„Was ist gute pastorale Fortbildung?“ – Detlef Dieckmann bearbeitet diese Frage in zwei Etappen: Zunächst geht es ihm darum, Fortbildung von Weiterbildung zu unterscheiden, danach stellt er vier Dimensionen kirchlicher Fortbildung vor: die funktionale, die personale, die theologische und die geistliche Dimension.*
I. Bildung als Schöpfung
Fortbildung ist eine Form von Bildung, bei der Neues entstehen kann. Der Begriff „Bildung“ geht auf das mittelhochdeutsche Wort bildunga zurück, das „Schöpfung“ bedeutet. „Bildung“ als Schöpfung meint dabei beides: den kreativen Vorgang, die Gestaltung (formatio) wie auch die Gestalt (forma), das Ergebnis.1
Bildung als schöpferischer Prozess braucht Zeit. Bildung als Schöpfung braucht einen Raum, in dem sich etwas entwickeln kann; Bildung braucht und fördert Autonomie, Freiheit zur Selbstentfaltung. Bildung kann einseitig in Gang gesetzt werden, sich dann aber in unterschiedliche Richtungen selbstbestimmt fortsetzen.
II. Kennzeichen von Fortbildung
Fort-Bildung, die sich auf den hier skizzierten Bildungsbegriff zurückführen lässt, unterscheidet sich von Ausbildung und Weiterbildung: Aus- und Weiterbildung haben gemeinsam, dass hier jeweils Kompetenzen und Wissen im Hinblick auf zukünftige (berufliche) Tätigkeiten vermittelt werden sollen, in denen die Lernenden bisher noch keine oder wenig Erfahrung gemacht haben.
Fortbildung und Weiterbildung
Während die Fortbildung in einem ausgeübten Beruf mit Perspektive auf die jetzige Tätigkeit geschieht, werden in der Weiterbildung die notwendigen Kompetenzen für einen neuen Beruf oder eine neue Tätigkeit angeeignet. So werden, je nach Landeskirche unterschiedlich, z.B. Pfarrer*innen, die zukünftig als Krankenhausseelsorger*innen, Schulpfarrer*innen, Pastoralpsycholog*innen oder Berater*innen arbeiten wollen, zu Langzeitweiterbildungen verpflichtet. Für Pfarrer*innen und andere Berufsgruppen werden mit Blick auf Leitungsaufgaben z.B. an der FAKD in Berlin Weiterbildungen in den Bereichen Betriebswirtschaft, Management von sozialen Organisationen oder Personalcoaching angeboten.
Fortbildungen würdigen die aktuelle Tätigkeit, Weiterbildungen die neue oder zukünftige Position oder Tätigkeit, die ein neuer Beruf sein kann oder die als ein solcher erlebt wird. Viele Leitende der mittleren Ebene z.B. betrachten ihre neue Tätigkeit nicht nur als „Pfarramt auf anderer Ebene“, sondern (gleichzeitig) als einen neuen Beruf. Auch deswegen wurden in den letzten Jahrzehnten immer mehr Kurse für diese Zielgruppen angeboten.
Charakteristisch für Weiterbildungen ist der vergleichsweise hohe funktional-instrumentelle Anteil, ähnlich wie in der berufspraktischen Ausbildungsphase, dem Vorbereitungsdienst oder in der Fortbildung in den ersten Amtsjahren (FEA). Je technisch-funktionaler ein Kurs durchgeführt und je enger der Lernbereich gefasst wird, desto eher würde man von einer Schulung sprechen.
Voneinander lernen
In der Fort-Bildung kommen im Beruf schon erworbene Erfahrungen und neue oder früher schon einmal angeeignete Bildungsinhalte miteinander ins Gespräch. In den Kursen an den kirchlichen Fortbildungseinrichtungen bildet sich dies in der Interaktion zwischen den Referierenden ab, die ihr theologisches, pädagogisches oder sonstiges Wissen zur Verfügung stellen, und den Teilnehmenden, die sich dieses theoretische oder praktische Wissen zu eigen machen und mit ihren Erfahrungen verarbeiten. Dabei lernen beide Seiten voneinander und haben die Chance, sich in ihrem jeweiligen Berufsfeld weiterzuentwickeln.
Auch die Teilnehmenden lernen voneinander, nicht nur im formellen Rahmen, sondern auch bei der sog. informellen Fortbildung, von der der frühere Rektor des Studienseminars Volker Weymann einmal sagte, sie sei mindestens so wichtig wie die formelle. Die informelle Fortbildung, der Austausch und die consolatio fratrum et sororum geschieht in den Pausen zwischen den Studieneinheiten, beim Essen und Trinken, beim abendlichen Ausflug ins Konzert oder Kino oder bei der Exkursion.
III. Vier Dimensionen von Fortbildung
Im Hinblick auf die weit gefächerten Angebote pastoraler Fortbildungen in kirchlichen Einrichtungen nicht nur in Deutschland lassen sich mindestens vier Dimensionen von Fortbildung unterscheiden: (1) die funktionale bzw. instrumentelle Dimension, (2) die personale Dimension, (3) die theologische Dimension, (4) die geistliche Dimension.
III/1 Die funktionale bzw. instrumentelle Dimension
Eine funktionale bzw. instrumentelle Dimension zeigt sich auf zwei Ebenen: Zum einen in den vermittelten Inhalten und Methoden bestimmter Fortbildungen selbst und zum anderen im übergeordneten Interesse der Organisation Kirche.
Funktionale Fortbildungen in den ersten Amtsjahren
So haben die Landeskirchen die Fortbildung in den ersten Amtsjahren (FEA) eingerichtet, damit Berufsanfänger*innen in Supervisionsgruppen oder Einzelcoachings pastorale Erfahrungen reflektieren können und sich in speziell für diese Berufsphase konzipierten Kursen ergänzende funktionale Kompetenzen aneignen (z.B. Finanzverwaltung, Haushaltsplanung, Grundstücksrecht, Friedhofsverwaltung, Vorgesetze*r sein, Notfallseelsorge, Selbstsorge, Teampfarramt, Stellenteilung, „Landlust und Landfrust“, Konfirmandenarbeit, Religionsunterricht, Freiwilligenkoordination). Derzeit gibt es einen fließenden Übergang zwischen Inhalten des Vorbereitungsdienstes und der FEA bzw. der pastoralen Fortbildung.
Funktionale Fortbildungen für Kirchenleitende
Eine wichtige Rolle spielt die funktional-instrumentelle Dimension von Fort- oder Weiterbildungen auch in vielen Kursen für die mittlere Ebene der hauptamtlich leitenden Geistlichen. Neben den theologischen Grundlagen (die Kirche und ihre Ämter, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt, Macht und Geist) geht es hier z.B. um das Predigen und liturgische Handeln im kirchenleitenden Amt, um Visitationen, das Führen von Gesprächen mit Pfarrer*innen und anderen, um Dienstbeschreibungen, Dienstrecht, Öffentlichkeitsarbeit und Konflikte. In Einrichtungen wie der Gemeindeakademie in Rummelsberg, dem IPOS in Friedberg oder der FAKD in Berlin werden u.a. Trainings und organisationale Weiterbildungen für Kirchenleitende angeboten.
Die Fortbildung für angehende oder neu gewählte Ephor*en ist unterschiedlich formalisiert. Manche Landeskirchen und die vier überregional wahrgenommenen Bildungsanbieter FAKD, Gemeindeakademie, IPOS und das Theol. Studienseminar Pullach bieten Kurse an, die der Vorbereitung auf Leitungsämter dienen können, aber von Landeskirchen nicht zur Voraussetzung für eine Bewerbung gemacht werden. Nach einer Wahl werden neue Ephor*en von ihren Landeskirchen zu verwaltungstechnischen und dienstrechtlichen Schulungen verpflichtet; oft wird ihnen auch der Besuch von weiteren Fort- bzw. Weiterbildungen für die mittlere Ebene nahegelegt. Die bayrische Landeskirche räumt neu gewählten Leitungspersonen einen Zeitraum von sechs Wochen bis zu zwei oder drei Monaten ein, in dem sich die Betreffenden fortbilden sollen.
Funktionale Fortbildungen zur Qualitätssicherung
Wie stark das Interesse des Dienstherrn die funktionale und instrumentelle Dimension von pastoralen Fortbildungen bestimmen kann, zeigt das EKD-Impuls-Papier „Kirche der Freiheit“ von 2006. Als vorrangiges Ziel pastoraler Fortbildung nennt es die Steigerung von Kompetenzen angesichts der neuen Herausforderungen: Die „theologische […] wie seelsorgerliche […] Amtshandlungskompetenz“ soll gefördert werden; die „Sicherheit in der geistlichen Verwurzelung“ soll „Flexibilität in der Gestaltung“ ermöglichen; durch die gesteigerte „missionarische Innovationskompetenz“ sollen mehr Kirchenferne erreicht werden; die „gabenorientierte Motivations- und Qualifikationskompetenz“ soll das ehrenamtliche Engagement stärken, und die „qualifizierte Führungskompetenz“ soll zur Bereitschaft zu geistlicher Leitung und zur Fähigkeit führen, für neue Ziele zu begeistern. Diese Maßnahmen zur „Qualitätssicherung“ sollen mit „Zielverabredungen und Beurteilungen“ sowie mit beruflichen Konsequenzen für „hartnäckig vermiedene Fortbildung“2 verbunden sein.
Je genauer und enger die Organisation Inhalte sowie Ziele und Zwecke von Fortbildungen vorgibt und je nachdrücklicher sie die Verpflichtung zur Fortbildung formuliert, desto funktionaler wird die Fortbildung, desto schwächer wird der Bildungsanteil und desto stärker der Schulungsaspekt.
Funktionale und instrumentelle Fort- und Weiterbildungen spielen eine entscheidende Rolle für die Professionalität in allen Berufsgruppen. Die Frage jedoch, ob und in welchem Maße pastorale Fortbildung im oben beschriebenen Sinne noch Bildung bedeutet, hängt m.E. entscheidend davon ab, inwieweit die personale, die theologische und die geistliche Dimension Raum erhalten.
III/2 Die personale Dimension
Jede Fortbildung kann der Person-Entwicklung dienen. Mit dem Angebot einer Fortbildung signalisiert der Dienstherr, dass er für den*die Mitarbeiter*in als Person sorgt. Denn eine Fortbildung kann dazu beitragen, dass der*die Mitarbeitende in seinem Beruf persönlich wächst, dass es ihm*ihr mit der derzeitigen Tätigkeit gut geht und dass der Dienst bzw. das Amt und die Personen fruchtbar zusammenwirken.
Ein solches Signal könnte allerdings schnell übergriffig wirken. Durch die Gewähr von Freiwilligkeit und Freiheit in der Fortbildungsveranstaltung selbst kann jedoch meiner Erfahrung nach der druckfreie Raum am anderen Ort entstehen, in dem sich die personale, also auf die Person bezogene Dimension der Fortbildung gut zu entfalten vermag.
Besonders deutlich wird die personale Dimension der Fortbildung erstens beim Aspekt der Erholung, zweitens in den berufsbiographisch orientierten Kursformaten und drittens beim Persönlichkeitsansatz etwa in Führungskräfte-Fortbildungen.
Fortbildung als Rekreation
Bildung ist auch Erholung – nach diesem Motto ist die geistige, geistliche und auch körperliche Re-Kreation ein begleitender Aspekt in vielen Fortbildungen. In einigen Pastoralkollegs und Formaten wie Oasentagen, Exerzitien, Schweigekursen oder Kursen mit Bewegung wird der Erholungsaspekt besonders herausgestellt. Viele Landeskirchen widmen diesem salutogenetischen Aspekt zunehmend Aufmerksamkeit und bieten zusätzlich zu Studiensemestern weitere Formate an wie mehrwöchige spirituelle Auszeiten, z.T. verbunden mit körperlicher Bewegung wie Pilgern oder Radfahren.3 Daneben gibt es therapeutische Auszeiten etwa im Haus Respiratio oder im Haus Inspiratio, bei denen nicht die Bildung und die Vorbeugung, sondern der kurative Aspekt im Vordergrund steht.
Berufsbiographische Kurse
Die personale Dimension der kirchlichen Fortbildung gewinnt in Deutschland auch dadurch an Bedeutung, dass an immer mehr Orten berufsbiographische Formate für die fortgeschrittenen Dienstjahre angeboten werden. Dabei gibt es altersgemischte und altershomogene Kurse: In der Evang. Landeskirche in Württemberg z.B. werden Pfarrer*innen alle 7 Jahre zu einer solchen Fortbildung eingeladen, im Pastoralkolleg der Evang. Kirche in Mitteldeutschland werden Bilanzierungs- und Orientierungstage in den mittleren und letzten Amtsjahren angeboten und Superintendent*innen nach dem fünften Amtsjahr zu solchen Kursen verpflichtet. Ein Bilanzierungskurs in Pullach richtet sich an hauptamtliche Kirchenleitende, die gegen Ende einer Amtszeit die Weichen für die Zukunft stellen wollen. Auch andere Pastoralkollegs (wie z.B. in Niedersachsen) konzipieren solche Kurse oder bieten sie schon an.
Persönlichkeitsansätze
Und schließlich gehört zur personalen Dimension in der kirchlichen Fortbildung, dass besonders in Kursen zum Führen und Leiten seit Längerem mit Ansätzen gearbeitet wird, die den beobachtbaren Teil der Persönlichkeit der Sich-Fortbildendenden in den Mittelpunkt stellen: die bevorzugten Verhaltensweisen einer Person, die meist mit einem Test zur Selbst- oder Fremdeinschätzung erhoben werden. Am bekanntesten sind das DISG-Modell (für: Dominanz, Initiative, Stetigkeit, Genauigkeit), der Meyer-Briggs-Typen-Indikator MBTI (mit den Faktoren: Extroversion/�Introversion, intuitiv/mit allen Sinnen wahrnehmend, rational/gefühlsgeleitet entscheidend, spontaner/�planorientierter Lebensstil); die „big five“ (Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit, Neurotizismus) und das in den 70er- bis 90er-Jahre in kirchlichen Kreisen oft angewandte Riemann-Thomann-Modell, das vom Grundstreben des Menschen ausgeht, sich auf Nähe, Distanz, Dauer und Wechsel auszurichten bzw. das jeweilige Gegenteil zu vermeiden.
Chancen und Grenzen der Typen-Modelle
DISG, MBTI, aber auch andere Persönlichkeitsmodelle werden kontrovers diskutiert. Eine häufige Kritik bezieht sich auf den Eindruck, dass diese Modelle Menschen in Schubladen einordnen. Außerdem wird darauf verwiesen, dass diese Modelle z.T. nicht wissenschaftlich verifiziert seien. Gleichwohl werden solche Ansätze für die Arbeit mit der Persönlichkeit sowohl durch Unternehmensberatungen als auch in kirchlichen Fort- und Weiterbildungen deswegen häufig verwendet, weil ihnen – bei einem recht geringen Testaufwand – eine vergleichsweise große heuristische Leistungsfähigkeit zugeschrieben wird.
So zeigen die Testergebnisse etwa recht schnell, wo die „Komfortzonen“ einer Person liegen und wo Grenzen erreicht werden. Zumindest machen aber diese Modelle deutlich, wie unterschiedlich Menschen im beruflichen Kontext agieren und welche Dynamiken entstehen können, wenn Personen mit verschiedenen Verhaltensmustern zusammenarbeiten. Die Persönlichkeitsansätze arbeiten jeweils bestimmte Aspekte der Diversität von Menschen heraus, eröffnen die Möglichkeit, die Unterschiedlichkeit als Reichtum und Herausforderung zu schätzen und zeigen auf, wie sich die Diversität konstruktiv nutzen lässt – im Umgang miteinander und im Zusammenbringen von Aufgaben mit den entsprechenden Stärken von Mitarbeitenden. Darum werden Persönlichkeitsansätze sicherlich ein wichtiger Bestandteil insbesondere von funktionalen Fortbildungen bleiben.
Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung (BIP)
Im Unterschied zu den Ansätzen DISG und MBTI erfasst das von den Psychologen Rüdiger Hossiep und Michael Paschen entwickelte Bochumer Persönlichkeitsinventar gezielt die folgenden berufsbezogenen Persönlichkeitsmerkmale:
– Berufliche Orientierung: Leistungsmotivation, Gestaltungsmotivation, Führungsmotivation
– Arbeitsverhalten: Gewissenhaftigkeit, Flexibilität, Handlungsorientierung
– Soziale Kompetenz: Sensitivität, Kontaktfähigkeit, Soziabilität als die Fähigkeit, soziale Beziehungen aufzunehmen, Teamorientierung, Durchsetzungsstärke
– Psychische Konstitution: Emotionale Stabilität, Belastbarkeit, Selbstbewusstsein.
Der erste Unterschied zu DISG und MBTI wird bereits in der Aufstellung der vier Gruppen von Merkmalen deutlich: Das Ergebnis des Tests, bei dem jedes der einzelnen Merkmale in den vier Gruppen mit einer Skala dargestellt wird, enthält deutlich sensiblere Daten, die in psychologischer Hinsicht mehr in die Tiefe gehen. Während Kursteilnehmende die Ergebnisse von DISG und MBTI mehr oder weniger bedenkenlos auf ihre Namensschilder schreiben könnten, wie dies manchmal auch tatsächlich gehandhabt wird, braucht BIP einen geschützten Raum z.B. in einem persönlich-vertraulichen Gespräch mit dem*der Kursleiter*in oder dem*der Berater*in. Wer sich diesem Test unterzieht, muss darüber aufgeklärt werden, welche Daten mit dem BIP erhoben werden und was mit ihnen geschieht.
Gegenüber anderen Verfahren zeichnet sich das BIP dadurch aus, dass es allgemein wissenschaftlich anerkannt ist, weil die Zuverlässigkeit und Aussagekraft dieses Tests als empirisch nachgewiesen gilt. Von daher eignen sich Modelle wie DISG und MBTI eher für einen schnellen, kostengünstigen, anschaulichen und leicht kommunikablen Einstieg in das Arbeiten mit den bevorzugten Verhaltensweisen, während BIP eher für eine der Fortbildung vorausgehende oder sie begleitende Beratung eignet ist und sich damit im kirchlichen Bereich zu einem Standardwerkzeug für eine eingehende Personalberatung entwickeln könnte. BIP lässt sich gegen Gebühr im Internet durchführen; wer als Fortbildende*r BIP für Teilnehmende anbieten will, muss eine Anwenderschulung absolvieren.
Von der Eindimensionalität zur Zweidimensionalität
Bildlich gesprochen führt die Beschäftigung mit der Persönlichkeit die funktionale bzw. instrumentelle Dimension von Fortbildung von der Ein- in die Zweidimensionalität. Die Teilnehmenden sehen: Es gibt nicht nur Aufgaben und geeignete Werkzeuge, sondern die Aufgaben und Werkzeuge können mehr oder weniger gut zu meiner Persönlichkeit passen. Daher ist es nützlich, wenn ich um meine Verhaltensmuster weiß und die Werkzeuge kenne, die ich besonders gut handhaben kann. Es ist hilfreich, wenn ich einschätzen kann, welche Aufgaben in meiner „Komfortzone“ liegen und welche darüber hinausgehen und daher besondere Aufmerksamkeit oder spezielle Methoden erfordern.
Hinzukommt, dass die Persönlichkeit natürlich stark mit dem jeweiligen beruflichen Kontext interagiert, etwa mit der Struktur der übergeordneten Organisation und der jeweiligen Stelle (Aufgaben, Verantwortlichkeiten, formelle und informelle Machtstrukturen, Kolleg*innen) sowie den sichtbaren oder nicht auf Anhieb erkennbaren, aber dennoch wirksamen Kräften. Von daher liegt es nahe, Institutionsberatung und Personalberatung im Zusammenhang zu betrachten, wie dies z.B. in der Evang.-Luth. Kirche in Norddeutschland teilweise geschieht. Möglicherweise schauen wir in der Kirche immer noch zu stark auf die Strukturen und Finanzen allein und unterschätzen häufig den Faktor Persönlichkeit und die Dynamik des Zusammenspiels zwischen Struktur und Person.
Im Hinblick auf die personale Dimension der Fortbildung ist es wichtig, dass die Kursleitung den Teilnehmenden sowie die Teilnehmenden untereinander Vertraulichkeit zusichern. Dabei fällt auf, dass sich diese vertrauensvolle Offenheit z.T. leichter in landeskirchengemischten Gruppen entfaltet als z.B. in Pfarrkollegs oder Kirchenkreiskonferenzen, die von gemeinsamer Fortbildung wiederum in anderer Weise für ihre Zusammenarbeit im Berufsalltag profitieren.
III/3 Die theologische Dimension
Dreidimensional wird pastorale Fortbildung durch ihre theologische Dimension, sie ermöglicht in einer bestimmten Weise Tiefe. Dabei ist die theologische Dimension von der geistlichen Dimension oft nicht zu trennen und kann daher nur eingeschränkt von ihr unterschieden werden.
Zu den Quellen gehen
Die Quellen theologischer Fortbildungsarbeit sind die Bibel, die Bekenntnisschriften oder andere Texte, die einen theologischen Horizont eröffnen oder geistliche Erfahrungen ermöglichen, wie Alltagserfahrungen mit Gott und der Welt, Filme oder andere Begegnungen mit Kunst und Kultur oder auch die Gemeinschaft der Glaubenden und Zweifelnden oder die Dienstgemeinschaft. Jede*r kann andere Quellen haben und vermutlich kann fast alles zu einer Quelle werden. Dabei ist die Quelle zum einen ein Begriff, der auf etwas Konkretes bezogen (vgl. Primärquelle, Sekundärquelle) und mit dem Theologiestudium assoziiert wird; zum anderen ist die Quelle eine Metapher, die etwas bezeichnet, was ohne eigenes Zutun erfrischt, nährt und lebendig macht, also geradezu ein rechtfertigungstheologisches Sinnbild. Eine theologische Quelle kann auch zu einer geistlichen Quelle werden und umgekehrt.
Faktor Zeit
Dadurch, dass in der Fortbildung deutlich mehr Zeit als im Berufsalltag verfügbar ist, kann durch die Lerngemeinschaft und durch den anderen Ort ein günstiger Rahmen entstehen, in dem die Quellen ihr Potential entfalten.
Wer für Bildungsprozesse verantwortlich ist, wird also für ausreichend viel Zeit sorgen und genügende Gesprächs- und Reflexionsphasen sowie Pausen einplanen, damit die Lernenden die Inhalte auf je eigene Weise verarbeiten können.
Moderation durch die Kursleitung
Während der gemeinsamen Arbeit kommt der Kursleitung eine moderierende Rolle zu. Geht man von einer theologischen Hermeneutik aus, nach der biblische und andere Texte keinen feststehenden, historisch richtigen, alleingültigen Sinn haben, sondern in unterschiedlichen Kontexten immer neue Bedeutungen entfalten, so ist es besonders wichtig, dass die Kursleitung auf eine Gesprächskultur achtet, bei der alle Deutungsversuche zur Sprache kommen können (auch die mutigen und riskanten) und von anderen wertschätzend, mit einer großen Zurückhaltung vor Bewertungen und ohne Abwertungen gehört werden – mit einer Haltung der Neugier gegenüber unterschiedlichen Ansichten. Dabei spielt die Diversität der Teilnehmenden eine wichtige, geradezu konstitutive Rolle für die plurale Exegese, weil es erst die Unterschiedlichkeit der Auslegenden möglich macht, dass jede*r einen anderen Aspekt des mehrdeutigen Textes sieht und den anderen zur Verfügung stellt.
Zeit, Diversität und eine durch die gegenseitige Wertschätzung geförderte Offenheit können so neue theologische Einsichten ermöglichen. Diese vertiefte theologische Bildung hat ihre eigene Geschwindigkeit, manche Prozesse brauchen mehr Zeit, andere Einsichten stellen sich plötzlich ein. Dies spricht dafür, trotz des Trends zu kürzeren Fortbildungen auch an den längeren, sich über eine oder zwei Wochen erstreckenden Formaten festzuhalten.
Expertise durch ressource persons
Zu der Lerngemeinschaft bei einer Fortbildung gehört es auch, dass entweder die Kursleitung als ressource person den Sich-Bildenden weitere Inhalte und Informationen zur Verfügung stellt oder, wenn sie nicht selbst Experte*in in dem jeweiligen Fachgebiet ist, eine Referentin*einen Referenten einlädt. Eine wesentliche Funktion dieser ressource persons aus dem Hochschulbereich ist es, den Teilnehmenden im Bereich der Theologie ein Update zu ermöglichen, indem sie sie mit neuen Forschungsergebnissen, Methoden oder Themen bekannt machen bzw. aus anderen Bereichen wie Philosophie oder Soziologie Inhalte einspielen, die im Theologiestudium nicht vorgekommen sind. Die Beschäftigung etwa mit Filmen oder Literatur bietet dabei eine gute Möglichkeit, sich mit Themen einer Theologie menschlichen Alltags zu beschäftigen.
Fort-Bildung bedeutet in der Regel, fort zu sein und an einem Ort außerhalb des Berufsalltags wieder theologisch zu studieren. Dieser andere äußere Rahmen, zu dem auch eine umfassende Gastfreundschaft gehört, kann neue Erkenntnisse erleichtern.
Erst die theologische Dimension gibt einer Fortbildung einen spezifisch kirchlichen Charakter und ist ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber nicht-kirchlichen Anbietern funktionaler oder personaler Fortbildungen. Daher stellt sich bei kirchlichen Fortbildungen mit einem Schwerpunkt in der funktionalen und in der personalen Dimension immer wieder die Frage, wo jeweils Verbindungen zu theologischen Themen bestehen.
So ist es unerlässlich, dass funktional-instrumentelle Fortbildungen im Raum der Kirche (praktisch-)theologische oder ethische Klärungen voraussetzen. Eine kirchliche Fortbildung in Techniken des Führens und Leitens impliziert eine Ekklesiologie, eine Ämterlehre und eine Führungsethik. Die personale Dimension der Fortbildung im kirchlichen Raum steht im Zusammenhang mit der theologischen Anthropologie und muss, wo es z.B. um Erfahrungen des Ungenügens, des Scheiterns geht, rechtfertigungstheologisch unter Aspekten einer theologia crucis und einer iustificatio impii betrachtet werden.
III/4 Die geistliche Dimension
Durch die vierte, die geistliche Dimension kann die Fortbildung in etwas hineinreichen, was die Dreidimensionalität von Funktion, Person und Theologie übersteigt. Diese Vertiefung durch die Quellen der christlichen Existenz, diese Bildung als Neu-Schöpfung ist nicht nur ein geistiges, sondern auch ein geistliches Geschehen. Da sich der Geist der Machbarkeit entzieht, können die Veranstaltenden kirchlicher Fortbildungen nur Frei-Räume für sein Wirken zu schaffen versuchen. Traditionelle Freiräume sind etwa die Gebetszeiten, der Abendmahlsgottesdienst oder ein Reisesegen am Ende eines Kurses. Hier können die Teilnehmenden, die im Berufsalltag oft in der Rolle der Gebenden und Reproduzierenden sind, zu Empfangenden werden. Weitere Möglichkeiten sind z.B. eine Bibelbegegnung im geschlossenen Zweiergespräch anhand eines Verses, Exerzitien wie die „Exerzitien auf der Straße“ oder die im Gemeindekolleg Neudietendorf entwickelte Methode der „kollegialen Begleitung“ mit einer Schweigezeit als Erwartungsraum für den Heiligen Geist.
Darüber hinaus wird die geistliche Dimension der eigenen Arbeit häufig auch zum expliziten Gegenstand der Kursarbeit. Wie geistlich ist meine tägliche Arbeit als Ordinierte*r oder Mitarbeiter*in in der Verwaltung? Wo rechne ich mit dem Geist Gottes? Wo begegnet er mir? Was bedeutet es, „geistlich zu leiten“?
„Geistlich“ leiten?
Theologisch kann man sagen: Der Zusammenhang zwischen Leiten und Geist besteht zunächst darin, dass Geistliche leiten. Und Geistliche sind nach Paulus alle Getauften (1. Kor. 12,13), wobei nicht alle dieselben Charismen, dieselben Geistesgaben haben (1. Kor. 12,4-7). Für eine an dieser Theologie ausgerichtete kirchliche Organisation würde das bedeuten: Zum einen arbeiten alle Getauften in ihrem jeweiligen Beruf als Geistliche, ob in der Gemeinde, in der Schule, in der Verwaltung oder in der diakonischen Einrichtung. Zum anderen tun sie das mit unterschiedlichen Begabungen und Fähigkeiten, sodass die Aufgaben und persönlichen Charismen einander gut zugeordnet werden müssen.
Darüber hinaus scheint die Frage nach dem geistlichen Leiten aber auch eine persönliche, eine Glaubensfrage zu sein, die im Kern danach fragt, ob Gott in meinem Beruf, in meiner täglichen Arbeit erfahrbar ist. Ist Gott immer da – als derjenige, der mich mit bestimmten kognitiven, emotionalen, sozialen und anderen Fähigkeiten geschaffen hat (und andere mit anderen Gaben); – als derjenige, der auch die Niederlagen und Tiefen des Lebens kennt, – als derjenige, der mit seinem Geist in Unruhe versetzt, manchmal sogar Verwirrung stiftet, auf Veränderungen zielt? Oder ist Gott manchmal abwesend? Wann und woran merke ich, ob er da ist? Und wie erleben das die anderen?
Halt, Haltung und Verhalten
Vermutlich würde jede*r den Zusammenhang zwischen der eigenen Arbeit und Gott bzw. dem Geist anders beschreiben. Anscheinend hat diese Frage viel mit dem geistlichen Halt zu tun, den Menschen insgesamt in ihrem Leben haben, sowie mit der Haltung, die sie gegenüber Gott, den Mitmenschen und der Welt einnehmen und die in ein bestimmtes Verhalten auch im Beruf münden kann. Mit diesem Halt, dieser Haltung und diesem Verhalten beschäftigen sich kirchliche Fortbildungen, indem sie neben der theologischen auch die geistliche Dimension, die Persönlichkeit und die geübte Praxis zum Thema machen. Vielleicht kann Fort-Bildung sogar einen Raum eröffnen, an dem ich Gott als den Schöpfer bitte, etwas Neues an mir zu schaffen.
Fortbildung als mehrdimensionales Geschehen
Viele Fortbildungen im kirchlichen Bereich haben mit allen vier Dimensionen zu tun, der funktionalen, der personalen, der theologischen und der geistlichen – auch wenn verschiedene Einrichtungen bzw. verschiedene Kurse unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Dabei erscheint es mir aufgrund meiner bisherigen Erfahrungen offensichtlich, dass theologische, personale und funktionale Fortbildungen besonders dann auf nachhaltige Weise dem persönlichen Wachstum und der beruflichen Weiterentwicklung von kirchlichen Mitarbeitenden dienen, wenn sie in der Tiefe der theologischen und geistlichen Quellen ansetzen.
Anmerkungen:
* Überarbeitete Fassung eines Vortrags im Rahmen der GEKE-Konsultation „Perspektiven für die theologische Aus- und Fortbildung in der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa“ in Straßburg am 13.11.2015.
1 Vgl. Georg Zenkert, Art. Bildung. I. Begriffsgeschichte; II. Geschichtlich, in: RGG VI, Bd. 1, Sp. 1577-1581, hier Sp. 1577-1578.
2 Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hg.), Kirche der Freiheit. Perspektiven für die Evangelische Kirche im 21. Jahrhundert. Ein Impulspapier des Rates der EKD, 73.
3 Vgl. die Angebote der bayrischen Landeskirche: https://handlungsfelder.bayern-evangelisch.de/downloads/ELKB_Geistliche_Auszeiten_2019.pdf (abgerufen am 13.8.2019).
Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 2/2020