Kirchliche Trauungen sind zu Großevents geworden – nicht zuletzt durch fragwürdige Vorbilder in Filmen und im Fernsehen. Das hat Konsequenzen für Paare, die diesen Aufwand – aus welchen Gründen auch immer – scheuen. Vier Kolleg*innen aus Pforzheim haben deshalb ein kleines Format für niederschwellige Trauungen entwickelt.

 

Auf dem Weg zu unserem Format „Einfach! heiraten“

„Im schlimmsten Fall trinken wir den Sekt halt selbst.“ Nicht die schlechteste Variante, dachten wir – Julia Kaiser, Anja Kamper, Malte Dahme und Susanne Bräutigam, vier Kolleg*innen aus dem Kirchenbezirk Pforzheim-Stadt –, als wir erste Überlegungen zu einer Pop-up-Trauaktion anstellten. Ein Testballon, mehr nicht Ein kleines, feines Format, mit dem wir die parochieübergreifende Arbeit in Schwerpunkten ausprobieren wollten. Wir wollten uns nicht von großen Erwartungen unter Druck setzen lassen, sondern Freude am gemein­samen Arbeiten haben.

Erfahrungen andernorts hatten uns dazu inspiriert und ermutigt: Wir kannten die flächendeckende Aktion „Einfach heiraten“ der Bayrischen Landeskirche, die Segensfeste des Segensbüros in Berlin und von St. Moment in Hamburg. Und auch in der Badischen Landeskirche ist die Idee nicht neu: Unsere Kollegin Anja Bremer (Kirchenbezirk Breisgau-Hochschwarzwald) führte ein ­solches Format erstmals am 22.2.2022 durch und wiederholt es aufgrund der großen, positiven Resonanz seitdem jährlich. Durch den kollegialen Austausch mit ihr und mit den Inspirationen aus mittlerweile vielen anderen Orten in ganz Deutschland entwickelten wir ein eigenes Konzept für Pforzheim.

 

 

Die Idee …

Wir wollten Paaren einfach, unbürokratisch und doch in einem festlichen Rahmen Segen zusprechen – egal, ob sie sich kirchlich trauen lassen, ihr Eheversprechen erneuern oder ihre Liebe segnen lassen wollten. Dafür öffneten wir die Tore der Pforzheimer Schloßkirche. Die Paare konnten spontan oder mit Voranmeldung kommen.

Für jedes Paar war ein Zeitrahmen von 30 Minuten für ein gemeinsames Vorgespräch und der Vorbereitungszeit des*der Liturg*in reserviert und weitere 30 Minuten für ihre Trauung bzw. Segnung.

Im direkten Anschluss hatten die Paare die Möglichkeit, an einer Fotobox ein Erinnerungsfoto zu schießen, mit Sekt anzustoßen und ein kleines Hochzeitstörtchen zu essen. Darüber hinaus war es möglich, bis zu acht Gäste mitzubringen.

 

… ihre Gründe …

Die große Resonanz bei der Erprobung solcher Formate an anderen Orten ließ uns eine große Nachfrage erwarten. Folgende mögliche Beweggründe konnten wir uns dafür vorstellen:

¬ Nicht für alle Paare kommt die eine große Hochzeitsfeier mit 100 Gästen und einer teuren Location in Frage. Um Hochzeitsfeiern hat sich mittlerweile ein großer und vielfältiger Markt entwickelt. Nicht selten reichen die Kosten aufgrund der vielen Möglichkeiten und ­Wünsche bis in den fünfstelligen Bereich. Viele Paare können oder wollen diese finanzielle und organisatorische Belastung nicht auf sich nehmen.

¬ Während der Corona-Zeit mussten viele aufwändig geplante Hochzeitsfeiern abgesagt werden. Auch aus unserem persönlichen Umfeld kannten wir (auch kirchlich stark verbundene) Paare, die einen solchen organisatorischen Aufwand nicht erneut auf sich nehmen wollten. Dies betrifft z.B. Paare, die zwischenzeitlich Eltern geworden sind, und aufgrund der neuen Herausforderungen im Alltag einen solchen Aufwand nicht mehr leisten können oder wollen. Mit der Entscheidung gegen eine große Hochzeitsfeier blieb bisher auch die kirchliche Trauung aus.

¬ Für viele Paare, die schon seit Jahren oder Jahrzehnten standesamtlich miteinander verheiratet sind, und jene, die eine zweite Ehe eingegangen sind, scheint eine traditionelle Hochzeitsfeier mit all den damit verbundenen gesellschaftlichen Erwartungen nicht mehr passend.

¬ Paare mit konflikthaften familiären Verhältnissen möchten sich lieber in einem intimen, geschützten Rahmen das „Ja-Wort“ geben und sich mit Gottes Zuspruch für den weiteren gemeinsamen Weg stärken.

Auf der Grundlage dieser Überlegungen sahen wir in unserem Format „Einfach! heiraten“ die Chance, die kirchliche Trauung von den gesellschaftlichen Erwartungen an eine „große Hochzeitsfeier“ mit der damit verbundenen finanziellen und zeitlichen Belastung zu entkoppeln und damit die Bedeutung des Segens Gottes neu ins Zentrum zu rücken.

 

 

… und unser Versprechen

Auf unseren Werbemitteln warben wir mit „Einfach! Heiraten“ …

¬ … spontan und unkompliziert: Der bürokratische Aufwand sollte für die Paare so gering wie möglich sein. Bei kirchlichen Trauungen baten wir die Paare darum, sich vorab bei uns zu melden. Für sie übernahmen wir die bürokratische Vorarbeit: Wir überprüften, ob mindestens eine Person evangelisches Kirchenmitglied war und holten Entlassscheine ein (durch das neue Kasualgesetz innerhalb der badischen Landeskirche nicht mehr nötig, für die vielen Paare aus der württembergischen Landeskirche hingegen schon). Die Paare sollten uns im Vorfeld lediglich eine Kopie der standesamtlichen Trauurkunde zukommen lassen oder konnten diese direkt zum Trautag mitbringen.

¬ … mit eurem Song: Hier wollten wir sowohl der „kleinen Form“ (deshalb keine große Orgel) als auch den Paaren in ihrer jeweiligen Geschichte entsprechen. Sie konnten bei Diakon Oliver Würslin, der nebenberuflich Musiker und Songwriter mit großer Erfahrung als Hochzeitsmusiker ist, ihren Song aussuchen. Entweder sang er ihn mit Gitarre live oder spielte ihn von seinem DJ-Set ein. Durch seine Position direkt am Trauort blieb auch die Musik im intimen Rahmen; daneben signalisierte das Angebot: Ihr seid willkommen, genau so, wie ihr seid – und natürlich auch mit eurem ganz individuellen Musik­geschmack.

¬ … mit Gottes Segen: Im Zentrum der kleinen Zeremonien stand der Segen Gottes für die Paare mit ihrer ganz besonderen Geschichte, ihren Wünschen und Hoffnungen. Deswegen war es uns wichtig, für jedes Paar eine individuelle Ansprache zu halten. Der Rahmen war mit 30 Minuten für Gespräch und Vorbereitung eng gesteckt; es hat sich aber gezeigt, dass in 15 Minuten Gespräch erstaunlich viel Lebensgeschichte passt – und dass wir uns auf unsere liturgische Kompetenz verlassen konnten. Die Kolleg*innen haben unterschiedliche Strategien entwickelt um damit umzugehen: Erfahrenere Liturg*innen haben längere Gespräche geführt und die Ansprache eher frei gehalten. Andere haben sich „Bausteine“ vor­bereitet, die sie dann personalisiert und zu einer ­Ansprache zusammengefügt haben, wieder andere haben in Stichpunkten jedes Mal ganz neue Ansprachen geschrieben.

 

Und plötzlich: alles voll!

Nicht gerechnet hatten wir mit dem enormen Medienecho, das unsere Aktion hervorrief. Ungefähr sechs Wochen vor unserer Aktion machten wir diese mit einer Pressemitteilung an die regionale Presse und Rundfunksender sowie mit einem Post auf Instagram öffentlich. Ein großer Beitrag in der Samstagsausgabe der Pforzheimer Zeitung sowie auf deren Instagram-Storyline erschien. Plötzlich erreichten uns Anfragen des epd und der dpa, sodass unsere Aktion auch auf überregionales Interesse stieß. Immer mehr Presseanfragen trudelten bei uns ein und vor allem: Anmeldungen von Paaren. Und zwar nicht nur aus Pforzheim, sondern weit über unsere eigentlichen Einzugsgebiete hinaus!

Bereits einen Monat vor unserer Aktion und noch bevor wir unser erstes Plakat und unsere Banner aufgehängt hatten, waren wir für unseren ursprünglich angedachten Aktionszeitraum, in dem wir zwölf Paare hätten segnen oder trauen können, ausgebucht. Daher entschieden wir uns zu verlängern: Am Ende konnten wir an zwei Tagen (Samstag und Sonntag) Kapazität für 34 Segensfeiern schaffen. Gleichzeitig baten wir von da an bei allen Gesprächen dringend um vorherige Anmeldungen, um lange Wartezeiten und Enttäuschungen zu vermeiden. Vier Zeitfenster hielten wir dennoch für Paare frei, die tatsächlich ganz spontan kommen wollten. Wie sich zeigte, wurden diese neu geschaffenen Kapazitäten auch benötigt: Am Wochenende vom 24. und 25.02.2024 haben sich in der Pforzheimer Schloßkirche insgesamt 33 Paare das „Ja-Wort“ gegeben, wurden ­gesegnet oder haben ihr Treueversprechen erneuert.

 

 

Unerwartete Medienresonanz

Das große Medienecho hat uns überrascht und überwältigt – neben der örtlichen Presse und der „internen“ Berichterstattung (landeskirchliche und kirchenbezirkliche Öffentlichkeitsarbeit) waren Fernseh- und Radiosender anwesend, um über den Trautag zu berichten. Ein fünfminütiger Bericht wurde am 26.02.2024 im ZDF-Mittagsmagazinausgestrahlt. Ein Ausschnitt dieses Berichts wurde zudem eine Woche später auf den Instagram-Account von zdfheutegestellt und knackte bereits in den ersten 48 Stunden die Millionenmarke.

Natürlich haben wir uns über die Aufmerksamkeit gefreut – und sie war auch wichtig. Aber: Da war Glück, Zufall und Segen mit im Spiel; wir selbst konnten diese nicht herstellen, und das wird sich wahrscheinlich auch nicht wiederholen. Wenn solche Formate in Zukunft regelmäßiger und flächendeckender angeboten werden sollten (was wünschenswert ist!), werden mit der Zeit auch die Anmeldezahlen für einzelne Aktionstage niedriger ausfallen und das Medieninteresse nachlassen. Und dennoch wird es immer Menschen geben, die sich diese kleine Form von kirchlicher Trauung wünschen. Regelmäßige Trautage dienen dazu, diese intime Form der kirchlichen Trauung als Möglichkeit in unserer Kirche im öffentlichen Bewusstsein zu halten und eine Vielfalt an liturgischen Formen zu entwickeln und ­anzubieten.

Für uns zeigt die mediale Resonanz vor allem eins: Das Interesse auf Seiten der Medien an überraschenden Nachrichten aus der Kirche ist hoch – sämtliche Berichterstattung war positiv. Formate wie „Einfach! Heiraten“ sind geeignet, in einer breiten Öffentlichkeit ein unerwartetes und innovatives Bild von Kirche zu zeichnen – und das genau mit dem, wofür wir ganz zentral stehen, unserer Kernkompetenz: Menschen den Zuspruch und Segen Gottes in ihre ganz individuelle Lebens­situation hineinsprechen.

 

Eindrücke vor Ort

Nach der langen Vorbereitungszeit war es für uns vom Organisationsteam ein ganz besonderer Moment, als schließlich das erste Paar zur Musik an den Segnungsort schritt. Die emotionale Intensität war hoch – sowohl bei Liturg*innen und Paaren als auch bei den Ehrenamtlichen. Die sorgfältige Gestaltung des Kirchenraums trug dazu bei: Im besonders beleuchteten Chorraum herrschte eine intime Atmosphäre, in der sich Paare, Liturg*innen und die wenigen Gäste auf die Segnung konzentrieren konnten, ohne vom Geschehen in der Kirche abgelenkt zu sein.

Bei keinem Paar hatten wir das Gefühl, dass die Segnung nicht ernst genommen oder als „Trauung light“ gesehen wurde – im Gegenteil. Im Vergleich zu „normalen“ Traugesprächen, bei denen oft eher die äußeren Abläufe und die Sonderwünsche Thema sind, haben wir uns hier auf die Lebensgeschichte der Paare und den Segenswunsch konzentrieren können. Unser Eindruck war, dass die fehlenden Einflussmöglichkeiten auf die äußere Gestaltung als Erleichterung erlebt wurden – und die Paare sich ganz auf die Trauzeremonie einlassen konnten.

 

Kleine Zahlenkunde

¬ Von den 33 kleinen Segensfeiern waren 24 kirchliche Trauungen, sieben waren Segnungen und zwei Segensfeiern waren die Erneuerung des Trauversprechens.

¬ Acht Paare kamen aus Pforzheim, viele weitere aus den umliegenden Kirchenbezirken; die weiteste Strecke mit über 80km Anfahrtsweg nahm ein Paar aus Schriesheim auf sich.

¬ Nur drei Paare kamen wirklich ganz spontan, die allermeisten hatten sich schon vorher bei uns gemeldet.

¬ Das jüngste Paar: beide 27 Jahre alt. Das älteste Paar: 71 und 75 Jahre. Dazwischen waren alle Altersgruppen vertreten und nicht wenige Paare, die schon seit Jahren oder sogar Jahrzehnten standesamtlich verheiratet ­waren.

¬ An dem Wochenende waren sieben segnende Liturg*innen im Einsatz sowie 19 ehrenamtliche Helfer*innen in sieben Schichten, die die Paare willkommen hießen, für die Verpflegung zuständig waren und dafür sorgten, dass sich alle wohlfühlten.

 

Ein Blick in die Zukunft

Am Wochenende vom 24. und 25.2.2024 haben wir in der Pforzheimer Schloßkirche viele bewegende Momente erlebt, Freude geteilt, Segen zugesprochen – und Segen empfangen. Durch die hohe Medienresonanz schwappte etwas von dieser Segenswelle über die Kirchenmauern hinaus und viele Menschen deutschlandweit haben sich ebenfalls von den Eindrücken dieser beiden Tage berühren lassen. Davon zeugen die zahlreichen Kommentare auf den Social Media.

Auch in Zukunft wünschen wir uns solche mutmachenden Erfahrungen – in Pforzheim und an vielen anderen Orten in ganz Deutschland. Wir wünschen uns Vernetzung, Erfahrungsaustausch und gegenseitige Unterstützung, auch über die Grenzen der Kirchenbezirke und Landeskirchen hinweg. Wir wünschen uns Kompliz*innenschaft.

Unsere Kompliz*innen fanden wir in vielen unserer Pforzheimer Kolleg*innen und Ehrenamtlichen, die sich von unserer Idee haben anstecken lassen. Eine unserer Komplizinnen war auch unsere Kollegin in der Ferne Anja Bremer, die ihre bisherigen Erfahrungen mit uns geteilt hat. Eine andere war unsere Dekanin Christiane Quincke, von der wir von der ersten Sekunde an viel Vertrauensvorschuss, Rückendeckung und finanzielle Freiheiten für unseren „kleinen Testballon“ erhalten haben. Ein weiterer war Rainer Heimburger von der Arbeitsstelle Gottesdienst im Oberkirchenrat der badischen Landeskirche, der uns in unserem Vorhaben bestärkt und wichtige Impulse und Anregungen gegeben hat.

Genau so eine Haltung wünschen wir uns von allen, die im Raum der Kirche arbeiten, damit eine neue ­Kultur des Ausprobierens entstehen kann – mit dem gemeinsamen Feiern von Erfolgen und der schützenden Umarmung im peinlichen Scheitern. Ganz nach der Devise: „Im schlimmsten Fall trinken wir den Sekt halt selbst.“

 

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 4/2024

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