Im Blick auf die Inhalte des Neuen Testaments haben sich so manche landläufigen Irrtümer eingeschlichen. Christfried Böttrich stellt in einer Reihe im Deutschen Pfarrerinnen- und Pfarrerblatt die zehn am meisten verbreiteten Irrtümer vor.

 

Die Botschaft von der Auferstehung Jesu ist schon von jenem ersten Ostermorgen an heftig umstritten. Diejenigen, die mit Jesus unterwegs waren, werden davon überrascht. Jesu Gegner sehen darin einen geschickt eingefädelten Betrug. Dass man den Leichnam heimlich beiseitegeschafft haben müsse, ist die nächstliegende Unterstellung. So erzählt es schon die Geschichte von den Grabwächtern in Mt. 27,62-66 / 28,11-15. Wie in einem Indizienprozess ruft das leere Grab Bestreiter und Verteidiger in den Zeugenstand. Das Hauptproblem derer, die davon berichten, lautet: „Ihn aber sahen sie nicht.“ (Lk. 24,24)

 

Leeres Grab, leerer Glaube

Mit dem leeren Grab allein lässt sich kein Osterglaube begründen. Es bleibt vieldeutig und interpretationsoffen. Deshalb halten sich die Evangelisten auch gar nicht lange dabei auf. Im Zentrum ihrer Ostererzählungen stehen die Erscheinungsberichte. Jeder Evangelist weiß dabei von anderen Erscheinungen zu berichten. Nicht nur das eine, verbindliche Erlebnis, sondern die Fülle vergleichbarer Begegnungen begründet den Osterglauben. Der Auferstandene lässt sich sehen, gibt sich zu erkennen und wendet sich seinen Leuten zu. Für einen kurzen, bedeutsamen Moment ist er da, dann entzieht er sich wieder – ein Spiel, das sich in verschiedenen Szenen wiederholt.

Was ist das für einer, der da erscheint? Seine Schüler halten ihn zunächst für einen „Geist“ (Lk. 24,37), doch er speist mit ihnen und lässt sich berühren. In Emmaus wird er während des Mahls „unsichtbar von ihnen weg“ (Lk. 24,31). Bei einer anderen Gelegenheit tritt er durch verschlossene Türen (Joh. 20,19.26). Mit solchen Details versuchen die Erzähler etwas anzudeuten, was sich nicht beschreiben lässt: eine andere Wirklichkeit, die in die Lebenswelt der Osterzeugen einbricht.

 

Auferstehung und Himmelfahrt

Für Verwirrung sorgt Apg. 1,3. Dort heißt es, der Auferstandene habe sich 40 Tage lang unter den Seinen sehen lassen, um mit ihnen von der Gottesherrschaft zu reden. Nach diesen 40 Tagen aber entschwindet er endgültig, wovon eine Neuauflage der Himmelfahrtserzählung aus Lk. 24,50-53 berichtet. Kehrt er in dieser Zeitspanne also zurück in sein früheres Leben? Bezieht er in Jerusalem Quartier und verbringt noch einmal sechs Wochen mit seinen Schülern? Bedeutet erst die „Himmelfahrt“ einen Wechsel in den Bereich von Gottes Welt? Deutet die Rede vom Essen und Trinken nicht die Rückkehr zur früheren Menschlichkeit an?

Nein: der Auferstandene ist auch der Erhöhte; er gehört während dieser Zeit bereits einer anderen Wirklichkeit an, aus der heraus er erscheint. Die Evangelisten sind überzeugt, dass er dabei eine Art „Körperlichkeit“ hat. Aber sie ahnen auch, dass dieselbe völlig anderen Bedingungen unterliegt.

 

Leiblichkeit und Auferstehung

Paulus steht vor demselben Problem. In 1. Kor. 15 verteidigt er die Hoffnung auf eine allgemeine Auferstehung der Toten. Ausgangspunkt ist für ihn die Auferstehung Jesu, die er ebenfalls für ein körperliches Geschehen hält. Er denkt nicht wie die griechischen Philosophen an eine Fortexistenz der unsterblichen Seele, sondern hält es mit der hebräischen Bibel: der Mensch lebt und stirbt als ein Ganzer, als ein Ganzer erhält er neues Leben. Aber: „Wie werden die Toten auferweckt? Mit was für einem Leib werden sie kommen?“ (1. Kor. 15,35) Hier kann auch Paulus nur tasten und suchen. Er nimmt seine Zuflucht zu Bildern: das Saatkorn verwandelt sich; Körper sind unterschiedlich beschaffen; Himmelskörper sind von besonderer Art. Das alles bleibt unbefriedigend. Paulus weiß: Die Differenz zwischen Gottes Wirklichkeit und der unseren besteht in dem Gegensatz von Vergänglichkeit und Unvergänglichkeit (1. Kor. 15,42-44). Sie zu erfassen übersteigt das menschliche Vorstellungsvermögen.

Zu Ostern beginnt etwas völlig Neues. Jesus von Nazareth ist der Erste, der dieses Neue erlebt. Er kehrt nicht als „Wiedergänger“ zurück und bedarf auch zu „Himmelfahrt“ keiner Ortsveränderung. Seine bleibende Gegenwart hat das Format von Gottes Wirklichkeit, die sich weder durch Indizienprozesse noch durch rationale Erklärungen fixieren lässt.

 

Christfried Böttrich

 

(wird fortgesetzt)

 

 

Über die Autorin / den Autor:

Prof. Dr. Christfried Böttrich, Jahrgang 1959, Studium der Evang. Theologie in Leipzig, 1990 Promotion in Leipzig, 1995 Habilitation in Leipzig, Vertretungsprofessuren in Frankfurt/M., Marburg und Jena, seit 2003 Prof. für Neues Testament an der Universität Greifswald.

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 4/2024

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