Obwohl das Bekenntnis von Bethel sehr stark auf die Auseinandersetzung der damaligen Zeit bezogen ist, zeigt es sich doch weitestgehend als geschlossener und in sich klarer theologischer Entwurf. Die Nähe zur Theologie Bonhoeffers ist offensichtlich. Interessant ist, dass die »bleibende Erwählung« Israels und die Aufgabe der »Judenmission« nicht gegeneinander ausgespielt werden. 1933 wurde die Judenmission von den »Deutschen Christen« in Frage gestellt. Daher hätte eine Ablehnung der Judenmission als Bestätigung dieser Position gegolten. In der hier gegebenen Zusammenfassung habe ich die Verwerfungen zum großen Teil ausgelassen, da sie inhaltlich an die Bekenntnisaussagen anknüpfen. Im Internet liegt lediglich eine englische Kurzfassung des Bekenntnisses vor (http://www.lutheranwiki.org/Bethel_Confession). Wörtliche Zitate entstammen der Endfassung (Die Bekenntnisse und grundsätzlichen Äußerungen zur Kirchenfrage des Jahres 1933, Kurt Dietrich Schmidt (Hg.), Göttingen, 2. Aufl. 1937, Text 31: Das Bekenntnis der Väter und die bekennende Gemeinde (das sog. Betheler Bekenntnis), S. 105–131).
I. Reformation
Die Kirche wird durch das Wort Gottes bestimmt, das durch Jesus Christus gegeben wird. Dies geschieht in der Kirche der Reformation durch die »Predigt von der freien Gnade«. Durch die »Predigt von der Rechtfertigung« hat jeder Mensch die Möglichkeit, sein Leben als Geschenk Gottes zu sehen. Da die Kirche, neben lutherisch noch reformiert, in verschiedene Gruppen aufgeteilt ist, wird im Geist des Evangeliums von Jesus Christus alles darauf ankommen, den Geist der Einheit und der einen Wahrheit über alle Unterschiede zu stellen: »ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater unser aller« (Eph.4,4f)
II. Von der heiligen Schrift
Die Kirche wird durch die Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments geleitet, da darin Jesus Christus als der verheißene Messias und Sohn Gottes offenbart wird. Gott offenbart sich in der Geschichte, entsprechend der biblischen Überlieferung, und: »Die in der Heiligen Schrift bezeugte Geschichte ist Heilsgeschichte.« Das AT zeigt, dass Gott Israel erwählt, und dass NT, dass sich der göttliche Heilsplan in Jesus Christus vollendet. Daraus folgt: »Die Heilige Schrift ist ein Ganzes.« Damit ist zugleich abgelehnt, dass sich Jesus Christus außerhalb der Schrift bezeugt. »Gott, der der sich in der durch die Schrift bezeugten Geschichte einmal offenbart hat, redet und wirkt in dieser Geschichte heute und alle Tage.« Das AT gehört zur Einheit der Bibel. Auch indirekt bezeugt das AT Christus: »Der Heilige Geist ist immer Geist der ganzen Heiligen Schrift.«
III. Trinitätslehre
Die Trinität Gottes ist das größte Geheimnis. Dennoch lassen sich im Bezug auf die drei Gestalten des einen Gottes folgende Feststellungen treffen: »dass der Vater von niemandem, der Sohn vom Vater geboren, der Heilige Geist vom Vater und vom Sohn ausgehe«. Die Dreifaltigkeit Gottes bekommt ihre Bestimmung durch die Offenbarung in Jesus Christus, was die Bibel in unterschiedlicher Form darstellt: »So wird der dreieinige Gott vom Glauben erkannt als Vater durch den Sohn, als Sohn durch den Vater, als Vater und Sohn durch den Heiligen Geist, als Heiliger Geist durch Vater und Sohn.« Hierbei ist festzustellen, dass nicht eine der drei Personen Gottes getrennt von den anderen gesehen werden soll.
IV. Von Schöpfung und Sünde
1. Schöpferglaube und natürliche Erkenntnis
Aus der natürlichen Wahrnehmung der Welt und ihren ungelösten Widersprüchen und der daraus folgenden Gotteserkenntnis erscheint Gott als erhaben und rätselhaft. Die Kirche lehrt den Glauben an Gott als den Schöpfer allein aus dem Wort heraus: »Dem Glauben ist die Schöpfung eine Setzung Gottes aus der Ewigkeit in die Zeit, aus dem Nichtsein in das Sein, aus der Unsichtbarkeit in die Sichtbarkeit.« Die natürliche Erkenntnis Gottes ist verfälscht, da wir auch unter dem Fluch und dem Zorn Gottes leben. »Gottes Selbstoffenbarung« widerfährt uns durch die Heilige Schrift.
Ohne Christus bleibt das Vertrauen auf den natürlichen Inhalt des Lebens beschränkt. Die Welt, so wie wir sie erleben, entspricht nicht dem ursprünglichen Schöpfungswillen Gottes. Daraus folgt, dass etwa der Kampf »nicht das Grundgesetz der ursprünglichen Schöpfung« ist. Da das Böse als solches von Gott gerichtet ist, darf sich der Kampf mit dem Bösen niemals »auf den Träger des Bösen« richten. Erst am Ende der Zeit wird Christus den Sieg haben und der Friede des Reiches beginnt. Das heißt konkret: »Gott redet nicht unmittelbar aus einer bestimmten geschichtlichen Stunde zu uns und offenbart sich nicht in einem unmittelbaren Handeln in der Schöpfung.« Daraus folgt ebenfalls, dass die Stimme des Volkes nicht Gottes Stimme sein kann.
2. Von der Sünde
Durch die Sünde hat der Mensch seine Gottebenbildlichkeit verloren und ist dem Verderben des Todes verfallen. Der Mensch, von Geburt ohne Glauben, ist tot für alles Gute und voller Begierde. Dennoch hat er damit nicht aufgehört, Geschöpf Gottes zu sein. »Sünde ist Auflehnung gegen Gottes absoluten Herrschaftsanspruch im Gesetz der Liebe.« Dabei darf man auch nicht dem Irrtum verfallen, die Sünde sei »die andere Seite« der Schöpfung. Sünde lässt sich auch nicht wie eine moralische Verfehlung durch Verbesserung beseitigen, sondern: »allein durch Christi Tod ist die Sünde vergeben.«
V. Von Christus
»Jesus Christus, Sohn Gottes, Sohn Adams, Sohn Davids, wahrhaftiger Gott und wahrhaftiger Mensch, empfangen vom Heiligen Geist, geboren von Maria, der Jungfrau, der Sündlose im Fleisch der Sünde ist das alleinige Heil der Menschen. Er allein ist die Wende der Zeiten.« Hierzu erklärt der Kleine Katechismus, dass wir Christus unseren Herrn nennen, weil er »mich verlorenen und verdammten Menschen erlöset hat«. In einem Volk der Welt kommt »der Glanz der Herrlichkeit Gottes« zum Vorschein, und zwar in dem israelitischen Volk. Das Kreuz darf nicht auf die Wahrheit eines Symbols, z.B. »Gemeinnutz geht vor Eigennutz«, vereinfacht werden und es ist auch kein Opfertod wie andere auch. Ebenso wenig ist die Kreuzigung Christi die »alleinige Schuld des jüdischen Volkes, als hätten andere Völker und Rassen ihn nicht gekreuzigt«. Alle, die den Geist der Gnade schmähen sind am Kreuzestod Jesu schuldig, wie es Gesangbuchlieder ausdrücken.
VI. Vom Heiligen Geist und seinen Gaben
1. Vom Heiligen Geist
Der Heilige Geist, der von Gott dem Vater und dem Sohn ausgeht, wird in der Kirche erfahren. Im Wort und in seiner Botschaft wie im dies bezeugenden Sakrament wird der Heilige Geist wirksam und bewirkt die Berufung zur Kirche, lehrt und schafft »den Glauben, die Bekehrung und die Erneuerung«. Der Heilige Geist ist nicht ohne Christus in den Ordnungen der Welt erkennbar. »Christus ist der Herr aller Menschen. Die Mission an allen Völkern ist Auftrag der Kirche aus dem Heiligen Geist.«
2. Von Rechtfertigung, Glaube, Heiligung
Allein durch den Glauben an Christus findet der Mensch »einen gnädigen Gott«. Der Glaube an den gekreuzigten und auferstandenen Christus ist es allein, der rechtfertigt. Durch den Glauben ist der Mensch neu geboren und zur Nächstenliebe berufen. Die »Heiligung« ist die Konsequenz der »Rechtfertigung« und damit »Gehorsam«. »Die Kirche, die nur lehrt und ›glaubt‹, aber nicht handelt, ist nicht der Leib Christi. Der Ruf Gottes fordert uns zur Entscheidung.« Der Glaube wird im Wunder der Liebe vollendet. In dieser Welt nimmt der glaubende Mensch die Welt und ihren Ort in ihr aus Gottes Hand und »trägt es in der Kraft der Verheißung, dass Gott am Ende aller Dinge einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen wird«. Wenn auch der Glaube im Leben Gottvertrauen und Pflichtbewusstsein schafft, dürfen aber nicht diese Früchte selbst als Glauben verstanden werden. Alles folgt aus dem Glauben an die Herrschaft Gottes in Christus.
3. Vom Gehorsam gegen das Gesetz und vom Leben in den Ordnungen
»Das Gebot Gottes in der Offenbarung des Wortes … ist der persönliche Anspruch des lebendigen Gottes. Es ist der Ruf Gottes, der den Menschen in einer ganz bestimmten Lage trifft und ihm sagt, was sein guter, gnädiger Wille mit ihm ist.« Dieser Anspruch ist im Gebot der Gottes- und Nächstenliebe zusammengefasst. Die geschöpflichen Ordnungen werden nur insofern als Gottes Ordnungen angesehen, soweit sie dem »konkreten Herrschaftsanspruch Gottes« entsprechen. Dazu gehören die Bestimmungen der Arbeit, der Geschlechtlichkeit, der Herrschaft über die Natur sowie die Bestimmung zur Gemeinschaft. »Die Ordnungen haben keinen eigenen Wert, sondern leben nur von Christus, dem Wort.« Ihr Sinn ist die Erhaltung der Schöpfung, sodass »der Mensch in ihnen leben darf und soll bis zur Erlösung«. Dazu zählen die »Ordnungen der Ehe, der Familie, des Volkes, des Eigentums (Arbeit, Wirtschaft), des Berufes, der Obrigkeit«, nicht aber die Rasse. Die Kirche verwirft also eine Lehre, die die Rasse als Naturphänomen auf eine Stufe stellt mit den menschlichen Ordnungen. Durch das Leben in den Ordnungen erfährt der Mensch die Spannung als Zeichen der Unerlöstheit der Welt. Das Evangelium ist kein Gesetz für den Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung. Die Obrigkeit handelt ohne Ansehen der Person neutral.
VII. Von der Kirche
1. Von der Kirche
Die Kirche ist das Volk des gekreuzigten und auferstandenen Herrn, ist Leib Christi. Durch Gottes Ruf und im Glauben ist sie Gemeinschaft der Heiligen. Als Gemeinschaft der Menschen, die verloren sind, ist sie zugleich Gemeinschaft der Gottlosen und Sünder. Der Kirche steht als solcher kein Ruhm zu. Genauso wie die Einzelnen sündigt sie. Aber sie rühmt sich Christi und bekennt sich zu seiner Gemeinschaft. Die Lehre von der Kirche ist der Vernunft entzogen, da diese Gemeinschaft im Glauben besteht und erkannt wird. Ihre Mitte ist allein die Verkündigung des Evangeliums und die Verwaltung der Sakramente, nicht der »religiöse und sittliche Stand ihrer Glieder«. Wo Gott seinen Geist durch den Glauben gibt, ist »die eine heilige, katholische Kirche eine Wirklichkeit in der Welt«. Hierdurch schließen sich viele unterschiedliche Kirchenverständnisse aus, die »der Aufklärung, des Pietismus, des Liberalismus, des Idealismus, des Perfektionismus, des Unionismus, des Spiritualismus, der spätlutherischen Ständelehre des Staatskirchentums, aber auch des religiösen Sozialismus, des klerikalen Internationalismus und des religiösen Nationalismus.«
2. Von Amt und Bekenntnis
Das kirchliche Amt der Verkündigung ist von Christus gestiftet. Da der Glaube durch die Predigt kommt, und die Kirche sich aus dem Wort Gottes erneuert, ist dieses Amt als Auftrag an die ganze Kirche gegeben. Das Amt selbst wird von den Personen ausgeübt, die nach der Berufung durch eine Ordnung dazu beauftragt werden. Der Auftrag selbst ist so zentral, dass er auch die Leitungsämter mit betrifft. Die Führung der Gemeinde durch das Amt wird »nicht als Herrschaft, sondern als Dienst«, das Bischofsamt als Hirtenamt verstanden, Verkündigung als »Botschaft an Christi Statt«. Die Tatsache, dass es sich dabei immer um Menschen handelt, bedroht immer auch die »Reinheit der Verkündigung«, aber hier gilt: »Das Licht scheint in der Finsternis«. Zur Richtschnur und zur Orientierung am eigentlichen Auftrag braucht die Kirche das Bekenntnis. Die Bekenntnisbildung ist zu keiner Zeit abgeschlossen. »Das Wort Christi ist niemals nur Rede, sondern stets Rede und Tat zugleich. Alle Lehre darf darum nicht nur Ordnung des Denkens sein, sondern muss zugleich zum Grund des Handelns werden. Es kommt also alles darauf an, dass richtig gelehrt wird, weil sonst nicht nur das Denken, sondern auch das Handeln verfälscht wird. Darum muss die Kirche immer aufs Neue zur Schrift fliehen (Luther) und alle Verkündigung nach dieser einzigen Regel richten und ausrichten. Das Ergebnis solchen Forschens ist das Bekenntnis.«
3. Die Kirche und die geschichtlichen Gemeinschaften
Durch die Sendung der Kirche in alle Welt verbindet sie sich mit den »Formen und Bildungen der Völker ihrer Zeit«. Als Nationalkirche sprengt sie dennoch die Grenzen des Volkstums. Sie passt sich in ihrer Verkündigung nicht an die Zeit an, wird »den Juden ein Jude, den Deutschen ein Deutscher«. Gottes Geist allein schafft den Glauben. »Die Kirche lebt in den Völkern«, aber: »Die Völker sind nicht die Kirche.« Das heißt aber auch: »Die Glieder der in diesem Volk lebenden Kirche haben teil an Ruhm und Schuld ihres Volkes und an Verheißung und Schuld ihrer Kirche.« Das Volk selbst ist Teil der natürlichen Welt und zählt nicht automatisch zur Kirche. »Darum kann ein Volk als Ganzes nicht erlöst werden, denn die Erlösung ist immer ein Handeln Gottes am einzelnen.« Auch die Bestimmung zur »Volkskirche« gehört nicht automatisch zur Kirche. »Kirche darf Volkskirche sein, solange diese Form ein Mittel ist, ihren Auftrag auszuführen.«
4. Kirche und Obrigkeit
Die Kirche und die Obrigkeit sind von Gott und haben ein unterschiedliches Amt und stehen einander gegenüber. Daraus folgt, dass die Kirche nicht in der Obrigkeit aufgeht. Vom Anspruch Gottes her steht die Kirche über der Obrigkeit. Eine Gemeinsamkeit ist: »Ihr Dienst gilt den Menschen.« Beide sind auf die Ordnung bezogen, wobei die Obrigkeit Zwang und Gewalt ausübt und die Kirche in Lehre und Zurüstung für das Leben in der Ordnung wirkt. Die Kirche steht unter der Obrigkeit, indem sie sich der gesellschaftlichen Ordnung fügt. Die Obrigkeit hat die Gewalt des Schwertes und ist »Anwalt des Rechts gegenüber dem Bösen.« Die Gewalt der Kirche ist allein das Wort. Dadurch macht sie den Menschen »fähig im Gehorsam Gottes zum entschlossenen Handeln in der Welt.« Die Kirche verletzt ihr Amt, wenn sie den Staat für ihre Zwecke missbraucht, was umgekehrt ebenso für die Obrigkeit gilt. Es gibt keinen »christlichen Staat«.
5. Die Kirche und die Juden
Die Kirche lehrt die Erwählung Israels, nicht aber aus einem nationalen Vorzug, sondern allein durch Gottes Willen. Durch die Kreuzigung tritt an die Stelle des alttestamentlichen Gottesvolkes die durch Christi Botschaft gesammelte Kirche aus allen Völkern. Doch Israel ist auch nach der Kreuzigung nicht von Gott verworfen. Die Kirche ist verpflichtet, auch Israel zur Umkehr zu rufen. Eine Trennung zwischen Heidenchristen und Judenchristen widerspricht der Gemeinschaft der Kirche Christi. »Israel ist immer als Volk zugleich Kirche, sei es gläubige oder widerstrebende.«
VIII. Von der Geschichte und vom Ende aller Dinge
Der Mensch handelt in der Welt und gestaltet seine »Geschichte«. Er ist in seiner Geschöpflichkeit auf Gottes Wirken »in unerschöpflicher Lebendigkeit« angewiesen. Das Streben des Menschen nach Macht und Größe aus eigener Kraft ist ein Zeichen der Sünde, von der der Mensch erlöst wird. Die Kirche lebt unter den Völkern als »die lebendige Verheißung« Gottes. Die Kirche steht in der Gefahr – wie Israel – die in ihr »aufgerichtete Verheißung« zu missbrauchen. Daher steht der Kirche nicht an zu urteilen über das, was als Antwort auf die Verkündigung erfolgt. Das Urteil bleibt Gott vorbehalten. »Auf Gott gesehen ist alle Geschichte Endgeschichte; denn er ist das Ende, d.h. die Aufhebung der Geschichte. Darum ist für den Glaubenden jeder Augenblick letzter Augenblick und ein unfassbar großes Geschenk der Geduld Gottes.« In der Existenz der Glaubenden gilt beides: »Hingabe an die geschichtliche Stunde und die völlige Gelöstheit von ihr«. Das ganze Leben durchzieht die Verantwortung der Entscheidung für oder gegen Christus. Das Ziel und Ende der Geschichte bleibt Gott überlassen und wird nicht durch menschliche Leistung herbeigeführt. »Die Aufgabe der Kirche in der Zeit ist wache Bereitschaft in der Furcht Gottes und der Gewissheit seiner Verheißung.« ■
Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 11/2008