Der Fortschrittsglaube beherrscht als unterschwellige Ideologie unser gesamtes Denken, Handeln und Fühlen. Dabei geht es gar nicht in erster Linie um ökonomischen, technologischen oder wissenschaftlichen Fortschritt – es geht im Kern um eine generelle Erwartung des „Immer-Weiter-So“. Darüber gerät die grundsätzliche Endlichkeitserfahrung irdischen Daseins aus dem Blick. Christoph Lang plädiert dafür, die Kultur des Aufhörens neu einzuüben.

 

Ein verpasster Anschluss und ein „Nachruf“

Beim erzwungenen Warten auf einen verspäteten Anschluss stöbere ich in der Bahnhofsbuchhandlung. Der Titel eines Buches spricht mich an: „Nachruf auf mich selbst: Die Kultur des Aufhörens“. Harald Welzer entfaltet darin, offensichtlich unter dem Eindruck eines erlittenen Herzinfarkts die Endlichkeit ins Auge fassend, seine These: Wir haben keine Methodik und keine Kultur des Aufhörens. Deshalb bauen wir Autobahnen und Flughäfen für Zukünfte, in denen es keine Autos und Flughäfen mehr geben wird. Und wir versuchen, unsere Zukunftsprobleme durch Optimierung zu lösen, obwohl ein optimiertes Falsches immer noch falsch ist. Damit verbauen wir uns viele Möglichkeiten, das Leben durch Weglassen und Aufhören besser zu machen. Diese Kultur hat den Tod genauso zur Privatangelegenheit gemacht, wie sie die Begrenztheit der Erde verbissen ignoriert.

Welzer, Honorarprofessor für Transformationsdesign (Flensburg) und Direktor der Stiftung FUTURZWEI, illustriert diese These mit wissenschaftlichen Befunden, psychologischen Einsichten und persönlichen Geschichten vom Aufhören: „Das Ende und die Endlichkeit kommen nur unwissenschaftlich vor, in der Lebenserfahrung, in der Literatur oder in der Kunst. Und natürlich in der Religion und damit in der Apokalypse. […] Wir haben leider keine Methodik des Aufhörens, weil es dem magischen Denken unserer gegenwärtigen Sinnwelt nach ja immer weitergeht und Endlichkeitsprobleme systematisch nicht existieren. Weg-von-hier, das ist das Ziel. Weil wir keine Methodik des Aufhörens haben, hören wir auch nicht auf.“1

 

Aufhören oder Weiter so?

Ich finde Welzers Überlegungen wichtig, auch wenn ich ihm in Sachen Religion nicht zustimmen kann. Von Aufhören können wir wohl reden, auch in unserer christlichen Religion. Ich kann aber verstehen, dass Welzer dies allein in die Apokalyptik verschiebt – die expliziten „Kulturtechniken des Aufhörens“, die wir eigentlich in der christlichen Spiritualität kennen, scheinen wohl unter einer bisherigen „Theologie des Weiter so“ verschüttet. Zu lange, vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jh., haben christliche Theologien den Fokus auf das Wachsen, das Aufbrechen, das Anfangen und das „Weiter so“ gelegt.2 Der Modus einer vermeintlichen Segenstheologie, die über alles und jedes ausgeschüttet wird („Gott geht mit“), wird erst so langsam als sinnentleerte Rede von Gott demaskiert.3

In Zeiten von Über-Konsum, Über-Mobilität und Über-Forderung von Mensch und Natur scheinen die Rufe zum Innehalten und Aufhören bisher verstärkt aus anderen Ecken zu erklingen: auf der individuellen Ebene aus dem Feld der Psychologie4, auf der gesellschaftlichen Ebene aus dem Feld der ökologischen Protestbewegungen5, und auf der globalen Ebene durch das Durchspielen von Krisen- und Kollapsszenarien.6

Aufhören – welchen Beitrag könnte die christliche Religion und Frömmigkeit hier leisten?7 Ich will mich auf Spurensuche begeben, ohne das Thema umfassend beleuchten zu können. Am Ende träume ich von einer Kirche, die sich selbst im Aufhören einübt und der überdrehten und überhitzten Welt damit ein Beispiel und Zeugnis (martyrium) davon gibt, wie Aufhören heilsam ist für Leib, Seele und Geist, für Menschen, Tiere, Pflanzen, für Kommunikation, Interaktion, Kontemplation. Diese Haltung erfordert den Mut, der Endlichkeit ins Auge zu blicken und auszuhalten, dass wir damit auch einigen Gegenwind ernten werden und vieles Liebgewordene loslassen müssen. Aber das müssen wir so oder so.

 

Eine erste Spur: Der Sabbat

„Die kürzeste Definition von Religion ist Unterbrechung“ (J.B. Metz). Seit ich vor vielen Jahren in Israel den Sabbat miterleben durfte, lässt mich dieser Gedanke nicht mehr los: Wir brauchen Theologien des Aufhörens! Der Sabbat, der „Aufhör“-Tag, könnte ein möglicher Ausgangspunkt sein für die Wiederentdeckung einer Theologie des Aufhörens, die zumindest das Unterbrechen einübt und damit zugleich jenes große Aufhören mitdenkt, dass einem jeden Menschen am Ende des Lebens bevorsteht. Anders als Harald Welzer, der eine „Methodik des Aufhörens“ einfordert, gehe ich davon aus, dass es vielmehr eine Haltung braucht, die Aufhören – auch rhythmisiert und ritualisiert – ermöglicht.

In Verkündigung und Praxis kirchlichen Lebens würde eine Relektüre der biblischen Texte und Traditionen im Horizont der Endlichkeit und des Aufhörens dazu beitragen, sowohl im individuellen Erleben als auch im Blick auf gesellschaftliche und kirchliche Erschöpfungsphänomene zu notwendigen Ruhepausen zu kommen. Im Sinne des Sabbat-Gebots (Dtn. 5,13-14) ist das Aufhören umfassend zu verstehen und umschließt Mensch und Tier, Familie und Fremde. Dazu schrieb der amerikanische Religionsphilosoph Abraham Joshua Heschel (1907-1972) weitsichtig bereits im Jahr 1981: „Am Sabbat leben wir sozusagen unabhängig von der technischen Zivilisation: Wir enthalten uns vor allem jeglicher Aktivität, die darauf abzielt, die Dinge des Raumes zu erneuern und zu ordnen. […] Der siebte Tag ist der Waffenstillstand im grausamen Existenzkampf des Menschen, ein Waffenstillstand in allen persönlichen und sozialen Konflikten, Friede zwischen Mensch und Mensch, Mensch und Natur, Friede im Menschen; ein Tag, an dem der Umgang mit Geld als Entweihung gilt, an dem der Mensch seine Unabhängigkeit bestätigt von dem, was der oberste Götze der Welt ist.“8

Jürgen Moltmann war es, der bereits in den 1990er Jahren darauf aufbauend die (utopische?) Idee geäußert hat, neben dem Sonntag als Ruhetag in den christlich geprägten Ländern den Samstag als Ruhetag für die Schöpfung einzuführen, einschließlich dem Stillstand in den Fabriken und im Bereich der Mobilität. Wo sind die Stimmen in Theologie und Kirchen, die solche Gedanken mitdenken, ins Spiel bringen? Wo könnten wir das exemplarisch leben, ohne es den anderen nur zu ­predigen?

 

Eine zweite Spur: Stille, Einkehr, Fasten

Jede noch so kurze Stille ist ein Aufhören. Mir kommt der eremos topos aus Mk. 1,35 in den Sinn, wenn Jesus sich an einen einsamen Ort zurückzieht und die Stille und das Gebet sucht. Aber auch die Grabesstille am Karsamstag. Ich nehme ein sehr altes Büchlein in die Hände, das mir ein Emeritus einmal mit einer liebevollen Widmung geschenkt hat, ein „Neutestamentliches Wörterbuch“, und lese unter dem Stichwort „Fasten“: „Fasten heißt: sich ganz oder teilweise der Speise enthalten. Das ist eine Vorbedingung für jede große geistige Konzentration. Der Fastende denkt klarer und gesammelter als der Satte. Bei den großen entscheidenden Gebetsanliegen geht es darum im NT ohne Fasten nicht ab.“9

Eine Kollegin meinte neulich sehr nachdenklich: „Ist das nicht das Drama unserer Tage – die Sattheit, die Herzensverfettung auch unter uns Christen? Sind wir nicht alle eigentlich wie Abhängige: Süchtig in so vielen Bereichen?“ Ich lasse den Gedanken zu und entdecke Sätze wie diesen: Kirche habe mittelgradiges Burnout.10 Im Sinne einer Erschöpfungsdepression empfehlen Psychiater und Therapeutinnen zwei Dinge: mehr Licht (von oben) und mehr Bewegung (von unten) – auch für die Kirchen eine Idee. Aber wie geht es mit dem Nicht-Aufhören-Können weiter? Was tun mit einer suchtkranken Kirche? Anselm Grün weist in einem Interview darauf hin, wie Fasten und Verzichten als eine „Kunst der Unterscheidung“ zu innerer Zufriedenheit führen: „Statt von anderen zu fordern, dass sie mit dem zufrieden sein sollen, was sie haben, sollten wir es selber vorleben. Und wir sollten zeigen, wie der richtige Umgang mit Begierden uns zufrieden und glücklich macht.“11

 

Eine dritte Spur: Die Zwölf-Schritte-Gruppen

Ausgehend von der erlebten Hilflosigkeit angesichts der eigenen Suchterkrankung machen sich Menschen in den Zwölf-Schritte-Gruppen (u.a. die „Anonymen Alkoholiker“) gemeinsam auf einen Weg, indem sie sich gegenseitig darin unterstützen, mit dem Alkoholkonsum aufzuhören. Das Erleben und Eingestehen der eigenen Ohnmacht bildet dabei einen wesentlichen Baustein.12 In diesem Programm entdecke ich das Aufhören, das einen Weg aus dem Nicht-Aufhören-Können andeutet. Schritt 3 der zwölf Schritte lautet: „Wir fassten den Entschluss, unseren Willen und unser Leben der Sorge Gottes – wie wir Ihn verstanden – anzuvertrauen.“

In seinem Buch „Zwölf Schritte der Heilung: Gesundheit und Spiritualität“ schreibt Richard Rohr dazu: „Die grundlegende Übergabe unseres Willens steht vor und über jedem Glaubenssystem. Tatsächlich würde ich sagen, die weitgehende Wirkungslosigkeit und Langeweile der Religion folgt aus der Tatsache, dass es selten zu einer konkreten Entscheidung kommt, ‚unser Leben der Sorge Gottes anzuvertrauen‘, nicht einmal bei vielen Menschen, die zur Kirche, in einen Tempel oder eine Moschee gehen. Ich bewege mich mein Leben lang in religiösen Kreisen, und was ich sehe, ist blindwütiger Eigenwille: in Klöstern, Ordensgemeinschaften, Pfarrbüros, unter Priestern und Prälaten, ganz normalen Gemeindegliedern und bei Gottesdiensten. Tatsächlich gibt es in den meisten kirchlichen Kreisen nicht mehr Menschen, die ihren Willen tatsächlich Gott übergeben haben, als sonst irgendwo bei ‚säkularen‘ Versammlungen. Es ist wirklich ziemlich enttäuschend, dass wir alle so erfolgreich dabei sind, den wichtigsten Punkt zu verpassen.“13

Tatsächlich scheint mir das entscheidend: Dass wir damit aufhören, uns aus uns selbst heraus zu definieren.14 Ein Pfarrkollege beschreibt selbstkritisch, wie er sich selbst in seiner Kirche erlebt: „Ich glaube, wir sind so konditioniert, wir müssen, wir können nicht anders, wir sehen das neue Land der Ruhe nicht, weil wir in dem Abwärtsstrudel liefern müssen, wir müssen in der Kirche VERSORGEN und können es nicht lassen…“ Vielleicht wäre das ein weiterer Zugang zum Aufhören: in der Praxis einer heilsamen Spiritualität jeden Tag aufs Neue „unseren Willen und unser Leben der Sorge Gottes – wie wir Ihn verstanden – anzuvertrauen.“

 

Ein Traum von einer Kirche, die aufhört

Ich träume immer noch. Von einer Kirche, die mir Raum gibt zum Aufhören, am Sonntagmorgen und auch sonst. Stilles Gebet und gemeinsames Schweigen. Eine offene Kirche, in der ich eine Kerze anzünden kann. Eine schweigende Kirche, die nicht zu allem und jedem etwas zu sagen hat. Eine sich verweigernde Kirche, die Salz und Licht ist dadurch, dass sie den Mut hat aufzuhören. Die Menschen ermutigt, aus dem Hamsterrad auszusteigen. Die nicht mitmacht im Höher-Schneller-Weiter.

Wie das geht? Vielleicht mit „heiterer Resignation“ (Kurt Marti)15 angesichts einer überdrehten Welt. Sicherlich mit viel Humor. Mit offenen Herzen und Ohren für jene, die aufhören wollen und nicht mehr können. Ohne das Innehalten wird es nicht gehen. Das Innehalten ist die spirituelle Form des Aufhörens.16 Es ist das Verdienst der Hospizbewegung, dieses Innehalten angesichts des bevorstehenden Todes eines Menschen immer wieder einzuüben und uns alle daran zu erinnern, dass wir endlich sind. Diese Idee der Integration von Sterben und Tod ins Leben scheint mir ein wichtiger Ansatzpunkt der Hospizbewegung, den wir in Kirche und Gesellschaft weiter wachhalten sollten.

 

Auf der Suche nach theologischen Akzentverschiebungen

In Theologie und Kirche ist, wenn nicht eine Umkehr, so doch zumindest eine Akzentverschiebung dringend geboten. Sie scheint sich teilweise schon zu vollziehen: „Das Gericht fängt am Hause Gottes an“ (1. Petr. 4,17). In der Auslegung unserer biblischen Texte ist neben dem Akzent des Aufhörens auch die Frage nach der Umkehr neu zu hören, wie sie bei Amos (Am. 5) oder Jesaja gestellt wird (Jes. 58), ausgehend von Mk. 1,15: „Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“ Die Kirchengeschichte wäre zu befragen, welche (auch ökumenischen) Bewegungen im Laufe der Jahrhunderte sich aus den Fesseln ihres jeweiligen Zeitgeistes durch ein bewusstes Aufhören befreien konnten. Systematisch-theologisch gilt es, mit der Barmer Theologischen Erklärung neben dem Zuspruch auch den Anspruch Gottes an unser Leben zu hören, neben dem Ja auch das Nein, in der lutherischen Tradition gesprochen, die Spannung von Gesetz und Evangelium. Auch für die theologische Ethik höchst herausfordernd: Das Aufhören und Umkehren wäre durchzubuchstabieren mit Menschen aus den ­Kliniken und der Pflege, mit Mitarbeitenden aus den psychosozialen Hilfesystemen und den Behörden, mit Verantwortlichen aus Handwerk und Unternehmen – immer mit der neugierigen Frage, wie wir angesichts von Fachkräftemangel und Geldnot „anders handeln“ könnten.

 

Auf der Suche nach weiteren Verbündeten

Ermutigend finde ich, dass diese Fragestellungen rund um das Aufhören immer deutlicher an unterschiedlichsten Stellen auftauchen. In der Auseinandersetzung mit Ansätzen der Praktischen Philosophie könnte eine Theologie des Aufhörens (wieder-)entdecken, was aus theologischer Perspektive zum Aufhören zu sagen und zu fragen ist. So entfaltet der Heidelberger Philosoph Wilhelm Reichart in seinem Essay „Du lebst falsch! Eine philosophische Provokation“17 in einem beeindruckenden „Umweltschutz-Brevier“ auf wenigen Seiten das Aufhören und Umkehren an den Praxisfeldern Ernährung, Mobilität, Wohnen und Konsum. Biblisch-theologisch scheint mir das sehr nahe an dem, was der prophetische Ruf zur Umkehr beinhaltet – ein Thema, das viel zu lange in seiner heilsegoistischen Spielart dem Evangelikalismus überlassen war.

Ich stelle mir vor, dass es weitere Vordenker wie Harald Welzer oder Wilhelm Reichart gibt, die uns in Theologie und Kirche dazu anregen, über das Aufhören und das Umkehren nachzudenken – und es dann auch in „gemischten Allianzen“ zu praktizieren. Ob uns die Warnung Jesajas zu einer lebensstilverändernden Umkehr helfen könnte? „Denn so spricht Gott der Herr, der Heilige Israels: Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Vertrauen würdet ihr stark sein. Aber ihr habt nicht gewollt“ (Jes. 30,15).

 

Anmerkungen

1 Harald Welzer (2021), Nachruf auf mich selbst: Die Kultur des Aufhörens, 24f.

2 Exemplarisch sei hier der Buchtitel des von Wilfried Härle (2012) herausgegebenen Werkes genannt: „Wachsen gegen den Trend: Analysen von Gemeinden, mit denen es aufwärts geht“.

3 Eine eigene Untersuchung wert wäre die Frage, mit welchem Recht in vielen Predigten immer wieder behauptet wird, Gott wolle, „dass unser Leben gelingt“, Gott sage jedem zu, „dass Du einmalig bist“ – treffend dazu: Mark Manson (2016), The Subtle Art of Not Giving a Fuck: A Counterintuitive Approach to Living a Good Life, 43: „Pastors and ministers told their congregations that they were each uniquely special in God’s eyes, and were destined to excel and not be average. […] But it’s a generation later and the data is in: we’re not all exceptional.“

4 Aktuelle Themen wie Achtsamkeitspraxis, Burnout-Prophylaxe und manche Formen von Rehabilitation sind wohl nicht ganz frei davon, Menschen wieder „voll fit“ zu machen, um in das alte Hamsterrad zurückzukehren oder gar noch besser zu „performen“. Manche Ratsuchende in unserer Krisenberatungsstelle deuten ihre Erfahrungen mit Reha-Maßnahmen und Kliniken im Rückblick so, dass alleiniges Ziel dort gewesen sei, sie wieder in den Arbeits- und Leistungsmodus zurückzuversetzen – und sprechen in ihrer Kränkung von „Gehirnwäsche“.

5 Ich nenne hier exemplarisch Fridays for Future und die Letzte Generation. Aus philosophischer Perspektive sehr pointiert: Wilhelm Reichart (2023), Du lebst falsch – eine philosophische Provokation, 24: „Die Umweltkrise ist also nicht isoliert zu betrachten, sondern sie ist die überaus negative Folgeerscheinung der technisch-ökonomischen Globalisierung. In der Krise der Umwelt zeigt sich somit die Krise des modernen Menschen. Da dem so ist, greift jedwede Kosmetik seines Lebensstils zu kurz. Es ist ein prinzipielles Umdenken gefordert.“

6 Vgl. zur sog. Kollapsologie meinen Beitrag: Don’t look up?! Nachtschicht im eschatologischen Büro, DPfBl 124 (2024), 328-331. Ähnlich Tadzio Müller (2024), Zwischen friedlicher Sabotage und Kollaps: Wie ich lernte, die Zukunft wieder zu lieben. Müller entwickelt den – der Sache nach an Apg. 2,42-47 erinnernden – Gedanken einer „solidarischen Kollapsgemeinschaft“ (219ff), welche angesichts realistischer Kollaps-Szenarien nur im Durchgang durch die notwendige emotionale Trauerarbeit entstehen könne. Diese Trauerarbeit, so Müller, müsse und könne vor allem von den Kirchen und religiösen Organisationen initiiert und moderiert werden (114f).

7 Vgl. dazu auch: Katharina Karl (2019), Scheitern und Aufhören als spirituelle Herausforderung und Ressource, Lebendige Seelsorge 70 (2/2019), 88-92. Karl akzentuiert allerdings anders, wenn sie das Aufhören als „spirituelle Ressource“ bezeichnet; ich gehe im Folgenden einen anderen Weg.

8 Abraham J. Heschel (1990), Der Sabbat: Seine Bedeutung für den heutigen Menschen (Information Judentum Bd. 10), 23f.

9 Ralf Luther (1932), Neutestamentliches Wörterbuch: Eine Einführung in Sprache und Sinn des urchristlichen Schrifttums, Berlin.

10 Vgl. Stefan Heinemann/Raimund Wirth (2024), Haben wir Burnout? Ein anderer Blick auf den Erschöpfungsgrad der Kirche, DPfBl 124 (2024), 500-504.

11 „Die Kunst der Unterscheidung: Vom Weg zur inneren Zufriedenheit.“ Anselm Grün im Gespräch mit Rudolf Walter, einfach leben Nr. 9 (Thema Wann ist genug? Sein Maß finden, zufrieden zu sein), Freiburg 2024, 21.

12 Immer noch treffend in diesem Zusammenhang: Eckhard Schiffer (1993), Warum Huckleberry Finn nicht süchtig wurde: Anstiftung gegen Sucht und Selbstzerstörung bei Kindern und Jugendlichen. Zum Nicht-Aufhören-Können schreibt er: „‚Weitermachen trotz Selbstzerstörung‘, diese Devise gilt sowohl für Alkohol- und Drogensucht als auch für Fress- und Magersucht, gleichfalls auch für das Auffressen unseres Planeten. Wir machen weiter, obgleich wir wissen, was wir anrichten. Unser Verhalten ist heutzutage umfassend süchtig.“ Seine Präventionsgedanken, die den rapiden Anstieg der ADHS- und Autismus-Diagnosen vorwegnehmen, weisen in die Zukunft: „Grund genug, um das Augenmerk auf etwas anderes zu richten als auf immer weitere Forderungen nach immer mehr Therapie, das heißt ‚Folgereparaturen‘, deren Notwendigkeit aus einer zerstörten Welt der Kindheit resultiert. Eben diese Welt gilt es zu beeinflussen, damit nicht immer wieder die Zerstörung in einem Kreislauf der Verinnerlichung weitergegeben wird und zu neuer Zerstörung der Innen- und Außenwelt führt“ (10f).

13 Richard Rohr (2011), Zwölf Schritte der Heilung: Gesundheit und Spiritualität, 51. Rohr hat das Zwölf-Schritte-Programm der Selbsthilfegruppen als den vielleicht bedeutendsten Beitrag bezeichnet, den das westliche Christentum im 20. Jh. in puncto Spiritualität je hervorgebracht hat.

14 Ähnlich argumentiert aus philosophischer Perspektive Byung-Chul Han (2022), Vita contemplativa oder Von der Untätigkeit: Eine Kritik an unserer Leistungsgesellschaft, 107: „Im Zeitalter permanenter narzisstischer Selbst-Produktion und Selbst-Inszenierung verliert die Religion ihr Fundament, denn die Selbstlosigkeit ist konstitutiv für die religiöse Erfahrung. Die Selbstproduktion ist schädlicher für die Religion als der Atheismus.“

15 Kurt Marti (2010), Heilige Vergänglichkeit: Spätsätze, 33.

16 Vgl. dazu ausführlich Marianne Gronemeyer (2008), Genug ist genug: Über die Kunst des Aufhörens, 14ff, die anhand einer Darstellung aus dem 6. Jh. „Abraham empfängt die Verheißung“ sehr schön zeigt, wie „Aufhören“ und „Hören auf Gott“ sich wechselseitig bedingen. Auch bei ihr die Diagnose: „Wir leben in einer Gesellschaft, die nicht aufhören kann“ (162).

17 Vgl. Wilhelm Reichart (2023), Du lebst falsch: Eine philosophische Provokation, 31-35. Als philosophischer Provokateur stellt er konsequent die Frage nach dem richtigen Leben und folgert: „Sich selbst nach denken führt in den existentiellen Zweifel. Es nicht zu tun, resigniert vor ihm“ (20).

 

Über die Autorin / den Autor:

Pfarrer Christoph Lang, Personzentrierter ­Berater und Coach (GwG), Lehrsupervisor (DGSv), Pfarrer für Beratende Seelsorge und evangelischer Leiter der Ökumenischen Krisen- und Lebens­beratungs­stelle brücke in Karlsruhe.

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 1/2025

2 Kommentare zu diesem Artikel
27.01.2025 Ein Kommentar von Eberhard Steinborn Sola fide! Grundstein für die ach so moderne Beliebigkeit? Erst starben die guten Werke, dann der Glaube bis hin zur billigen Gnade.
26.01.2025 Ein Kommentar von Eberhard Steinborn Anfrage: Wer hat Recht? Brauche ich wirklich nichts Gutes zu tun, um zur Seligkeit zu gelangen? Wenn dies so wäre, brauche ich auch keine Gebote einzuhalten? Alles egal? Warum kommt dann der lästernde Missetäter am Kreuze nicht ins Paradies? Warum nicht alle und jeder, wenn es auf gute Werke nicht mehr ankommen soll, sondern einzig und allein auf den Glauben (sola fide))? Die ich so beantwortet habe: Deine Frage ist berechtigt. Ich möchte sie vom Stand 1. des individuellen Wissens 2. des individuellen Gefühls 3. noch besser beides zusammen, denn das ergibt die besten Entscheidungen, zu den guten Werken abhängig machen. 1. Wenn ich um die Realisierung der guten Werke weiß, fühle oder beides, soll ich sie machen, um in mir Gott nahe zu sein. 2. Wenn ich davon nicht weiß, fühle oder beides, kann ich trotzdem zur Seligkeit gelangen, er vergibt mir und ich bin frei wieder neu zu handeln. 3. Wenn ich davon weiß, fühle oder beides und nicht handele, wird mein Gewissen mir zusetzen solange bis ich Kompensation in der Umkehr gefunden habe. in Angesicht der Klimaveränderung ist die Strafe Gottes auf Systeme unbegrenzter Gier und Neid der Menschen absehbar, Feuer, Dürre, Hochwasser, Sturm. Sie werden diese teuflischen Systeme zerstören.
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