2025 findet der nächste Evangelische Kirchbautag statt. In einer Kaskade kurzer thematischer Beiträge bereiten verschiedene Autorinnen und Autoren auf dieses Ereignis vor, dessen Bedeutung im Kontext zurückgehender kirchlicher Finanzen und unterschiedlichster kirchlicher Immobilienstrategien nicht unterschätzt werden sollte.

 

oder: Die „Baulast“ als immobile Chance einer mobilen Kirche

Es ist zweifellos berechtigt, Kirchenräume angesichts der finanziellen Lage der Kirchen auch als Problem zu sehen. „Steinreich“ seien die Kirchen, so sagen viele, und manche fordern, dass sich die Kirche weit konsequenter als bisher von ihrer „Baulast“ trennen und sich stattdessen intensiver „den Menschen“ oder „ihren eigentlichen Aufgaben“ zuwenden müsse. Aber diese Perspektive verdeckt die Chancen, die mit Kirchenräumen verbunden sind und die sich vor allem dann zeigen, wenn Kirchen als bauliche Ressource betrachtet und im Blick auf ihre Potentiale für kirchliche und bürgerliche Gemeinden, für Sozialräume und deren Entwicklung genutzt werden. In besonderer Weise gilt das, wenn sich die dominant gottesdienstlichen bzw. kulturellen Logiken der Nutzung hin zum Diakonischen öffnen; wenn in Kirchenräumen also Gottesdienste gefeiert, Konzerte veranstaltet, Ausstellungen organisiert werden und wenn dort gleichzeitig auch ein Sozialkaufhaus oder eine Obdachlosenhilfe die Türen öffnet, die Vesperkirche zum gemeinsamen Essen lädt, ein Seniorentreff oder eine Kita einzieht.

Es geht bei solchen diakonischen Nutzungserweiterungen oder Umnutzungen um mindestens fünf Aspekte: (1) um eine Rückkehr (und eine Besinnung auf das, was Kirchen schon einmal waren), (2) um eine Öffnung ­(hinein in den Sozialraum und zu anderen Playern), (3) um das Entdecken oder Weiterentwickeln vielfältiger Kooperationen, (4) um völlig unterschiedliche Raumlösungen und (5) um mannigfache Impulse für das ­Denken und Leben von Kirche und Gemeinde.

 

 

Rückbesinnung

(1) Es war vielleicht eine verhängnisvolle Folge eines eigentlich ganz guten Satzes. Als Martin Luther bei der Weihe der Schlosskirche zu Torgau im Oktober 1544 sagte, „nichts anderes“ solle in diesem Raum geschehen denn „dass unser lieber Herr mit uns rede durch sein Wort und wir wiederum mit ihm durch Gebet und Lobgesang“, da hatte er weder im Blick, dass diese Aussage als eine evangelische „Definition“ sakraler Räume in Lehrbücher eingehen würde, noch – und schlimmer –, dass sich daraus eine funktionale Verengung von Kirchenräumen ergab. Über kurz oder lang waren diese nur noch Gottesdiensträume – und, als Gottesdienste dann zunehmend seltener gefeiert wurden, teilweise nur noch für zwei Stunden in der Woche geöffnet. Dabei waren Kirchen „früher“ eine ganze Menge mehr: Sie waren Begegnungsräume für Menschen aus der Umgebung, die sich dort trafen, unterhielten, Handel trieben; sie waren Orte der Armenfürsorge und nahmen Bedürftige auf; in ihnen wurden Gaben gesammelt und Essen verteilt. Mit ihnen verbunden waren noch im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit zahlreiche Hospitäler.

 

Öffnung

Kirchenräume heute diakonisch neu zu entdecken, ist eine Rückkehr zu einer einstigen Multifunktionalität und bedeutet (2) eine Chance zur Öffnung der Kirche in den Sozialraum hinein. Die zentrale Lage vieler (ich weiß: nicht aller!) Kirchen erweist sich als topographische Gelegenheit. Sie stehen in der Mitte von Dörfern und Stadtquartieren und werden auch von säkularen Menschen wahrgenommen. Die Türen zu öffnen bedeutet ganz konkret und metaphorisch die Chance, mit anderen Playern im Sozialraum in Kontakt zu treten. Dabei erscheint es nicht nötig, sondern im Gegenteil eher kontraproduktiv, wenn „Kirche“ oder „Gemeinde“ schon zu klar weiß, was sie gerne hätte oder welche Mitnutzung des Raumes sie sich gut vorstellen könnte. Je nach Raum und Situation ergeben sich aus der Öffnung Ideen, was in dem Raum mit größerem oder kleinerem Umbau auch geschehen könnte und was den Bedürfnissen vor Ort entspricht.

 

Kooperationen und Raumlösungen

Nicht selten tauchten (3) Kooperationspartner auf, die bislang nicht im Blick waren: Vereine oder lokale Initiativen, die schon lange einen Ort für ihre Aktivitäten suchen; aber natürlich wurden auch Beziehungen weiterentwickelt, die schon lange existierten (etwa zu der Diakonie oder Caritas vor Ort). Manchmal ergeben sich dann auch (4) überraschende Raumlösungen.

Meiner Wahrnehmung nach erscheint es besonders verheißungsvoll, wenn hybride Räume geschaffen werden – also: die Gemeinde weiterhin im Raum bleibt und mit anderen Akteur*innen im selben Raum agiert: unmittelbar miteinander, weil z.B. eine flexible Stuhllösung in der Kirche es leicht macht, sonntags Gottesdienst zu feiern und unter der Woche zu einem erschwinglichen Mittagessen im Stadtquartier einzuladen, eine Hausaufgabenbetreuung und einen Jugendtreff anzubieten; aber auch durch das Abtrennen von Teilräumen, so dass dann z.B. eine Kita in die zu groß gewordene Kirche einziehen kann. Wenn dabei die Kirche als Kirche erhalten bleibt, bleibt auch die Möglichkeit bestehen, dass sich das Selbstverständnis von Kirche weitet und gleichzeitig die sozialdiakonische Arbeit auf Kirche bezogen bleibt; es entstehen neue dritte Orte, an denen Evangelium in sozialdiakonischer und liturgischer Dimension kommuniziert wird.

 

Impulse

(5) So kann und wird das Verständnis von Kirche in Bewegung bleiben: Die Gemeinde, die sich zum Gottesdienst trifft, ist zugleich die „Kirche für andere“. Der Gottesdienst findet nicht nur am Sonntagmorgen statt, sondern all das, was sonst im Kirchenraum geschieht, ist „Gottesdienst im Alltag der Welt“ – und beide bleiben aufeinander bezogen. Vormals feste Unterscheidungen von „kirchlich-religiös“, „diakonisch“ und „kulturell“ werden brüchig und fluide. Kirche lässt sich neu entdecken, in die vermeintliche „Baulast“ zieht neues Leben ein und Kirche erweist sich als „steinreich“ und daher menschenfreundlich.

 

Lassen Sie uns darüber gemeinsam nachdenken – und nicht nur das: lassen Sie uns selbst aktiv werden und Andere vor Ort dazu ermuntern und befähigen, damit die Kirche im Dorf und in der Stadt da und Teil der Zivilgesellschaft bleibt. Der 31. Kirchbautag 2025 in Berlin lädt mit dem Motto „Wirklichkeiten und Wege“ vom 11. bis 13. September gezielt zum Gespräch und intensiven Austausch ein und gibt in Vorträgen, Exkursionen und Workshops eine Menge Impulse, die viele Kirchenräume offen und lebendig halten können.1

Das Programm für den Berliner Kirchbautag ist seit dem 25. Februar 2025 im Internet zu finden:

www.kirchbautag.de

 

Anmerkung

1 Ausführlichere Überlegungen zu diesem Thema finden sich in: Kerstin Menzel/Alexander Deeg (Hg.), Diakonische Kirchen(um)nutzung, Sakralraumtransformationen 2, Münster 2023.

 Alexander Deeg

 

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 3/2025

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