Von der Freude erzählen

Ein ganzer Sonntag für die Freude

Einen ganzen Sonntag für die Freude können wir in den krisenhaften Erschütterungen unserer Zeit, die auch die Kirchen mächtig durchrütteln, gut gebrauchen. Man ist zu rufen geneigt: Mehr davon – mehr Freude, mehr Glaubenszuversicht! Ob die Osterbotschaft solche Freude in uns zu wecken vermag? Eine Predigt sollte dieses Wagnis keinesfalls scheuen, auch wenn die Freude, insbesondere die über das Osterereignis im engeren Sinne, zahlreichen Gottesdienstbesucherinnen und -besuchern immer weniger glaubwürdig erscheint und sie eher den verängstigten Frauen am ursprünglichen Ende des Markusevangeliums gleichen (vgl. Mk. 16,8).

Die biblischen Überlieferungen enthalten eine „Fülle von Mahnungen zur Freude“ (P. Tillich, 135). In der Regel wird das Fehlen der Freude als „Folge der Trennung von Gott“, die Freude selbst hingegen als „Folge der Wiedervereinigung mit Gott“ (a.a.O., 135f) betrachtet. Damit reiht sich die Predigt über den Ausschnitt aus dem zweiten Teil der Abschiedsreden Jesu (Joh. 16,4b-33) sowohl in den Kontext des Johannesevangeliums als auch in den Duktus des durch die Osterfreude konturierten Sonntags „Jubilate“ ein.

Traurigkeit und Freude

Die Perikope bindet eine durch Fragen und Unsicherheit geprägte Gesprächssequenz (V. 16-19) mit einer Ermutigung (V. 20.22), die mittels einer illustrierenden Parabel (V. 21) unterbrochen wird, zusammen. Thema ist die Traurigkeit der Jünger über den bevorstehenden Weggang Jesu und die Freude über sein erwartetes Wiederkommen.

Der Text setzt ein mit dem Wort von zwei kurzen Zeiten, die einander abwechseln (V. 16). Mit μικρÏŒν („noch eine kleine Weile, und dann … = bald“ [Bauer-Aland]), das in den wenigen Zeilen siebenmal Verwendung findet, wird in der „bedrückenden wie beglückenden Dimension“ (R. Schnackenburg, 175) auf den nahe bevorstehenden Abschied und das Wiederkommen Jesu rekurriert.

Damit reiht sich auch diese Argumentation in Traditionen ein, die die Abfolge von Zeiten als positiv qualifizieren (vgl. u.a. Gen. 8,22; Koh. 3,1ff). Der Wechsel zwischen θεωρέω (bezogen auf das Nicht-Sehen der Jünger während der Trauer) und ὁράω (bezogen auf das Wieder-Sehen am Ostermorgen) sticht ins Auge (vgl. Schnackenburg, ebd.). Sehen ist in der Perspektive des Erkennens mit ausdifferenzierter Terminologie ein wichtiges Wortfeld, das das gesamte Johannesevangelium durchzieht (vgl. prominent Joh. 1,14; 20,18-29).

Zwei Perspektiven

Die Jünger sind durch das Wort Jesu beunruhigt. Darum werden ihnen, eingeleitet durch die joh. Beteuerungsformel, die unmittelbaren Auswirkungen des Weggehens und Wiederkommens Jesu beleuchtet (V. 20). Diametral stehen sich zwei Perspektiven gegenüber. Während die Jünger „weinen und wehklagen“ (hier liegt die für eine Totenklage typische Terminologie vor, vgl. Jer. 22,10 u.a.), freut sich die Welt an seiner Beseitigung. Wie die Welt werden die Jünger Jesus nach seinem Tod „eine kleine Weile“ nicht sehen können (vgl. Joh. 13,33). Doch nur wenig später werden sie ihn, anders als die Welt, als den Verherrlichten sehen (vgl. Joh. 14,19).

Ganz unmittelbar schließt die in einer langen Traditionsgeschichte verankerte, zweiteilige Parabel von der glücklich verlaufenden Geburt an (vgl. Jes. 13,8; 26,17f; 37,3 u.a.). Sie wird aus der Perspektive der Frau erzählt und fokussiert sich auf deren Gefühle und Gedanken während und nach dem Gebären (vgl. dazu J. Hartenstein, 840). Weil in der Antike Geburten in der Regel zu Hause stattfanden, war diese Schilderung erfahrungsgesättigt. Diese Einstreuung dient der Verdeutlichung des zuvor Ausgeführten. Es geht um den abrupten Wechsel von der Trauer hin zur Freude (vgl. Joh. 20,20).

Es fällt auf, dass am Ende die Initiative von Jesus ausgeht (V. 22). In den V. 16f.19 sind es die Jünger, die sehen bzw. nicht sehen (2. P. Plur.), während in V. 22 Jesus die Jünger wiedersehen wird (1. P. Sing.). Das löst dann eine unzerstörbare Freude aus, die keine Fragen mehr offenlässt und alle Ratlosigkeit beseitigt (V. 22). Davon in leuchtenden ­Farben zu erzählen, auch wenn sie zunächst eine „Freude in allem Leide“ (vgl. EG 398) ist und die Leiden dieser Zeit (vgl. Röm. 8,18) ernst nimmt, ist die gleichermaßen herausfordernde wie schöne Aufgabe der Predigt an diesem Sonntag.

Literatur

Paul Tillich: Von der Freude, in: Ders., Das Neue Sein. Religiöse Reden 2. Folge, Berlin/New York 1987 (Nachdruck), 135-143
Rudolf Schnackenburg: Das Johannesevangelium. Dritter Teil. Kommentar zu Kapitel 13-21 (HThK 4), Freiburg 2000
(zu Joh. 16,21 insbesondere:) J. Hartenstein, Aus Schmerz wird Freude (Die gebärende Frau), in: Kompendium der Gleichnisse Jesu, hrsg. von R. Zimmermann, Gütersloh 2007, 840-847

 

Michael Glöckner

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 3/2023

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