Mitarbeitende wissen, was es bedeutet, wenn Stellen nicht mehr besetzt werden können – das aktuelle Kirchenmodell gerät an seine Grenzen – und auch sie selbst. Landes­kirchliche Organisationen erleben eine Transformation. Nach 200 Jahren Wachstum sinken die Mitgliederzahlen seit 1968, die Kaufkraft seit spätestens 1992/93. In den 2020er Jahren treten die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand. Die Pfarrerschaft wird schrumpfen, auch für nicht-theologische Stellen ist der Arbeitsmarkt ungünstig. Kirchenmodell, Personalbestand und -bedarf korrelieren. Stefan Schramm fragt: Wenn das bisherige Kirchenmodell erneuert werden muss, wie sieht ein Folgemodell aus? Und welches Personal mit welchen Qualifikationen wird dann gebraucht?*

 

Den anstehenden Umbau kirchlicher Strukturen werden nicht nur diejenigen leisten müssen, die in den nächsten 10 bis 15 Jahren eingestellt und ausgebildet werden, sondern vor allem die bereits jetzt in den Landeskirchen Beschäftigten, die noch 10 bis 35 Dienstjahre vor sich haben. Sie stehen vor der Aufgabe, für die neue Situation von Kirche und für veränderte Kontexte neue Denkweisen, Praktiken und Haltungen zu entwickeln. Geprägt sind sie jedoch von zwei rechtlich, strukturell und kulturell äußerst präsenten landeskirchlichen Organisationsmodellen, die Antworten auf frühere Herausforderungen unter anderen kirchlichen und gesellschaftlichen Bedingungen sind.1

 

 

1. Analyse

1.1 Neues Parochialmodell (1890er–1970er Jahre)

Umwelt- und Kirchenmodell:

Industrialisierung und Mitgliederwachstum lassen das personalgemeindliche Kirchenmodell aus der ersten Hälfte des 19. Jh. als defizitär erscheinen. Die neue Leitidee: Im konfessionsgemischten Staat sollen die Landeskirchen alle Evangelischen umfassen und geistlich und sittlich leiten. Galt vorher „eine Stadt – eine Gemeinde“, gibt es nun „Bezirke“, von denen jeder alles haben und bieten soll: Pfarrer, Kirche, Gemeindehaus, Presbyterium, ein umfassendes Programm. Dieses kostenintensive Modell setzt sich erst Mitte der 1950er Jahre voll durch (auch auf dem Land), als Mitgliederzahlen und Finanzhaushalte rasant wachsen.

Personalbestand und -einsatz:

Pfarrer – bisher zu mehreren an einer zentralen Kirche –, werden nun in ihrer Gemeinde Einzelkämpfer, denen andere Berufe als Hilfsfunktionen zu- und untergeordnet sind: Organist, Kirchendiener und -rechner, Gemeindeschwester.

Qualifizierung:

Sie geschieht durch das Studium der Theologie, Predigerseminare und „wissenschaftliche Fortbildungskonferenzen der Geistlichen“.2 Nach 1945 entstehen Pastoralkollegs zur theologischen Vergewisserung.

1.2 Differenzierungsmodell (1960er Jahre bis heute)

Umwelt- und Kirchenmodell:

Um die in den 1950er Jahren wahrgenommene Kluft zwischen den parochialen Strukturen der Kirchen und den funktionalen Strukturen der Gesellschaft zu überbrücken, bauen die Landeskirchen die gesellschaftliche Differenzierung binnenkirchlich nach gemäß dem Additionsprinzip „neue Zielgruppe/neues Thema – neue Stelle“. Ziel ist eine multilaterale „Präsenz“ zur Intensivierung der „Kommunikation des Evangeliums“, indem „Angebote“ für „alle“ Mitglieder in nach äußeren Merkmalen definierten „Zielgruppen“ entwickelt werden.

Personalausstattung und -einsatz:

Exponentiell steigende Kirchensteuereinnahmen, subsidiäre Finanzierungsquellen und der Diensteintritt der geburtenstarken Jahrgänge (1956 bis 1968) ermöglichen eine historisch singuläre Ausweitung kirchlicher Handlungsfelder und Einrichtungen. Differenzierung der Strukturen und Professionalisierung der Mitarbeitenden für spezialisierte Berufsrollen gehen Hand in Hand.

Neue Berufsgruppen verändern Personalbestand und -gefüge nachhaltig: neben Jurist*innen in der Kirchenverwaltung nun auch Diplom- und Sozialpädagogen, Sozialarbeiter, Gemeindediakone, Religionspädagoginnen in Erwachsenenbildung und Jugendarbeit, Erzieherinnen in Kindertagesstätten, Verwaltungsfachleute. Die größte Berufsgruppe sind jetzt Erzieher*innen, den höchsten Personalstand verzeichnet die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen.3

Zentralbehörden wachsen von 1950 bis 1990 personell um ca. das Zehnfache. Zusätzlich entstehen regionale Verwaltungen, weil die zwischen 1955 und 1975 explosionsartig vermehrten Kindergärten und Gebäude ehrenamtliche Kirchenrechner überfordern.4 Auch der Pfarrberuf differenziert sich aus: funktionale Spezialisten treten neben parochiale Einzelkämpfer, zahlenmäßig am stärksten in Krankenhaus und Schule5, aber auch in den zielgruppen- und themenspezifischen Diensten auf Kirchenbezirks- und Landeskirchenebene.

Obwohl die Mitgliedschaft seit 1968 schrumpft, wächst der Personalbestand.6 Die Anzahl der Pfarrer*innen steigt von 16.000 in 1910 auf 24.900 in 1997, und auch relativ zu den Kirchenmitgliedern (1968 auf 100.000 Mitglieder 47 Pfarrer*innen, 2000 ca. 90). Nur dies ermöglicht eine immer kleinteiligere parochiale und funktionale Struktur.

Zum 1.1.2018 beschäftigten die Landeskirchen ca. 238.000 Menschen, davon 20.673 Pfarrer*innen im aktiven Dienst. In den 1950er Jahren noch die größte Mitarbeitendengruppe liegt ihr Anteil nun bei ca. 9%. Ehren­amtlich engagieren sich 1,1 Mio. Menschen.7

Umgang mit Personal:

Durch die geburtenstarken Jahrgänge bestand Personalarbeit vor allem in Personalauswahl („Pfarrerschwemme“), Personaleinsatz und -verwaltung.8

Qualifizierung:

Das Theologiestudium bleibt an Texthermeneutik und Verkündigung orientiert. In den 1970er Jahren entstehen fachlich differenzierte Fortbildungseinrichtungen (Religionspädagogik, Gottesdienst, Seelsorge etc.), in kleineren Landeskirchen auch solche, die die Bereiche bündeln. Sie ermöglichen die Rezeption, theologische Reflexion und praktische Anwendung humanwissenschaftlicher (Pädagogik, Psychologie, Soziologie) und theologischer Erkenntnisse. Bei Pädagogischen Mitarbeitenden wird theologische Qualifikation erwartet und gefördert.

Steuerung:

Entsprechend einer (fach)kompetenzorientierten Qualifizierung erfolgt Steuerung – außer über Recht und Geld – über Berufsrollen: Mitarbeitenden mit Spezialkompetenzen werden zielgruppen- und themenorientierte Aufgaben zugewiesen, die sie als Einzelne aus ihrer Berufsrolle mit der jeweiligen Situation vermitteln sollen.9 Dabei sind Personen Programme. Steuerung über Berufsrollen setzt relativ statische Verhältnisse voraus. Verändert sich die Situation, werden Anpassungen primär dem Einzelnen und seiner Berufsrollenentwicklung zugewiesen. Fortbildung wird dementsprechend als individuelle Angelegenheit behandelt. Für funktionalen Einsatz werden teilweise Zusatzqualifikationen verlangt (z.B. KSA-Kurse für Kranken­haus­seelsorger*­innen, religionspädagogische Nachqualifizierung beim Eintritt in den Schuldienst etc.).

Das Modell erreicht in den 1980er und 1990er Jahren seinen Zenit. Sparnotwendigkeiten führen Mitte der 1990er Jahre zur Bündelung funktionaler Arbeit in „Handlungsfeldern“ oder „Häusern kirchlicher Dienste“, später zur Zusammenlegung von Gemeinden und Dekanaten. Seit den 2010er Jahren werden Kindertagesstätten und Gebäude in Trägerverbünde überführt, was den Organisationscharakter der Landeskirchen und die Organisations- und Verwaltungslogik ihres Handelns verstärkt, wie auch die Beratung durch säkulare Beratungseinrichtungen.

 

2. Reflexion

Mit dem Ruhestandseintritt der geburtenstarken Jahrgänge sinkt in den 2020er Jahren die kirchliche „Präsenz“. Eine vollständige Substituierung der Pfarrer*innenschaft durch Nicht-Theologen ist finanziell nicht realisierbar. Die gesellschaftliche Ausdifferenzierung geht weiter, ihr kirchlicher Nachbau gemäß Additionsprinzip ist nicht mehr möglich. In den veränderten Kontexten der 2020er Jahre treten die Schwächen des in den 1960er Jahren konstruierten Differenzierungsmodells hervor:

Strukturen und Prozesse:

Professionalisierung von Hilfe-, Bildungs-, Gerechtigkeitshandeln entkoppelt das wirksame vom darstellenden Handeln und reduziert Parochien zur „Kirche des Wortes“. In der Coronakrise z.B. beschränkt sich Innovation weitgehend auf – nun digitale – Gottesdienste. Die Distanz zum Leben der Menschen wird sichtbar.

Handeln:

a) Die Fixierung auf Kirchenmitglieder10 und (Ziel-)­Gruppen, die Gleiche vereinen, führt zu abgeschlossenen Sozialformen. Mit der Binnenfixierung geht eine Wahrnehmungsschwäche für Sozialräume einher. b) „Angebote“ für „Zielgruppen“ – Kernstrategie des Differenzierungsmodells – verlieren an Resonanz. Kirchliche Sozialformen werden irrelevant für das – veränderte – Leben der Menschen. Als Organisationen sind die Landeskirchen gewachsen, als Glaubens- und Handlungsgemeinschaften erodiert. Auch digitale „soziale Medien“ signalisieren, dass andere Vergemeinschaftungs- und Handlungsformen gebraucht werden.

Mitarbeitende:

a) Die Professionalisierung kirchlicher Arbeit führte zu einem Wegfall von Engagementmöglichkeiten für Ehrenamtliche. b) Für Mitarbeitende bedeutet Professionalisierung doppelte soziale Verankerung, einerseits in den Kirchen, andererseits in ihrer Profession, in Fach- und Berufsverbänden.11 Desintegrative Folgen zeigen sich seit den späten 1970er Jahren: „Vielen Mitarbeitern, die für ihr Arbeitsfeld fachlich ausgebildet sind, fällt es schwer, die übergreifende gemeinsame Aufgabe zu sehen und ihren Auftrag aus dem Evangelium zu ­begründen und auf die Gemeinde zu beziehen.“12

Qualifizierung:

Wachsender Problemdruck führt bei einer Steuerung über Berufsrollen zu immer größeren Kompetenzanforderungen („eierlegende Wollmilchsau“). Hohe Kompetenzen für Gottesdienst, Jugendarbeit etc. bleiben wichtig. Doch der Relevanzverlust von Glauben und Kirche wird nicht kleiner, wenn Predigten, Unterricht oder Verwaltungshandeln graduell besser und „Angebote“ „profilierter“ werden. Die fach- und zielgruppenspezifische Kompetenzorientierung stößt an Grenzen.

Leitung:

a) Geteilte Leitung führt bei fehlenden Integralfunktionen zu Abteilungsdenken und struktureller Versäulung. Die Steuerungsfähigkeit ist niedrig, das System erstarrt. b) Weil die Herausforderungen komplex sind und einfache Lösungen nicht mehr greifen, ist Steuerung über Berufsrollen nicht mehr möglich. „Komplexe Lösungen“ brauchen die Zusammenarbeit der Berufsgruppen in multiprofessionellen Crews.13

 

3. Konzept:

Ein Integralmodell landeskirchlicher Organisation für eine Kirche mit den Menschen (seit den 2000er Jahren im Entstehen)

An welchen Leitlinien sollte sich das nächste Modell kirchlicher Organisation orientieren, das unter den zu erwartenden Bedingungen am ehesten ein Handeln im Sinne von Grund, Gestalt und Bestimmung der Kirche ermöglicht?

3.1 Kirchenmodell

Die Verarbeitung von Komplexität und Dynamik erfolgt nicht mehr durch Struktur – den Nachbau gesellschaftlicher Differenzierung –, sondern durch Sinn, der sich in auftrags- und lebensweltorientierten Handlungskonzepten konkretisiert.

Kirchenbild, Sinn- und Wertfragen rücken in den Mittelpunkt, zur Selbstvergewisserung und als Auswahlkriterium aus Handlungsoptionen – als eigentliches Steuerungsinstrument, als das Leitende, „das Kybernetische“ (Alfred Jäger).

Der Umgang mit gesellschaftlicher Differenzierung erfolgt nicht mehr durch ihren innerkirchlichen Nachbau, sondern durch den Aufbau von Selbstgestaltungsfähigkeit im Sinne ihres Auftrags. Selbstgestaltungsfähigkeit hat neben strukturellen und prozessualen auch personale und kulturelle Aspekte. Eine höhere Selbstgestaltungsfähigkeit im Sinne des Auftrags der Kirche braucht andere Perzeptionen, Kompetenzen, Haltungen, vor allem ein anderes Arbeits- und Kooperationsverhalten als in der Differenzierungsphase. Komplexe Probleme können nur gemeinsam, in Kooperation der verschiedenen Kompetenzen und Perspektiven bewältigt werden durch komplexe Lösungen.

Statt an „Zielgruppen“ orientieren sich parochiale und funktionale Dienste am Sozialraum und den Menschen, der in „Gott-Perspektive“14 wahrgenommen wird.

Das Interaktionsmuster mit den jeweiligen Kontexten ändert sich. Gedacht wird nicht mehr von der kirchlichen Organisation und der eigenen Profession und Fachlichkeit her – welche „Angebote“ müssen wir wie „profilieren“, damit wir Menschen „erreichen“ und sie „bei uns“ „mitmachen“? –, sondern von den Menschen her: Was willst Du, dass ich dir tun soll (Lk. 18,41)? Welche Kirche wird hier gebraucht?

Statt „Angebote“ parochialer und funktionaler Einzelkämpfer entwickeln multiprofessionelle Crews im Dialog mit den Menschen eine kirchliche Arbeit, die für den Alltag und die Personen Bedeutung hat und Sinn stiftet – im Sinne eines Glaubens, der durch die Liebe tätig wird (Gal. 5,6).

Wenn sich „Nöte“ (Röm. 12,2) zeigen, z.B. die Vereinsamung allein lebender älterer Menschen, und wenn daraufhin Parochien, gemeindepädagogische Dienste, Altenheime, Sozialstationen, Spezialseelsorger*innen, Ehrenamtliche, auch Konfirmanden- und Jugendgruppen im Gespräch mit den Menschen herausfinden, was diese an Leib und Seele brauchen, und dazu aus gottesdienstlichen und spirituellen, aus seelsorgerlichen, pflegerischen, praktisch-unterstützenden und administrativen Elementen ein integriertes Konzept knüpfen, dann ist das etwas anderes als ein „profiliertes“ „Angebot“ für die „Zielgruppe“ „Senior*innen“, die „bei uns“ „mitmachen“ sollen. Nicht mehr „Handlungsfelder“ oder „Zielgruppen“, sondern Weltwahrnehmung vom Evangelium her orientiert kirchliches Handeln und strukturiert kirchliche Organisation. Eine normative Umorientierung findet statt: Es geht um Leben und Lebendigkeit der Menschen, nicht der Parochien; um die Legitimität von Ansprüchen, nicht um Legitimierung der eigenen Funktion.

Liturgie und Diakonie sowie parochiale und funktionale Dienste gehören zusammen und sind aufeinander bezogen – und nicht mehr durch Professionalisierung von „Handlungsfeldern“ in spezialisierten Einrichtungen entkoppelt. Doppelstrukturen und operative Verinselung der Aktivitäten werden überwunden durch Übergänge und Kooperation zwischen den Einheiten selbst – in einer Struktur, die systembezogen-selbstgestaltende und kontextbezogen-handlungsorientierte Dienste unterscheidet und neu verbindet.

 

 

Das Differenzierungsmodell fokussiert Strukturen, das Integralmodell Prozesse der Zusammenarbeit nach klaren Regeln.15 Auch zukünftig gehen Kirchenentwicklung und Mitarbeitendenförderung Hand in Hand.

3.2 Personalausstattung und -gefüge

Personalausstattung und -gefüge werden sich in den 2020er Jahren verändern:
¬ Pfarrstellen werden mit anderen Berufsgruppen besetzt, z.B. Pressesprecherstellen mit Medienprofis und Journalisten.
¬ Digitalisierung führt zu hybriden Gemeinden, neuen Berufsbildern („Pfarrer*in für digitale Verkündigung“) und zur Einstellung neuer Berufsgruppen: IT-Experten, Medienpädagogen, Kommunikationswissenschaftler, Kameraleute etc.
¬ Neue ökonomische Herausforderungen führen zur Einstellung von Betriebswirten, Marketing-Fachleuten etc.
¬ Der Anteil der Pädagog*innen im Verhältnis zu Pfarrpersonen steigt.
¬ Ehrenamtliche finden in alltagsbezogenen Netzwerken neue Engagementmöglichkeiten. Ihre Entdeckung, Förderung und Unterstützung wird zur Aufgabe.
¬ Der Rückgang der Hauptamtlichen gibt den Blick frei für flexible, aber verlässliche Mitarbeit beruflich gut qualifizierter Ehrenamtlicher (ähnlich den Diakonen in den Bistümern; z.B. Lehrer*innen als Schulseelsorger*innen). Landeskirchen werden Qualifizierungsagenturen, Gärten persönlichen Wachstums zur selbstständigen, kooperativen Ausübung des christlichen Glaubens.

Für all diese Mitarbeitendengruppen, insbesondere bei Leitungsverantwortung, entstehen neue Personalentwicklungsaufgaben:
¬ Der Frauenanteil im Pfarrberuf steigt. Ehepartner sind in der Regel berufstätig, familienfreundliche Arbeitssettings insbesondere im Gemeindepfarrdienst werden ein Desiderat. Die Transformation landeskirchlicher Organisation braucht personelle Ressourcen und entsprechende Rollen (z.B. Begleitung von Veränderungsprozessen in Kirchenkreisen).
¬ Die Öffnung zum Sozialraum erfordert neue Kompetenzen und Berufsrollen.
¬ Multiprofessionelle Zusammenarbeit erfordert neue Rollenmuster und Fähigkeiten. Andere Berufe können nicht mehr als Hilfsfunktionen oder Gegenüber zum Pfarrberuf gesehen werden. Ihr Miteinander wird zur Aufgabe.

Die nicht vermeidbare Transformation macht die Bedeutung der Mitarbeitenden sichtbar. Sie müssen den Wandel bewältigen. Personalentwicklung für Haupt-, Neben- und Ehrenamtliche wird auf allen Ebenen zu einem Schlüsselfaktor: Obenauf liegen Personalpolitik und -einsatz sowie die gemeinsame Qualifikation der unterschiedlich Qualifizierten – in Ekklesiogenese, Ökonomie, Leitung und Haltung.

3.3 Umgang mit Personal: integrierte, berufsgruppenübergreifende Personalpolitik und -entwicklung

Die hohe Dynamik der Kontexte macht lebenslanges Lernen nötig. Die Landeskirchen brauchen deshalb über die Ausbildung hinaus eine Fokuserweiterung auf die gesamte Berufslaufbahn. Gerade weil die Transformation von denen bewältigt werden muss, die bereits ausgebildet sind, bekommt Personalentwicklung, und darin Fort- und Weiterbildung, Supervision, Coaching und Geistliche Begleitung, eine Schlüsselfunktion in der ­Reform.

Im Integralmodell sind Kirchen- und Personalpolitik aufeinander abgestimmt. Kirchenpolitik definiert einen Entwicklungspfad, den Personalentwicklung unterstützt. Sie umfasst alle Berufs- und Mitarbeitenden­gruppen.

Personalpolitik und -konzept beantworten Fragen: Welches Personal mit welchen Qualifikationen brauchen wir? Wie gewinnen wir es? Wie setzen wir es ein? Wie bilden wir es fort? Wie können Gaben und Fähigkeiten gefördert werden? Wie gestalten wir die Arbeitsbedingungen, damit Kompetenzen im Sinne des kirchlichen Auftrags wirksam werden können? Wie mildern wir Belastungen und Demotivation? Wie gelingt das Zusammenspiel der Berufsgruppen? Welche Karrieremöglichkeiten haben Nicht-Theologen – ein wichtiges Kriterium bei der Stellenwahl. Welche Chancen bieten Landeskirchen ihrem Personal? Wo wollen sie in fünf oder zehn Jahren stehen und was muss dazu getan werden?

Sind Landeskirchen für eine integrierte Personalpolitik und -entwicklung gut gerüstet? Dies scheint fraglich. Personalverantwortung und -einsatz sind meist für verschiedene, manchmal auch die gleichen Berufsgruppen über mehrere Dezernate verteilt. Fort- und Weiterbildung findet (in großen Landeskirchen) in hohem Maße durch Einrichtungen und Dienste statt, die fach- und zielgruppenspezifische Kompetenzen entsprechend der Zielgruppen- und Angebotslogik des Differenzierungsmodells vermitteln. Für übergreifende Personalentwicklungsmaßnahmen und strategische Fort- und Weiterbildung als ihrem zentralen Element fehlen adäquate Strukturen. Wo man deren Notwendigkeit sieht, setzt man bei der Ausbildung in Predigerseminaren und der Fortbildung in den ersten Amts- und Berufsjahren an. Darüber hinaus, für die Mitarbeitenden, die noch 10 bis 35 Jahre vor sich haben, wird es schwierig.16

Verstärkte Fortbildung ganzer Pfarr- und Mitarbeitendenkonvente, Kreissynoden und Teams zeigen die notwendige Ergänzung einer Fortbildungsarbeit als „Privatangelegenheit“ von Mitarbeitenden hin zu einer strategischen Personalentwicklung, die auch stärkere Teilnahmeverpflichtungen einschließt: nicht nur bei der Einführung neuer Agenden, sondern auch bei den zentralen Fragen der Kirchen- und kirchlichen Organisationsentwicklung.

3.4 Personaleinsatz

Wird kirchliches Handeln von den Sozialräumen und dem Leben der Menschen her gestaltet, dann erfordert deren Heterogenität und Dynamik fluide Strukturen und fluiden Personaleinsatz. Beides wird möglich, wenn man Mitarbeitende einer überparochialen Organisationsebene (Gesamtkirchengemeinde/Region/Kirchenkreis) zuweist und ein Teilspezialisierungsmodell einführt, das bei Pfarrern z.B. orts- und aufgabenbezogenen Dienst unterscheidet.

Arbeitsteilige Konzepte und gabenorientierte Arbeitsteilung in multiprofessionellen Teams ermöglichen es, im Laufe der Berufsbiographie begabungs- und kompetenzorientierte Schwerpunkte zu setzen (horizontale Karriere). Erst durch eine solche Einsatzstruktur können besondere Begabungen und Qualifikationen zum Zug kommen, die im Differenzierungsmodell häufig in Neben­tätig­keiten ausgelagert werden.

Die Pfarrrolle entwickelt sich weiter von der „Alleinzuständigkeit“ und „Letztverantwortlichkeit“ zu „voller Verantwortung bei klar beschriebenen Aufgaben“. Das Dekansamt17 erhält in Kirchen- und Konzeptentwicklung und Personaleinsatz einen neuen Schwerpunkt. Nichtpastorale und Verwaltungsmitarbeitende tragen verantwortlich bei zu den gemeinsamen Konzepten, mit Auswirkungen auf die Fortbildungsarbeit.

3.5 Gemeinsame Qualifikation der unterschiedlich Qualifizierten

Weil die Entwicklung integrierter Handlungskonzepte in den jeweiligen Sozialräumen und gesellschaftlichen Kontexten eine gemeinsame Aufgabe aller Mitarbeitenden ist, braucht es eine gute Kooperation der unterschiedlich Qualifizierten, die durch gemeinsame Qualifikation gefördert werden kann (vgl. 1. Kor. 12,7-11), durch gemeinsame Begriffe und Referenzrahmen, die die Verständigung erleichtern und eine theologische Zentrierung von Entscheidungen ermöglichen.

Die gemeinsame Qualifizierung geschieht in berufsgruppenübergreifenden Aus- und Fortbildungselementen. Sie reframen die Professionalitäten und ihre Rationalitäten theologisch, ekklesiologisch und kybernetisch, auch durch den Aufbau gemeinsamer neuer Praktiken und Kompetenzen der Arbeit und Zusammenarbeit.

3.5.1 Ekklesiogenese: Neue Gestalten kirchlichen Lebens und Wirkens entwickeln können

Sollen neue Handlungskonzepte, neue, lebensdienliche Gestalten kirchlicher Arbeit mit den Menschen entwickelt werden, die für die Menschenfreundlichkeit Gottes transparent sind, bedarf es ekklesiogener Kompetenz:
¬ Den Sozialraum als Handlungs- und Möglichkeitsraum entdecken, lesen und darin agieren können, mit Hilfe soziologischer und systemischer Kenntnisse („Soziologikum“).
¬ Kirchliche Organisation lesen können.
¬ Zeichen der Zeit als Handlungsanlässe erkennen: Gottes Anspruch in situativen Begebenheiten, Gottes Interesse an seiner Kirche hier und jetzt, mithilfe dogmatischer und ekklesiologischer Reflexions- und Deutungskompetenzen.
¬ Aktivitäten auswählen und Sozialformen entwickeln, mithilfe kirchentheoretischer und praktisch-theologischer Reflexions- und Handlungskompetenz.
¬ Kirchliche Organisation als förderlichen Rahmen gestalten können für das Neue, das werden will.

Dies ist nur kooperativ und vernetzt nach innen und außen möglich, und benötigt entsprechende soziale und persönliche Fähigkeiten: ein guter Gastgeber und guter Gast sein und gut zuhören können, Netze knüpfen mit denen, die in kompatiblen Sinn- und Werthorizonten unterwegs sind, auch außerhalb der Kirche. Dialog-, Kooperations-, Konflikt-, Teamfähigkeit.

Die Öffnung zu sozialen Räumen und der Lebenswirklichkeit der Menschen braucht gleichzeitig eine innere Fokussierung, eine „theologische Achse“ (Alfred Jäger), die aus den Optionen diejenige auswählen hilft, die Not tut und an der Gott ein Interesse hat. Dies liegt nicht offen zu Tage. Theologische und zugleich situative Vergewisserung über das Warum und Wozu kirchlichen Handelns wird zur Aufgabe.

Theologisch-kybernetische Reflexions- und Deutungskompetenz, Leitungs- und Organisationsgestaltungskompetenz sind Rahmenkompetenzen über die jeweiligen, weiterhin nötigen Fachkompetenzen hinaus.

Die in der Ausbildung von Pfarrpersonen dominierende Texthermeneutik wird durch Gestaltungsheuristik ergänzt; nicht nur „Sprachfähigkeit“, auch Gestaltungsfähigkeit für neue Sozialformen des Leibes Christi im Kontext, die Entdeckung und Entwicklung des Neuen im Sinne einer zeugnisstarken Kirche. Nichttheologische Mitarbeitende erarbeiten sich theologische Grundkenntnisse, alle zusammen kybernetisch-ekklesiogene Kompetenzen.

 

 

3.5.2 Mehr als Fundraising: Ökonomische Gestaltungsfähigkeit jenseits von Kirchensteuer und Subsidiarität

Ökonomische Kompetenz der Mitarbeitenden wird aus folgenden Gründen wichtiger:
¬ Die finanzwirtschaftlichen Kontexte ändern sich (vgl. Bankrotte kirchlicher und diakonischer Einrichtungen).
¬ Ökonomische Akteure treten auf ehemals unbestritten kirchlichen Handlungsfeldern auf und sind offensichtlich agiler und ökonomisch kompetenter.18
¬ Subsidiäre Finanzierung setzt einer christlichen Akzentuierung der „Leistungen“ enge Grenzen und bremst ein Handeln aus spezifisch christlicher Wahrnehmung, Motivation und Zielsetzung aus.
¬ Andere Formen kirchlichen Handelns aus gläubiger Weltwahrnehmung wollen finanziert sein. Gesteigerte kirchliche Selbstgestaltungsfähigkeit für zeugnisstarke Gestalten kirchlichen Lebens erfordert auch ökonomische Kompetenz.

Bodelschwingh gab „Aktien“ aus, Grabeskirchen oder Vereine wie „Andere Zeiten“ schaffen Arbeitsplätze. Wie sieht landeskirchliche Ökonomie jenseits von Subsidiarität und Kirchensteuer aus? Möglichkeiten sollten bald erkundet, das Verhältnis von Theologie und Ökonomie reflektiert, Expertise und entsprechende Kompetenzen erarbeitet werden.

3.5.3 Mehr als Hierarchie, Einzelentscheidungen und interpersonale Führung – Leitung als theologisch orientierte, reflexive (Selbst-)Gestaltung

Während sich Leitung in der Diakonie seit den 1980er Jahren professionalisiert hat durch die Weiterentwicklung von Leitungssystemen und -konzepten und eine Leitungskräftequalifikation auf universitärer Ebene19, verharren die Landeskirchen in der desintegrierten Leitung des Differenzierungsmodells. Für Pfarrer*innen und Dekan*innen gibt es seit den 1990er Jahren Führungstrainings, die zunächst stark auf interpersonale Führung, zunehmend auch auf Veränderung fokussierten. Qualifizierungsmöglichkeiten für obere Führungskräfte existieren nicht.

Im Integralmodell wird Leitung als Funktion der Gestaltwerdung des Leibes Christi verstanden (1. Kor. 12,28; Gal. 4,19), in ständiger Unruhe aufgrund des doppelten Grundbezugs von Kirche auf Gott und Welt: Entspricht kirchliches Handeln Gottes Heilswillen? Entspricht es den Menschen, denen Gottes Liebe gilt, und der Situation, der „Welt“, in die Kirche gesandt ist, Zeichen des Reiches Gottes zu sein? Kirchliche Leitung verspricht beide Perspektiven zur theologischen Achse als relationaler Konstante, die sich in Politiken, Strategien und Konzepten des Handelns konkretisiert.

Steuerung kirchlicher Arbeit erfolgt nicht mehr durch Berufsrollen, sondern durch ein Leitungskonzept, in dem die unterschiedlichen „Stellen“ und Berufsrollen sich in der Erfüllung der gemeinsamen Aufgabe koordinieren und durch Konzeptentwicklung selbst steuern. Der Focus verschiebt sich: Nicht mehr Identität und Aufgabe einer Profession oder Einrichtung prägen die Aktivitäten, sondern die Frage, wer auf der Basis seiner spezifischen Position, Funktion, Kenntnisse und Kompetenzen in welcher Weise zum gemeinsamen Konzept, zur gemeinsamen Aufgabe der Erbauung des Leibes Christi beitragen kann (vgl. 1. Kor. 14,26).

Erfolgt die Verarbeitung von Komplexität und Dynamik durch Sinn, durch auftrags- und lebensweltorientierte Politik, Strategien, Konzepte in Entwicklung, bedarf es einer Leitungspraxis, die sich als reflexive (Selbst-)Gestaltung versteht. Sie hält den Rahmen, der Entwicklung möglich macht, indem sie Entscheidungsnotwendigkeiten benennt, Bearbeitungsformen bereitstellt und Entscheidungsfähigkeit herstellt. Um kohärentes Entscheiden durch geklärte Wertvorstellungen zu ermöglichen, vermittelt sie Orientierung durch Erarbeitung normativer (Identität: wer sind wir?), strategischer (Zukunft: wohin soll es gehen?) und operativer Sinnhorizonte (Ziele). Sie entwickelt eine Leitungspraxis, die Reflexivität ermöglicht, Möglichkeiten kreiert und Wirkungen skaliert. Sie stabilisiert Entwicklungsprozesse und konkretisiert Erfolgsvorstellungen.

Kompetenzen: reflektierter Umgang mit dem eigenen Leitungssystem, seiner Gewordenheit und Entwicklungsbedürftigkeit, Kenntnis von Konzepten und Methoden theologisch orientierter und reflektierter Kirchengestaltung.

3.5.4 Haltungen

Sinnorientierte Selbstgestaltung erfordert neue Haltungen (Identitätssprung):
¬ Bereitschaft, sich auf die theologische Sinnmitte kirchlichen Handelns einzulassen und an ihrer Ausformulierung mitzuwirken.
¬ Bereitschaft, an der Entwicklung und Umsetzung gemeinsamer Konzepte mitzuwirken.
¬ Die Fähigkeit, sich in komplexen Strukturen und Netzwerken zu bewegen.
¬ Die Bereitschaft, ökonomische Aspekte in das eigene Handeln mit einzubeziehen.
¬ Die Weiterentwicklung vom Fachspezialisten zum Mitverantwortlichen für die Gestaltwerdung des Leibes Christi unter den je gegebenen Bedingungen.

Mitverantwortung für die Gestaltwerdung des Leibes Christi geht einher mit Einstellungen, die sich an den Attributen der Kirche als Glaubensgemeinschaft orientieren:
¬ Bereitschaft zur Veränderung von Denk- und Lebensformen „um des besseren Ausdrucks der Bedeutsamkeit Christi für die Gegenwart willen“ (Apostolizität).
¬ Offenheit für die christliche und nichtchristliche Welt und ihre Zukunft, Bewusstsein der Vorläufigkeit der eigenen Erkenntnis- und Lebensformen (Katholizität).
¬ „Mut zur christlichen Identität“, auch gegen externe Widerstände (Heiligkeit).
¬ „gegenseitige Anerkennung verschiedener Ausprägungen christlichen Lebens und Denkens aus dem Geist der Liebe“20 (Einheit).

 

4. Ausblick

Landeskirchen als staatsanaloge Organisationen mit stark behördlichen Zügen entstammen staatskirchlichen Zeiten. Zu ihrer näheren Zukunft wurde hier eine grobe Skizze zu erprobender kybernetischer Leitlinien gewagt.

Wie werden sich die Landeskirchen in der weiteren Zukunft organisational positionieren? Mehr als Holding, die stets neue Gründungen fördert – privatwirtschaftlich und genossenschaftlich organisierte starke Töchter einer starken Mutter, zur Kommunikation und Praxis des Evangeliums? Welches Personal dafür wohl nötig wäre? Und welche Strukturen dieses Personal dann bräuchte, um wirksam zu werden?

 

Anmerkungen

* Der Artikel wurde verfasst auf Anfrage der Führungsakademie für Kirche und Diakonie, Berlin. Erstveröffentlichung in: Lars Charbonnier/Antje Pech/Franziska Woellert (Hg.), Familienorientierung stärken. Evangelische Arbeitgeber zwischen Innovation und Tradition, Leipzig 2022, 104-126. Der vorliegende Text ist die Übernahme eines Artikels aus dem Pfälz. Pfarrerblatt Nr. 7/8 2023 (113. Jg.), 237-246.

1 Die Entwicklung wird hier extrem verkürzt skizziert. Vgl. Steffen Schramm, Kirche als Organisation gestalten, Berlin 2015, 139-396; 486-721. Für östliche Landeskirchen vgl. Hanna Kasparick/Hildrun Keßler, Aufbrechen und Weiterdenken. Gemeindepädagogische Impulse zu einer Theorie von Beruflichkeit und Ehrenamt in der Kirche, Leipzig 2019).

2 So in der Evang. Kirche der Pfalz 1897, vgl. GOV I, 634.

3 9000 Kitas, Ausweitung des Religionsunterrichts qua Bildungsreform, Aufbau von Jugendzentralen, Landesjugend-, Schüler-, Kindergottesdienstpfarrämtern, Schulämtern, Pädagogischen Instituten.

4 Zu den Folgen subsidiärer Kirchenfinanzierung vgl. Schramm, Kirche als Organisation gestalten (Anm. 1), 389ff.

5 In der Evang. Kirche der Pfalz waren im Jahr 2000 ca. 15% des Pfarrpersonals an staatlichen Schulen und ca. 5% im Krankenhaus tätig.

6 Die Evang. Kirche von Westfalen verliert zwischen 1970 und 1997 ca. 20% ihrer Mitglieder, die Zahl der Beschäftigten steigt im gleichen Zeitraum um ca. 90%. Die EKHN hatte 1975 ca. 9900 Mitarbeitende, im Jahr 1997 19.500 (davon 45% teilzeitbeschäftigt). Vgl. Schramm, Kirche als Organisation gestalten, 307ff.

7 Gezählt 2020. Zahlen und Fakten zum kirchlichen Leben, Hg.: EKD, Hannover 2020, 18f. Die dort genannten Zahlen unterscheiden nur Theolog*innen und „andere Beschäftigte“.

8 Michael Klessmann, Das Pfarramt, Neukirchen-Vluyn 2012, 135: „Eine gezielte Personalentwicklung und -planung hat es jedoch in den Landeskirchen in Deutschland bisher nicht gegeben.“ – Das ändert sich seit 2010 in ersten Ansätzen durch das Aufkommen von Personalberatungen in der EKHN, in Hannover, Westfalen, der Pfalz.

9 In der Kirchenreform der 1960er Jahre wird die Forderung nach spezialisierten Mitarbeitenden laut. Vgl. z.B. Dieter Aschenbrenner/Gottfried Buttler, Die Kirche braucht andere Mitarbeiter. Vom Universaldilettanten zum Spezialisten, Stuttgart 1970. 2014 belegt eine empirische Studie, dass sich Diakon*innen als Spezialisten für Zielgruppen und Themen verstehen, nun langsam ergänzt durch Spezialisierung auf Sozialräume. Vgl. Gunther Schendel, Wie geht’s den Diakon*innen? Aktuelle Ergebnisse aus der hannoverschen Landeskirche, PTh 54 (2019), 176-185.

10 Vgl. die KMU seit 1974 als Reaktion auf Kirchenaustritte seit 1968. Vgl. auch die Interpretation der Freiburger Projektion nach dem gleichen Muster.

11 Vgl. Wolfgang Steck, Praktische Theologie I, Stuttgart u.a. 2000, 427.

12 EKD-Denkschrift „Zusammenhang von Leben, Glauben und Lernen. Empfehlungen zur Gemeindepädagogik“ (1982), zitiert nach: Kirchenamt der EKD, Denkschriften Bd. 4/1, 218f.

13 Vgl. Gunther Schendel, Multiprofessionalität und mehr. Multiprofessionelle Teams in der evangelischen Kirche – Konzepte, Erfahrungen, Perspektiven, SI-Kompakt Nr. 3-2020.

14 Dietrich Ritschl, Gotteserkenntnis durch Wiedererkennen, in: Ders., Bildersprache und Argumente, Neukirchen 2008, 5-17; 7.

15 Vgl. die ausgefeilten Prozessregeln in Selbstorganisationskonzepten wie Soziokratie und Holocracy.

16 Es ist kein Zufall, sondern Ausdruck ihrer strukturell unbefriedigenden und nicht ausreichend leistungsfähigen Organisation, dass in dem großen Band von Bernd Schröder (Hg.), Pfarrer/in werden und sein, im letzten Kapitel „Tagungsrückblick und Identifizierung von Aufgaben“ die Perspektive der Fort- und Weiterbildung fehlt.

17 Vgl. Schramm, Kirche als Organisation, 694-705.

18 Bestattung (Ruheforst, Friedwald, Rundumangebote von Bestattungsunternehmen inklusive Trauerfeier und Seelsorge, Privatleute, die Grabeskirchen bauen), Seelsorge (durch einen breit aufgestellten Psychomarkt), Jugendfreizeiten und -reisen etc.

19 IDM Bethel, Institut für Diakoniewissenschaften Heidelberg etc.

20 Alle Zitate: Pannenberg, Wolfhart, Thesen zur Theologie der Kirche, München 1970, 45.

 

Über die Autorin / den Autor:

Pfarrer Dr. Steffen Schramm, Sozialmanager und systemischer Organisationsberater, Leiter des Instituts für kirchliche Fortbildung der Evang. Kirche der Pfalz; zahlreiche Publikationen, auch zum Download: zentrum-theologische-aus-und-fortbildung.de/fortbildung/publikationen.

 

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 6/2024

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22.09.2024 Ein Kommentar von Peter Wiegandt Als P.i.R. seit 2023 gebe ich auf den Artikel von Dr. Schramm und auf seinen Artikel hin auf den hier veröffentlichten Kommentar von P. Krüger, hier vor allem in Hinsicht auf die Veränderungen in den Verwaltungsstrukturen und hier in der Hannoverschen Landeskirche den Faktoren meine Beobachtungen den Verweis auf eine kleine Broschüre weiter. Der Verfasser 1995 für den damaligen Kirchenkreis Elze- Coppenbrügge, der 1974 errichtet wurde, heute nach mehreren Fusionen 2001 und 2015 der derzeitige Kirchenkreis Hildesheimer Land und Alfeld, ist Gerhard Puhrsch(+ 2016), ein ehemaliger KV Vorsitzender und ehrenamtlicher Archivpfleger. Die Broschüre ist über die Bibliothek der Landeskirche Hannover auszuleihen. Demnach gab es vor den entsprechenden Fusionen der Kirchenkreise Elze- Coppenbrügge (1974) und Bockenem- Hoheneggelsen (1975) nur personell sehr kleine Verwaltungsebenen. Vor Bildung der damaligen Kirchenkreisämter waren es einzelne Rendanten, die für die Kirchenfinanzen zuständig waren. Um 1995 gab es dann im Hildesheimer Land 4 Kirchenkreisämter mit 12-15 Angestellten. Diese wurden nach 2000 zu einem neuen Kirchenamt geformt. Wer denkt, daß - wie versprochen - hier nun eine "Verschlankung" eingetreten wäre, irrt. Derzeit sind ca. 90 Stellen, z.T. wie früher in Teilzeit, in diesem Bereich geschaffen und besetzt. Noch eindrücklicher wird diese Entwicklung erkennbar, wenn eine Relation zwischen Pfarrstellen und Gemeindegliederzahlen alleine in dieser Region aus den letzten Jahrzehnten in Beziehung gesetzt werden. Gab es vor 30 Jahren noch eine Relation von 1 Pfarrstelle auf ca. 2,5 Verwaltungsstellen, so nähert man sich derzeit auf eine Relation von 1:1. Mein Fazit: bei allen zusätzlichen und gestiegenen Verwaltungstätigkeiten, die ich als P.i.R. wie die Menschen in anderen Arbeitsbereichen durchaus begleiten, aber auch erlitten habe, wie es zuletzt die Diskussionen um die Umsatzsteuer wiedergab, meine ich doch, daß ein grundsätzliches Umsteuern in diesem Bereich wichtig wäre. Alleine die Konzentration auf Ämter in den Zentren und keine mehr den Gemeinde nahen Verwaltungsmitarbeitende bleibt sicherlich eine Aufgabe.
19.06.2024 Ein Kommentar von Ralf Krüger Vorab: Man kann den Artikel wesentlich flüssiger lesen als es die eingefügten Schaubilder befürchten lassen. Ich kommentiere nur einzelne Aspekte. / Ja, ich gehöre zur alten Generation der Pfarrerschaft und gehe nächstes Jahr in Pension. / Nein, ich bin nicht in den 1990er-Jahren steckengeblieben. Bis heute reflektiere ich beispielsweise stetig meinen Konfirmandenunterricht und passe ihn immer wieder neuen Erfahrungen an. Ich bin medienkompetent und kann sowohl mit Kindern und Jugendlichen als auch mit Erwachsenen kompetent kommunizieren. Ich bewege mich sicher in allen gesellschaftlichen Schichten. / 1) Was ist Kirche? CA 7: “Von der Kirche - Es wird auch gelehrt, dass allezeit eine heilige, christliche Kirche sein und bleiben muss, die die Versammlung aller Gläubigen ist, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden. Denn das genügt zur wahren Einheit der christlichen Kirche, dass das Evangelium einträchtig im reinen Verständnis gepredigt und die Sakramente dem göttlichen Wort gemäß gereicht werden. …” / 2) Die Analyse ist flüssig und verständlich zu lesen und trifft in der Regel zu. / 3) Personalentwicklung bis 1990 - Personal in den Zentralbehörden wächst um den Faktor 10 (hinzu kommen regionale Verwaltungen), Pfarrerschaft wächst um den Faktor 1,6 (hinzu kommen weitere Mitarbeitende). Finde den Fehler! / 4) Im Jahr 2000 kommen auf 100.000 Gemeindeglieder 90 Pfarrpersonen; umgerechnet auf eine Pfarrperson 1.111 Gemeindeglieder? Jede Pfarrperson betreut in unserem Kirchenkreis schon seit Jahren ca. 2.500 Gemeindeglieder; der Durchschnitt lag in der Hannoverschen Landeskirche immer bei ca. 2.400. Wo sind die restlichen Pfarrpersonen? / 5) Umgang mit Personal - viele können ein “trauriges” Lied singen (ich weiß, dass Steffen Schramm etwas anderes meint). / 6) “Qualifizierungsmöglichkeiten für obere Führungskräfte existieren nicht.” Leider gibt es auch keine klar erkennbaren Kriterien, nach denen sich Führungspersonal vor (!) der Bewerbung auf eine Leitungsposition qualifizieren muss. / 7) “Gottperspektive” - “Wenn sich „Nöte“ (Röm. 12,2) zeigen, z.B. die Vereinsamung allein lebender älterer Menschen, und wenn daraufhin Parochien, gemeindepädagogische Dienste, Altenheime, Sozialstationen, Spezialseelsorger*innen, Ehrenamtliche, auch Konfirmanden- und Jugendgruppen im Gespräch mit den Menschen herausfinden, was diese an Leib und Seele brauchen, und dazu aus gottesdienstlichen und spirituellen, aus seelsorgerlichen, pflegerischen, praktisch-unterstützenden und administrativen Elementen ein integriertes Konzept knüpfen …” Es ist ja nur ein Beispiel, weitere müssen folgen. Ist “Gottperspektive” vielleicht zu hoch gegriffen? / 8) “Sind Landeskirchen für eine integrierte Personalpolitik und -entwicklung gut gerüstet?” Das ist eine gute Frage, die ich klar verneinen würde. / 9) “Verstärkte Fortbildung ganzer Pfarr- und Mitarbeitendenkonvente, Kreissynoden und Teams …” Wenn man sich hier nicht nur - ich bitte die Ausdrucksweise zu entschuldigen - “den Hintern platt sitzt", dann würde man an solchen Veranstaltungen ja engagiert teilnehmen. Allerdings wird sich die Betrachtung dieser Veranstaltungen in Zukunft verändern, wenn nach dem “Terminstundenmodell” auf diese Weise Vorbereitungszeit gewonnen werden kann. / 10) “Ökonomische Gestaltungsfähigkeit jenseits von Kirchensteuer und Subsidiarität” Wohin fließt die Kirchensteuer, die vor Ort in der Parochie eingeworben wird? - “Subsidiäre Finanzierung setzt einer christlichen Akzentuierung der „Leistungen“ enge Grenzen und bremst ein Handeln aus spezifisch christlicher Wahrnehmung, Motivation und Zielsetzung aus.” Warum setzen Kirchen dann auf diese Arbeitsfelder? Andere gesellschaftliche Organisationen stehen bereit.
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