2025 findet der nächste Evangelische Kirchbautag statt. In einer Kaskade kurzer thematischer Beiträge bereiten verschiedene Autorinnen und Autoren auf dieses Ereignis vor, dessen Bedeutung im Kontext zurückgehender kirchlicher Finanzen und unterschiedlichster kirchlicher Immobilienstrategien nicht unterschätzt werden sollte.

 

Zur Zukunft kirchlicher Immobilien

Über manche Themen muss man wieder und wieder sprechen und dann noch einmal. Solch ein Thema ist auch die Zukunft kirchlicher Gebäude. Mich begleitet es seit zwanzig Jahren. Ältere Kollegen blicken auf noch längere Zeiträume des Nachdenkens, Diskutierens, Streitens, Planens, Verzagens und Entscheidens zurück. Dennoch habe ich das Gefühl, als stünden wir wieder am Anfang. Denn zum einen haben sich ältere Ideen als nur bedingt tragfähig erwiesen (nicht jede Kirche lässt sich umnutzen, nicht für jedes Gemeindehaus finden sich Nutzungspartner), zum anderen haben die überreichen Kirchensteuern der vergangenen Jahre viele Entscheidungen unterdrückt. Und zum dritten hat sich die Krise der Kirche in Nachtschlaf raubender Rasanz intensiviert.

Was mich tröstet und ermutigt, ist, dass viele sich diesem Zukunftsthema widmen, Entscheidungen vorbereiten, treffen und umsetzen: in den landeskirchlichen und kirchenkreislichen Bauämtern, den Kirchengemeinden, aber zum Glück nicht nur in der Kirche, sondern auch in Teilen der Zivilgesellschaft. Allerdings könnte der neue, krisenbefeuerte Handlungsschwung zu Einseitigkeiten und Fehlorientierungen führen. Deshalb möchte ich eine kleine Grundsatzreflexion anstellen, die sich an zwei nur vermeintlich schlichten Verben orientiert.

 

Was brauchen wir wirklich?

Das erste Verb ist „brauchen“. Wenn man sich nicht mehr alles Überkommene leisten kann, stellt sich die Frage, was man wirklich braucht. Viel zu lange haben wir uns über unsere Immobilienprobleme hinweggetäuscht. Die echten Kosten unserer Gebäude (z.B. die „graue Verschuldung“) haben wir nicht kalkuliert, deren tatsächliche Nutzung nicht erhoben. Inzwischen haben viele Landeskirchen und Kirchenkreise, aber auch einige Kirchengemeinden in Eigenregie Programme aufgelegt, um sich ehrlich zu machen.

Das Ergebnis ist eindeutig, auch wenn die projektierten Zahlen variieren (und je nach Region unterschiedlich ausfallen): Einen Großteil unserer Gebäude – manche Experten sprechen von 30 Prozent – können wir uns nicht mehr leisten. Aber brauchen wir sie überhaupt? In Kirchengemeinden ist regelmäßig das Erstaunen groß, wenn vorgerechnet wird, wie gering die Auslastung des Gemeindehauses ist.

Allerdings kann der immobilienwirtschaftliche Terminus „Bedarf“ zugleich in die Enge und am Wesen von Sakralbauten vorbeiführen. Kirchen sind nicht nur gottesdienstliche Versammlungsstätten. Sie sind auch Kulturorte, in der regionale, nationale und europäische Traditionen aufbewahrt sind. Sie sind zudem Gedächtnisorte, an denen ein Gemeinwesen seiner Geschichte gedenkt. Sie – mehr noch die Gemeindehäuser – sind nicht-kommerzielle Versammlungsorte für das ganze Gemeinwesen, gerade in sozial angestrengten Stadtteilen.

All dies sind „Bedarfe“, die mit zu berücksichtigen sind, auch wenn sie sich schwer berechnen lassen. Umso wichtiger ist es, nicht nur in kirchlichen Gremien über ihren Erhalt, die eventuelle Umnutzung oder Abgabe zu diskutieren. Es müssten alle, die auf je ihre Weise ein kirchliches Gebäude brauchen und gebrauchen, einbezogen werden. Im Idealfall wären außerdem noch unbekannte, zukünftige Mitnutzer einzubeziehen. Denn Bedarfe sind nie fixe Größen, sondern können sie wandeln, aufhören oder neu entstehen.

 

Wem gehören kirchliche Gebäude?

Das führt zum zweiten Verb: „gehören“. Wem gehören die kirchlichen Gebäude, d.h. wer trägt die Verantwortung, bezahlt die Rechnungen, trifft die Entscheidungen, darf mitreden? Hier setzt das „Kirchenmanifest“ ein, das im Frühsommer online ging. Eine Gruppe von Fachleuten – viele von ihnen engagierte Kirchenglieder, aber keine Amtsträger – haben Mitsprache eingeklagt. Inzwischen haben ungefähr 19.000 Menschen ihre Petition unterzeichnet. Sie fordern einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs: Da nicht nur Kirchenglieder ihre Kirchen „brauchen“, können diese nicht nur ihnen „gehören“.

Barbara Welzel, Professorin für Kunstgeschichte und Kulturelle Bildung in Dortmund und Mitinitiatorin des „Kirchenmanifests“, erklärt es so: „Kirchenbauten lassen sich nicht allein als Immobilien – etwa analog zur Beschreibung von Menschen als Humankapital – fassen. Wer sie allein in den juristischen Kategorien des Privateigentums vereinnahmt, beraubt das Gemeinwesen. Sie sind Gemeingüter. Hier geht es um menschenrechtlich verankerte Teilhabe aller – und um gemeinschaftliche Verantwortungsübernahme.“ Und: „Mit der Konvention von Faro (Rahmenübereinkommen über den Wert des Kulturerbes für die Gesellschaft, 2005) hat der Europarat das menschenrechtlich verankerte Recht auf kulturelle Teilhabe als Recht auf Teilhabe am kulturellen Erbe ausbuchstabiert. In aller Deutlichkeit wird herausgestellt, dass alle – wirklich alle! – ein Recht auf Teilhabe am kulturellen Erbe haben.“

Das „Kirchenmanifest“ ist angetrieben von der – nicht unberechtigten – Sorge, dass katholische und evangelische Kirchenleitungen zu schnell und ohne Beteiligung des jeweiligen Gemeinwesens zu harte Entscheidungen treffen. Aber ist es sinnvoll, das Menschenrecht auf Teilhabe gegen kirchliche Eigentumsrechte auszuspielen? Es gibt keine Rechte ohne Pflichten. Teilhabe kann nie nur im Gebrauchen bestehen, sie muss immer mit Verantwortungsübernahme verbunden sein. Man sollte nicht übersehen, dass kirchlich Verantwortliche sich nicht selten allein gelassen fühlen: Da hat man in einem rechtlich korrekten, demokratisch legitimierten, möglichst transparenten Verfahren eine Entscheidung getroffen, doch es hat niemanden interessiert; und erst nach der Entscheidung bildet sich eine Protestgruppe, die keine Veränderung in ihrer Nachbarschaft duldet. Ist das Teilhabe? Wenn das „Kirchenmanifest“ mithilft, einen konstruktiven, gesamtgesellschaftlichen Diskurs über die Zukunft kirchlicher Gebäude zu befördern, in dem nicht nur wir Kirchenleute Verantwortung tragen, hätte es einen guten Dienst geleistet. Auf dem kommenden Evangelischen Kirchbautag wird auch darüber zu reden sein.

 

Johann Hinrich Claussen

 

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 10/2024

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