Auch die Wahlen zum Europaparlament haben die Bedeutung digitaler Medien nicht nur für die Parteien aufgezeigt. Es geht um Zustimmung und Bindung. Den Stand digitaler Bindung in der Kirche untersuchte die Contoc2-Studie. Dabei handelte es sich um eine evangelische Nachfolgestudie des zwei Jahre zuvor durchgeführten internationalen ökumenischen Forschungsprojekts „Churches Online in Times of Corona“ (Contoc). Die aktuell gewonnene Stichprobe resultiert aus den Antworten von insgesamt rund 1500 kirchlichen Hauptamtlichen aus Deutschland und der Schweiz. Erstmals wurden in dieser Bandbreite neben Pfarrer*innen auch Kirchenmusiker*innen, Gemeinde- und Sozialdiakon*innen sowie Religionspädagog*innen zum gegenwärtigen Stand digitaler Kommunikationspraktiken in der Kirche befragt. Die Befragung wurde von den Universitäten Zürich (Thomas Schlag, Sabrina Müller), Würzburg (Ilona Nord) und dem SI der EKD (Georg Lämmlin) von Juni bis Ende August 2022 durchgeführt. Die Ergebnisse wurden inzwischen vorgestellt.
Digitale Formate in Gottesdienst, Seelsorge und Bildung
Wie kaum anders zu erwarten, ist die Nutzung digitaler Formate für den Gottesdienst deutlich zurückgegangen. „Lediglich von etwa 13 Prozent werden wöchentlich digitale Gottesdienstformate angeboten“. Als Ursache für den geringen Anteil wird vor allem „kein Bedarf“ und „keine Zeit für die Umsetzung“ angegeben. „Eine grundlegende Transformation in Richtung einer digitalen Gottesdienstkultur, die im Rahmen der Corona-Pandemie erwartet worden war, scheint nicht in Sicht“, stellt die Studie fest.
Noch deutlicher – und auch dies ist in der Seelsorge keine Überraschung – zeigt sich die Zurückhaltung in den Arbeitsfeldern Seelsorge und Bildung. Ernüchternd dieses Ergebnis: „Digitale Kommunikation wird weiterhin als eine im Vergleich zu analoger Kommunikation und Begegnung minderwertige Form von Kommunikation verstanden und erreicht demgegenüber bisher keinen, eigenen, davon unterschiedenen Status.“ Dies mag auch daran liegen, dass digitale Formate zusätzliche Arbeit bedeuten. (Add on). Es sei zu erwarten, so das Ergebnis der Studie, dass sich die Bereitschaft bei den Mitarbeitenden erhöhen würde, „wenn ein gezielter Personal- und Ressourceneinsatz“ realisiert werden könne.
Der Eindruck ist zwiespältig. Zum einen sind bestimmte Arbeitsmethoden (z.B. ZOOM-Konferenzen) etabliert, doch insgesamt, so die Studie, befinde sich die Kirche „zwei Jahre nach Ausbruch der Corona-Pandemie nicht auf dem Weg zu einem ‚New Normal‘ hybrider Kommunikation.“ Digitale Formen seien kein integraler Bestandteil der kirchlichen Kommunikationspraxis, und schließlich: „Es ist grundsätzlich erst zu klären, ob die digitale Transformation kirchlich-religiöser Kommunikation überhaupt eine strategische Option für notwendige Innovationen darstellt.“
„Hoffnungslos analog“?
Eine Pfarrerin wird im qualitativen Teil der Studie so zitiert: „Ich bin hoffnungslos analog, lebe gerne im Fleisch und dreidimensional. Mir fehlt in den Dingen, an denen ich bisher digital teilgenommen habe, zu viel, als dass ich selber davon überzeugt worden wäre. Meine Zukunft ist das nicht, aber das schließt ja nicht aus, dass es die Zukunft von anderen wird. Ich werde auch von Fastfood nicht satt, aber sehr viele Menschen ernähren sich davon – also was soll ich sagen?!“
„Die Nutzung digitaler Medien bleibt weiterhin an den Logiken analoger sozialer Praxis in der Kirche gekoppelt, die – einmal mehr gesagt – an den mehr oder weniger klassischen Begegnungs-, Präsenz- und Kommunikationsformaten festhalten“, so das Fazit der Studie. Vor diesem Hintergrund ist der qualitative Teil der Studie interessant. Es wurden 36 Interviews von 30 bis 45 Minuten mit Pfarrpersonen, Diakon*innen und Religionspädagog*innen geführt. Die Befragten sehen Notwendigkeit und Vorteile einer Vernetzung innerhalb der Kirche. Diese Vernetzung müsse übergeordnet organisiert werden.
Im Bildungsbereich gibt es ein unklares Bild, da der Bildungsbegriff von den Befragten unterschiedlich gefüllt wird. Aber auch hier: „Online-Bildungsangeboten fehlt in der Sicht fast aller Befragter die persönliche Begegnung.“
Begegnung unter dem Diktat der Effizienz
Die Begegnung steht im Vordergrund. „Die Videofunktion ist der Marker für das Empfinden, dass man sich persönlich begegnet. Sich digital begegnen, heißt sich sehen.“ Doch dagegen steht die Überzeugung, dass Begegnung weiterhin als analoges Format gesehen wird und auch für die Zukunft als solches gefordert wird. Und doch bleibt unklar: Was sollen persönliche Begegnungen leisten? Die Studie: „Es bleibt ungeklärt, wie persönliche Begegnung genau definiert wird.“ Vielleicht lässt sich eine Definition aus einer weiteren Feststellung der Studie ableiten: „Die Wegnahme der persönlichen analogen Begegnung droht die Kommunikation sehr zu effektivieren:“ Vielleicht braucht es eben in der Kirche den Raum, der Begegnung nicht unter dem Diktat der Effizienz sieht?
In einem ersten Kommentar berichtete Bischöfin Beate Hofmann, Kassel, bei der Vorstellung der Studienergebnisse, dass man in der Evang. Kirche von Kurhessen und Waldeck im Jahre 2024, also zwei Jahre nach der Befragung, intensiv an einer Digitalstrategie arbeite. Man überlege, welche Impulse die Kirche setzen wolle. Ziel sei, dass alle die gleiche Hardware anwendeten. In der inhaltlichen Bewertung kommt die Bischöfin zu dem Ergebnis: „Solange wir von den lokalen Orten denken, braucht es keine Digitalität.“ Gerade die Jugend brauche die persönliche Begegnung. „Die sind digital müde.“ Für Hofmann ist der „Digitalisierungstreiber“ der Nutzen: Wo werden Zeit und Geld gespart? So sieht sie etwa die Tendenz, dass der gedruckte Gemeindebrief durch Newsletter abgelöst werde. Auch bei der Überwindung von großen Entfernungen – etwa internationalen Bezügen – seien digitale Formen hilfreich.
▬ Kurt-Helmuth Eimuth
Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 1/2025