
EG 494 „In Gottes Namen fang ich an“
EG (BT) 645 „Ins Wasser fällt ein Stein“
EG (BT) 649 „Herr, gib du uns Augen, die den Nachbarn sehn“

Literatur

Boecker, H.J., Recht und Gesetz: Der Dekalog, in: Neukirchener Arbeitsbücher, Altes Testament, Neukirchen-Vluyn 1993
Herlyn, Okko:, Die zehn Gebote, Neukirchen-Vluyn 2019
Köckert, Matthias: Art. Dekalog/10 Gebote, im WiBiLex, http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/10637/, 2012
Lübking, Hans-Martin: Kursbuch Konfirmation, Düsseldorf 2005

 

Wolfgang Henning

 

 

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 9/2023

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