Was sind die Themen, die zwischen Kirche und Staat auf „Augenhöhe“, also in einem Vertragsverhältnis, zu besprechen und zu entscheiden sind? Kirche bringt sich ein in den gesellschaftlichen Diskurs, da nimmt sie eine Stimme wahr, eine sehr wichtige gewiss, aber manchmal auch eine vielstimmige. Aber wo ist sie Vertragspartnerin? Nach der bundesstaatlichen Ordnung in Deutschland sind die Länder grundsätzlich dafür zuständig, der Bund hat hier nur wenige Zuständigkeiten (z.B. in der Militärseelsorge). Was sind die Themen, die zwischen Kirche und Staat zu regeln sind? Michael Franz erläutert die Vertragspartnerschaft zwischen Kirche und Staat am Beispiel des Saarlands.
1. Hintergrund: Zur Situation der evangelischen Kirche im Land an Saar, Mosel und Nahe
Ein wichtiger Beitrag zu dieser Frage hierzu ist im Saarland erschienen. Der Anlass dafür ist folgender: Im Saarland gibt es einen „Beauftragten der Evangelischen Kirchen für das Saarland“ bzw. einen „Beauftragten der Evangelische Kirche bei der Regierung des Saarlandes“. Diese sperrigen Titel ergeben sich daraus, dass das Gebiet an Saar, Mosel und Nahe in Folge des Wiener Kongresses (1815) zum größeren Teil dem Königreich Preußen, zum kleineren Teil dem Königreich Bayern zugeschlagen wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg kam das Gebiet an Saar, Mosel und Nahe zum Völkerbund, nach der Volksabstimmung vom 13. Januar 1935 zum Deutschen Reich, danach in Folge des Zweiten Weltkriegs als Protektorat zu Frankreich und am 1. Januar 1957 wurde es in die Bundesrepublik Deutschland eingegliedert. Und da die Grenzziehung von 1815 auf konfessioneller Seite beibehalten wurde, treten im Saarland die Evang. Kirche im Rheinland und die Evang. Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche) auf (auf katholischer Seite: Bistum Trier und Bistum Speyer).
Es bedurfte langer innerkirchlicher Diskussionen, bis man sich auf eine Ansprechperson von evangelischer Seite gegenüber der Landesregierung einigen konnte. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist es heute das Evangelische Büro Saarland. Und dieses Büro feierte 2023 sein 60jähriges Bestehen. Dazu ist eine Festschrift in der Reihe „Beiträge zur evangelischen Kirchengeschichte der Saargegend“ erschienen. In diesem über 300 Seiten starken Sammelband mit vielen Grußworten findet sich eine sehr sorgfältige Ausarbeitung über die politischen Aktivitäten des Evang. Büros: „Ohr und Sprachrohr der evangelischen Kirchen“ von Joachim Conrad. Er ist Gemeindepfarrer der Evang. Kirchengemeinde Kölln in der Stadt Püttlingen und apl. Professor der Universität des Saarlandes. Bescheiden wie er ist, schreibt er, dass sein Beitrag nicht abschließend die Arbeit des Evang. Büros würdige, sondern vielmehr ein Auftakt sein möge, „sich mit den Arbeitsschwerpunkten historisch auseinanderzusetzen“. Gleichwohl: Sein Beitrag ist ein wertvolles Dokument über die Praxis zur Zusammenarbeit von Kirche und Staat. Allein: Dieser lange Vorspruch zeigt, dass das Thema der konkreten Beziehungen zwischen evangelischer Kirche und Staat nicht trivial ist. Kirchliche Grenzen und staatliche Grenzen sind nicht identisch.
2. Felder der Zusammenarbeit von Staat und evangelischer Kirche im Saarland
Was waren die wichtigen Themen beim Brückenbau zwischen Kirche und Staat (im Folgenden nach: Joachim Conrad „Ohr und Sprachrohr der evangelischen Kirchen – 60 Jahre Evangelisches Büro im Saarland“, in: 60 Jahre Evangelisches Büro im Dienste der Menschen, hrsg. von Frank-Matthias Hofmann, erschienen in der Reihe: Beiträge zur evangelischen Kirchengeschichte der Saargegend, Bd. 5, 1. Aufl., Saarbrücken 2023)?
Verträge zwischen Kirche und Staat
Im Beitrag von Joachim Conrad kommt dem Staatskirchenvertrag vom 25. Februar 1985 zur Sicherung der Existenz und der Ausstattung der Fachrichtung Evang. Theologie der Universität des Saarlandes eine besondere Bedeutung zu (S. 114f). Im Rahmen der Sparzwänge wollte die Landesregierung Oskar Lafontaine (SPD) in den 1990er Jahren die evangelische Fachrichtung und die katholische Fachrichtung auslaufen lassen (S. 129ff) mit der Folge, dass die Evang. Kirche im Rheinland eine Verfassungsklage im Dezember 1998 wegen eines möglichen Verstoßes gegen diesen Vertrag prüfte (S. 131). Nach dem Wandel der „politischen Großwetterlage“ in Folge der Landtagswahlen vom 5. September 1999 und durch den Regierungswechsel wurde mit Ministerpräsident Peter Müller (CDU) eine einvernehmliche Lösung gefunden und an der Fachrichtung Evang. Theologie wird weiterhin ausgebildet, wenn auch das Personal reduziert wurde (S. 132).
Weitere wichtige Vereinbarungen, in denen die evangelische Seite als Vertragspartnerin der Landesregierung auftrat, waren
♦ die Gründung eines „Vereins zur Errichtung einer deutsch-französischen Symbolstätte“ vom 16. Juni 1967 (S. 99).
♦ Auch ist der Vertrag über den Religionsunterricht aus dieser Zeit zu nennen (S. 100).
♦ Weiter ist eine schriftliche Vereinbarung zum Kirchenasyl aus dem Jahr 2002 zu erwähnen (S. 137).
♦ Ganz aktuell ist eine Vereinbarung zur konfessionellen Kooperation im Religionsunterricht zwischen dem Land einerseits und der Evang. Kirche im Rheinland sowie dem Bistum Trier andererseits mit einem zeitlichen Horizont bis zum 31. Juli 2027 (S. 154f).
Evangelische Kirche als Leistungserbringerin
Regelungen im Einvernehmen bzw. im Benehmen mit der evangelischen Kirche als Leistungserbringerin sind vor allem in den Bereichen
♦ kirchliche Krankenhäuser und Sozialstationen (S. 109f),
♦ Polizeiseelsorge (S. 132ff),
♦ Seelsorge in Justizvollzugsanstalten (S. 139) und
♦ Kindertageseinrichtungen (S. 140f, S. 155)
erfolgt.
Evangelische Kirche im gesellschaftlichen Diskurs
Die evangelische Kirche tritt nicht nur als Vertragspartnerin und Leistungserbringerin mit dem Staat in Erscheinung, sondern auch als eine Stimme im gesellschaftlichen Diskurs:
♦ Konfessionelle Unterschiede zeigten sich in einer Diskussion aus den frühen „nuller Jahren“ zum Bestattungsrecht (S. 143): Während die katholische Kirche sich noch lange weigerte, Urnen ihrer Gemeindemitglieder im Friedwald zu bestatten, kam es auf evangelischer Seite sehr schnell zu einer Öffnung, denn es wurde rasch deutlich, wie sich die Sitten und Bedürfnisse der eigenen Gemeindemitglieder in Windeseile verändert hatten.
♦ Mit Blick auf die Diskussion in der Mitte der „nuller Jahre“ zu dem Sonntagsschutz und den Ladenöffnungszeiten bestand große Übereinstimmung zwischen der CDU-Landesregierung und dem Evang. Büro (S. 151). Verkaufsoffene Sonntage sind im Saarland auf vier Sonntage begrenzt. Ausgenommen sind ist der Zweite, der Dritte und der Vierte Sonntag im Advent sowie der Oster- und Pfingstsonntag.
♦ Ein Thema mit einem besonderen saarländischen Akzent war der Bergbau: Am 10. Oktober 1996 wurde ein Memorandum publiziert: „Evangelische und katholische Kirche an der Saar erklären sich solidarisch mit den Bergleuten“ (S. 121), dies vor dem Niedergang des Bergbaues in Deutschland, der seine Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt verloren hatte. [Zusatz von M.F: Im Saarland befinden sich die Lagerstätten der Steinkohle ganz überwiegend unter bewohntem Gebiet. Durch den Bergbau finden Erschütterungsereignisse statt, weil dem Boden sehr viel Material entnommen wird mit der Folge, dass die Erdoberfläche absinkt. Meistens waren es Absenkungen im Zentimeterbereich, manchmal aber sogar im Meterbereich. Dies hatte schlimme Auswirkungen auf die Häuser. Risse in den Häusern oder – in schlimmen Fällen – ein Auseinanderbrechen der Häuser waren die Folge.] Die einseitige Parteinahme der kirchlichen Seite für den Bergbau beschreibt Joachim Conrad mit den Worten: „Das Verhalten der Kirche war den Bergbaugeschädigten unverständlich“ (S. 142). Im späteren Verlauf gingen die Kirchen auf die Bergbaugeschädigten zu. In einem Bericht des Beauftragten heißt es dazu: „Es ist das historische Verdienst der damaligen CDU-Alleinregierung unter MP Müller, dass die damalige aufgeheizte Stimmung aufgefangen werden konnte und die Anliegen der Bergbaubetroffenen gehört worden sind“ (S.151).
♦ Ein besonderer Akzent des Brückenbaues zwischen evangelischer Kirche und Politik ist dem Kirchenrat Frank-Matthias Hofmann zu verdanken, der seit 2006 das Amt des Beauftragten versieht (S. 151f): Im Kabinettsaal ist eine Plastik vom georgischen Künstler Nika Bakhia auf seine Initiative aufgehängt worden: Ein zartes Kreuz auf flacher Steinkruste. In seiner Dankesrede sagte der damalige Ministerpräsident Peter Müller (CDU): „Auch wenn heute in Deutschland eine Vielfalt der Religionen und der Weltanschauungen aufeinandertrifft, so bedeutet dies nicht, die eigene Identität zu verleugnen. Gerade in Zeiten des beschleunigten Wandels brauchen Staat und Gesellschaft die christlichen Kirchen als Instanzen der Wertevermittlung und Werteerziehung“ (S. 152).
Weitere Themen für das Evang. Büro waren insbesondere: Personalpolitik in der Landesregierung mit Blick auf die Konfession (S. 110ff), Kulturhauptstadt Luxemburg (Stadt) und die Grenzregion (S.138f), Armut (S. 151) und Erinnerungsarbeit (S. 160ff) oder Bewahrung der Schöpfung und Nachbergbau (S. 166ff).
Ergänzend ist noch anzumerken, dass das Diakonische Werk an der Saar als regionales Diakonisches Werk „in der Regel die Vertretung der Diakonie in der Region gegenüber den staatlichen, kommunalen, kirchlichen anderen Stellen“ wahrnimmt, so §6 Absatz 1 Satz 2 des Kirchengesetzes über die Ordnung der diakonischen Arbeit in der Evang. Kirche im Rheinland. Vieles, was den sozialpolitischen Bereich betrifft, findet hier statt.
3. Schlussfolgerungen
Was sind also die Themen, die bei dem Brückenbau zwischen Kirche und Staat eine besondere Bedeutung haben? Auch wenn diese Studie eher explorativ ist und die Auswertung auch subjektiv sein mag, so können die Schwerpunkte Bildung, Diakonie, Seelsorge identifiziert werden. Als Vertragspartnerin tritt Kirche vor allem bei den Themen des Religionsunterrichts in den Schulen und der theologischen Ausbildung an der Universität in Erscheinung. Besondere Bedeutung im Konsultationsverfahren haben Fragen der Diakonie einschließlich der frühkindlichen Bildung in Kindertagesstätten und der Seelsorge, da hier die evangelische Kirche als Leistungserbringerin auftritt. Im Bestattungsrecht kommt ihr eine besondere Kompetenz zu.
Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 2/2024