Am 11. März 1955 wurde die Punk-Sängerin Nina Hagen in Ost-Berlin geboren. Nach einer mit Auszeichnung abgeschlossenen Gesangsausbildung hatte sie erste Erfolge in der DDR. 1976 ging sie in den Westen und wurde eine Rocksängerin von Weltrang. Sie wird demnächst 70 Jahre alt.

Ich möchte dazu anregen, ihre wunderbare Autobiografie „Bekenntnisse“ zu lesen. Alle Themen christlicher Lehre kommen hier vor. Ich bin (trotz des mir fremden Temperamentes) durch dieses Buch in meinem Glauben bereichert worden wie von kaum bei einem anderen. Und es hat mir wertvolle und lebendige Anregungen für Predigten gegeben. Es geht in Ninas Buch um alles: Schöpfung und Geburt, Sünde und Vergebung, um den Heiland Jesus Christus, um Verzweiflung und Hoffnung, um Gottessuche und um das Glück der Geborgenheit in Gott.

 

1. Geburt und Schöpfung

„Als Reiter auf den Geburtswehen unserer Mütter werden wir geboren und auf diese Erde geworfen, ohne dass wir uns aussuchen können, wie oder wann oder wo. Waaahnsinn!! Und warum? Weil wir geliebte Kinder eines lebendigen Gottes sind. Ich glaube nicht an den Zufall. Aber ich glaube an Gott, oh ja, hipp, hipp, hurra! … Das Leben ist nicht banal! Mich, Nina Hagen, gibt es, weil ich von jenseits der Stürme und der Sterne her und von jenseits der Zeit gewollt und gewünscht bin. … Auf die Sekunde genau, in der Er es wollte. Ich kam auf die Erde, wurde geboren, keinen Meter neben der Stelle, an der Er es in seinem Plan wollte. Ich kam auf der Erde an mit einem mindestens so präzisen Auftrag wie James Bond, als man ihn nach Moskau schickte, um die Welt zu retten. … „Super Abba! Dein Wille geschehe.“ – „Meine Mutter erinnerte sich später, dass sie während der Entbindung dachte: ,Einer von uns beiden überlebt die Prozedur nicht, vielleicht keiner.‘ So eine Viecherei war das. Aber als das Kind ausgeschlüpft war, war die Erde das Paradies.“

Ich liebe besonders diesen kleinen Satz: „Das Leben ist nicht banal.“ Wir begreifen, wir kommen aus der Ewigkeit und gehen in die Ewigkeit, und das gibt unserem Tun, Denken und Erleben und Leiden ewige Bedeutung. Unser Leben ist keine Bagatelle – es ist bedeutsam, wohl weit hinaus über das, was wir ahnen können.

 

2. Heile und kaputte Welt

Nina lernt beides kennen, die kaputte Welt und Reste der heilen Welt. Sie ahnt, wie die Eltern sich lieben, dann aber streiten, schlagen und sich scheiden lassen. Die Scheidung ist für ihre Kinderseele eine Katastrophe. Sie hat aber auch eine fromme Großmutter, die ihr viel Geborgenheit schenkt. Und sie erlebt die Fürsorge von Tanten und Nenn-Tanten wie den Himmel auf Erden. Auch im Kindergottesdienst einer Gemeinde fühlt sie sich zuhause. Und in der Nähe ihres Vaters erfährt sie eine unendliche Geborgenheit. Der Vater, „Halbjude“, hatte im Nazi-Zuchthaus Fürchterliches erlebt und dann später unter der SED gelitten. „Er hatte so viele teuflische Dinge erlebt, dass es ihm versagt blieb, an einen gütigen Gott zu glauben.“ Ihr Vater war sozialistischer Atheist. Aber von diesem Atheisten hat Nina doch, wie sie selbst sagt, die ersten Lektionen über Gott gelernt: Seine Güte und Liebe haben in ihr ein Urvertrauen wachsen lassen.

 

3. Wie man so reinrutscht

So geht es wohl manchen oder vielen von uns: Ehe man sich versieht, macht man böse Erfahrungen und gerät auf eine abschüssige Bahn. Nina war zwölf, als eine Freundin sie auf eine Party mitschleppte, wo es Drogen und Sex gab. In diesem Milieu hatte sie mit zwölf Jahren ihr erstes sexuelles Erlebnis: „Plötzlich steckte der Junge seine Zunge in meinen Mund. Ohne Vorwarnung. Ich denke: Wie jetzt, watt jetzt, das darf doch wohl nicht wahr sein! Wer hat sich denn so’n Schwachsinn ausgedacht!“ Nach dem Kuss folgte noch mehr, und mit 13 hat Nina sich dann wirklich verliebt und zum ersten Mal mit einem Jungen geschlafen.

 

4. Liebe und Verrat

Ihre erste Liebe, mit 13 Jahren, bezeichnet sie als eine große Liebe. Sie hat das Bild und den Namen des Jungen noch heute in ihrem Herzen. Sie hat ihm sogar Liebe bewahrt. Aber er hatte sie schnell verraten und verlassen und ihr so unendlich weh getan. Nina: „Man sollte nicht verlassen, sollte nicht verlassen werden, wenn man liebt und geliebt wird. Das ist die Wahrheit. Liebe ist etwas Absolutes. Verlassen geht eigentlich gar nicht. Denn jedes Verlassen sagt nur: Es war nicht Liebe.“

Das ist ein gewaltiger Satz gegen den Zeitgeschmack: „Jedes Verlassen sagt eigentlich nur: Es war nicht Liebe.“ Nina weiter: Jedes Verlassen bedeutet, es war höchstens irgendetwas, „das hilflos versucht, so zu werden wie Liebe“.

 

5. Gott ist die Liebe

Nina hat immer und immer wieder geliebt und ist immer und immer wieder verlassen worden. Es war wohl Anfang der 1970er Jahre, als sie eine besondere Gotteserfahrung machte. Dabei spielten Drogen eine Rolle. Nina warnt vor Drogen und rät allen dringend davon ab, sie zu probieren. Sie führen zu grausamen Qualen und bringen den Menschen an den Rand des Todes. Aber Nina besteht darauf, dass diese Gotteserfahrung unter dem Einfluss von Drogen doch etwas gewesen ist, worin Gott sich ihr persönlich in überwältigender Weise gezeigt hat. Nach den Höllenschmerzen erfährt sie Gottes Nähe. Das sollte zwar kein Mensch versuchen, aber Gott „kann“ das. Er kann sogar in der Hölle sich zeigen.

Sie beschreibt die „Vision“ selbst. Mitten aus dem Erleiden von Höllenschmerzen ruft Nina zu Gott: „O mein Gott, hilf mir doch.“ – „Dann kommt es. Ich höre SEINE Stimme. Sie spricht mich ganz sanft und voller Liebe an: ‚Nina! Du hast mich gerufen. Ich bin hier, um dir zu helfen!‘ … Ich sehe einem wunderschönen jungen Mann ins Gesicht, der mich mit seiner riesigen, mich allein meinenden Liebe anblickt. Ich drehe mich schnell um, denn ich denke, da muss wohl hinter mir jemand sitzen, dem seine große Liebe gilt. Aber hinter mir ist nur die Wand. In dem Augenblick begreife ich: ,ER LIEBT MICH.‘ Aber er liebt mich mit einer derart großen Liebe, wie ich sie noch nie kennengelernt habe. Er liebt mich so unbeschreiblich doll, dass ich mir die Augen reiben muss. … Und ich erkenne Ihn: ,DAS IST DER LIEBE GOTT, … Gott und JESUS zugleich.‘ Was sich mir zeigt, ist die absolute Liebe Gottes in Person.“

Und als erstes hat nun Nina eine Frage auf den Lippen, sie brennt der so vielmals Verlassenen im Herzen: „Lieber Gott gehst du etwa wieder weg, wie all die anderen?“ Und Gottes Antwort lautet: „Nein! Ich bin immer da! Ich war immer da! Ich werde immer da sein.“ Das ist natürlich eine Parallele zu Ex. 3,14: „Ich bin der, der ich bin. – Ich werde der sein, der ich sein werde.“

Die Stelle Ex. 3,14 ist mir noch nie so nahe gekommen wie in diesem Zusammenhang bei Nina Hagen. Da sind all die Männer, die Nina verlassen haben – und nun dies: „Ich bin immer da und ich werde immer da sein.“ Die Vision schließt mit Musik mit „menschlichen Stimmen, die so unerhört überirdisch den Namen Gottes singen, dass man für immer zuhören möchte, sooo schön ist das. Eine leuchtende Fuge, ein Kanon aus immer neu sich umrankenden, menschlichen Stimmen, so, als würden sie auf einer kosmischen Akustikfläche vollendet schöne Schlittschuh-Pirouetten drehen. Gesang gewordene Liebe, tönender Respekt, klingende Ehrfurcht.“

 

6. Abtreibung, Sünde und Vergebung

Aber zurück zur irdischen Liebe. Die sexuellen Erfahrungen, die Nina in so jungen Jahren erlebte, haben Folgen. Nina wurde mit 15 das erste Mal schwanger und musste eine Abtreibung über sich ergehen lassen. Mit 16 geschah das gleiche nochmals. Sie ist noch heute darüber schockiert, wie die Erwachsenen damals auf sie eingeredet haben, die Kinder abzutreiben: „Geradezu atemlos rieten sie mir alle zur Abtreibung. Jeder, den ich fragte. Alle.“ Abtreibung ist ein Vergehen gegen Gottes Ordnung und Gebot, Sünde.

Wie sieht Nina das heute: „Wer mich der ‚Sünde‘ vor Gott anklagen will, der soll wissen, dass ich in Jesus Christus geborgen bin und Er mir meine Sünde vergab! Ich habe auch nicht wissend gesündigt. Zur Sünde gehören Wissen und Freiheit. Ich wusste es nicht besser. Sollte das ‚Sünde‘ gewesen sein, dass ich verzweifelt nach der wahren Liebe suchte. … Gott sah alles und fing meine Fehler und die in mir werdenden menschlichen Wesen auf. Welch glückliche Schuld, die solch einen Heiland gefunden. Ich werde sie (diese im Mutterleib werdenden Kinder) wiedersehen. Bei Gott kommt nichts um.“ Und an anderer Stelle: „Ich habe alles, was mein Gewissen belastet, an meinen Rechtsanwalt und Jesus Christus abgegeben. Rabbi Jesus is my advocate.“

 

7. Hoffnung

„Wir rennen wie die Idioten rechts und links an der Wahrheit vorbei … Und wenn wir eines Tages im Himmel ankommen, dann hängt uns noch Scheiße an den Schuhen und der Staub der Straße in den Klamotten. … Vielleicht ist das ja der Sinn des alten Wortes ‚Fegefeuer‘ – dass wir uns noch ein bisschen schön machen für das finale Highlife bei Gott, die Fete der Ewigkeit. Ich habe keine Probleme mit einer doppelten Welt, einer sichtbaren endlichen und einer (noch) unsichtbaren unendlichen. … Jesus wird mich niemals im Stich lassen – das ist für mich ein Riesenmysterium und ein Riesengrund zur Riesenfreude forever und ever. Halleluja!! Amen. I praise the Lord! … Liebster GOTT in space / wenn wir dich treffen face to face / dann gibt’s nichts mehr zu jammern.“

 

8. Drogen und Gottes Hilfe

Nina hatte so manche Erfahrungen mit Drogen. Sie warnt grundsätzlich davor, sich mit Drogen einzulassen. Trotzdem: Gott kann sich in seiner Retterliebe selbst unter diesem Teufelszeug uns zuwenden. Bei der Erfahrung, die Nina hier beschrieben hat, handelte es sich um LSD. Später hat sie sich nochmals mit Drogen eingelassen. Mit LSD hatte Nina höllische Erfahrungen, aber Gottes Gnade hat ihr doch einen Spalt geöffnet, dass sie auch in der Hölle das Licht sehen konnte. Mit dem Kokain ist es anders. Im Kokain gibt es kein Licht: „Ich bezeuge, dass Kokain eine teuflische Droge ist. Und wer ihr verfällt, verfällt dem Teufel.“ Das letzte Mal Kokain nahm sie 1989 im Kreise von Freunden: „An diesem Abend hat mein Freund viele verschiedene Drogen konsumiert … Er wand sich unter Schreien und Schmerzen am Boden, schäumte aus dem Mund und hörte sich an wie ein von Dämonen Besessener. Acht Freunde mussten ihn festhalten, ihn binden, denn er entwickelte übergroße Kräfte, wollte sich auf mich stürzen und mich umbringen. Das Ganze ging über viele Stunden hinweg. Ich fing an zu beten. Nach vielen Stunden wurde mein Freund ruhiger und fing an zu flehen: ‚Nina, hilf mir doch.‘ Ich dachte mir nichts Böses, als er mich bat: ,Nina küss mich!‘ Er wurde zu diesem Zeitpunkt immer noch festgehalten. Ich dachte, er ist wieder bei Sinnen, aber ich sollte mich gewaltig irren. Als ich mein Gesicht über ihn beugte, um ihm einen Kuss zu geben, sog er meine Zunge in seinen Mund und biss ganz scharf zu. Es kam mir vor, als sei ich in diesem Schmerz gefangen für alle Ewigkeit. Ich schrie innerlich zu Gott. Plötzlich löste er seinen Biss von meiner Zunge und ich war wieder frei. Ich fuhr sofort zum Notarzt. Meine Zunge tat wochenlang höllisch weh.“

Viele Freunde von Nina haben sich unter dem Einfluss von Drogen das Leben genommen. Nein, unter dem Einfluss von Kokain zeigt Gott sich nicht. Aber Gott kann von der Droge befreien. „Ich würde heute nicht mehr leben, hätte ich nicht zu Gott geschrien und hätte er mich nicht gehört und besucht, geheilt und gerettet. … Gott lebt. Er liebt uns und will uns aus unserer Gefangenschaft retten … Dafür danke ich Gott, dass er mich vom dämonischen Kokain (und dem Umgang mit Menschen, die Kokain konsumieren) errettet hat.“

Es ist ein vielfach kaputtes Leben, das Nina beschreibt und auf das sie in ihren „Bekenntnissen“ zurückblickt. Aber sie lebt in der Gewissheit: „Gott sieht mich in seiner Liebe und Wahrheit. Er kennt meine Schwächen und meine Verletzungen. Er blickt mich mit unendlicher Liebe und Verständnis an, mich, sein (manchmal sehr armes, krankes, alleinegelassenes aber, Ihm sei Dank, niemals einsames) Kind. Denn in seinem Ansehen werde ich gesund. Immer und immer wieder. ­Because Jesus is the healer! The doctor! Gott ist der Heiler, der Arzt, der Retter und Fels meines Heilwerdens!“

 

Literatur

Nina Hagen: Bekenntnisse, Pattloch München 2010, (ISBN 978-3629022721)

 

 Thomas Schleiff

 

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 2/2025

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