Was lange Zeit als selbstverständliches Utensil des christlichen Bestattungsrituals galt und nun mehr und mehr dem Urnengefäß weicht, ist in Europa erst spät aufgekommen – die Bibel kennt es so gut wie überhaupt nicht: der Sarg. Klaus Dirschauer präsentiert seine Kulturgeschichte.

 

Definitionsfragen

Die letzte große Brockhaus-Enzyklopädie definiert den Sarg1 als eine längliche hölzerne Lade mit einem Deckel für einen Leichnam. Die Totenlade oder der Holzsarg dient dem Transport, der Aufbahrung und endlich der Verbergung eines toten Menschen für sein Begräbnis in einem Erdgrab (Beerdigung) oder bei einer Feuerverbrennung (Kremation). Dieser folgt später die Beisetzung der Asche in seinem Urnengrab.

Ende des 18. Jh. beschreibt der Sprachforscher Joachim Heinrich Campe das Grab: „Als ein in die Erde gegrabenes Loch, das gewöhnlich eine langviereckige Form hat und dazu dient, einen Leichnam darin zur Verwesung zu übergeben, nachdem man ihn mit der ausgegrabenen Erde bedeckt hat.“2 Die Beiträge in seinem Wörterbuch zu beerdigen, begraben und Begräbnis bestätigen die Erklärung, dass der Leichnam unter die Erde gebracht wird. Von einem Sarg ist dabei keine Rede.

Heute kommt dem Sarg als Objekt symbolischer Handlungen3 beim Vollzug der Bestattung eine besondere Bedeutung zu. Die einzelnen Schritte des großen Passagerituals der Bestattung eines Menschen von der Welt der Lebenden zur Welt der Toten werden von den Überlebenden mit dem Leichnam im Sarg unter ganz bestimmten Riten des religiösen Brauchtums durchgeführt. Selbst das säkular vollzogene Quasi-Ritual der Bestattung lässt die ursprünglich rituellen Anschlussstellen noch deutlich erkennen; beispielsweise bei der Einsargung und Sargschließung, bei dem Leichen- oder Totenbegängnis (Kapelle, Trauerzug, Grablegung) oder bei dem Trauermahl.

In den drei verwandten Religionen – Judentum, Christentum, Islam –bezieht sich die ursprüngliche Glaubensvorstellung des Begräbnisses auf die Auferstehung von den Toten am jüngsten Tage. Dazu gehören die Rites de passage: die Bergung des Leichnams, seine Überführung, Aufbahrung im offenen oder geschlossenen Sarg, die Sargschließung, der Begräbnisgottesdienst bzw. die säkulare Trauerfeier, die Grablegung oder die Beisetzung der Urne. Bei dieser Passage stellt der Tote im Sarg sozusagen den Passagier dar.

 

Die sarglose Bibel

Im AT, in dem vom Sterben, Tod und der Trauer oft die Rede ist, kommt das Wort Sarg nur an einer Stelle (Gen. 50,26) vor. Bei dem Exodus aus der Sklaverei in Ägypten werden die Gebeine Josephs in einem Sarg mitgeführt. Das hebräische Wort dafür heißt: aron. Es ist dasselbe Wort wie für die Lade, die während der Wüstenwanderung die Tafeln des Gottesbundes (Tora) enthielt. „Sie zeigen dadurch, daß in dem einen aron ein Mensch lag, der die Gebote erfüllt hatte, die der andere aron ­enthielt. Die Tora ist in der Tat in der Reichweite des ­Menschen.“4

Im NT, dessen wesentlicher Inhalt das Sterben, der Tod und die Auferstehung Jesu Christi ist, findet sich auch nur an einer Stelle (Lk. 7,14) das griechische Wort Sarg: soros. In der Geschichte des Jünglings zu Nain, einer Stadt südöstlich von Nazareth, wird erzählt, dass Jesus seinen Sarg berührte und den Toten auferweckte.

Für den Glauben treten – abgesehen von der Bedeutung des Grabes Jesu im apostolischen Glaubensbekenntnis: gestorben, begraben… – zwei Anschauungen deutlich hervor: Für den Juden gilt – auf Gott bezogen – grundsätzlich: „Im Tode gedenkt man deiner nicht, wer wird dir bei den Toten danken?“ (Ps. 6,6) Das heißt: Wer damit beginnt, sich das Jenseits vorzustellen oder auszumalen, bringt Gott um die Ehre, die ihm allein zukommt. Gottes Ehrerbietung schließt jeglichen Totenkult aus, wie er beispielsweise in der ägyptischen oder babylonischen Religion vorherrscht. Menschlicherseits ist mit dem Tode wirklich alles aus; was bleibt, ist die Erinnerung. Diese Selbsterkenntnis macht die Furchtbarkeit des Todes wie des Sterbens aus. Sie eröffnet allerdings die Möglichkeit, über die Jenseitigkeit Gottes nachzusinnen.

Für Christen gilt Jesu Stellungnahme in seiner Auseinandersetzung (Lk. 20,27-40) mit den Sadduzäern. Es geht um die Fragestellung: Mit welchem Mann denn eine Frau, die nach dem Recht der Leviratsehe (Dtn. 25,5-6) siebenmal verheiratet gewesen ist, in ihrer Auferstehung verheiratet sein werde? Jesu Antwort ist, dass es in der Auferstehung kein Freien und Gefreitwerden gebe. Die Toten glichen den Engeln, die nicht wieder sterben würden. Gott sei nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden, denn ihm lebten sie alle. Der Theologe Kurt Marti sagt: „Gott ist unser Jenseits. Das zu glauben genügt, und alles (auch Verwandlung, Auferstehung usw.) bleibt ihm überlassen.“5

 

Die Herkunft des Sarges

Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Sarg6 ist nicht eindeutig geklärt. Früher leitete man den Begriff sarc als eine Wortverkürzung von dem griechischen sarcophagus ab. Das zusammengesetzte Wort besagt so viel wie fleischfressend und meint einen das Fleisch der Leichen schnell verzehrenden Kalkstein. Die Ableitung des vergänglichen Holzsarges von dem wesentlich älteren und nahezu unvergänglich erscheinenden Steinsarg oder Sarkophag leuchtet ein, bedenkt man dabei dessen Standort in Kathedralen, Grüften und Gewölben und die Standeszugehörigkeit der auf diese Weise bestatteten Menschen – insbesondere des Adels, des Klerus und später des gehobenen Bürgertums.

Neben dieser ständebezogenen Bedeutung spricht viel für die breit angelegte Herkunft des Wortes Sarg aus dem althochdeutschen Wort sarch, das von dem mittellateinischen sarcha stammt. Sarch ist erst einmal ein Behälter, aus dem sich viel später der ausschließlich auf den Leichnam bezogene Begriff ergeben hat. Sarch oder sarc ist auch die Kleidung oder Rüstung; das germanische Verb ist sergiti, das bedeutet bergen, behüten.

Er kann ein Kasten – ein Geldkasten oder ein Behältnis für Flüssigkeiten, beispielsweise ein steinerner sarch, ein Brunnen- oder Regentrog, ein vor der Kelter stehender Steintrog, eine Vertiefung im Weinkeller, der den ausgelaufenen Wein sammelt – gewesen sein. Der Sarg kann ein Schrein7 sein, in dem ein Bildnis liegt, sich ein Götzenbild befindet. Vom sarch ist die Rede bei einem Reliquienschrein, der bei einer Prozession auf den Achseln getragen wird. Sarch steht auch bildlich für den Behälter und findet schließlich in der deutschen Dichtung verengt die Bedeutung für den Totensarg aus Stein, Holz, Metall, seltener als Gefäß, in dem die Asche einer Leiche beigesetzt wurde, weiterhin für das Grab oder die Gruft oder für die Grabplatte, den Grabstein.

 

Zur Geschichte des Baumsarges oder Totenbaums

Die Geschichte des schlichten Holzsarges ist historisch wenig erforscht. Der Theologe Reiner Sörries spricht in der Einführung seines Ausstellungskataloges 1993 „Vom Totenbaum zum Designersarg“ von einem „Stiefkind der Forschung“8. Holzsärge einfacher Menschen haben sich naturgemäß schwerlich erhalten können. Abgesehen von wenigen Ausnahmen, orientieren sich die Beiträge im kulturgeschichtlichen Bereich nur an der Geschichte des Sarkophags und seinen gesellschaftlichen Ständen und weniger nach den vorherrschenden Glaubensvorstellungen. Das gilt ebenfalls für den Baumsarg oder Totenbaum.

Der alemannische Baumsarg wurde aus dem Stammholz der Eiche hergestellt. Der Baum wird älter als der Mensch. Der Baumstamm ist mit Hilfe von Äxten, Keulen und Holzkeilen mittig gespalten und daraufhin sind beide Teile unterschiedlich tief zu einer Mulde und zu einem Deckel ausgehöhlt worden. Die Versorgung und die Einkleidung des Toten, sein Schmuck, die Beigaben (Werkzeuge, Waffen) sowie die bildhafte Zierde des Totenbaums betonen mehr die endgültige Bergung des Toten und seine (Auf)bewahrung als den Abschied von ihm, mehr seine Zugehörigkeit zum Totenreich als seine Beerdigung und endgültige Hingabe an die Vergänglichkeit.9 Diese Baumsärge sind seit der römischen Kaiserzeit bis weit in das 13. Jh. hinein bezeugt.

Auch die archäologischen Funde weisen auf die Standeszugehörigkeit von Stammesfürsten und Familienoberhäuptern hin. Sie betreffen insbesondere die symbolträchtigen eisernen, bronzenen, Messing oder Zink legierten Sarggriffe (Handhaben), Sargverschlüsse oder Sargbeschläge.

Der Leichnam im Sarkophag mit den Reliefinschriften und Bildern oder der im Totenbaum in einem prachtvoll gearbeiteten Sargmöbel mit den Verzierungen, Inschriften, Bemalungen und Bildern wurde in den dafür vorgesehenen Räumen bestattet.10 D.h. im wörtlichen Sinn des Wortes beigesetzt, nicht aber begraben. Diese Toten wurden – mit den entsprechenden Ausstattungen ihres Gedächtnisses versehen – im Kellergeschoss von Kirchen, in zugänglichen Gruften unterhalb oder oberhalb der Erde oder in Mausoleen verborgen aufbewahrt und familiär und generativ einander zu- und nachgeordnet. Der Lübecker Archäologe Andreas Ströbl, der 500 Gruftsärge aus der Mitte des 16. bis zur Wende des 20. Jh. archäologisch, kunsthistorisch und soziohistorisch untersucht hat, spricht angesichts „der Bestattung einzelner Verstorbener im Kreis der vorverstorbenen Familienangehörigen … von alten Gedächtniskulturen.“11

 

Das Aufkommen des einfachen Holzsarges

Die bisher erforschte memoriable Bestattungspraxis mit dem Sarkophag oder Baumsarg ist zeitlich, kostenmäßig und handwerklich sehr aufwändig gewesen. Sie ist der adäquate Ausdruck des Toten zu seinen Lebzeiten. Dabei geht es offenbar um die Selbstdarstellung in einer zeitlichen Kontinuität. Der Tote repräsentiert auch weiterhin mit seinem Sarg in einem dafür vorgesehenen Kirchenraum oder in einem entsprechenden Gebäude (Kapelle, Gruft, Mausoleum) auf eigenem Grund und Boden seinen gesellschaftlichen Stand, seine Würde und sein genealogisches Ansehen. Der Tote vergegenwärtigt sich selbst, stellt sein Leben reliquienartig vor Augen und wird auf diese Weise zum Denkmal seiner selbst, aber bleibt unbegraben.

 

 

Diese grandiose Bestattungsart betraf lediglich die herrschende Oberschicht der mittelalterlichen Ständegesellschaft. Die übrigen Menschen sind einfach ohne einen oder bereits in einem grob gezimmerten Brettersarg begraben worden. Das Erdgrab ist ansonsten – wenn überhaupt sorgfältig ausgeführt, mit Tierfellen oder mit Baumlaub oder Baumrinden und Zweigen ausgekleidet und der Tote daraufgelegt und mit seinem Mantel oder Tüchern zugedeckt begraben worden. Der Berliner Historiker Philipp Weiss berichtet, dass der Leichnam des Malers Albrecht Dürer nur in ein Tuch gehüllt in bloßer Erde am 6. April 1528 in Nürnberg beerdigt worden sei.12 Der Hinfälligkeit des Lebens entsprach die Hinfälligkeit des Todes, kurzlebig, sterblich, vergänglich, verweslich zu sein. Dazu gehörte, noch begraben zu werden, alles Übrige aber Gott zu überlassen.

Ende des 8. Jh. hat Karl der Große mit dem Verbot des Leichenbrands13 den Übergang von der Feuerbestattung zur Körperbestattung beschleunigt. Dieser Wandel hatte bereits Mitte des 3. Jh. eingesetzt. Bei ihm mögen religiöse Motive – der Glaube an die Auferweckung des Leibes – ebenso eine Rolle gespielt haben wie ökonomische Gründe, etwa die Abholzung der Wälder für das Feuerholz. Das kaiserliche Verdikt erfolgte im Vollzug der Christianisierung. Das Begräbnis wurde zur Regel im Todesfall.

Erst seit Mitte des 16. Jh. ist die Sargbestattung in einer länglichen Kiste aus Eichen-, Buchen- oder Tannenholz anzunehmen. Das Begräbnis ist eine Angelegenheit der Nachbarschaft, nicht vorrangig der Kirche. Die Begräbnisordnungen der Reformationszeit14 belegen eindrücklich im 16./17. Jh. sarggebundene wie sarglose Begräbnisse innerhalb der Zünfte: Bauern begruben Bauern, Handwerker Handwerker, Kaufleute Kaufleute, Kleriker Kleriker. In dem Gottesdienst, der einem derartigen Begräbnis folgte, kündigte der Pfarrer der Gemeinde den Toten namentlich ab, empfahl ihn wie die um ihn Trauernden der Gnade Gottes, ermahnte die Gemeinde mit einem eindrücklichen Memento mori und verkündigte die Auferstehungsverheißung.

Die katholische Kirche bot seit jeher das Seelenamt im Gedenken an den Verstorbenen an. Um des Seelenheils des Toten willen ließen die Angehörigen den Priester Seelenmessen lesen. Die sog. Totenmesse trägt ihren lateinischen Namen Requiem von dem gesungenen Anfang der Liedzeile her: „Requiem aeternam dona eis, Domine.“ Das heißt: „Herr, gib ihnen die ewige Ruhe.“ Zur Traueransprache selbst ist die katholische Kirche erst durch das II. Vatikanische Konzil (1962/65) gekommen. Auf ihm erklärte sie den Karfreitag zum höchsten Feiertag des Kirchenjahres.

 

Leichenhaus und Hausaufbahrung

Einen weiteren zeitlichen Anhalt für das Aufkommen des Holzsarges gibt der Weimarer Hofrat und Leibarzt Christoph Wilhelm Hufeland. Auf sein Betreiben hin wurde 1791 das erste Leichenhaus in seiner Geburtsstadt erbaut. Es trug die Giebelinschrift: Vitae Dubiae Asylum, das heißt: Heim für zweifelhaft Lebendige. Die Angst vor dem Scheintod, dem lebendigen Begrabenwerden – zumal in einem Sarg15– und das wachsende hygienische Bewusstsein machten diese Aufbahrung obligatorisch.

 

 

Bisher war die Aufbahrung zur Totenwache in der guten Stube zu Hause oder im Bauernhaus auf der Tenne begangen worden. Dem Leichnam wurden die Augen und der Mund verschlossen. Die Nachbarn und Verwandten versorgten, wuschen und kleideten den Toten wie einen Schlafenden in seinem Totenhemd oder wie einen vor der großen Reise Ruhenden in einen schwarzen Anzug mit dazu passenden Schuhen. Entsprechend ist die Tote, jedoch von Frauen, versorgt, gewaschen und in ihr Festtagskleid und in die entsprechenden Schuhe gekleidet worden. Danach ist der Tote, die Tote auf einen Strohsack (Schoof) auf das sog. Totenbett oder Totenbrett zwischen zwei aufgestellten Stühlen gelegt und mit einem Bettlaken zugedeckt worden.

Das Trauerhaus bot die zeitliche und räumliche Gelegenheit für die nah und fern wohnenden Verwandten, Freunde, Bekannten und Nachbarn, den Toten noch einmal zu sehen und persönlich Abschied zu nehmen. Der Tischler fand währenddessen die Zeit, den passenden Sarg anzufertigen. War das nicht der Fall, ist der Tote von den Nachbarn auf seinem Totenbrett zu Grabe getragen und ein sargloses Begräbnis vollzogen worden.

 

Die Friedhofspflicht

Das Leichenhaus löste den Brauch der Hausaufbahrung weitgehend ab. Der Sarg machte die Aufbewahrung des Leichnams von 2 mal 24 Stunden – zwischen dem Todeseintritt und dem Begräbnis – erst möglich. Hinzu kam die Friedhofspflicht. Sie ist 1794 durch das Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten eingeführt worden und legt fest: Das Begräbnis soll nicht in Kirchen und nicht in bewohnten Gegenden der Städte geschehen … Todesfälle müssen … dem Pfarrer des Orts angezeigt werden.16 Die Rechtsfälle befassten sich mit dem Gewohnheitsrecht, dort, wo der Tod eingetreten war, auch zu beerdigen: am Wegesrand, auf freiem Gelände oder fremden Grund, auch im eigenen Haus.

Jacob Grimm veranschaulicht das auch in seiner Vorlesung „Über das Verbrennen von Leichen im Nebeneinander von Leichen-Begräbnis und Leichbrand-Begräbnis in den europäischen Kulturen“, die er in der Akademie der Wissenschaften in Berlin am 29. November 1848 gehalten hat. Weitere Auskunft erteilt das Rechtslexikon für Juristen aller teutschen Staaten enthaltend die gesammte Rechtswissenschaft.17

Lange bevor das erste Krematorium in Deutschland am 10. Dezember 1878 in Gotha seiner Bestimmung übergeben worden war und neben dem Sarg für das Erdbegräbnis auch der Kremationssarg für die Feuerbestattung erforderlich wurde, hat es in den Jahrhunderten davor immer wieder Feuerbegräbnisse gegeben.18 Mit der obligatorischen Sargpflicht seit Beginn des 19. Jh. rückte aufgrund der Aufbahrung und Beerdigung bzw. Kremationsfeier der Sarg in den Mittelpunkt des Bestattungswesens. „Aus der Kultstätte der christlichen Gemeinde war der Friedhof zur sanitären Einrichtung der kommunalen Gemeinde geworden.“19 Auf ihn wurde aus hygienischen Gründen zeitweise sogar eine Sargsteuer erhoben, da er den Verwesungsvorgang verzögerte.

 

Die Beratungskompetenz des Bestatters

Die Familiengeschichten der älteren Bestattungshäuser dokumentieren noch mit ihren Namen, wie aus den drei Berufen – des Tischlers mit dem Sarg, des Gärtners mit den Kränzen und Blumen und des Fuhrmanns mit dem Überführungsfahrzeug – der heutige Bestatter20 hervorgegangen ist. In der Regel ist der Bestatter heute der erste Ansprechpartner der von einem Todesfall betroffenen Familie. Mit ihm ist eine zugleich einfühlsame wie fachliche Beratungskompetenz gefragt. Diese Unternehmer tragen mit dem – auf den Sarg fokussierten – Abschiedszeremoniell ganz wesentlich dazu bei, dem rituellen Übergang des gelebten Lebens an den Tod eine angemessene Gestalt zu geben.

Die heute propagierten Bestattungsvarianten21 nach einer Kremation tragen im Grunde alle zu einem grablosen Ausgang bei. Die bloße Trauerfeier mit der Urne und dem Bild des Toten beugt der Entwicklung noch vor. Verliert der bisher im Mittelpunkt stehende Sarg mit dem Toten seine bisherige Bedeutung? Welcher Sarg auch immer ausgesucht und schließlich gewählt wird – die Abschiedspracht des aufgebahrten Toten wird mit ihm begraben oder verbrannt. Die Asche wird später in der Urne beisetzt oder auch nur auf der Erde, in der Luft verstreut, im Wasser versenkt oder erneut ins Feuer geworfen.

Die Pandemie-Bestimmungen 2020/21 einer nur begrenzt präsenten Teilnehmerzahl an der Bestattung redu­zierten die unmittelbare Anteilnahme an dem persönlichen Todes- und Trauerfall bemerkenswert. Das betraf die Familie und Verwandtschaft ebenso wie den Freundes- und Bekanntenkreis. Sie schränkten das Trauergespräch der Familie mit dem Geistlichen in der biographischen Würdigung des Toten ebenso ein, wie die Möglichkeiten einer nachgehenden Seelsorge der um ihn Trauernden. Die emotionale Ausnahmesituation im Leben der von einem Tod Betroffenen ist in den widerstreitenden Gefühlen immer wieder als eine sehr komplexe Lebens(zer)störung zu erleben.

Innerhalb des Beratungsgespräches stellt – nach dem Konzipieren der Traueranzeige – die Auswahl des Sarges den wesentlichen Mittelpunkt für die festliche Aufbahrung des Toten und seine rituelle Beerdigung dar. Ist der Unmittelbarkeit der Trauer und der sie begleitenden Gefühle überhaupt mit der Mittelbarkeit der Medien zu begegnen? Nicht mehr dabei zu sein, der Bestattung fernbleiben zu müssen, ist wie von ihr ausgeschlossen zu sein. An die Stelle der mit allen Sinnen beteiligten Anteilnahme der selbst getragenen Kränze, Gestecke, Blumengebinde oder Handsträuße tritt die IBAN-Bitte einer finanziell notierten Anteilnahme, die Ablösesumme anstelle freundlich zugedachter Kränze und Blumen, die sich aus einzeln überwiesenen Geldspenden ergibt. „Wohin mit den Blumen?“ fragte bereits Anfang der 1930er Jahre der Philosoph Ernst Bloch.

 

Anmerkungen

1 Der BROCKHAUS. Enzyklopädie in 30Bd. 21., völlig neu bearb. Aufl., Leipzig 2006, Bd. 24, 31.

2 Joachim Heinrich Campe, Wörterbuch der Deutschen Sprache, Hildesheim (1808), 1969, Bd. II, 435.

3 Dominik Groß, Sarg: Sterben und Tod. Geschichte – Theorie – Ethik. Ein interdisziplinäres Handbuch. Hrsg. v. Héktor Wittwer u.a., Stuttgart 2010, 261.

4 Die Tora. In jüdischer Auslegung, Gütersloh 1999, 407.

5 Kurt Marti, Heilige Vergänglichkeit. Spätsätze, Stuttgart 2010, 37.

6 Das deutsche Wörterbuch von Jacob Grimm u. Wilhelm Grimm, München 1999, Bd. 14, 1798-1801.

7 Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin (1883) 191963, 679f.

8 Vom Totenbaum zum Designersarg, Kassel 1993, 7, 102; Philipp Weiss, Eine kleine Geschichte des Sarges, 10-22.

9 Philipp Weiss, a.a.O., 11.

10 Das Verb bestatten – heute ein die Beerdigung, das Begräbnis wie die Urnenbeisetzung umschließendes Prädikat – galt früher als „feierliches Wort in seltenem Gebrauch“ (Friedrich Kluge, 70).

11 Andreas Ströbl, Entwicklung des Holzsarges von der Hochrenaissance bis zum Historismus im nördlichen und mittleren Deutschland: Kasseler Studien zur Sepulkralkultur, Bd. 20, Düsseldorf 2014, 16.

12 A.a.O., 17.

13 Möglicherweise während der Reichsversammlung an den Lippequellen 782 erlassen: Capitulatio de partibus Saxoniae (Internet).

14 Vgl. Georg Rietschel, Lehrbuch der Liturgik, Bd. 2: Die Kasualien. Zweite neubearb. Auflage von Paul Graff, Göttingen 1952, 776ff.

15 Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände (Conversations=Lexikon. In zwölf Bänden. Neunter Band (R bis Schu). Achte Originalauflage, Leipzig 1836, 729f.

16 Mit einer Einführung von Dr. Hans Hattenhauer und einer Bibliographie von Günther Bernert. Luchterhand, Neuwied u.a. ²1994, 746 u. 849.

17 Hrsg.: Dr. Julius Weiske, 15 Bde. 1839-1861; 1. Bd. (A – Bergrecht), Leipzig 1842.

18 Das Begräbnis (> Erdbegrebnis) ist der ältere Begriff als Bestattung, beerdigen bzw. Beerdigung; dieses ist parallel zur Einäscherung oder Kremation aufgekommen.

19 Hans-Kurt Boehlke/Michael Belgrader, Friedhof, Theologische Realenzyklopädie, Berlin u.a. 1983, Bd. 11, 651.

20 Bestattung zwischen Tradition + Aufbruch. Beiträge zu Kultur, Recht und verbandlichen Perspektiven im 21. Jahrhundert. Hrsg. v. Oliver Wirthmann u. Klaus Dirschauer, Düsseldorf 2016.

21 Barbara Happe, der Tod gehört mir. Die Vielfalt der heutigen Bestattungskultur und ihre Ursprünge, Berlin 2012.

 

 

Über die Autorin / den Autor:

Pastor i.R. Klaus Dirschauer, Jahrgang 1936, Studium der Germanistik, Psychologie, Philosophie und Theologie, zuletzt Ausbildungsreferent der Bremischen Evang. Kirche; Vorlesungen und Veröffentlichungen zu den Themen "Rituale in der Biografie", "Sterben - Tod - Trauer".

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 11/2023

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