Die Evangelische Kirche in Deutschland legt mit Recht Wert darauf, dass nicht nur die „Hauptamtlichen“ und „Studierten“ zu Wort kommen. Auch die sogenannten „Laien“ haben ein Recht und eine Pflicht das Evangelium zu bezeugen und zu verkündigen. Das ist gut so! Aber leider ist man da bisher nicht konsequent vorgegangen. Es wurden zwar alle möglichen „Laien“ zu Lektoren- und Predigtdiensten ausgebildet. Aber bisher hat noch nicht ein einziges Mal eine Kirchenmaus den Lektorendienst versehen, geschweige denn eine Predigt gehalten. Dabei ist gerade die Kirchenmaus dafür ja besonders geeignet. Sie hört Sonntag für Sonntag Gottes Wort. Sie hört Predigten, kann die Predigten vergleichen und beurteilen. Sie kennt die Choräle wie im Schlaf. Sie hat eine lange gottesdienstliche Erfahrung. Wir wollen sie also endlich einmal im Gottesdienst zu Wort kommen lassen. Was hat uns die Kirchenmaus zu sagen?

Übrigens kann sich die Kirchenmaus auf das Gesangbuch berufen. Da gibt es einen Choral, der die geistliche Kraft der Kirchenmaus bezeugt:

Zu dir, zu dir / ruft Mensch und Tier …
Auch pfeifet dir das Mäuselein:
Herr Gott, du sollst gelobet sein.“
(Clemens Brentano, EG 509, Kehrvers)

Nun lassen wir die Kirchenmaus selbst zu Wort kommen. Zunächst einmal erzählt sie uns davon, dass sie es nicht leicht hat im Leben. Ich denke, wir hören ihr mit Sympathie zu. Denn viele von uns haben es ja auch nicht leicht im ­Leben

Klagelied

Als Kirchenmaus, ihr lieben Christen,
sein kurzes Mäuseleben fristen,
das ist wahrhaftig kein Vergnügen.
Man könnte Glaubenszweifel kriegen:
Die andern Mäuse auf der Welt,
in Keller, Küche, Stall und Feld,
die haben einen vollen Magen –
ich muss am Hungertuche nagen.

Da redet man von Gottes Gnade –
doch ich find keine Schokolade.
Da gibt’s nicht mal ’nen Krümel Käse –
mir bleibt nichts übrig als As-kese.

Ich dachte, in der Sakristei –
da fänd ich mal ein Spiegelei –
doch muss ich es vergeblich suchen!
Auch Kuchen ist hier: Pustekuchen!

(Auch wird ich selten nur entschädigt
durch eine richtig gute Predigt.
Was ich so hör von den Pastoren,
ist nichts für meine Mäuseohren.)

Aber das Leben ist ja nicht nur hart. Es gibt auch manche schönen Stunden. Das gilt selbst für die Kirchenmaus. Auch sie hat manchmal Grund zur Freude und zum Feiern. Besonders freut sie sich jedes Jahr auf das Erntedankfest. Da kann sie sich einmal so richtig sattesssen.

Das große Fressen

Zumeist bin ich vor Hunger matt –
nur einmal werd ich richtig satt.
Dann schwelge ich, die Kirchenmaus,
mal tagelang in Saus und Braus.

Ja, einmal gibt’s hier haufenweise
ganz köstlich schöne Mäusespeise.
Da liegt sie denn einmal im Jahr
zu Erntedank vor dem Altar.

Zu Erntedank, da bringt ihr Lieben
Kartoffeln, Möhren, Brote, Rüben,
Getreide, Kürbis, Rote Bete –
das ist ein Fest, das gibt ’ne Fete.

Da muss ich wirklich nichts entbehren
und kann auch länger davon zehren –
ich schleppe nämlich manchen Rest
auf Vorrat in mein Mäusenest.

Doch eines Tages ist der Vorrat alle. Was nun. Aber die Maus ist ja nicht anspruchsvoll. Sie knabbert zur Not auch an Stoffen oder Schuhen herum. So sieht sich die Maus in der Kirche um:

Das Liederbuch

Nun mache ich mich auf die Reise
nach einem kleinen Krümel Speise
und finde schließlich auf der Suche
Papier in einem Liederbuche.
Der Teufel frisst ja notfalls Fliegen,
und mir muss nun Papier genügen,
mit Noten zauberhaft bedruckt –
und runter wirds von mir geschluckt.

Bei weitem lieber wärn mir Brote –
zur Not nur schluck ich eine Note
und tu mir eifrig einverleiben,
was die Gesangbuchdichter schreiben.

Aus reinem geistlichen Interesse,
da les ich manchmal, was ich fresse
und denke lange drüber nach –
wie die vom Theologenfach.

So frisst sich also die Maus durch die Gesangbücher und denkt auch über die Lieder nach. Und da macht sie ganz zwiespältige Erfahrungen. Manche Strophen gefallen ihr, an manchen Strophen hat sie etwa auszusetzen. Und manche Strophen versteht sie gar nicht. Z.B. „Ihr Kinderlein kommet“ mag die Maus ausgesprochenn gern. Da steht ja: „Da liegt es das Kindlein, auf Heu und auf Stroh …“ Also, da fühlt sich die Maus so richtig wohl, im Stall von Bethlehem, im Heu und im Stroh. Da ist sie in ihrem ­Element.

(Der folgende Prosateil der Predigt ist nur eine Anregung. Vielleicht empfindet das mancher als eine gewisse Überfrachtung. Mir scheint allerdings, man kann gar nicht oft genug darauf hinweisen, dass der Mensch nicht einfach nur ein „höheres Tier“ ist, sondern Gottes Ebenbild; nicht bloß „Natur“, sondern davon himmelhoch unterschiedener „Geist“. Aber dazu hat jeder seine eigenen Gedanken und Worte.)

Vom Ebenbild Gottes

Es gibt Lieder, bei denen ist die Maus so richtig ratlos. In diesen Liedern steht, dass der Mensch das Ebenbild Gottes ist, z.B. „Liebe, die du mich zum Bilde …“ (EG 401) Oder man denke auch an EG 506,5.

Damit muss sich die Maus wohl abfinden: Der Mensch ist das Ebenbild Gottes. Und wir sollten einmal darüber nachdenken, was wir alles können, was die Maus nicht kann und was kein Tier kann: Wir können zwischen Gut und Böse unterscheiden, wir können über unser Leben nachdenken. Wir können uns an unsere Kindheit erinnern. Wir denken weit zurück – sogar bis zu unseren Großeltern. Keine Maus weiß, dass sie einen Opa hat. Aber wir wissen das. Und wir blicken weit nach vorne: nicht nur auf morgen und übermorgen. Wir denken manchmal schon an unseren Tod. Und alte Menschen denken an ihre Enkel, und hoffen, dass sie in Frieden leben werden. Keine Maus weiß, dass sie einmal Enkel haben wird. Und keine Maus weiß, dass sie einmal sterben wird.

Ach, da könnte man noch vieles reden über den Unterschied von Mensch und Maus. Der Mensch ist nicht nur Leben, sondern er ist geistiges Leben. Er weiß von sich selber. Er ist in gewissem Sinne frei. Er kann gut oder böse sein. Er fragt nach seinem Schöpfer. Er kann beten. Selbst wenn wir die Maus noch so wertschätzen, der Unterschied zwischen Maus und Mensch ist gewaltig.

Aber beide, Mensch und Maus, sind Gottes Geschöpfe. Beide werden geboren und sterben. Beide essen und trinken. Beide atmen und schlafen. Und was mich betrifft: beide mögen Schokolade und Käse. Und ich mag auch das Gesangbuch. Aber ich fresse es nicht, ich lese es. Und da sind wir nun wieder beim Gesangbuch. Und während die Maus sich so durch das Gesangbuch frisst, kommt sie an eine ganz tolle Stelle.

Im Kirchenchor

Was seh ich da, ach Donnerwetter:
Auf einem der Gesangbuchblätter
komm’ ich als Maus auch selber vor –
als Sängerin im Kirchenchor!
Das tat mich wirklich mächtig freun:
in dem EG, fünfhundertneun,
bin ich, nach Strophe zwei,
im Kirchenchore mit dabei:

wie ich im Folgenden zi-Tier
Zu dir, zu dir, / ruft Mensch und Tier …
Auch pfeifet dir das Mäuselein.
Herr Gott, du sollst gelobet sein.‘

Ja, ich bin ein Gemeindeglied
und singe mit bei eurem Lied –
und ich als alte Kirchenmaus
tret’ nicht aus der Kirche aus.

Kleines Nachwort der Maus über die Katze

Die Katze mit den bösen Krallen
– das sehe ich mit Wohlgefallen –
kommt nicht im Liederbuche vor:
nein, kein Miau im großen Chor!
Sie macht mir Angst mit ihrer Pfote,
doch gibt es für sie keine Note.
Nein, nein, man liest mit keinem Satze
im Liederbuche von der Katze.
Vor Freude bin ich aus dem Häuschen
und grüße euch – das Kirchenmäuschen.

 

 Thomas Schleiff

 

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 3/2025

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