Die heutige Zeit verlangt nach schnellen, leicht zugänglichen und doch umfassenden Informationen sowohl digital als auch in gedruckter Form. Hilfreich ist, wenn die Nutzerinnen und Nutzer die für sie jeweils wichtigen Informationen selbst bestimmen können. Genau das will die Stuttgarter Erklärungsbibel leisten: Ob zur raschen Orientierung, zum vertieften Lesen und Nachschlagen, zur Vorbereitung von Andachten, Unterrichtseinheiten oder Predigten oder zum persönlichen Bibelstudium – die Stuttgarter Erklärungsbibel führt schnell und fundiert in die Hintergründe der biblischen Texte ein und stellt wesentliche und wissenschaftlich abgesicherte Informationen bereit. Sie bietet nicht nur eine Fülle detailreicher Informationen und überblicksartiger Zusammenhänge, die leicht auffindbar, übersichtlich angeordnet und durch Querverweise gut erschlossen sind. Sie ist ebenso ein Nachschlagewerk zu konkreten Fragestellungen historischer, theologischer oder sachlicher Natur. Das gelingt ihr durch eine Einführung und Kurzkommentierung sämtlicher biblischer Schriften einschließlich der Apokryphen und einen umfänglichen Anhang. In dieser Breite ist sie sowohl für interessierte Bibelleserinnen und -leser, für Studierende der Theologie als auch für Pfarrerinnen und Pfarrer in ihrer täglichen Arbeit ein unersetzliches Hilfsmittel.
Traditionsreiche Entwicklung
Als im Jahr 2017 pünktlich zum 500jährigen Jubiläum der Reformation eine neue Revision der Lutherübersetzungvorgelegt wurde, war deutlich, dass zu dieser grundlegenden Revision auch eine neue Überarbeitung der Erklärungsbibel gehören sollte. Das umfängliche Projekt konnte nun nach mehrjähriger Arbeit abgeschlossen werden. Herausgegeben wird das Werk von Prof. Dr. Beate Ego, Inhaberin des Lehrstuhls für Exegese und Theologie des Alten Testaments an der Ruhr-Universität Bochum, Prof. Dr. Ulrich Heckel, Oberkirchenrat der Württembergischen Landeskirche und außerplanmäßiger Professor für Neues Testament an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, und Dr. Christoph Rösel, Generalsekretär der deutschen Bibelgesellschaft und ehem. Professor für Altes Testament.
Die Erklärungen wurden von einem Expertengremium von über 40 Exegetinnen und Exegeten ausgearbeitet, die nicht nur aus dem akademischen Bereich stammen, sondern auch einen Bezug zum Gemeindekontext haben (zur Übersicht der Bearbeiterinnen und Bearbeiter vgl. S. 9). Die Koordination des umfänglichen Projekts lag in den Händen von Annette Graeber und Andrea Häuser von der Deutschen Bibelgesellschaft.
Die Stuttgarter Erklärungsbibel blickt auf eine traditionsreiche Entwicklung zurück: Im Jahr 1912 erschien zum 100jährigen Jubiläum der Württembergischen Bibelanstalt die „Stuttgarter Jubiläumsbibel“. Sie hatte nicht nur jeweils den biblischen Büchern Einleitungen vorangestellt, wie das schon seit Martin Luther üblich war, sondern erstmals „erklärende Anmerkungen“ in kleinerer Schrifttype zwischen die einzelnen Bibelverse gesetzt. Diese von Pfarrer Paul Langbein zusammen mit weiteren evangelischen Geistlichen Württembergs erarbeitete Bibelausgabe sollte dazu beitragen, dass interessierte Bibelleserinnen und -leser „weiter und tiefer in die Kenntnis und in das Verständnis des ganzen Schriftinhalts eindringe(n)“, auch wenn – wie im Vorwort betont – „die Heilige Schrift nicht erst unserer menschlichen Anmerkungen, Zusätze und Umschreibungen […] bedarf“, sondern – nach reformatorischem Verständnis – ihr eigener Ausleger ist („sacra scriptura sui ipsius interpres“).
Diese Jubiläumsbibel erfreute sich großer Nachfrage, wurde immer wieder nachgedruckt, erschien zum 125. Jubiläum zusätzlich als Taschenausgabe und wurde auch nach dem Zweiten Weltkrieg weiterhin verlegt. Aus der von 1957-1984 erfolgten Revisionsarbeit an der Lutherübersetzung folgte 1992 die Herausgabe einer „Stuttgarter Erklärungsbibel“, deren Erklärungen bewusst dem wissenschaftlichen Stand der Zeit entsprechen sollten. In einer Überarbeitung 2005 wurden dann auch die Apokryphen mit Erklärungen hinzugefügt. Grundlegend sind auch hier die zwischen die Bibelverse eingefügten Kommentierungen, die den biblischen Büchern vorangestellten Einführungen sowie die materialreichen Anhänge.
Besonderes Augenmerk auf exegetischer und sachlicher Richtigkeit
Im Unterschied zu den vorangehenden Ausgaben übernimmt die neue Stuttgarter Erklärungsbibel die in der Revision von 2017 festgelegte Textversion der Lutherübersetzung. Diese Revision verzichtet weitgehend auf sprachliche Modernisierung und legt vielmehr Wert auf exegetische und sachliche Richtigkeit. Besonderes Augenmerk kommt dabei den Apokryphen zu, deren Textgestalt nun konsequent an der griechischen Septuaginta ausgerichtet wurde. Dabei wurden Texte teilweise auch neu übersetzt.
Außerdem wurde darauf geachtet, die unterschiedlich gebräuchlichen Verszählungen zu vereinheitlichen (Anm.: Hintergründe zur Revision der Lutherbibel 2017 finden sich in: Die Revision der Lutherbibel 2017. Hintergründe – Kontroversen – Entscheidungen, Stuttgart 2019).
Die neue Lutherübersetzung ist nun der Ausgangspunkt für die Überarbeitung der Erklärungsbibel. Zunächst war daran gedacht, die Erklärungen der vorangehenden Erklärungsbibel an den neuen Bibeltext anzupassen und sie dabei einer kritischen Durchsicht zu unterziehen. Neuere exegetische Erkenntnisse sollten Eingang finden. Nach wie vor sollten die Erklärungen knapp, prägnant und allgemeinverständlich sein. Doch schnell wurde deutlich, dass die Erklärungen einer grundlegenden Überarbeitung bedürfen und deshalb zu einem größeren Teil neu verfasst werden mussten. Auch die Einführungen und Anhänge sollten den heutigen Bedürfnissen nach einer schnellen, umfassenden und ausgewogenen Information entgegenkommen. Nach wie vor sollte die Erklärungsbibel kompakt in einem Band den Leserinnen und Lesern in die Hand gegeben werden. Gegenüber der Vorgängerversion ist die Stuttgarter Erklärungsbibel nun vom Umfang her um 200 Seiten auf insgesamt 2208 Seiten angewachsen. Sie ist damit nicht nur die modernste, sondern auch umfänglichste deutsche Studienbibel, die derzeit auf dem Markt ist.
Konsequent aufgebautes System der Einführungen
Schaut man, was neu ist, fällt das konsequent aufgebaute System der Einführungen auf: Vom Allgemeinen herkommend fokussieren sie schrittweise den Blickwinkel auf das jeweilige biblische Buch. So folgt etwa auf die Einführung in die Bibel insgesamt eine Einführung ins Alte Testament, sodann eine Einführung in die Geschichtsbücher des Alten Testaments beginnend mit dem Pentateuch und schließlich eine Einführung in das erste Buch Mose (Genesis).
Diese immer stärker ins Detail gehende Methode ermöglicht eine umfassende Darstellung der biblischen, theologischen wie historischen Hintergründe. Durch die Aufteilung können die Leserinnen und Leser selbst auswählen, welcher Aspekt sie gerade besonders interessiert. Dabei fällt auf, dass hermeneutischen Überlegungen besonderer Raum gewährt wird. Ein Schwerpunkt ist dabei die Frage der christlichen Bibelauslegung, insbesondere der atl. Schriften. Nach ihren eigenen Worten will die Stuttgarter Erklärungsbibel dazu beitragen, „das AT zunächst in seinem urspr.[ünglichen] Textsinn zu erfassen, in seinem hist.[orischen] Kontext wahrzunehmen und in seiner jüd.[ischen] Auslegungs- und Wirkungsgeschichte zu respektieren“ (23).
In einem „zweiten Schritt“ will der Text „dann aber auch gemäß der christl.[ichen] Auslegungstradition im Horizont der Christusbotschaft vom NT her in seiner Bedeutung für das Christusgeschehen bedacht sein“ (ebd.). Die Einführungen zu den einzelnen biblischen Büchern sprechen nicht nur die typischen Einleitungsfragen an wie Entstehung, historischer Kontext und Aufbau, sondern skizzieren die zentralen theologischen Aussagen (mit den entsprechenden Stellenbelegen) und entwerfen auf diese Weise ein plastisches Bild der jeweiligen Schrift. So gibt etwa die Einleitung ins Johannesevangelium über fünf Seiten eine detaillierte Einführung in die Theologie des Johannesevangeliums, bei der durch Stellenangaben belegt die entscheidenden Themen der johanneischen Theologie kompakt dargestellt werden.
Kompletter Kommentar auf knappem Raum
Des Weiteren fallen die Erklärungen zum Bibeltext ins Auge. Sie sind jeweils zwischen die Verse eingefügt und heben sich durch andere Schriftart und kleinere Schriftgröße vom Bibeltext erkennbar ab. Eigens abgedruckt sind zusätzlich die Stellenverweise, in denen auf Parallelstellen oder ergänzende Bibelstellen aufmerksam gemacht wird. Besonders wertvoll für die Benutzerinnen und Benutzer sind die Querverweise, mit denen Bezüge zu den Einführungen, zum Glossar sowie zu anderen Verzeichnissen des Anhangs hergestellt werden. So gelingt es der Erklärungsbibel, die zentralen exegetischen Erkenntnisse in knappen Sätzen zu umreißen sowie auf grundlegende theologische und historische Fragestellungen bzw. auf alternative Übersetzungsmöglichkeiten aufmerksam zu machen. Wer keinen ausführlichen exegetischen Kommentar zur Hand hat, findet hier in Kürze alle wichtigen Informationen zum Verständnis des Bibeltextes auf dem Stand der gegenwärtigen Forschung. Das lässt sich z.B. an den Psalmen gut erkennen: Hier werden zu jedem Psalm Einordnung, Gattungsbestimmung usw. vorangestellt, abschnittsweise finden sich präzise exegetische Angaben, durch die der Psalm interpretiert und für das Verständnis aufgeschlüsselt wird. Auf diese Weise findet man hier auf knappem Raum einen kompletten Psalmenkommentar.
Abgeschlossen wird der Band mit einem reichhaltigen Anhang, der auch die Vorgängerversionen an Umfang und Inhalt übertrifft. Neben der sehr ausführlichen Zeittafel zur biblischen Geschichte (S. 2041-2048), die auch die historischen Entwicklungen der Umwelt berücksichtigt, stehen – ebenfalls deutlich ausführlicher – die Tabellen zu Maße, Gewichte und Geldwerte (S. 2049-2051). Hieran schließen sich die Sach- und Worterklärungen (S. 2052-2152) an, ein ausführliches Glossar, das auf hundert Seiten die geschichtlichen Hintergründe sowie religiösen Vorstellungen erläutert, über Personen und Personengruppen sowie über gottesdienstliche und kulturelle Einrichtungen informiert und bibelwissenschaftliche Fachbegriffe erklärt. Dieses ausführliche Glossar ist durch Bibelstellen wiederum mit dem Bibeltext verknüpft. Die Ausführungen sind so gegliedert, dass man hier im Prinzip ein knappes, aber komplettes Bibellexikon vorfindet.
Neu aufgenommen wurde ein Abschnitt „Zur Textüberlieferung der Bibel“ (S. 2150-2152), der grundlegende Gedanken zu Handschriften und Texteditionen, zur Textkritik sowie zu den entscheidenden Textzeugen enthält. Hierbei finden sich auch Hinweise auf die Entstehung der heutigen Kapitel- und Verszählung. Ein weiterer Abschnitt beschäftigt sich mit „Archäologie und Bibelwissenschaft“ (S. 2153-2154) und verweist auf die Erkenntnisse der Archäologie, die für die wissenschaftliche Bibelexegese von elementarer Bedeutung sind. Ein Abschnitt „Wo finde ich was?“ (S. 2155-2159) sowie ein ausführliches Stichwortverzeichnis (S. 2160-2178) helfen den Bibelleserinnen und Bibellesern zur Orientierung im Bibeltext ebenso wie die Liste „Zur Schreibung der Eigennamen“ (S. 2179-2180).
Ein besonderes Element im Anhang stellen die ausführlichen Kartenskizzen und Karten samt Ortsregister dar, die durch einen gesonderten Abschnitt zur Baugeschichte Jerusalems sowie zum Tempelbau erweitert sind (S. 2181-2207) und von farbigen Landkarten ergänzt werden. Das ausführliche Kartenmaterial hatte schon die früheren Ausgaben der Erklärungsbibel charakterisiert, ist hier aber nochmals präzisiert und den neuesten Erkenntnissen angepasst worden.
Mit diesem Opus magnum ist der Deutschen Bibelgesellschaft ein großer Wurf gelungen. Die Stuttgarter Erklärungsbibel „wird die nächsten Jahre und Jahrzehnte die Standardausgabe der Deutschen Bibelgesellschaft sein und bleiben“, wie Dr. Christoph Rösel, der Generalsekretär der Deutschen Bibelgesellschaft, betont. Die bisherigen Verkaufszahlen zeigen, dass das Werk gut angenommen wird. Wünschen wir, dass die Erklärungsbibel vielen Menschen ein hilfreicher Türöffner für die Erschließung biblischer Einsichten sein kann.
▬ Michael Gese
Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 7/2024