1. Das Theologiestudium ist realiter »das Pfarramtsstudium«!
Es ist weithin unbestritten, dass Evang. Theologie seit jeher zumeist das Studienziel Pfarramt hat. Alle Gespräche im Kollegenkreis, jede Berufserfahrung, sämtliche Umfragen wie auch die Studie von Matthias Wolfes1 bestätigen dies. Darum kann die Frage nach dem unstrittig enormen Attraktivitätsverlust des Theologiestudiums unmittelbar mit der Ursachensuche nach dem Attraktivitätsverlust des Pfarramtes bzw. des Pfarrberufes verbunden werden: Interesse oder Desinteresse am Theologiestudium ist weithin deckungsgleich mit Anstreben oder Ablehnen des Pfarrberufs!
2. Das Problem der Abweisungen in den frühen 90er Jahren
Schon vor rund 30 Jahren zeigte sich, dass die westlichen Landeskirchen nicht vollständig in ihre Stellenpläne jenen ungeheuren Bewerberansturm würden integrieren können, der seinen Ursprung zu großen Teilen der Umwelt- und Friedensbewegung und der Sympathie der evang. Kirche für diese verdankte. Teilweise überstieg die Anzahl der Studierenden aus lediglich einigen Abiturjahrgängen nahezu die Gesamtzahl der Pfarrstelleninhaber!
Die Landeskirchen trafen unterschiedliche Maßnahmen, um das Problem abzumildern. Sie verlängerten durch neue Studienordnungen das Theologiestudium, führten Wartelisten nach beiden Examina ein, weiteten die Ausbildungskapazität in den Predigerseminaren aus und schufen teilweise sogar neue Stellen (Kandidatenstellen, Sondervikariate). Vieles davon verdient durchaus Anerkennung, weil es keineswegs selbstverständlich war. Insofern geht die bisweilen immer noch zu hörende harsche Generalkritik an den Abweisungen sicher fehl, wenngleich manche Detailkritik berechtigt bleibt, wie z.B. fehlende Jahrgangsgerechtigkeit bzw. unklare Bewertungsmaßstäbe (Stellenvergabe durch Heirat statt Examensnoten) sowie vor allem die Endgültigkeit landeskirchlicher Entscheidungen.
Abweisungen blieben darum unausweichlich (Rheinland: ca. 550, Hannover: ca. 300-350). Obwohl auch andere Fachrichtungen enorme Bewerberüberhänge hatten, war die Außenwirkung abgelehnter PfarramtsbewerberInnen verheerend, weil die Landeskirchen das Anstellungsmonopol für TheologInnen besitzen und deshalb die öffentliche Meinung sie in eine Art Haftungsgemeinschaft für die Studierenden nahm, ihnen die Abweisungen ihrer Landeskinder als »unchristliches Verhalten« ankreidete und somit das kirchliche Renommee in Mitleidenschaft zog. Als Folge brach Mitte der 90er Jahre zeitgleich mit den Abweisungen die Zahl der StudienanfängerInnen stark ein – ein deutlicher Beleg für die These vom Theologiestudium als Pfarramtsstudium.
3. Gehaltskürzungen: »freiwillige« Gehaltsopfer und ihre Wirkung
Ungefähr zeitgleich mit den Abweisungen wurde auch tiefgreifend in die Gehaltsstruktur der Pfarrerschaft eingegriffen, es kam in einigen Landeskirchen gegenüber der staatlichen Besoldung zu Absenkungen, die – teilweise wider besseres Wissen – als »freiwilliger« Gehaltsverzicht zugunsten des Nachwuchses deklariert wurden. Ferner kam es zu unfreiwilligen Teildiensten für Theologenehepaare und BerufsanfängerInnen, was ebenfalls als verkappte Gehaltskürzung bzw. Einschränkung der Berufsfreiheit angesehen werden muss. Auch diese Maßnahmen führten dazu, dass das Studium weiter an Attraktivität verlor.
Als dann in den späten 90er Jahren auch noch die einzige allgemeine Höhergruppierung, nämlich die Durchstufung von A13 nach A14, in einigen Landeskirchen gestrichen wurde, führte dies parallel zu einer weiteren Attraktivitätsverschlechterung. Hierbei dürften auch Vorgänge wie in der Hann. Landeskirche eine Rolle gespielt haben, wo eine ursprünglich beschlossene Überprüfung der Besoldung aller kirchlichen Ämter (einschl. Leitung) unterlaufen und ausschließlich das Pfarrgehalt gekürzt wurde. Das völlig ungerechtfertigte Belassen der ungekürzten A14-Besoldung innerhalb des Gehaltes für jüngere SuperintendentInnen und jüngere KirchenbeamtInnen wie auch die nachvollziehbare Beibehaltung des ganzen A 14 für diejenigen, die sie bereits aufgrund ihres Lebensalters erreicht hatten, führte de facto zur Aufgabe des Prinzips der Gleichbehandlung bzw. -alimentierung innerhalb der Pfarrerschaft. Denn für den Pfarrberuf war und ist bezeichnend, dass ein Stellenkegel wie im vergleichbaren Öffentlichen Dienst, z.B. bei Lehrern, fehlt. Die spätere Streichung von Sonderzuwendungen (»Weihnachtsgeld« und Urlaubsgeld) durch entsprechende Länderbestimmungen verstärkte diesen Abwertungseffekt.
4. Die Auswirkungen der Dienstwohnungspflicht (Pfarrhauspflicht)
Parallel zu den o.g. Maßnahmen wurden zum Leidwesen der Betroffenen seit Mitte der 90er Jahre die Mietwerte der Dienstwohnungen (Pfarrhäuser) permanent spürbar angehoben. Auf Nachfragen hieß es dann, die Kirche betreibe dies keineswegs aus Eigeninteresse, sie käme nur Aufforderungen der staatlichen Finanzbehörden nach, die auf eine Angleichung der Pfarrhaus-Mietwerte auf das allgemein übliche Niveau drängen würden; zudem gäbe es angeblich keine qualitativen Unterschiede zwischen einem Pfarrhaus und privateigenen Häusern2. Gegenüber den dienstwohnungspflichtigen PastorInnen, die auf ihre verfassungsmäßig garantierte freie Wohnungswahl zugunsten ihres Berufes verzichten müssen, waren die erhöhten Kosten für die aufgenötigten Dienstwohnungen sicherlich eine unsensible Verhaltensweise, die zu lang anhaltender Verbitterung bei großen Teilen der Pfarrerschaft führte. Denn diese starke Kostenerhöhung fiel ausgerechnet in jene Zeit, in der viele andere Berufsgruppen sich ihren Wunsch vom selbstgenutzten Eigenheim – auch und gerade dank großzügiger staatlicher Förderung und gesunkener Zinsen – erfüllen konnten, bis hinein in die Kreise der Facharbeiterschaft und der Spätaussiedler, aber auch anderer kirchlicher Mitarbeiter.
So sah man sich seitens der Pfarrerschaft in einem unlösbaren Dilemma: man wollte wohl gerne aus dem Pfarrhaus ausziehen, um es jenen gleichzutun, die auf eigene Lebensverhältnisse zugeschnittenes Wohneigentum im Sinne der Eigenvorsorge für das Alter bildeten, konnte und durfte dies während der Zeit des aktiven Dienstes jedoch nicht. Währenddessen wurden die Mietwerte der Pfarrhäuser permanent weiter angehoben, obwohl die Dienstwohnungen im Komfort immer weiter hinter die neuen Wohnstandards zurückfielen, wie später angestellte Untersuchungen, z.B. die Energiegutachten, eindeutig belegten. Dieses Verhalten des Dienstherren wurde als Ausnutzung des Anstellungsmonopols angesehen und entsprechend intern kommuniziert; so nahm gerade auch die Zahl der selbstrekrutierten Studierenden aus der Pfarrerschaft (Pfarrerskinder) weiter ab. Die Berufszufriedenheitsbefragungen in diversen Landeskirchen (EKHN/EKKW 2003, Hannover 2005, Nordkirche 2011) jener Jahre belegen eindeutig, wie hoch der Unmutspegel wegen der Dienstwohnungspflicht anstieg3.
Als dann absehbar war, dass die staatliche Eigenheimzulage ersatzlos wegfallen würde (zu 2006 abgeschafft) und PastorInnen sie auch später, nach der aktiven Zeit, nicht mehr würden in Anspruch nehmen können, fühlte man sich in seiner Sondersituation von Politik wie Kirche fallen gelassen, denn zugleich erlebte man ja mit, wie die in dieser Zeit in Pension gehenden Jahrgänge sich gerade noch ihre Domizile errichteten. Bund und Länder hatten währenddessen die wenigen verbliebenen eigenen Dienstwohnungspflichtigen in ihren entsprechenden Berufsfeldern davon befreit; lediglich die Pastoren blieben es weiterhin, was nur aufgrund des fragwürdigen Selbstbestimmungsrechtes der Kirchen möglich war und ist.
Aus dem einstigen Berufsprivileg eines geräumigen, zentral gelegenen und günstig zur Verfügung gestellten Pfarrhauses wurde so innerhalb weniger Jahre eine Bürde, an der viele schwer trugen, weil sie es ihnen unmöglich machte, selbstgenutztes Wohneigentum zu bilden, wie es Staat und Bausparkassen permanent als sinnvolle Eigenvorsorge anrieten. Nun hatte man im Pfarrberuf weder die Trennung von Arbeit und Freizeit noch ein kostengünstiges Wohnraumangebot. Die Nichtwürdigung der besonderen Belastung des Wohnens im Pfarrhaus durch die Kirchenleitungen tat ein Übriges. Schließlich traf auch die klassische Familiensituation auf immer weniger junge PastorInnen überhaupt noch zu, da immer mehr Single blieben und die Zahl kinderloser Pfarrerehepaare weiter anstieg – für sie alle waren viele Pfarrhäuser schlichtweg zu groß und somit unpassend. Die Tatsache, dass später die Landeskirchen die Mietwertsteigerungen als Verstöße gegen die höchstrichterliche Rechtsprechung auf Druck der Pfarrvertretungen anerkannten und wieder zurücknahmen, änderte daran wenig, denn diese Korrekturen kamen vergleichsweise spät und wurden von der Streichung der Eigenheimzulage konterkariert.
5. Die Bewertung von Lebensführungsfragen
Ein weiterer Aspekt, der die öffentliche Wahrnehmung von Kirche in jenen 90er Jahren negativ prägte, war die zunehmende Diskrepanz zwischen liberalisierter Gesellschaft und konservativer Kirche, die von ihrer Pfarrerschaft die Bewahrung traditioneller Werte in Lebensführungsfragen rigide einforderte. So wurden bisher selbstverständliche, doch inzwischen nicht mehr allgemein vorauszusetzende Verhaltensmuster und -normen auf einmal zu berufsethischen Anforderungen, die man fortan lediglich PfarrerInnen abverlangte. Während in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen eine immer weitergehende Trennung von Berufs- und Privatleben, von Arbeit und Freizeit selbstverständlich wurde, beharrte Kirche als Tendenzbetrieb darauf, dass ihr Kernpersonal die Einheit von Lehre und Leben (»Wandel«) auch weiterhin exemplarisch vorzuleben habe, bis hin zur Frage der Partnerwahl, wo immer noch Vorgaben bezüglich der Konfessionszugehörigkeit des künftigen Ehepartners gemacht werden (§39 EKD-PfDG). Aufgrund des Bewerberüberhangs konnten Kirchenleitungen sich unzeitgemäßes rigoroses Verhalten einige Jahre ungestraft leisten.
Langfristig führte diese Strategie zu einer Verweigerungshaltung potentieller Studienanfänger gegenüber dem Theologiestudium. Ein Pfarrerssohn, gefragt, warum er trotz hohen Interesses an kirchlichen Fragestellungen nicht in die Fußstapfen seines Vaters getreten sei, brachte es so auf den Punkt: In einem Lande der Freien habe er nicht der letzte Leibeigene sein wollen. Dieses etwas überspitzte Votum bringt die Denkhaltung der jüngeren Generation gut zum Ausdruck. Sicherlich reagierte die Kirche später sehr wohl, indem sie die gesellschaftliche Liberalisierung teilweise nachvollzog, u.a. auf die Regelversetzung bei Scheidung in vielen Fällen verzichtete oder staatlich anerkannte gleichgeschlechtlicher Partnerschaften seit Kurzem auch im Pfarrhaus toleriert. Doch dieser Sinneswandel geschah erst auf äußeren Druck hin, die Regelungen waren und sind kompliziert und hinken insgesamt der Entwicklung hinterher. Statt avantgardistisch wie zur Zeit der Umwelt- und Friedensbewegung verhielten sich Kirchenleitungen und Synoden eher restaurativ oder gar autoritär. Die Kirche hat heute die Möglichkeit verloren, das Kirchenvolk zu reglementieren, umso mehr reglementiert man noch diejenigen, die sich nicht dagegen wehren können, vor allem die Pfarrerschaft – so trefflich ein Leserbriefschreiber in jener Zeit.
6. Die sog. »Bildungsrendite« und ihre Folgen
Ein gesellschaftlicher Paradigmenwechsel setzte auch mit einem total veränderten Blick auf den Bereich Bildung/Ausbildung ein. An die Stelle eines ganzheitlichen Bildungsideals trat in den vergangenen 20 Jahren eine immer stärkere Ausdifferenzierung in einzelne Bildungs- und Studiengänge mit fortschreitender Ökonomisierung aller Lebensbereiche: auch Studiengänge und Berufe wurden verstärkt auf ihre späteren ökonomischen Erträge hin befragt. Dabei stellte sich heraus, dass Theologiestudierende angesichts ihrer notwendig langen Studienzeiten und ihrer späten, z.T. nur reduzierten kirchlichen Anstellung geringere Lebenseinkommen als Facharbeiter zu erwarten hätten. Diese spezifische Problematik wurde dann noch einmal durch eine allgemeine universitäre Entwicklung verstärkt. Studiengebühren wurden eingeführt, zuerst für Langzeitstudierende, später ungeachtet der Fachrichtung für alle HochschülerInnen. Seitdem fragten sich AbiturientInnen wie auch deren Eltern in noch stärkerem Maße als bisher, warum sie noch ein geisteswissenschaftliches Fach studieren sollten, das zudem am unteren Ende der Skala der »Bildungsrenditen« stand, wenn sie immense Studienaufwendungen und zusätzliche Studiengebühren in gleicher Höhe zu zahlen hätten wie diejenigen, die in Studiengänge mit hoher Bildungsrendite gingen? Und das auch noch über längere Studienzeiten hinweg, da die durchschnittliche Studiendauer wegen der kaum noch auf der Schule erlernten alten Sprachen auf sechs bis sieben Jahre angestiegen war.
Da der Fakultätentag sich dafür aussprach, Theologie als sog. »grundständiges Studium« weiterzuführen und sich somit dem 1999 beschlossenen Bologna-Prozess zu entziehen, wurde die Sonderstellung von Theologie noch stärker herausgestellt als zuvor schon. Die Frage, was ein solches, auf das Pfarramt fixierte Studium später in einer Welt noch wert sei, da viele sich eine Vielzahl von Berufsoptionen bewahren wollten, beantworteten immer mehr Studierende durch Nicht-Wahl dieses Faches.
7. Falsche Sicherheitsversprechen: Stellenstreichungen und die Folgen
Ein Argument, dass dennoch manchen bewog, ein Pfarramt anzustreben und dann auch anzutreten, war das seitens der Kirche über lange Zeit gegebene und auch durchgehaltene Sicherheitsversprechen. Bis weit in die 90er Jahre wurde seitens der Landeskirchen als Dienstherren beteuert: »Die Gemeindepfarrstellen sind sicher!« Schließlich habe man diese Stellen über viele Wechselfälle der Geschichte hinweg seit den Tagen der Reformation stabil fortgeführt und damit den Beweis dafür angetreten, sich an sein Versprechen auch in schwierigen Zeitläuften zu halten. Außerdem sei eine Pfarrstelle zugleich ein Pfarramt, also im Prinzip unveränderlich und nicht von außen zu kürzen, weil dadurch ja die Unabhängigkeit der AmtsinhaberInnen beschädigt würde, was per definitionem durch Bekenntnis wie Kirchenrecht ausgeschlossen sei. Darauf vertrauend waren in der Vergangenheit sehr viele BerufsanfängerInnen bereit gewesen, selbst unter Inkaufnahme persönlicher Nachteile bei reduziertem Anfangsgehalt auch an strukturschwachen Dienstorten Pfarrstellen zu übernehmen. In einer Arbeitswelt zunehmender Flexibilisierung war es sicherlich ein tragfähiges Kriterium, wenn ein Arbeitgeber/Dienstherr mit einem derartigen Versprechen seine Klientel mit einem Package Deal entschädigte.
Exkurs I: Package Deal
Der Package Deal ist als die »Geschäftsgrundlage« zu nennen, auf der sich die Besonderheiten des pfarramtlichen Dienstes zwischen Dienstherrn und PfarrstelleninhaberInnen vollziehen: ein Konglomerat aus gesetzlichen Regelungen (vgl. EKD-Pfarrdienstgesetz), aber auch aus weiteren Absprachen, Zusicherungen, Selbstverständlichkeiten, die sich über lange Zeiträume hinweg herausgebildet hatten (»ungeschriebenes Gesetz«), und auf dessen Grundlage Vor- und Nachteile eines Pfarramtes in ein ausgeglichenes Verhältnis zueinander gesetzt wurden. »Does« und »Don’ts«, Dinge, die sich teilweise der Regelungsmöglichkeit entzogen, aber dennoch für wichtig erachtet und eingefordert wurden. Die einschneidenden Veränderungen der letzten Jahre sind nun zu großen Teilen von der Pfarrerschaft als Aufkündigung eben dieses Ausgleichsverhältnisses verstanden worden und haben Reaktionen hervorgerufen, entweder als Verweigerungshaltung des potentiellen Nachwuchses oder als Antwortstrategien der Pfarrerschaft auf das Überwiegen von Nachteilen im Gemeindepfarramt.
Konkret bedeutete die Package Deal-Frage an diesem Punkt, dass evang. Theologen, überwiegend durch das Studium großstädtisch sozialisiert und im Falle der Wahlmöglichkeit erkennbar willens, im urbanen Bereich zu bleiben, sich dennoch im Unterschied zu den allermeisten übrigen AkademikerInnen (wie etwa den Medizinern) bereit fanden, ihr gewohntes Lebensumfeld inkl. aller dortigen kulturellen und sonstigen Teilhabemöglichkeiten vollständig aufzugeben und für ihre Landeskirche in abgelegene Regionen umzuziehen. Weil dem ein Sicherheitsversprechen und – nicht zu vergessen – ein zentraler kirchlicher Auftrag, nämlich die Betreuung einer Kirchengemeinde, zugrunde lag, also ein Dienst, der sich nicht auf eine Fünftage-Woche reduzieren lässt und somit dort auch noch quasi permanente Ortsanwesenheit erfordert. Manfred Josuttis hatte so einst den evang. Pastor treffend als »Intellektuellen auf dem Lande« charakterisiert, dessen Sonderrolle und Ausnahmestellung sehr subtil wahrnehmend.
Und dies galt naturgemäß nicht nur für die betroffenen Amtsinhaber, sondern auch für ihre Familienangehörigen! Nicht selten führte dies durchaus mit hohen persönlichen Opfern verbundene Verhalten zum Jobverlust des Ehepartners, der aber in Kauf genommen wurde, weil das Sicherheitsversprechen als höherwertig eingestuft wurde. Es liegt nun in der Natur der Sache, dass die Preisgabe gerade einer entscheidungsrelevante Sicherheitszusage durch den Dienstherrn gravierende Spätfolgen haben muss, denn eine solche Kursänderung lässt für die betroffenen Paare nichts Geringeres als ihren Lebensentwurf fragwürdig und brüchig werden. Es gab zuvor nicht wenige Fälle (und sie waren in Pfarrerkreisen bekannt), wo EhepartnerInnen gerade wegen der Besonderheit des pfarramtlichen Dienstes und wegen der Strukturschwäche mancher Gebiete ihren Pfarr-Partner verlassen hatten, weil sie persönliche Prioritäten dann doch anders bestimmten oder die Öffentlichkeit einer pastoralen Existenz mit hoher sozialer Kontrolle nicht ertrugen. Diesem geradezu existentiellen Risiko stand keine entsprechende Sicherheit an anderer Stelle mehr gegenüber!
Den Landeskirchen als Dienstherrn musste somit bewusst sein, dass die Preisgabe des zuvor als sicher bezeichneten und beworbenen Pfarrstellenbestandes und die Durchsetzung von Pfarrstellenstreichungen in beträchtlichem Umfang (Arbeitsverdichtung) seitens der Pfarrerschaft und auch des potentiellen Nachwuchses als de-facto-Aufkündigung des Package Deals empfunden werden musste. Ich bin sicher: Es wird der Zeitpunkt kommen, da die Kirchenleitung die »Opferung« des festen Pfarrstellenbestandes als schweren, kaum rückholbaren Strategiefehler erkennen wird, denn dadurch gerieten PastorInnen in Abhängigkeiten, die zuvor ausgeschlossen schienen, so wurde aus einem erstrebenswerten weitgehend unabhängigen Amt ein zu Teilen abhängiger Dienst mit Merkmalen eines Angestelltenverhältnisses, Wechselwirkungen eingeschlossen.
Zu fragen ist also, ob die Stellenstreichungen im erfolgten Maße wirklich erforderlich waren. Die offizielle Begründung lautete zumeist, nicht die Arbeit solle dadurch weniger wertgeschätzt werden, doch anhaltend hoher ökonomischer wie demographischer Druck zwinge die Kirche unausweichlich dazu. Dazu ist zu sagen, dass die gezeichneten Szenarien kirchlicher Einnahmeverluste, die angeblich unmittelbar bevorstanden und als Druckmittel dienten, so keineswegs eingetreten sind; auch weisen die EKD-Kirchenmitgliedschafts-Untersuchungen permanent nach, dass den Kirchengliedern pastorale Arbeit vor Ort als unverzichtbare Kernaufgabe von Kirche erscheint. Dennoch sind die Streichungen bisher nicht ausgesetzt worden (!), obwohl deutliche Mehreinnahmen seit zwei Jahren zu verzeichnen sind und – wie zum Gegenbeweis – durch die Landeskirchen insbesondere Mitarbeiter-Stellen und neue Funktions-Pfarrstellen in anderen Bereichen sehr wohl parallel zum Abbau dieser Gemeinde-Pfarrstellen neu errichtet wurden, zu schweigen von den exorbitanten Summen, die wiederholt zur Bezahlung gravierender Fehlbeträge v.a. wegen Missmanagement in diakonischen Einrichtungen oder bei Spekulationsverlusten klaglos aufgebracht werden. Zu bedenken ist ferner, dass die in der Fläche angesiedelten Pfarrstellen von den Landeskirchen zuvor schon über wesentlich größere Krisen hinweg bewahrt worden waren, selbst über Währungsreformen, Kriege, die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur hinweg, wenngleich häufig als Vakanzen.
All dies trat nun kumulativ zu den Besoldungsabsenkungen und Mieterhöhungen hinzu: aus ganzen A14-Stellen wurden binnen Kurzem nicht selten halbe A13-Stellen; aus einem sicheren Amt mit Unversetzbarkeitsstatus wurde eine Tätigkeit ohne wirklich vergleichbar gesicherte Rahmenbedingungen. Die Abstimmung des Nachwuchses angesichts dieser Verschiebungen geschah mit den Füßen, sie folgte der nachvollziehbaren Logik: Wenn Landeskirchen bereits bei leichten Kirchensteuerdellen sowie stabilen, verkraftbaren Austrittsziffern derart unerwartet reagieren, was könnte als Szenario dem Pfarrberuf dann noch drohen, wenn wirkliche Steuereinbrüche oder Austrittswellen auf sie zukämen?
Bekannt ist zudem, dass Lehrerberuf und Pfarrberuf lange Zeit wie kommunizierende Röhren zueinander standen: waren die Berufsaussichten für einen der beiden Berufe besser, wurde dieser bevorzugt. Der Staat hat nun seinerseits die Rahmenbedingungen des Lehrerberufes keineswegs derart einseitig verschlechtert, sondern vielmehr die Residenzpflicht frühzeitig aufgehoben, den Stellenkegel mit Beförderungsmöglichkeiten beibehalten, die Unversetzbarkeit de facto eingeführt (während sie im Pfarrberuf de iure abgeschafft wurde). Von Stellenstreichungen blieben die Lehrer verschont, ja es wurden sogar neue Stellen geschaffen. Außerdem geriet der Lehrerberuf nicht in direkte Abhängigkeit zu staatlichen Einnahmen, niemand stellte Lehrerstellen (trotz massiver gesellschaftlicher Lehrerschelte!) infrage, wenn der Staat konjunkturbedingt einmal weniger Steuern einnahm. Ferner fällt dort die Unsicherheit von Pensionskassenrisiken weg, weil der Staat seine Pensionen aus dem laufenden Steueraufkommen finanziert – was lange Zeit wie ein Systemnachteil erschien, erweist sich nun als Vorteil für den Staat. So waren die angedachten bzw. vorgeschlagenen Alternativen angesichts von Stellenstreichungen, wegfallende Stellenanteile durch Fundraising-Projekte zu finanzieren, keineswegs durchdacht, belasteten sie doch die Betroffenen mit einer illusionären Erwartung in einer Art und Weise, die die Dienstgemeinschaft zu spalten bzw. aufzuheben droht. Zudem unterminieren sie auf gefährliche Weise das für die deutschen Kirchen essentielle System der Mitgliederbeiträge durch Kirchensteuer und Kirchgeld.
8. Konzeptionslosigkeit, Aporien, Selbstsäkularisierung
Bildungsentscheidungen sind bekanntlich Lebensentscheidungen. Dies gilt auch und gerade dann, wenn in einer Gesellschaft Berufsrollen im Laufe des Lebens verändert, lebenslanges Lernen als Grundprinzip gefordert und der einmal erlernte Beruf von vielen nach einer bestimmten Verweildauer notgedrungen gegen einen anderen ausgetauscht wird, weil der Wandel der Arbeitsgesellschaft, veränderte Interessenlagen oder gesellschaftliche Bedürfnisse dies erfordern. Der eben darin wurzelnde und vollkommen nachvollziehbare Wunsch vieler Eltern, ihren Kindern eine möglichst hochwertige Schulbildung zu ermöglichen, um ihnen später eine Vielzahl von Berufsoptionen offenzuhalten, setzt sich auch im Anschluss an die Schulzeit fort. Studienfachentscheidungen werden zunehmend im Familienrat getroffen und so zur gemeinsam verantworteten Entscheidung, externe Beratungskompetenz wird mitunter beigezogen, Chancen und Risiken hochgerechnet. Dies unterscheidet die heutige Gesellschaft fundamental von derjenigen, als im Zuge des Runs auf die Universitäten eine ganz auf Autonomie drängende Studentengeneration sich von ihren Eltern abwandte und ihre Studienfachentscheidungen eigenverantwortlich vornahm. In einem derartigen Klima wie heute haben es Randfächer naturgemäß schwer, ist doch der Wert eines Abschlusses mit geringer Marktgängigkeit nur äußerst schwer abzuschätzen. Sich gar dem rationalen Diskurs entziehende Elemente wie der für Theologen zentrale Berufungsgedanke (vocatio interna) verhallen oder werden belächelt. In diesem Zusammenhang ist es darum entscheidend, wie sich ein Dienstherr mit Anstellungsmonopol präsentiert, und zwar in seiner Außendarstellung wie durch seine interne Kommunikation; auch hier kommt der Pfarrerschaft in den Gemeinden eine zentrale Rolle zu!
Exkurs II: Kirche der Freiheit
In diesem Zusammenhang muss zumindest am Rande auf den EKD-Reformprozess Kirche der Freiheit eingegangen werden, jenes Reformpapier aus dem Jahre 2006, mit dem die EKD für alle Landeskirchen einen Zukunftsentwurf vorlegte. Zwar wird in diesem Agendapapier dem Pfarrberuf eine, wenn nicht gar die Schlüsselrolle für die Zukunftsfähigkeit von Kirche nominell zugewiesen (S. 71-75). Andererseits findet sich Generalkritik am Pfarrerstand, werden Alternativmodelle zum Pfarrberuf von Landeskirchen erwogen (Schnellausbildungen, neue Zugänge zum Pfarrberuf), durch die das Theologiestudium wiederum infrage gestellt wird und unklar bleibt, inwieweit der Package Deal künftig noch halten wird oder nicht. Gerade auch die entscheidende Frage, zu welcher Art von Organisation (hierarchisch oder dezentral, Top-down oder Bottom-up) Kirche umgebaut werden soll und wird, bleibt unbeantwortet.
Und schlussendlich zu bedenken ist die Kernaussage aus dem Vorwort von »Kirche der Freiheit«4, wonach die Evang. Kirche im Jahre 2030 ein Drittel ihrer Mitglieder und die Hälfte ihrer Finanzkraft eingebüßt hätte, eine Kapitulationserklärung an die gesellschaftliche Entwicklung, die ebenfalls potentielle Interessenten geradezu abschrecken muss. Denn wer wird sich in weitgehende »Pfadabhängigkeit« zu einer Organisation begeben, die sogar in ihrer externen Kommunikation konzediert, ein harter Schrumpfkurs sei das einzig mögliche Szenario? Wer so agiert, der schreckt potentielle Bewerber in jeder Hinsicht ab. Denn jedermann wird daraufhin schlussfolgern, dass in einer derart dauerhaft unter enormem Druck stehenden Organisation (Stichwort Pensionslasten) harte Verteilungskämpfe drohen. Ähnliches ließe sich für die Vielzahl an Fundraising-und Stiftungsprojekten sagen: Wenn einer (noch) steuer- und damit beitragsfinanzierten Organisation zum Ausgleich drohender Unterfinanzierung keine anderen Konzepte einfallen, dann muss es schlecht um sie bestellt sein. Die EKD wäre von daher gut beraten, die fatalistische Kernthese aus ihrem Agendapapier offiziell zurückzuziehen und echte Visionen einer zukunftsfähigen und zukunftswilligen Kirche zu entwerfen!
Dem amerikanischen Ökonomen Albert O. Hirschman verdanken wir die wegweisende Studie »Abwanderung und Widerspruch«. Die Kernthese dieser Untersuchung besagt, dass es in unter Druck geratenen Organisationen, gerade wenn sie keine Pfadgerechtigkeit mehr walten lassen, zwei Ausweichstrategien der Mitarbeiterschaft gibt: Fluchtverhalten (Eskapismus) derjenigen, denen sich eine Alternative bietet, oder Widerstand, artikuliert oder verborgen in der Hoffnung, die Organisation möge ihre Fehler korrigieren. Auf unsere Fragestellung bezogen heißt dies, Kirche muss jetzt rasch erkennen, dass sie nicht falschen Paradigmen nachrennen darf, sondern – letztlich im Eigeninteresse – Pfadgerechtigkeit walten lassen muss. Denn selbst wenn es Kirchenleitungen und Synoden schaffen, Kirche in eine marktförmige Organisation betriebswirtschaftlich umzuwandeln (und somit ihre verbindlichen Zusagen an die Pfarrerschaft aufzukündigen), entsteht ein enormer Flurschaden im Motivations- und auch im Mitgliederbereich, weil die Folgeschäden ideeller wie materieller Art durch die verprellten Schlüssel-Berufsgruppen eventuelle Gewinne an anderer Stelle bei Weitem übersteigen.
9. Konsequenzen
Bei realistischer Betrachtungsweise sollte allen Beteiligten klar sein: Es wird ein schwieriges Unterfangen, qualifizierten Nachwuchs zu gewinnen. Mit Hochglanzbroschüren und hehren Worten wird wenig auszurichten sein. Es gilt, wie auch sonst im Leben: An ihren Taten sollt ihr sie erkennen, sprich: am Umgang mit der jetzt im aktiven Dienst stehenden PfarrerInnengeneration wird sich entscheiden, wie viele junge Menschen für das Studium wie für den Pfarrberuf gewonnen werden können.
Darüber hinaus sei den Kirchenleitungen und insbesondere der EKD empfohlen, ein klares Bekenntnis zur Beibehaltung des Package Deals abzugeben und nicht nur für einen »Beruf an sich«, sondern auch für konkrete Rahmenbedingungen, unter denen die nachfolgende Generation ihn ausüben wird, folgende Eckdaten »bekenntnishaft« verbindlich anzugeben:
– Das Gemeindepfarramt bleibt zentrales kirchliches Amt und wird nicht zur austauschbaren Dienstleistung.
– Pfarrbezirke bleiben überschaubar, weil pastorales Wirken vor allem Beziehungsarbeit ist.
– Das Bottom-up-Prinzip des Protestantismus verlangt dezentrale Kirchengemeinden und keine zentralisierte Top-down-Organisation (presbyterial-synodales Prinzip).
– Kirche bleibt in der Fläche präsent und honoriert die Bereitschaft, dort pfarramtlich zu wirken.
– Die EKD bekennt sich erneut zu den zentralen protestantischen Kernaussagen über das eine pastorale Amt (CA V und CA VII), die Freiheit der Verkündigung und die Unabhängigkeit (Weisungsfreiheit) des Dienstes.
– Das öffentliche Dienstrecht (Beamtenstatus) wird beibehalten.
– Die Pfarrhäuser werden zeitgemäß modernisiert.
– Vor allem anderen aber wird endlich die Grundfrage geklärt, ob man entweder Gemeindepfarrstellen künftig wieder als Amt anzuerkennen bereit ist (d.h. Verzicht auf Versetzungen, Weisungsbefugnis, äußere Eingriffe) oder ob man stattdessen von kirchlicher Dienstleistung von Angestellten sprechen will, dann aber unter Garantie von 38,5 Wochenstunden, Überstundenausgleich, Urlaubsanspruch, freien Tagen, Verzicht auf Aufstellungspredigten etc.
Eine Strategie, die aus beiden Systemen die jeweiligen Nachteile für die Pfarrerschaft herauspickt, wird scheitern.
Literatur:
EKD (Hg.), Kirche der Freiheit, Perspektiven für die Evangelische Kirche im 21. Jh., Hannover 2006
EKD (Hg.), In die landeskirchlichen Listen eingetragene Studierende der ev. Theologie, Hannover 2012
Hirschman, Albert O., Abwanderung und Widerspruch. Reaktionen auf Leistungsabfall bei Unternehmungen, Organisationen und Staaten, Tübingen 1974
IWS Marburg, Antworten – Fragen – Perspektiven. Ein Arbeitsbuch zur Pastorinnnen- und Pastorenbefragung in der ev.-luth. Landeskirche Hannovers, Hannover 2005
Kamann, Matthias, Protestanten in Deutschland droht Pfarrermangel, Die WELT, 18.9.2012
Karle, Isolde, Der Pfarrberuf als Profession, Eine Berufstheorie im Kontext der modernen Gesellschaft, Stuttgart 2008
Wolfes, Matthias, Theologiestudium und Pfarramt, Hannover 2000
Anmerkungen:
1 Matthias Wolfes, Theologiestudium und Pfarramt, Hannover 2000.
2 So immerhin ein Kirchenamts-Präsident auf einer öffentlichen Tagung in Loccum.
3 U.a. Antworten – Fragen – Perspektiven, 23.
4 Ebd., 7.
Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 2/2013