Der Konvent trägt zusammen, was im Bereich Kasualien und Segen läuft und geplant ist. Die Pinnwand zum Bereich Segen läuft über. Hier schlägt das Herz. Segen zur Ein-, Um- und Ausschulung, Segen zur Scheidung und für Patchworkfamilien, zum Valentinstag und im Advent, mit Handauflegen und Salböl, beim Pilgern und zum Ferienbeginn an der Autobahn, Kindersegnung zu Beginn und Aussegnung am Ende, … – es gibt keine Situation, die keinen Segen verträgt.

 

Segen boomt

Das Segensbüro Berlin preist die Breite seines Segensangebots so an: „Die großen Übergänge und Feste des Lebens feiern wir mit Gottes Segen. Wir sind davon überzeugt, dass auch alles dazwischen segenswert ist: Schulanfang, Studien- oder Ausbildungsbeginn, der Auszug der eigenen Kinder, die erste große Liebe, das Leben als Patchwork- und Bonusfamilie, Trennungen oder Scheidungen, die Menopause, ein geplantes Outing vor Familie und Freunden, eine bevorstehende oder durchgeführte Geschlechtsangleichung und das damit einhergehende neue Leben, der Tod eines Haustieres, eine große Reise …“ (www.segensbuero-berlin.de)

Warum boomt der Segen? Ist er unser (letzter?) Anker in einer säkularer werdenden Welt, wenn andere Formen nicht mehr gehen? Ich kenne das aus eigener Erfahrung. Wenn ich unsicher bin, wie viel Religiöses eine Situation verträgt: Segnen geht (fast) immer. Ich erlebe, wie ein Segensgottesdienst für viele wertiger ist als ein Abendmahlsgottesdienst. Woran kann das liegen? Der Segen kann persönlich zugesprochen werden – er gilt nur mir und nicht der Gemeinde, wie beim Abendmahl. Er ist nicht an befremdliche Symbolik wie das Blut Christi gebunden. Er basiert nicht auf Vorannahmen eines gestörten Gottesverhältnisses – gesegnet werden kann man auch, wenn alles in Ordnung ist. Und der Segen kommt ohne Dogmatik aus: Er braucht keine Kreuzestheologie, ist überhaupt nicht spezifisch christlich – er kann sogar ohne jeden Gottesbezug gespendet werden.

Das macht den Segen attraktiv: Er tut keinem weh, er fordert nichts, kein Bekenntnis, kein Handeln. Der Segen ist Geschenk. „Wir sind Euer Dienstleister“ heißt es passend auf www.bayern-evangelisch.de. Oder beim Segensbüro Neukölln: „Wann immer Segen guttut, verschenken wir ihn.“ Das Ziel des Segens ist die Förderung von Glück und Gedeihen oder die Zusicherung von Schutz und Bewahrung. Segen ist mithin ein einseitiges Geschehen. Gott oder ein Mensch geben einem anderen etwas, der Empfangender ist. Segen ist ein Geschenk, das zu nichts verpflichtet.

 

KMU 6

Segen kommt in der KMU 6 (fast) nicht vor. Der Konnex von Segen und KMU 6 steht also auf wackeligen Füßen. Mein Ansatzpunkt ist die gesellschaftliche Reichweite von Kirche. Ein zentrales Ergebnis der KMU 6 ist die bleibend hohe gesellschaftliche Reichweite. Nach wie vor haben viele Menschen Kontakt zur Kirche: Sie kennen ihre Pfarrerin, waren in einem Kirchengebäude und nutzen das Diakoniekrankenhaus. Die Teilnahme an kirchlichen Angeboten für Kinder und Jugendliche bleibt stabil. Auch unter den Konfessionslosen hatten ein Drittel im vergangenen Jahr Kontakt zu kirchlich Beschäftigten, besonders Pfarrpersonen.

Nach wie vor haben sehr viele Menschen Kontakt zur Kirche, aber sie werden deswegen nicht kirchlich oder religiös. Gesellschaftliche Reichweite und abnehmende Kirchlichkeit und Religiosität driften auseinander. Wie bei einem schwach verwurzelten Baum mit großer Krone birgt das Risiken.

Natürlich gibt es in der Gruppe der Verbundenen nach wie vor viel Ehrenamtlichkeit, aber die meisten Menschen bleiben in einer Zuschauerrolle. Sie sind offen für kirchliche Angebote, zumindest dort, wo Kirche sich auf ihre Bedürfnisse einlässt, Beratungsstellen unterhält, als Campingkirche die Kinder betreut – oder eben segnet. Das führt aber nicht zu Verbundenheit. Es gibt starke Mitnahme-Effekte, so wie man den Kuli oder die Tasche vom Werbestand mitgehen lässt, ohne deswegen das Produkt zu kaufen.

 

Glaube als reziprokes Geschehen

Es ist zu begrüßen, dass Kirche sich hier auf die Suche nach einem Bedürfnis von Menschen macht. Wir warten nicht, ob jemand anklopft. Wir bieten offensiv etwas an, generieren und verstärken Nachfrage. „Publik Forum“ beschreibt im Titel eines Berichts über das Segensbüro Neukölln eine Ambivalenz: „Es könnte die Rettung vor der Bedeutungslosigkeit sein – oder der Ausverkauf des Glaubens.“ (https://www.publik-forum.de/religion-kirchen/das-heilige-event)

In der Tat weist der Segens-Boom theologische und praktische Schwachstellen auf: Segen ist biblisch mehr als Zuspruch: „Ein Segen sollst du sein“ (Gen. 12,2). Auch der Mensch ist berufen zu segnen, also anderen Gutes zu tun. Gottes Segen ist ein Initial, dass den Menschen zur Nachahmung ruft (ist unser gängiges „einlädt“ nicht viel zu schwach?). Und es gibt ein Segnen, das von der Erde zum Himmel, zu Gott aufsteigt: Der Mensch soll Gott segnen, ihn loben und damit in eine wechselseitige Beziehung treten. Eine bloße Geschenkbeziehung bleibt univok. Der eine ist aktiv, der andere passiv. Tätig sein und empfangend sind verteilte Rollen. Das ist ein eigenartiges Beziehungsmodell, es hält den Empfangenden in der Rolle des Kindes. Wollen wir als Kirche in eine paternalistisch-versorgende Rolle gehen – insbesondere, da wir als evangelische Kirche über keinen von den Heiligen gefüllten Schatz verfügen, aus dem wir großzügig verteilen können? In der Bezeichnung als Hirten – und nicht Trainer – läuft dieses Betreuerethos noch mit. Mein Verdacht ist, dass darin auch eine gewisse Bequemlichkeit mitschwingen kann: Einem geschenkten Gaul guckt man nicht ins Maul. Die Menschen sind dankbarer und weniger kritisch, wenn man ihnen etwas schenkt.

Im Verhältnis zu Gott hat die Asymmetrie ihre partielle Berechtigung. Wir beten zu ihm als Vater, er ist kategorial von uns unterschieden – aber auch hier gab es zu Recht Einsprüche hin zu reziprokeren Beziehungsmodellen, die den Gläubigen eine mündigere Rolle geben. Glaube ist ein Antwortgeschehen. Gott wünscht sich den Menschen als Gegenüber. Im Zusammenspiel von Taufe und Konfirmation haben wir das passend abgebildet als Wort und Antwort. Glaube ruft in die Nachfolge: Mit „Gabe und Aufgabe“ umschreiben wir den reziproken Charakter des Glaubens.

 

Problem Ressourcenausstattung

Und es gibt praktische Probleme: Wer etwas verschenken will, muss auch etwas zu verschenken haben, eine gut gefüllte Kirchensteuerkasse und ausreichend hingabewillige Ehrenamtliche etwa. Als das Modell „Kirche für andere“ aufkam, war unsere Ressourcenausstattung gesichert: Die Beschenkten waren kirchensteuerzahlende Mitglieder. Eine luxuriöse Lage war das, die global kaum eine Kirche so hat. Aber was tun wir, wenn die Ressourcen nicht einfach gegeben sind? Verschenken wir das Tafelsilber wie Bischof Nikolaus den Kirchenschatz, um Getreide für die hungernden Bewohner Myras zu besorgen? Hoffen wir, dass wie bei der Speisung der 5000 die Gaben sich im Geben wundersamerweise vermehren? Ich habe Achtung vor Menschen, die sich im Vertrauen auf Gott hingeben. Aber mit unserer gesicherten Lohnzahlung geben wir nicht uns hin, sondern die Mittel der anderen. Aber sich selbst zu riskieren, beglaubigt die Hoffnung auf Wunder.

Oder erwarten wir, dass unsre Großzügigkeit doch irgendwann missionarische Erfolge hat – auch ohne Nachfolgeruf? Ist das realistisch erwartbar, wenn ein Großteil unseres diakonischen Engagements nicht erkennbar vom Glauben getragen ist? Oder wenn der Beschenkte zwar den Glauben des Schenkenden wahrnimmt, ihn vielleicht sogar bewundernswert findet, aber gar nicht merkt, dass dies auch ein Weg für ihn sein könnte? Auch die bewundernswerte Innere Mission des 19. Jh. hat die Hilfsempfänger kaum zu Kirche und Glauben geführt.

 

Hat die „Verschenke-Kirche“ ausgedient

Die KMU 6 zeigt deutlich, dass die Verschenke-Kirche von der religiösen und finanziellen Substanz lebt. Wir sonnen uns in großer gesellschaftlicher Reichweite. Auch der Segens-Boom verschafft uns Anknüpfungspunkte und Relevanz. Aber wir erkaufen uns das – wenn wir einseitig auf eine Verschenke-Kirche setzen – mit Schwächen im Verständnis des Glaubens und fehlender Nachhaltigkeit. Kirche und Glauben reproduzieren sich so anscheinend nicht, sie verflüchtigen sich zunehmend. Damit gibt es bald keine Verschenkenden mehr und nichts zu verschenken. Das Modell ist nicht nachhaltig. Wir können darauf mit einer vagen Erwartung reagieren, dass es uns die Menschen oder Gott vielleicht doch noch irgendwann einmal danken werden oder indem wir unser Programm überarbeiten: Vielleicht wollen die Menschen lieber als erwachsene, leistungsfähige und verantwortliche Menschen in Anspruch genommen werden? Vielleicht will Gott sich nicht immer nur verschenken, sondern ein Gegenüber?

Sicherlich gibt es unterschiedliche Situationen, die unterschiedliche Schwerpunkte verlangen. Sicherlich sind Segensbüros und überraschende Formen des Segnens dran. Aber ich möchte hinweisen auf eine Schlagseite, die unserem Glauben nicht entspricht, und die wir uns gegenwärtig nicht mehr leisten können.

 

 Detlef Lienau

 

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 2/2025

2 Kommentare zu diesem Artikel
01.03.2025 Ein Kommentar von Eberhard Steinborn Es sind zwei Aussagen, die wichtig sind 1. wann wird etwas behalten 2. was für Aussagen führen zu Entscheidungen Ohne eine fundierte Aussage dazu, gehen alle Missionsbemühungen zwangsläufig ins Leere.
14.02.2025 Ein Kommentar von Eberhard Steinborn Es ist das fehlende Wissen von Prozessen, d.h. nach dem Segnen müßte etwas folgen. Was? Das Angebot auf die Suche nach einem Lebensmotto/ Konfirmationsspruch zu gehen. (Der Glaube ist so groß wie ein Senfkorn (Mat.17/20). So findest du den richtigen Konfirmationsspruch! bayern-evangelisch.de; Man ist nicht mehr Blatt im Wind und beliebig sondern zielorientiert. Der Konfirmationsspruch ist nicht statisch, roboterhaft sondern entwickelt sich in den Lebensphasen mit Hilfe der Gemeinde und dem Pfarrer. Wohin entwickelt sich dieses Lebensmotto? Zum DREIFACHGEBOT der Liebe, wobei Gott die Liebe selber ist.
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