Hans Wollschläger, geboren am 17.3.1935 im westfälischen Minden, bleibt ein bemerkenswerter Denker und Künstler, dessen Leben und Werk eine tiefgründige Auseinandersetzung mit den Themen Religion, Literatur und Musik widerspiegeln. Aufgewachsen im Pfarrhaus prägen die strengen Traditionen seiner Umgebung sein frühes Denken. Bereits als Kind stellt er den pompösen Umgang mit Glaubensfragen in Frage und entwickelt eine kritische Haltung gegenüber den Konventionen seiner Zeit. Trotz seiner kirchlichen Wurzeln tritt er nach vielen Jahren aus der Kirche aus, was seine differenzierte Sicht auf die Religion verdeutlicht.
Raum für spirituelle Reflexion in geistfernen Zeiten
Wollschlägers literarisches Schaffen ist vielfältig und umfasst beeindruckende Übersetzungen, darunter die kongeniale Übertragung von James Joyces „Ulysses“, die im deutschsprachigen Raum eine ganz eigene Rezeptionsgeschichte nach sich zieht. Zudem verfasst er zahlreiche Essays und kritische Biografien, die seinen scharfen Verstand und seine Liebe zur Sprache zeigen. Hierzu zählen Arbeiten zu T. W. Adorno in „Moments musicaux“ oder zu Thomas Mann: „Wiedersehen mit Doktor F.“. Seine Werke sind geprägt von einer rhetorischen Brillanz, die selbst in seinen kleineren Schriften zur Geltung kommt und dabei Texte vieler Berufsschreiber stilistisch weit überragt.
Ein zentraler Aspekt seines Schaffens ist die Verbindung von Literatur und Musik. Sein Vortrag zur Schubertiade, „Diese schönen Abdrücke in der Seele“, verdeutlicht, wie sehr Wollschläger die beiden Kunstformen miteinander verknüpft. Er schafft einen Raum für spirituelle Reflexion „in diesen geistfernen Zeiten“. Seine Erfahrungen als aus der Kirche ausgetretener Pastorensohn und als engagierter Geist der 1968er-Bewegung fließen in seine Überlegungen ein und zeigen, wie er die Herausforderungen seiner Zeit mit einem scharfen, aber auch liebevollen Blick betrachtet.
Wollschläger – dessen Briefwechsel mit Arno Schmidt von Giesbert Damaschke trefflich ediert wurde – ist neben zahlreichen Übersetzungen – etwa der Briefe und Romane Raymond Chandlers – Herausgeber und Biograf von Karl May und Friedrich Rückert. Seine kritischen Ausgaben und Biografien zeugen von seiner tiefen Auseinandersetzung mit ihrem Werk und ganz unterschiedlichen Geisteswelten. Insbesondere Friedrich Rückert, dessen Gedichte und Übersetzungen Wollschläger mit großer Sorgfalt bearbeitet: „Die Weisheit des Brahmanen“ und „Rückert ist des Orients – Rückert ist des Okzidents“. Bis zuletzt arbeitet er am Spätwerk Karl Mays: „Ardistan und Dschinnistan“.
Melancholisch besonnene Sicht auf das Leben
In seinen Reflexionen über das Altern, etwa in seinem Nachruf auf Erwin Chargaff, offenbart Wollschläger eine melancholische, aber auch besonnene Sicht auf das Leben. Er thematisiert, wie schwer der Verlust eines „Grand Old Man“ wie Chargaff wiegt, und lädt den Leser ein, die eigene Sterblichkeit und die Beziehungen zu nachfolgenden Generationen zu überdenken. Seine Betrachtungen dazu, dass die Liebe vielleicht nicht die „Zentralheizung des Universums“ sei, sondern das Universum selbst wie ein „rotierender toter Ofen“ erscheint, fordern heraus und regen über den Tag hinaus zum Nachdenken an.
Wollschlägers literarisches Erbe bleibt besonders relevant in der heutigen Zeit. Seine Fähigkeit, komplexe Gedanken klar und prägnant zu formulieren, und seine kritische, aber nicht unversöhnliche Haltung machen seine Werke zu einer wertvollen Ressource für alle, die sich mit den Fragen des Lebens und dessen Sinn und Unsinn auseinandersetzen und so wenigstens literarisch das stets aufgegriffene „Schrecknis … verringern“. Sein Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit hinterlässt einen bleibenden Eindruck und fordert uns auf, die Balance zwischen kritischer Reflexion und menschlicher Wärme zu finden.
Hans Wollschläger verstirbt unerwartet rasch am 19. Mai 2007 in Bamberg und ist in Königsberg in Bayern beigesetzt. „In diesen geistfernen Zeiten“ – in denen wir nur kaum Zeit zum An – und Gedenken finden – sei dankbar an den großen Stilisten der deutschen Sprache erinnert.
▬ Karl-Heinz Barthelmes
Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 4/2025