1. ESG ist ein Seismograph kirchlicher und gesellschaftlicher Entwicklung

ESG hat die Funktion eines Erschütterungsschreibers oder -messers. Sie zeigt die Erschütterungen kirchlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen an und zwar häufig bevor diese bei den Parochialgemeinden beziehungsweise gesamtkirchlich angekommen sind. Das liegt an ihrer besonderen Lage direkt im Wissenschaftsbereich der Universitäten und Hochschulen und der Tatsache, dass sie Gemeinde ist für diejenigen, die in der Zukunft Verantwortung für Gesellschaft und Kirche tragen werden.

Die Erschütterungen, denen eine ESG ausgesetzt ist, sind: fortschreitende Säkularisierung, zumindest aber doch ein Bedeutungsverlust der Kirchen, der in Ostdeutschland deutlich stärker ausgeprägt ist als in Westdeutschland. An den Universitäten und Hochschulen verdichtet sich die Situation insofern, als dass dort häufig eine säkulare und gleichzeitig multireligiöse Welt vorfindlich ist. Diese Konstellation halte ich für zukunftsweisend für unsere Gesellschaft. In den ESGn werden jetzt schon Lösungsstrategien erprobt, wie mit dieser doppelt spezifischen Situation umgegangen werden kann und muss. Deshalb tun die kirchenleitenden Organe gut daran, auf die Entwicklungen in den ESGn zu achten und diese für die gesamtkirchliche Arbeit nutzbar und fruchtbar zu machen.


2. ESG bindet religiös sozialisierte und andere Menschen an die Evangelische Kirche …

… in einer Phase, in der viele sonst eher den Kontakt zur Kirche verlieren. Klassischerweise ist das Studium die Phase, in dem die Individualisierung des Menschen eine große Rolle spielt. Entscheidende Weichen werden für die Zukunft gestellt, was Beruf, Partner*inwahl und Familie angeht. Gerade für Studierende, die den Wohnort zum Zweck des Studiums wechseln, kommt ESG als Möglichkeit den Glauben zu leben und eine moderne und zielgruppenorientierte Form von Kirche kennen zu lernen, eine wichtige Rolle zu. ESG ist die einzige landeskirchliche Institution, die explizit auf junge Erwachsene ausgerichtet ist. Nach der Studienphase gibt es landeskirchlich gesehen m.E. keine Institution, die die Zielgruppe junge Erwachsene, insbesondere ohne Kinder, im Blick hat. In manchen Kirchenkreisen, Landeskirchen gibt es Schwerpunktgemeinden für junge Erwachsene; das sind aus meiner Sicht aber bisher Einzelphänomene. Die Phase ohne Kinder verlängert sich aber zurzeit, häufig bis 40 Jahren (gerade im akademischen Umfeld). Das Durchschnittsalter liegt beim 1. Kind im Jahr 2015 bei 29,6 Jahren; 1989 lag es noch bei 22,9 Jahren.

Viele ehemalige Studierende berichten, dass sie es als junge Erwachsene ohne Kinder bislang schwer haben, in einer Ortsgemeinde Fuß zu fassen. Mit Kindern wird es häufig einfacher, da die Parochialgemeinden mit Krabbelgruppen und -gottesdiensten etc. meistens ein spezielles Angebot für Eltern mit kleinen Kindern vorhalten. Aus meiner Sicht sind daher Schwerpunktgemeinden für junge Erwachsene oder spezifische Angebote für diese Altersgruppe ein absolutes Desiderat in Gegenwart und Zukunft der Kirche. Die Bundes-ESG wird versuchen diesem Phänomen mit einer Alumni-Vernetzung über die eigene Website zu begegnen.


3. ESGler*innen übernehmen Verantwortung in Kirche und Gesellschaft

Sie übernehmen schon häufig in der ESG selbst Verantwortung wie beim selbstständigen Leiten von Kreisen und Gruppen im Gemeinderat und Leitungskreis. Auch auf Landes- und Bundes-Ebene der ESG bringen sich viele ein, in Arbeitsgruppen oder im Koordinierungsrat, dem Leitungsgremium der Bundes-ESG, oder auch in den Landeskonventen. Für die EKD-Synode werden jeweils zwei Studierende auf drei Jahre gewählt, sodass immer auch ESGler*innen in der EKD-Synode vertreten sind, die als Jugenddelegierte zusammen mit den anderen häufig neue Impulse in die Synode einbringen (wie z.B. das Thema Digitalisierung auf der EKD-Synode 2015). Ein Ereignis ist noch gar nicht lange her und zeigt, welch großen Einfluss ESGler*innen haben können: Die Studierenden, die bei der Merkel-Obama-Veranstaltung beim Kirchentag die einzigen waren, die kritische Fragen stellten, stammten aus der ESG Mannheim.

Dass diese Verantwortung in Kirche und Gesellschaft im weiteren Lebenslauf häufig anhält, zeigt die relativ große Zahl der aktuellen EKD-Synodalen, die auf eine ESG-Vergangenheit zurückblicken und die heute mehrheitlich auch eine verantwortungsvolle Aufgabe in der Gesellschaft haben, um nur ein Beispiel zu nennen. Die Bundes-ESG hat vor, eine Erhebung dazu auf der nächsten Synode umzusetzen. Das bedeutet, ESG trägt mit dazu bei, junge Erwachsene zu befähigen sich in Kirche und Gesellschaft zu engagieren und verantwortungsvolle Aufgaben zu übernehmen. Die Prägung der ESG scheint dabei dauerhaft zu wirken.


4. ESG ist Gemeinde, Gemeinde auf Zeit und an anderem Ort

ESG ist Gemeinde und sie ist Gemeinde auf Zeit, da die Fluktuation in den Studierendengemeinden sehr hoch ist und in den letzten zehn Jahren durch den Bologna-Prozess noch erheblich zugenommen hat. Waren 2005 noch einige Studierende in den ESGn anzutreffen, die sechs oder sieben Jahre dort verbrachten, ist die durchschnittliche Verweildauer mittlerweile erheblich gesunken: Viele Studierende, die nur für den Bachelor oder den Master an einer Uni sind, bleiben nicht länger als zwei bis drei Jahre in einer ESG.

Diese enorme Fluktuation hat Auswirkungen sowohl auf die ESG wie auch auf die Arbeit: Strukturell lassen sich ESGn von daher gut mit Auslandsgemeinden vergleichen, die ebenfalls von einer hohen Fluktuation ihrer Gemeindeglieder betroffen sind und sich auch in einem anders gearteten Umfeld bewegen. Traditionen bilden sich also schneller, die »Kerngemeinde« der ESG ist fast jedes Semester neu zusammengesetzt; ausländische Studierende gewähren oft Konstanz, da ihre Regelstudienzeiten anderthalb Mal so lang sind, wie bei hiesigen Studierenden. Innovative Konzepte können sehr leicht und unkompliziert ausprobiert und umgesetzt werden, da die Zielgruppe in der Regel sehr aufgeschlossen neuen Projekten gegenübersteht. So steht die ESG mit ihrem enormen Erneuerungspotenzial für eine kreative und junge Gemeinde und erhält damit zukunftsweisenden Charakter für die ganze Kirche. Die Hauptamtlichen bieten durch ihre Expertise passgenaue Beratung und Seelsorge im akademischen Umfeld von Hochschule und Universität an.


5. ESG ist Bindeglied zwischen Hochschule und Kirche vor Ort

Neben dem Evangelischen Studienwerk Villigst, das sich für die Begabtenförderung einsetzt, ist die ESG die einzige Institution landeskirchlicherseits, die lokal im Raum der Hochschule agiert. Anders als das Studienwerk Villigst ist die ESG grundsätzlich erst einmal offen für alle Studierende, ganz ohne Voraussetzung. Viele ESGn und Landeskirchen öffnen sich, spätestens seit dem Impulspapier der EKD »Die Präsenz der Evangelischen Kirche an der Hochschule« (2006), auch Richtung Hochschule und nehmen die Mitarbeitenden dort in den Blick; sei es mit besonderen Veranstaltungsformaten oder in der Seelsorge. Dieser Perspektivwechsel der ESGn zeigt sich häufig schon in der Namensänderung von der Studierenden- zur Hochschulgemeinde, wie z.B. in der Württ. Landeskirche. Durch diese engere Bindung an und in die Hochschule hinein bildet die ESG für die evangelische Kirche eine wichtige Brücke zur akademisch-wissenschaftlichen Welt und kann die aktuellen wissenschaftlichen Bildungsdiskurse für die evangelische Kirche fruchtbar machen und ethische Diskurse anregen und dabei die protestantische Stimme einbringen.


6. ESG bezieht Position zum Thema »Religion an der Hochschule«

Seit gut einem Jahr ist das Thema »Religion an der Hochschule« öffentlichkeitswirksam virulent. Auslöser war die Schließung des Raumes der Stille an der TU Dortmund. Seitdem ist das Thema sowohl in den Medien wie auch an den Hochschulen und den Studierendengemeinden sehr präsent. Das Spannungsfeld zwischen Universitäten, die sich wissenschaftlicher Neutralität verpflichtet fühlen, und religiösen Hochschulgruppen, die ihre Religion an der Hochschule ausüben möchten, gibt es natürlich schon lange und wurde an den verschiedenen Standorten mehr oder weniger intensiv wahrgenommen. Jetzt ist aber eine öffentliche Debatte entfacht, die nicht mehr wegzudenken ist; die Tendenz der Neutralität gegenüber Religion wird m.E. in Zukunft zunehmen. Der Prozess, in dem wir uns zurzeit befinden ist nicht linear; gleichzeitig werden auch Räume der Stille geöffnet, wie z.B. vor kurzem im neu errichteten Libeskind-Bau in Lüneburg und in Siegen.

Räume der Stille sind ein spektakulärer Aspekt des Themas »Religion an der Hochschule«; das Thema ist aber deutlich weiter. So haben wir als Bundes-ESG vor einem Jahr eine Umfrage bei den ESGn gestartet, ob bzw. inwiefern sie als religiöse Institution benachteiligt sind. Diese Benachteiligung zeigt sich an einigen Faktoren wie Erstsemesterbegrüßung, Flyern, Veranstaltungen bewerben per Display oder über den Mailverteiler der Uni und die Anerkennung als Hochschulgruppe. Vier Tendenzen lassen sich aus unserer Umfrage ableiten: 1. An großen Unistandorten ist die Situation schwieriger als an kleinen Standorten. 2. Die Einstellung des und die Beziehung zum Rektorat ist entscheidend für das Vorkommen der Studierendengemeinden an der Hochschule. 3. Selbst wenn das Rektorat positiv eingestellt ist, sind es häufig die ASTen, die in ihrem Verantwortungsbereich (z.B. für die Anerkennung als Hochschulgruppe) von der negativen Religionsfreiheit Gebrauch machen. 4. Es gibt die Tendenz zu einem »Nicht mehr«, von der einige Kolleg*innen berichten. Die Bundes-ESG berät in diesem Themenfeld die EKD und hat eine Handreichung für die ESGn und einen Brief an die Rektorate entwickelt. Sie steht als Gesprächspartnerin zur Verfügung und hat zu einer Konsultation zum Thema eingeladen.


7. ESG ist ein Ort gelebter christlicher Spiritualität für junge Erwachsene im akademischen Umfeld

Auf sehr verschiedene Art und Weise wird in den Studierendengemeinden Glaube erfahrbar gemacht. Neben Gesprächs- und Diskussionsabenden zu religiösen und theologischen Themen gehören vor allen Dingen regelmäßig Gottesdienste und Andachten, Taizégebete, kontemplatives Gebet, Dinner Church oder Liturgische Nächte dazu. Es sind dies Formen, die speziell auf die Bedürfnisse junger, studierender Erwachsener zugeschnitten sind, da sie die Modalitäten des Studiums berücksichtigen: unter der Woche (nicht am Wochenende), am frühen Morgen oder am Abend. Auch die Veranstaltungsart ist auf junge Erwachsene ausgerichtet: Häufig sitzen Studierende auf dem Boden oder auf einfachen und variablen Sitzmöglichkeiten, gerne auch bei Kerzenschein. Die Möglichkeit, mitten im Unialltag, der in vielen Anforderungen und häufig durchgetakteten Semesterwochenplänen besteht, zu singen, zu beten und zur Ruhe zu kommen – meistens in einem anderen als dem universitären Ambiente – ist bedeutend. Studierende können hier in ihrem Unialltag nach dem Glauben fragen und ihn leben, ohne auf ihr wissenschaftliches Denken verzichten zu müssen.

Gerade im Wissenschaftsapparat und unter dem Selbstoptimierungszwang, dem sich junge Erwachsene häufig ausgesetzt sehen, ist es wichtig, einen anderen und geschützten Raum und Ort für Spiritualität und Seelsorge zu haben.


8. ESG entwickelt eigene Lieder und liturgische Formen

Sie verwendet für ihre Gottesdienste überwiegend neue geistliche Lieder und produziert auch selbst welche: Einige ESG-Pfarrer*innen tun dies oder auch Studierende wie z.B. in einer Songwerkstatt. Die Bundes-ESG hat die bewährtesten dieser Lieder gesammelt und sie 2008 als ESG-Gesangbuch »Durch Hohes und Tiefes« herausgegeben, das mittlerweile eine Auflage von über 30.000 erreicht und damit die Gottesdienstkultur in der evangelischen Kirche wesentlich verändert hat. In Studierendengemeinden werden häufig neue liturgische Formate entwickelt, die in der Parochie normalerweise so nicht vorkommen: Anatomiegottesdienste, zum Gedenken an die Verstorbenen, die ihre Körper für Präparationskurse zur Verfügung stellen; Trauergottesdienste für verstorbene Angehörige, z.B. in Kamerun, oder auch Gottesdienste zum Valentinstag. Gesammelt werden diese im »kraft gottes – Handbuch für Liturgie und Gottesdienst«, das die Bundes-ESG dieses Jahr herausgeben wird.


9. ESG ist ein Ort (gesellschafts)­politischen Engagements von jungen Erwachsenen

In den 1980er Jahren waren viele Studierendengemeinden hochgradig in der damaligen Friedensbewegung aktiv. Manchmal werde ich von Menschen gefragt, die zu dieser Zeit selbst aktiv in einer ESG waren, ob heute denn noch ESGler*innen sich politisch engagieren würden. Meine Antwortet lautet: »Ja! Auf jeden Fall.« Nur hat sich das politische Engagement verändert und sieht jetzt anders aus. Mein Eindruck ist, das Engagement passt sich der Zeit an: Es ist nicht mehr ganzheitlich und langjährig, sondern zeitlich begrenzt und lokal gebunden. 2015 und 2016 waren sehr viele ESGn wiederum hochgradig in der Flüchtlingsarbeit engagiert; einige davon bis heute. Die Spannweite des Engagements ist dabei relativ groß: vom Chorleiten über Frauen- und Männerabende bis hin zu Deutschkursen und Behördenbegleitung. Einige ESGn haben auch – zum Teil über einen langen Zeitraum hinweg – Geflüchteten Kirchenasyl gewährt und damit ein starkes Engagement gezeigt. Auch für die Universitäten und Hochschulen, gerade im Service-Learning-Bereich, sind die ESGn ein wichtiger Ansprechpartner, in Bezug auf die Unterstützung von Geflüchteten, die studieren möchten. Die (gesellschaftspolitische) Aufgabe wird also von Studierenden der Hochschulgemeinden häufig konkret, lokal bezogen und zeitlich begrenzt umgesetzt.


10. ESG ist ein Ort für inter­kultu­relles Leben, gelebte Ökumene und interreligiösen Dialog

Universitäten und Hochschulen entwickeln sich zusehends zu Orten, an denen Religion wohl wissenschaftlich gelehrt, aber nicht öffentlich sichtbar praktiziert werden darf. Auf der anderen Seite steigt die Zahl ausländischer Studierender in Deutschland, nicht zuletzt wegen der Internationalisierungsstrategien der Universitäten und dem erhöhten Anteil Studierender mit Migrationshintergrund. So bilden sich vermehrt, vor allen Dingen muslimische Hochschulgruppen, die sich in der Regel darum bemühen, ihre Gebetszeiten auch an der Uni umsetzen zu können. Studierendengemeinden bewegen sich also wie anfangs beschrieben in einem gleichzeitig säkularen und multireligiösen Raum, was die Komplexität des Handelns deutlich erhöht. Ich halte diese Entwicklung für zukunftweisend für die gesamtkirchliche Situation, sodass hier die Studierendengemeinden schon proleptisch Lösungsstrategien entwickeln in einer und für eine Situation, die auf alle zukommen wird. Durch die intensive Beratungsarbeit in den Studierendengemeinden ist die Anzahl ausländischer Studierender in der Regel recht hoch; die Gemeinden erfahren dadurch eine enorme Bereicherung und ausländische Studierende erleben hier Heimat auf Zeit. Interkulturelles Leben, zum Teil auch Zusammenleben in den dazugehörenden Wohnheimen, stärkt die soziale Kompetenz und erweitert den Horizont für alle Beteiligten. Der interreligiöse Dialog wird häufig durch die Studierendengemeinden vorangetrieben, sei es im Interreligiösen Stammtisch oder in Form vom Café Abraham, aber natürlich auch mit wissenschaftlichen Veranstaltungen.

Ökumenische Zusammenarbeit ist in der Regel selbstverständlich, gerade mit der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG). Vielfach sind beide Institutionen unter einem Dach und auch in den Programmen eng miteinander verzahnt, oder haben eine gemeinsame Präsenz an der Uni. Auch da sind die Studierenden- und Hochschulgemeinden häufig Vorreiter in Sachen gelebter Ökumene.

Ein Merkmal von Studierendengemeinden sind auch die relativ häufig vorkommenden Erwachsenentaufen, die möglicherweise auch in Westdeutschland das Modell der Zukunft werden. Gerade junge Erwachsene, häufig geflüchtet oder aus einem anderen Land stammend, schätzen den vertrauten Rahmen, den die ESGn bieten, für ihre Taufe.


11. ESG hat sich verändert und wird sich weiter verändern müssen, wenn sie bestehen bleiben möchte

Die Kirche ist ständig zu erneuern: ecclesia semper reformanda est. Diese Aussage war schon in der alten Kirche bekannt und wird häufig mit Martin Luther in Verbindung gebracht. Dass Kirche sich verändern muss um bestehen zu bleiben, ist, so denke ich, unstrittig. Für die Studierendengemeinden gilt m.E. das gleiche. ESG verändert sich, daran besteht kein Zweifel: Geistliche Angebote haben zugenommen, das politische Engagement der Studierenden hat sich verändert, der Wind an der Hochschule ist rauer geworden. Außerdem geht – wie schon erwähnt – dank der Einführung von Bachelor und Master die Fluktuation und der Generationenwechsel in den Studierendengemeinden deutlich schneller voran, als noch vor gut zehn Jahren.

Ich denke, es muss aber noch mehr geschehen: Die ESG muss explizit, selbstbewusst und gesprächsbereit dem häufig säkularen und gleichzeitig multireligiösen Umfeld in den Hochschulen und Universitäten gegenübertreten. ESG muss neben der Kommstruktur auch die Gehstruktur weiter ausbauen; das bedeutet, deutliche Präsenz in und an der Universität zeigen, dorthin gehen, wo die Studierenden und die Mitarbeitenden der Uni sind. Es muss auch Formate geben, die eine sehr kurzfristige Beteiligung ermöglichen. Es ist ihre Aufgabe, jungen Erwachsenen im akademischen Umfeld das Evangelium zu verkündigen, für Bildungsprozesse nach dem protestantischen Selbstverständnis zu sorgen und für ihre Seelsorge da zu sein. Das tut sie alles schon und wird es unter sich verändernden Rahmenbedingungen weiter tun müssen.


12. ESG ist die Avantgarde der Evangelischen Kirche und trägt damit entscheidend zu ihrer Zukunft bei

Eine Definition von Avantgarde lautet: »Avantgarde kann allgemein verstanden werden als eine kreative und innovative Bewegung, die selten den vorherrschenden gesellschaftlichen und ökonomischen Machteliten angehört. … Sie bezieht sich meist jedoch entweder auf eine politische, kulturelle oder künstlerische Bewegung, die ausgetretene Pfade verlässt.« Also: ESG ist kreativ, innovativ – wie z.B. bei den liturgischen Formen –, gehört nicht der Machtelite der evangelischen Kirche an und verlässt ausgetretene Pfade. Sie ist die einzige Institution, die sich explizit an junge Erwachsene im akademischen Raum richtet. Wenn die Kirche diese Zielgruppe aus den Augen verliert, wird sie auch ihre Zukunft verlieren, da dann ganze Generationen von Verantwortung Tragenden in Kirche und Gesellschaft wegfallen werden. Kirche muss daher ein Interesse an der Arbeit der ESG haben, um ihre Erfahrung, Diskussionen und Expertise in ihren eigenen Veränderungsprozess mit aufzunehmen!

Corinna Hirschberg

 

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 9/2019

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