Im Blick auf die Inhalte des Neuen Testaments hat sich landläufig so mancher Irrtum eingeschlichen. Christfried Böttrich stellt die zehn am meisten verbreiteten Irrtümer in einer neuen Reihe im Deutschen Pfarrerinnen- und Pfarrerblatt richtig – nicht um exegetischer Spitzfindigkeiten willen, sondern um eine zum Teil auch verhängnisvolle Wirkungsgeschichte zu korrigieren.

 

Vom Turm her klingen noch die Glocken, als in der alten Backsteinkirche schon die Orgel zu brausen beginnt. Die Hochzeitsgesellschaft hat sich erhoben und schaut gespannt zur Tür. Auch der Bräutigam, der einsam am Altar steht, wartet. Denn vom Eingang herauf kommt nun die Braut, die am Arm ihres Vaters durch den Mittelgang schreitet. Vor dem Altar wechselt sie an den Arm des Bräutigams – aus der Verfügungsgewalt des einen in die Verfügungsgewalt des anderen Mannes. Das zumindest ist der Ursprung dieses Rituals aus längst vergangener Zeit, das gegenwärtig wieder in Mode kommt. Die Männer verhandeln über die Braut. Und die wird nach erfolgreichem Abschluss frei Haus geliefert, direkt bis zum Altar. Man könnte auch etwas freundlicher sagen: sie wechselt aus der Obhut des Vaters in die Obhut des Ehemannes. Aber das macht die Sache nicht besser. Bedarf die Frau etwa einer solchen Obhut? Ist die Ehe nicht ein Projekt, das beide Partner gemeinsam in Angriff nehmen? Wäre es da nicht stimmiger, auch gemeinsam und Arm in Arm die Kirche zu betreten? Das zumindest wäre der sichtbare Ausdruck eines partnerschaftlichen Verständnisses von Ehe.

 

Ein patriarchales Modell von Ehe

Die Irritation erhält weitere Nahrung. Auf die Begrüßung und das erste Lied folgt eine Lesung. Sie steht in der Trauagende und bringt einen Ausschnitt aus Eph. 5 zu Gehör: „Ordnet euch einander unter in der Ehrfurcht vor Christus, die Frauen ihren Männern wie dem Herrn, denn der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Kirche ist – er, der Retter des Leibes …“. In der Fortsetzung tritt der Gedanke einer wechselseitigen Unterordnung völlig zurück. Ausgebaut wird allein das Bild von der Überordnung des Mannes. So sieht die Ehe im Alten Orient wie in der hellenistisch-römischen Welt aus. Da macht auch die frühe Christenheit keine Ausnahme. Der Mann ist das „Haupt“ und bestimmt, die Frau ordnet sich unter und gehorcht. Dieses patriarchale Modell beschreibt ganz klar eine hierarchische, asymmetrische Beziehung. Und so bleibt es bis weit in die Neuzeit hinein.

Heute verstehen wir Ehe anders – nämlich partnerschaftlich. Und das aus guten, auch theologisch gewichtigen Gründen. In der Schöpfungsgeschichte erkennt Gott: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei!“ (1. Mos. 2,18) Das Menschenwesen ist auf Beziehung hin geschaffen. Die Partnerin, die Gott dem „Adam“ nun bildet, ist (wörtlich) eine, „die ihm entspricht“. Wie ihre Beziehung gestaltet werden soll, bleibt offen. Die „Ehe“ jedenfalls wird nicht gleich mit erfunden. Deren Gestalt hängt in der Folge von dem jeweiligen kulturellen Umfeld ab. Und das ist in der biblischen Zeit von Männern dominiert. Gott kann man das nicht anlasten. Der Eph. greift lediglich auf, was er in seiner Zeit und Gesellschaft vorfindet. Und da nutzt er diese asymmetrische Ehebeziehung gleich einmal als Aufhänger für einen kleinen Exkurs über das Thema „Christus und die Kirche“.

 

Textliche Alternativen

Ehe als die frei gewählte Beziehung zweier gleichberechtigter Partner ist ein relativ junges Modell. In der Bibel finden wir dafür noch keine Vorbilder. Dort ist die Gemeinschaft zwischen Mann und Frau herrschaftlich geordnet – auch wenn die Liebe dabei natürlich schon immer eine Rolle spielt. Dennoch: Partner im heutigen Sinne sind auch solche biblischen Liebespaare wie Rahel und Jakob (der zeitgleich noch drei weitere Frauen hat) nicht.

Im Traugottesdienst muss ich mich entscheiden: Verstehe ich Ehe als hierarchische oder als partnerschaftliche Beziehung? Beides zugleich geht nicht. Wenn ich das partnerschaftliche Modell wähle, dann ist der Mann nicht das Haupt der Frau, und dann ist Eph. 5 der falsche Text. Wie wäre es z.B. mit Gal. 6,2 („einer trage des anderen Last“), oder Phil. 2,3 („es achte einer den anderen höher als sich selbst“), oder ...? Das Neue Testament ist reich an Texten, mit denen ein Paar frei von allen Erklärungsnöten gemeinsam vor den Altar treten kann.

Christfried Böttrich

(wird fortgesetzt)

 

 

Über die Autorin / den Autor:

Prof. Dr. Christfried Böttrich, Jahrgang 1959, Studium der Evang. Theologie in Leipzig, 1990 Promotion in Leipzig, 1995 Habilitation in Leipzig, Vertretungsprofessuren in Frankfurt/M., Marburg und Jena, seit 2003 Prof. für Neues Testament an der Universität Greifswald.

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 2/2024

1 Kommentar zu diesem Artikel
21.02.2024 Ein Kommentar von Gerhard Kuppler Soll das nun Satire sein, oder ist das ernsthaft gemeint? Hier werden die Auseinandersetzungen der 50er und 60erJahre des letzten Jahrhunderts geführt. In welcher Trauagende steht nenn doch der Ephesertext und welche Pfarrpersonen lesen ihn noch? Ich habe vor ca 55 Jahren meine erste Traung gehalten und habe diesen Text nie gelesen und ihn auch nie bei einer anderen Trauung gehört. so viel zu dem "beliebtesten Irrtum" Nr. 2. Dass das Hereinführen der Braut durch ihren Vater eigentlich einen schlimmen patriarchalischen Ursprung hat, wissen die meisten Leute. Die haben den Mut diese (Un-)Sitte einfach anders zu interpretieren. Mir ist schon gleich, als diese Sitte aufkam; aufgefallen, dass dieser Wunsch immer von den angeblich so patriarchalisch unterdrückten Frauen kam. Die Männer standen stets peinlich berührt vorne am Altar und taten, was die Braut befahl. Dann wurde ich eines besseren belehrt. Drei Beispiele: Eine Braut sagte mir: Mein Vater ist abgehauen als ich ein Kleinkind war und hat sich nie um mich gekümmert. Ich habe meine Entscheidungen über Ausbildung und Beruf immer selbständig getroffen: ich will dieser eigentlich komische Sitte einen anderen Sinn geben. Ich habe meineN Vater gebeten, mich in die Kirche zu führen und feiere damit öffentlich kirchlich meine Versöhnung mit ihm. zweites Beispiel: Ein Pfarrer hatte diesen Ritus komplett abgelehnt und sich geweigert, die Trauung zu halten. Der Vater beschwerte sich bitter bei mir mit folgenden Worten: Seit sie 13 ist, hat emine Tochter nicht mehr auf mich gehört. Wir hatten viel Streit und Auseinandersetzungen. Als sie mich dann bar, sie in die Kirche zu führen, habe ich das als Zeichen der Versöhnung und der gegenseitigen Vergebung gesehen. Sie hat dann irgendwoanders geheiratet, seitdem arbeiten die beiden sogar imselben Betrieb harmonisch miteinander. Das Alte ist vergeben, vergessen Drittes Beispiel: In Italien ist dieses Hereinführen selbstverstänliche Sitte. Die Braut sagte mir: jetzt hatte ich meinen Vater endlich so weit, dass er mit mir in den Gottesdienst gieht und dann sagt der Pfarrer ein radikales Nein. Offensichtlich verhalten sie die Laien evangeliumsgemäßer als die theologischen Schriftgelehrten. Nachdem in der heutigen liberalen Zeit die Väterr oft geneigt sind, ihre Töchter mit nicht so sehr geeigneten Mittel beschützen zu wollen und es deshalb viel Streit in den Familien gibt, ist diese Neuinterpretion der antiquierten Sitte ein wunderbares Zeichen.
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