In Pforzheim gibt es seit 2019 das Projekt „school@church“ in der badischen Landeskirche. Schule trifft Kirche vor den großen Ferien in einem Zeitfenster, in dem Schulen mehr Freiräume haben, weil in der Regel die Zeugnisnoten schon gemacht sind. Im Mittelpunkt steht die historische Schlosskirche St. Michael, die viel zu bieten und zu erzählen hat. Die Initiatoren des Projekts, Citykirchenpfarrerin Heike Reisner-Baral und Diakon Oliver Würslin (Verantwortlicher für Projekte zwischen Schule und Kirche), berichten.

 

Kirchen sind milieuübergreifende Orte

Nicht nur den Franzosen stockte der Atem, die ganze Welt blickte verstört auf den großen Brand im April 2019, der die Kathedrale Notre Dame bedrohte. Die Bilder weinender und singender Menschen machten deutlich, dass Notre-Dame nicht nur ein kirchliches, konfessionelles oder religiöses Gebäude ist, sondern viel mehr als das. Notre-Dame ist ein Gebäude, das sowohl national als auch international einen großen emotionalen Wert besitzt. Dies zeigten auch die hohen Spendensummen, die bereits innerhalb weniger Tage für den Wieder­aufbau weltweit bereitgestellt wurden.

Kirchen sind also mehr als öffentliche Orte. Deshalb ist es wichtig, diese Orte auch zu öffnen, denn sie werden nur in einem Bruchteil der Zeit für liturgische Handlungen genutzt. Sie eröffnen Möglichkeiten, sich aus dem Alltag zu verabschieden und in eine andere Dimension einzutauchen – losgelöst von Kultur und Religion.

Historische Kirchen erzählen zudem Geschichten aus vergangenen Zeiten und lassen das Heilige – das Unverfügbare – spürbar werden. Ehrfurchtsvoll werden diese Kirche von Menschen betreten – egal welchen Alters, welcher Nation oder Religion. Der Kirchenraum ist milieuübergreifend und hierarchielos. Man tritt ein, um ­etwas anderes zu erleben.

Kirche begegnet als Ort der Ruhe oder als Möglichkeit der Entdeckung und neuer Erfahrung mit den darin befindlichen Kunstschätzen oder der ungewohnten Architektur. Kirchen sind keine Konsumtempel. Ich darf mich setzen, um zu verweilen – ohne etwas konsumieren zu müssen. Ich kann Unterschlupf finden vor Hitze oder Regen. Das ist ganz anders als z.B. in einem städtischen Bahnhof, wo es immer weniger Sitzmöglichkeiten gibt, damit Menschen vom Verweilen abgehalten werden. ­Sitzen darf ich oft dort nur, wenn ich auch etwas kon­sumiere.

 

Die Schlosskirche St. Michael – „steinernes Geschichtsbuch“ der Stadt Pforzheim

Seit 11 Jahren schon, ist die Schlosskirche St. Michael mitten in der Stadt Pforzheim von April bis Oktober täglich geöffnet, was von Ehrenamtlichen geleistet wird. Sie ist das größte mittelalterliche Gebäude, das, stark beschädigt, die Zerstörung der Stadt am 23. Februar 1945 überstanden hat. Durch das große Engagement der Bürgerschaft wurde die Kirche wiederaufgebaut und konnte 1957 feierlich eingeweiht werden. Die vielen Grabsteine und Grabdenkmäler von Patrizierfamilien sowie die Denkmäler der Markgrafen erzählen von der bewegten Geschichte des Schlossbergs und der Stadt Pforzheim, weshalb sie auch als „steinernes Geschichts­buch“ bezeichnet wird.

Große Bedeutung hatte die Schlosskirche St. Michael im Mittelalter, stand sie doch inmitten der Schlossanlage der Markgrafen von Baden, die in Pforzheim residierten und 1556 die Reformation einführten. Auch Johannes Reuchlin war hier zuhause. Drei Jahrhunderte lang bestatteten die Markgrafen ihren familiären Hochadel in den beiden Grüften unter dem Stiftschor.

Wer die Kirche an einem sonnigen Tag betritt, erlebt eine unbeschreibliche Atmosphäre mit prächtigen Lichtspielen und spürt den Atem der unzähligen Generationen, die in dieser Kirche gefeiert und geweint haben.

 

 

Ökumenische Citykirche

Die Arbeit der ökumenischen Citykirche, die es an der Schlosskirche seit 2014 gibt, ist sich der Kostbarkeit dieses besonderen Raumes bewusst. Allein durch die offene Kirche, geschehen ganz individuelle und berührende Begegnungen. Immer wieder sitzen Jugendliche vor der Kirche und fragen, ob sie denn hinein dürften, auch wenn sie Muslime sind? Und was denn in einer Kirche erlaubt oder verboten sei? Solche Begegnungen „en passant“, unabhängig von Alter und Religion, werden ermöglicht, weil die Kirche mitten in der Stadt ihre Türen geöffnet hat.

Es werden auch – ohne Anmeldungen, denn die Kirche ist ja offen – Schulklassen und Kindergartenkinder durch die Schlosskirche geführt, und es ist zu merken: Der Kirchenraum spricht zu ihnen. Sie bewegen sich andächtig und behutsam, weil sie etwas vom Unverfügbarem spüren.

 

Das Projekt school@church

Seit 2017 arbeiten Diakone und Diakoninnen im Kirchenbezirk Pforzheim-Stadt in Schwerpunkten. Im Schwerpunkt „Vernetzung Schule und Kirche“ werden gute und sinnhafte Projekte initiiert, in denen Schule und Kirche außerhalb des Religionsunterrichts niederschwellig zusammenkommen und voneinander profi­tieren.

Das Projekt school@church hat seinen Ursprung im Kirchenbezirk Göppingen an der Stadtkirche. Mittlerweile haben sich dort daraus die Jugendkulturtage entwickelt. Diakon Oliver Würslin brachte das Projekt und dessen Idee in den Kirchenbezirk Pforzheim-Stadt ein, und dies korrespondierte von Anfang an mit der inhaltlichen ­Arbeit der Citykirche, nämlich den Kirchenraum für unge­wöhnliche Projekte zu öffnen.

Die Ziele für das Projekt „school@church sind folgende:
 Kirche niederschwellig durch „Leichtigkeit“ und Kreativität erfahrbar zu machen;
 neue Gemeinschaftserfahrung für Schulklassen im Kirchenraum zu ermöglichen;
 die besondere Atmosphäre des Kirchenraums Jugendliche spüren zu lassen;
 Begegnung mit Geschichte und Tradition spielerisch zu ermöglichen;
 kreative Auseinandersetzung mit einem persönlichkeitsstärkenden Thema, kombiniert mit einem theologisch und thematischen lnput.

 

Umsetzung

Für die Startphase im Jahr 2019 wurden vier Tage im Juli kurz vor den Sommerferien angeboten. Zielgruppen waren vor allem Gymnasien, in den Klassenstufen 9-13. Eine 9. und eine 11. Klasse waren bereit, sich mit ihren Lehrer*innen als „Piloten“ auf dieses Projekt einzu­lassen mit dem Thema: „I have a dream“. Das Team ­bestand aus Diakon, Citykirchenpfarrerin, bildender Künstlerin, Bezirkskantor und Theaterpädagogin.

Dann kam Corona und damit eine lange Pause.

2022 ging es mit drei Klassen, 2023 mit vier Klassen an den Start, und 2024 hatten wir sieben Schulklassen im Zeitraum von 14 Tagen, die sich einen Vormittag von 8 bis 13 Uhr mit dem Thema VERRÜCKT auseinandersetzten und sich auf alle Angebote mit großer Offenheit eingelassen haben. Zum ersten Mal war auch eine 8. Klasse dabei, weshalb dieses Projekt nun ab Klasse 8 geöffnet wird.

Bereits im vergangenen Jahr – und dieses Jahr wieder – hatten wir zwei sogenannte VABO-Berufsschulklassen zu Gast. VABO steht für „Vorqualifizierungsjahr Arbeit und Beruf mit Schwerpunkt Erwerb von Deutschkenntnissen“. In VABO-Klassen erhalten Jugendliche mit keinen oder geringen Deutschkenntnissen verstärkt Sprachförderung. Das waren Schüler*innen aus dem Iran, Afghanistan, Ukraine, Georgien und Rumänien etc., darunter auch einige Muslimas und Muslime. ­Einige von ihnen hatten noch nie einen Kirchenraum betreten.

Das Team bestand 2024 aus einem Erlebnispädagogen, einem Diakon, der Citykirchenpfarrerin und einer Theaterpädagogin sowie dem Bezirkskantor. Es gab ein Warming up, eine Gesprächsrunde zum Thema, Erkunden des Kirchenraum, indem jeder seinen Namen mit Kreppklebeband an seinen Lieblingsort schreiben durfte, Abseilen von einer hohen Leiter im Schlosspark, Theaterspielen zum Thema, eine Kirchenrallye und das Kennenlernen der großen Steinmeyer-Mühleisen-Orgel.

Viele der Berufsschüler*innen hatten noch nie in ihrem Leben eine Orgel in Aktion gehört und für sie war es ein Faszinosum, als der Bezirkskantor erst am Orgelpositiv und dann an der „großen Orgel“ eine kleine Orgelführung mit ihnen machte. Es gab eine Pause mit Kuchen und Getränken, die eingebaute Küchenzeile in der ­Kirche sorgte für großes Staunen und dazu gab es gute Gespräche und viel Spaß.

 

Fazit

Alle Jugendlichen bestätigten in der Abschlussrunde, dass für sie Kirche ganz anders erlebbar war. Sie haben sich wohl und geborgen gefühlt und die Zeit sei – entgegen ihrer Befürchtungen – ganz schnell vergangen. Einen ganzen Schultag in einer Kirche „aushalten zu müssen“, wäre für sie unvorstellbar gewesen.

Auch für den Gruppenprozess in der Klasse war dieser Tag in der Schlosskirche ein Gewinn. „Wir haben uns besser kennengelernt“ – „der Rahmen war anders und viel schöner als in der Schule“ – „ich habe mit Klassenkamerad*innen zusammen etwas gemacht, mit denen ich sonst wenig zu tun hatte“ – so die Aus­sagen am Ende des Projekttages.

Und der O-Ton zweier Lehrerinnen:

Es waren in beiden Klassen muslimische Schülerinnen mit Begeisterung dabei. Die Schlosskirche ist sowohl ökumenisch unterwegs als auch anderen Religionen gegenüber sehr offen. Das ist auch in der Veranstaltung rübergekommen. In der Kirche sind jüdische Elemente (siebenarmiger Leuchter) und muslimische Elemente (Halbmond auf einem alten Grabstein) integriert. Es ging um aktuelle Themen, es gab theaterpädagogische und erlebnispädagogische Elemente, die einerseits die Persönlichkeit und zugleich die Klassengemeinschaft stärken. Die SuS durften in einer Rallye sogar auf den Dachboden der Kirche, was als besonderes Highlight empfunden wurde. Als besonderes Erlebnis nannten die SuS in der Feedbackrunde auch den Workshop mit dem Organisten. Ich kann das hier gar nicht alles so aufschreiben. Die Jugendlichen konnten m.E. Kirche sehr offen, positiv, als Teil unserer Kultur ­erleben – so wie ich es mir generell wünschen würde.“

Auch meine Tochter, war bei euch mit ihrer Reliklasse dabei und war sehr begeistert! Vor allem das mit der Leiter hat ihr gut gefallen. Ich persönlich habe mich sehr über das positive Feedback für euch gefreut, weil es eine so schöne Möglichkeit ist die Kids mal wieder in eine Kirche zu holen und zu öffnen für religiöse, aber auch gesellschaftliche Themen. Wir möchten das Programm, wenn möglich gerne fest in unsere Projektwoche integrieren … Euch auf jeden Fall ein herzliches Dankeschön!“

Das Projekt school@church ist jedes Mal ein ergebnisoffener Prozess, der Kirche als Spiritual-Space erfahrbar macht. Die Schüler*innen gingen mit einem positiven Eindruck nach Hause – und vermutlich auch mit einer anderen Einstellung zu „Kirche“. Es zeigt sich, dass solche Projekte wichtig sind, um das kirchliche Binnenmilieu zu verlassen und den Dialog milieu- und altersübergreifend zu fördern. Dazu braucht es nicht viel: Ein motiviertes Team und ein ansprechendes Kirchengebäude. Die finanziellen Mittel dürfen natürlich auch nicht fehlen. Dazu gibt es an der Schlosskirche St. Michael einen Förderverein, der vor allem Kinder und Jugendliche im Focus hat.

Jugendarbeit vor Ort in den Gemeinden wird zunehmend schwieriger, weil die Entfremdung von Familien zu Kirche immer mehr zunimmt. Die Gründe dafür sind vielfältig. Umso sinnvoller ist es, Schule und Kirche miteinander ins Gespräch zu bringen, weshalb dieses Projekt weiterhin unterstützt und gefördert werden sollte. Wir, das sind alle Beteiligte, sind sich sicher, dass noch Potential nach „oben“ besteht.

 Heike Reisner-Baral / Oliver Würslin

 

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 4/2025

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