Ein kluges Finanzmanagement in Kirchengemeinde und Diakonie ist in Zeiten turbulenter Kapitalwirtschaft sehr gefragt. Das Deutsche Pfarrerinnen- und Pfarrerblatt veröffentlicht in lockerer und unregelmäßiger Folge die Vorstellung des Portfolios von Instituten und Stiftungen aus einem christlichen Milieu – in dieser Ausgabe die ökumenische Genossenschaft „Oikocredit“.
Oikocredit ermöglicht ethisches Investment nach christlichen Werten
Seit ihrer Gründung vor 50 Jahren ist die Genossenschaft Oikocredit eng mit kirchlichen Kreisen und Unterstützern verbunden. Denn die Vision für nachhaltige und faire Geldanlagen entspringt christlichen Werten. So haben die Weltkirchen in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr anerkannt und öffentlich darauf hingewiesen, dass Fehlfunktionen der Weltwirtschaft und eine reine Wachstumsideologie, die sowohl den Menschen als auch der Umwelt schadet, dringend korrigiert werden müssen. Achtsamkeit statt Ausbeutung, Gerechtigkeit statt einseitiger Gewinnmaximierung – in diesen Forderungen stehen Theolog*innen, Pfarrer*innen und kirchliche Institutionen Seite an Seite mit zahlreichen Wissenschaftler*innen und Vertreter*innen der Zivilgesellschaft. Und dabei geht es nicht etwa um den Appell an Mitleid oder Wohltätigkeit. Vielmehr sind die Menschen rund um den Globus zu universaler Solidarität verpflichtet, um dem christliche Schöpfungsgedanken gerecht zu werden, wonach jeder Mensch das gleiche Recht auf ein menschenwürdiges Leben hat.
Kirchliche Rücklagen für Solidarität und Frieden
Solidarität statt Almosen – genau darum geht es seit einem halben Jahrhundert auch bei Oikocredit. Den Stein ins Rollen brachten engagierte Mitglieder bei der Tagung des Ökumenischen Rates der Kirchen 1968 im schwedischen Uppsala. Die Vision: Kirchliche Rücklagen sollten zu einer positiven Entwicklung in der Welt beitragen, ökonomische Werte sowie Solidarität und Frieden fördern. Die Lösung: ein ethischer Investitionskanal. Dieser wurde sieben Jahre später Wirklichkeit – mit der Gründung der ökonomischen Entwicklungsgenossenschaft Oikocredit (Ecumenical Development Cooperative Society, EDCS) 1975. Möglich machten das seinerzeit engagierte junge Kirchenmitglieder, die mit ihrer Überzeugung – ähnlich der Fridays-for-Future-Bewegung in der Klimadebatte heutzutage – einen entscheidenden Bewusstseinswandel herbeiführten. Heute, fast 50 Jahre später, zählen 93 Kirchen und 85 kirchennahe Organisationen zu den institutionellen Anlegern von Oikocredit – mit kleineren, eher symbolischen Investments mit 500 Euro bis zu mehreren Millionen Euro. Jeder Euro wirkt: So unterstützt etwa ein Investment von 20.000 Euro 59 Kleinbäuerinnen und Kleinbauern.
Kreislauf für ethisches Investment
Das Genossenschaftsprinzip von Oikocredit setzt den Gedanken der globalen Solidarität in die Tat um: Oberstes Ziel ist, Menschen in der ganzen Welt, die nur über ein geringes Einkommen verfügen, zu unterstützen. Damit sie für sich selbst, ihre Familien und ihre Gemeinschaften ein besseres Leben aufbauen können. Und das funktioniert so: Jede*r – ob Privatperson oder Organisation – kann bei Oikocredit Geld anlegen. Mit diesem Kapital finanziert die Genossenschaft sozial orientierte Unternehmen in Afrika, Asien und Lateinamerika. Das sind z.B. Genossenschaften für kleinbäuerliche Betriebe, Mikrofinanzinstitute zur Förderung von kleinsten oder kleinen Unternehmen oder Betriebe im Bereich erneuerbare Energien. Die Mikrofinanzinstitutionen (MFI) vergeben einerseits Mikrokredite zu fairen Bedingungen an Kleinunternehmer*innen und bieten andererseits zusätzlich Schulungen und Beratungen für sie an. Die Unternehmer*innen zahlen das Geld an die MFIs zurück, die ihrerseits ihr von Oikocredit erhaltenes Darlehen damit refinanzieren. Das Kapital, das wieder bei der ethischen Genossenschaft eingeht, kann zur Finanzierung weiterer sozial und ökologisch nachhaltiger Projekte genutzt werden: ein fortlaufender Kreislauf ethischen Investments.
Dieser unterstützt auf der einen Seite benachteiligte Menschen im Globalen Süden, die keinen oder nur unzureichenden Zugang zu formalen Finanzdienstleistungen haben. Das sind weltweit rund 1,4 Mrd. Menschen. Sie haben keine Sicherheiten, kein Bankkonto, keine Ersparnisse, keinen Versicherungsschutz und keinen Zugang zu Kapital. Sie sehen oft keinen anderen Ausweg, als sich Kredithaien und Zinswucherern auszuliefern, womit sie immer weiter in die Armuts- und Schuldenfalle geraten. Oikocredit bietet mit ihren Partnerunternehmen diesen Menschen stattdessen maßgeschneiderte Mikrofinanz-Dienstleistungen zu fairen Konditionen – und somit eine echte Chance auf ein besseres Leben.
Ressourcen müssen geteilt werden
Oikocredit zahlt seinen Anleger*innen nach Möglichkeit eine Dividende. Diese lag bisher bei maximal zwei Prozent. Jedoch sind bei Oikocredit jene gut aufgehoben, denen es nicht um möglichst hohe finanzielle Rendite geht, sondern um maximale soziale Wirkung.
Schon in der Bibel wird an zahlreichen Stellen klar: Geld zu erwerben und zu vermehren ist nicht per se etwas Schlechtes oder Unchristliches. Worauf es ankommt, ist die Bereitschaft, verantwortungsvoll mit den eigenen Ressourcen umzugehen und Gewinne solidarisch zu teilen. „Denn Gott liebt den, der fröhlich gibt“, heißt es etwa in 2. Kor. 9,6f. Und als Vorbild nennt die Bibel das Beispiel Hiobs: „Und der Herr wandte das Geschick Hiobs, als er für seine Freunde bat. Und der Herr gab Hiob doppelt so viel, wie er gehabt hatte.“ (Hiob 42,10)
Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass niemand wirklich reich und glücklich werden kann, solange es nicht alle sind. „Wenn einer leidet, leiden alle gemeinsam; wenn einer geehrt wird, freuen sich alle gemeinsam.“ (1. Kor. 12,26) Genau in diesem Sinne wird bei Oikocredit aus Geld „gutes Geld“. Wie sehr, das zeigt ein Blick auf die Wirkungsgeschichte der vergangenen fünf Jahrzehnte.
Auf die Wirkung kommt es an
Drei Jahre nach seiner Gründung gewährte Oikocredit ein erstes Darlehen für ein Wohnungsbauprojekt in Indien. Inzwischen werden 53 Mio. Menschen in 33 Ländern des Globalen Südens durch von Oikocredit geförderte Finanzdienstleistungen erreicht. Eine Milliarde Euro betrug die Bilanzsumme im Juni 2024. Knapp 47.000 Anleger*innen weltweit – davon fast 24.000 in Deutschland – vertrauen dem ethischen und nachhaltigen Modell von Oikocredit. Die Genossenschaft arbeitet ihrerseits mit 512 Partnerunternehmen zusammen. Und immer geht es dabei um die soziale Wirkung. Einheimische Fachkräfte in den Oikocredit-Länderbüros wählen die Partner sorgfältig aus und betreuen und beraten sie vor Ort.
Das Engagement von Oikocredit und ihrer Anleger*innen wirkt auf vielfache Weise: Es ermöglicht wirtschaftlich benachteiligten Menschen, ihre Lebenssituation aus eigener Kraft zu verbessern; es entstehen Arbeitsplätze und die lokale Wirtschaft wird angekurbelt. Durch Oikocredit und seine Partner konnten bislang 12,7 Mio. Arbeitsplätze weltweit geschaffen oder erhalten werden. Auch das ist ganz im christlichen Sinne: Arbeit schafft Sinn und die Möglichkeit, ein würdiges Leben zu führen. Der Ansatz von Oikocredit wird gerne auch als „Empowerment“ beschrieben. Wer „ermächtigt“ wird, der kann selbstwirksam sein.
Kleinbäuerliche Landwirtschaft als ein Schwerpunkt
Ramón Monges aus Paraguay ist einer von vielen, die mit Hilfe eines Oikocredit-Partners ihre Lebenssituation entscheidend verbessern konnten. Der biologisch wirtschaftende Landwirt baut neben Zitronen auch Pampelmusen, Limetten und Orangen an. Seine komplette Ernte verkauft er an die Genossenschaft La Norteña. Diese verarbeitet die Fruchtschalen und Kräuter von 1800 Erzeugerbetrieben weiter und bereitet sie für den Export vor. Monges ist mit seinem Betrieb seit 2014 Mitglied bei La Norteña. Er profitiert besonders vom besseren Marktzugang für seine Produkte über die Genossenschaft, z.B. zum Markt für Bio- und Fair-Trade-Produkte.
Monges und seine Geschichte stehen stellvertretend für das Engagement im Bereich kleinbäuerliche Landwirtschaft, das bei Oikocredit einen Schwerpunkt bildet. Denn die weltweit über 500 Mio. kleinbäuerlichen Betriebe spielen eine entscheidende Rolle für die Lebensmittelproduktion, Ernährungssicherheit und Schaffung von Einkommen. Doch sie sind großen Herausforderungen durch den Klimawandel sowie mangelnde Finanzierung ausgesetzt. All dem können die Kleinbauern und -bäuerinnen mit Hilfe der Partnerorganisationen von Oikocredit besser begegnen. Durch nachhaltige und schonende Anbaumethoden tragen sie zudem selbst zu Umwelt- und Klimaschutz bei.
Finanzielle Inklusion und Förderung von Frauen
Menschen in entlegenen ländlichen Gebieten sind es auch, denen Oikocredit finanzielle Inklusion ermöglicht – ein weiterer Schwerpunkt des Engagements der Genossenschaft und ihrer Partner. 65% der Endkund*innen leben in solchen ländlichen Gebieten – 87% sind Frauen. Denn für sie ist der Zugang zu Krediten in vielen Ländern besonders schwer. Maria Pupiales aus Ecuador konnte diese Schwierigkeiten überwinden. Sie ist Inhaberin eines Stickereibetriebs. Mit Hilfe eines Kredits von Banco Vision Fund, einem Partner von Oikocredit, baute sie ihr Unternehmen aus und beschäftigt mittlerweile bis zu zwölf Frauen, je nach Auftragslage. Die 63jährige hat in Stoffe, Garn und eine Nähmaschine investiert. Zudem ermöglichten die Kredite Pupiales, ihr Haus auszubessern und ihre Familie zu unterstützen.
Investition in erneuerbare Energien
Ein dritter Investitionsschwerpunkt von Oikocredit sind die erneuerbaren Energien. Ein Beispiel dafür sind die solarbetriebenen Wasserpumpen der Partnerorganisation ECOZEN in Indien. Sie helfen ein gravierendes Problem der weltweiten Ernährung in den Griff zu bekommen: den Verfall von Lebensmitteln, noch bevor sie auf den Markt kommen. So gehen nach Angaben der FAO jährlich 30 bis 40% der Nahrungsmittel aus dem Globalen Süden aufgrund unzureichender Lagerungs- und Kühlmöglichkeiten sowie Schädlings- und Pilzbefall verloren. Um dem zu begegnen, hat ECOZEN das mobile, solarbetriebene Mini-Lagerhaus für Obst und Gemüse „Ecofrost“ entwickelt. Es kann den Lebensmittelverlust um 30% reduzieren. Durch den Betrieb mittels Solartechnik ist es hervorragend für den Einsatz in ländlichen Gebieten geeignet, die meist nicht an ein zentrales Stromnetz angeschlossen sind.
Die Wirkung lässt sich gut bei den Erdbeerbauern und -bäuerinnen im zentral-indischen Bundesstaat Maharaschtra beobachten: Ihre Ernte hält sich fünf- bis achtmal länger; die Einkommen der Bäuer*innen stiegen um bis zu 40%, weil sie ihre Erzeugnisse jetzt auch auf weiter entfernt liegenden Märkten verkaufen können. Kleinbäuerin Sathya Sai etwa nutzt Ecofrost für die Einlagerung von roten Chilis, um sie haltbarer zu machen und Verfärbungen zu vermeiden. Außerdem lagert sie Kurkuma-Stecklinge ein. „So kann ich einen besseren Preis erzielen, wenn die Nachfrage steigt“, sagt Sathya. Möglich wurde das alles durch die Kreditlinie, die Oikocredit dem Unternehmen ECOZEN seit 2021 zur Verfügung stellt. So konnte ECOZEN Betriebskapital in die Entwicklung und Herstellung der neuen Technologie stecken.
Doch ECOZEN ist nur ein Beispiel. Mit dem zweckgebundenen Portfolio von 58,6 Mio. Euro für erneuerbare Energien konnten Oikocredit und ihre Partner inzwischen 170.000 Haushalten einen Zugang zu sauberer Energie ermöglichen. 4.800 Haushalte nutzen saubere Energie für einkommensschaffende Maßnahmen.
Klimawandel und globale Krisen als neue Herausforderung
Die dargestellten Erfolge sind beeindruckend. Doch ein halbes Jahrhundert Oikocredit ist auch ein Anlass, in die Zukunft und auf neue Herausforderungen zu blicken. Angesichts globaler Probleme wie dem Klimawandel und Finanzkrisen geht es nun vor allem darum, „Resilience“, also Widerstandsfähigkeit der Endkundinnen und -kunden zu stärken – denn die Menschen im Globalen Süden sind besonders von diesen Phänomenen betroffen. Die Oikocredit-Strategie 2022-2026 setzt neben den genannten thematischen und zweckgebundenen Investitionsschwerpunkten noch auf einen weiteren Bereich: Künftig sollen mehr noch als bisher gezielt Gemeinschaftsprojekte gefördert werden – insbesondere in den Bereichen Wohnen, Sanitär, Wasser und Bildung – so z.B. die Einrichtung von Schulen in bislang benachteiligten Gebieten.
Mit den Investitionsschwerpunkten und den künftigen Fokussierungen wollen Oikocredit und ihre weltweiten Partner erheblich zu den „Sustainable Development Goals (SDGs)“, den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen beitragen, auf die sich die Weltgemeinschaft 2015 geeinigt hat.
Jede*r Einzelne kann etwas tun
Hunger in der Welt, Klimawandel, Unruhen – ein Zustand, der mit christlichen Werten völlig unvereinbar ist. Angesichts globaler Krisen kommt es mehr denn je darauf an, sich jetzt für andere einzusetzen. Es ist Zeit, wieder hoffnungsvoll in die Zukunft blicken, mutig zu sein und sich für eine gerechtere Welt einzusetzen. Dabei kann man/frau gleich in mehrfacher Weise tätig werden. Eine Investition bei Oikocredit, die bereits mit kleineren Beträgen ab 200 Euro starten kann, ist ein guter, erster Schritt. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, das Thema bekannter zu machen, Freunden und Verwandten von der Möglichkeit der ethischen Geldanlage zu berichten und Oikocredit zu Informationsveranstaltungen oder Workshops, etwa in die eigene Gemeinde, einzuladen. Getreu nach dem Prinzip: „Machen und Weitersagen“.
Oikocredit ist in Deutschland mit sieben Regionalbüros vertreten: https://www.oikocredit.de/regionalbueros
▬ Hannah Gebhard
Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 1/2025