Im Blick auf Inhalte und Aussagen des Neuen Testaments haben sich so manche landläufigen Annahmen verbreitet, die einer genauen Prüfung nicht standhalten. Christfried Böttrich stellte in einer Reihe im Deutschen Pfarrerinnen- und Pfarrerblatt im vergangenen Jahr die hartnäckigsten Irrtümer vor und beschließt die Serie mit einer weihnachtlichen Betrachtung.

 

Alle Jahre wieder werden zu Weihnachten die Krippenfiguren aufgestellt, zu Hause unter dem Christbaum oder auf dem Marktplatz zwischen Glühweinbude und Kinderkarussell. Maria und Josef, das Kind auf Heu und auf Stroh, die Hirten mit ihren Schafen und die Könige mit ihren Kamelen – und ­natürlich Ochse und Esel. Die dürfen auf keinen Fall fehlen!

In der Geburtskirche in Bethlehem zeigt man den staunenden Touristen, wo sich die Grotte mit der Krippe befand, und den Platz für Ochse und Esel gleich dazu. Doch die beiden Tiere kommen in der Geburtsgeschichte Jesu aus Lk. 1-2 gar nicht vor. Sie sind herüber getrabt aus dem Buch des Propheten Jesaja und lassen sich seither nicht mehr von der Krippe vertreiben. ­Warum auch? Zu einem Stall gehören Tiere, und da kann man die beiden ganz gut gebrauchen.

Für die Anwesenheit von Ochs und Esel gibt es jedoch andere Gründe. Und die haben mit theologischen Konflikten zu tun. Schon früh stellt die Christenheit die Geburt Jesu in das Licht atl. Texte. Dabei entdeckt man auch Jes. 1,3: „Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn; aber Israel kennt’s nicht, und mein Volk versteht’s nicht.“ Die Krippe wird zum Signalwort. Man zählt eins und eins zusammen und verbindet Jes. 1,3 mit Lk. 2,7. Die christlichen Ausleger machen sich damit die prophetische Kritik des Jesaja zu eigen und unterfüttern sie mit einem neuen Beispiel: ­Israel hat das Kind in der Krippe nicht als seinen Messias erkannt – und sollte sich ein Beispiel an Ochs und Esel nehmen. Die innerjüdische Mahnung kippt in den Ton einer Polemik, die inzwischen von außen kommt.

Im 2./3. Jh. beginnen sich dann die Wege zu trennen. Christen und Juden grenzen sich voneinander ab. Im Irrtum ist immer der jeweils andere. Jes. 1,3 muss in dieser Kontroverse als Munition herhalten, von deren Treffsicherheit die Kirchenväter fest überzeugt sind. Das älteste Weihnachtsbild überhaupt, ein Relief aus dem 3. Jh., zeigt in äußerster Sparsamkeit nur das Wickel­kind in der Krippe mit Ochs und Esel; sogar die Eltern sind verzichtbar.

Ich sehe die braven Tiere an der Krippe deshalb mit großem Unbehagen. Sie stehen da nicht als treue Wächter, sondern als Ankläger. Aber die Weihnachtsgeschichte erzählt ein Evangelium, eine „frohe Botschaft“! Die ist bei Lk. auf den Ton von Lobgesängen (der Maria, des Zacharias, des Simeon, der Engel) gestimmt und ­bedarf einer solchen Polemik nicht.

Der böse Herbergswirt ist übrigens vom gleichen Kaliber wie Ochse und Esel. Kein Krippenspiel ohne Wirt, keine Weihnachtsgeschichte ohne Herbergssuche. Doch im Bibeltext kommt auch der Wirt nicht vor. In Lk. 2,7 heißt es nur beiläufig: „denn sie hatten keinen Raum in der Herberge.“ So übersetzt Luther. Bei „Herberge“ denkt man an einen Gasthof mit Blumenkästen vor dem Fenster, an eine kleine Pension oder zumindest an ein billiges Wirtshaus. Das griechische Wort katalyma aber müsste man genauer mit „Ausspanne“ wiedergeben; es bezeichnet eine Art Karawanserei, in der die Pferde ­gewechselt und gefüttert werden. Es geht also eher um einen Unterstand als um ein Hotel mit einem kleinen Verschlag hinter dem Haus. Heu gibt es in Fülle und auf jeden Fall mehr Futterraufen als Betten. Unter den gegebenen Umständen ist das noch eine ganz passable Unterkunft. Anstatt eines grantigen Wirtes wäre eher mit verständnisvollen Reisegefährten zu rechnen, auch wenn die Entbindung natürlich einen diskreteren Ort verdient. Für die Weihnachtspredigt bleibt der Wirt eine Lieblingsfigur. In einer Zeit weltweiter Fluchtbewegungen kann man allerdings auch an einer Behelfsunterkunft sehr gut deutlich machen, was solidarisches Verhalten bedeutet.

Zur „Weihnachtsgeschichte“ haben wir bereits jede Menge Bilder im Kopf, gespeist aus vielen Quellen. Es lohnt, neben diese Wimmelbilder auch den Bibeltext zu legen: Was sagt der eigentlich über all die Figuren, die wir so sicher zu kennen glauben?

 Christfried Böttrich

 

Über die Autorin / den Autor:

Prof. Dr. Christfried Böttrich, Jahrgang 1959, Studium der Evang. Theologie in Leipzig, 1990 Promotion in Leipzig, 1995 Habilitation in Leipzig, Vertretungsprofessuren in Frankfurt/M., Marburg und Jena, seit 2003 Prof. für Neues Testament an der Universität Greifswald.

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 12/2024

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