Die Evangelische Kirche von Westfalen (EKvW) hat Pfarrerinnen und Pfarrer im Ruhestand zu ihrem ehrenamtlichen Einsatz, ihren Motivationslagen sowie ihren Lebens- und Freizeitbedingungen befragt, um zu erkunden, was eine Kirche tun kann, um das Engagement von Pfarrerinnen und Pfarrern im Ruhestand gut zu fördern. Kathrin Böhlemann und Thomas Groll stellen die Ergebnisse des Projekts vor und ziehen Schlussfolgerungen für das zukünftige Engagement von Emeriti.
1. Einleitende Bemerkungen
Die sog. „Baby-Boomer“, die gefühlt immer zu viele waren und die das auch bleiben werden bis zum Aussterben ihrer Generation, gehen aktuell nach und nach in den Ruhestand. Das markiert für Unternehmen und Organisationen einen dramatischen Generationenwechsel, auch für die Kirchen1 angesichts des ebenfalls dramatischen Nachwuchsmangels an Theologinnen und Theologen. Vielfach ist der Kipppunkt bereits erreicht ist: schon jetzt befinden sich in der westfälischen Kirche mehr Pfarrerinnen und Pfarrer im Ruhestand als im aktiven Dienst.
Belastung oder Potenzial?
Diese demografische Entwicklung kann man als „Belastungs“- oder als „Potenzialdiskurs“ reflektieren.2 Die innerhalb von 70 Jahren um ca. 14 Jahre angestiegene Lebenserwartung der Deutschen gibt auf den ersten Blick Anlass für die „Belastungsbrille“: es gibt immer mehr Alte, die auch noch immer älter werden. Schaut man jedoch genau hin, wird deutlich, dass längere Lebenserwartung statistisch auch längere aktive Lebenszeit bedeutet3, was eindeutig zum Aufsetzen der „Potenzialbrille“ ermutigt. Mit der demografischen Entwicklung wächst nicht nur eine gesellschaftliche Last, sondern auch eine riesige Chance: der Trend zum freiwilligen Engagement der Älteren, sogar der Hochaltrigen ist ungebrochen4.
Das erkennen immer mehr Unternehmen, auch die Kirchen – zumal im Hinblick auf ihre Pfarrerinnen und Pfarrer, deren Ordination über ihre Pensionierung hinaus immer schon weiter gültig blieb. So entstanden seit einigen Jahren zunehmend Beauftragungen und Programme in Landeskirchen, die die Motivationen und Gelegenheiten für Pfarrerinnen und Pfarrer im Ruhestand, sich freiwillig in Gemeinden und Einrichtungen zu engagieren, stärken und ausbauen sollen. Denn sie werden in Zukunft mehr denn je gebraucht, um die Arbeit ihres beständig schrumpfenden Nachwuchses konstruktiv zu unterstützen.
Ernst Fellechner hat in einem Artikel im Deutschen Pfarrerblatt von 2020 eine Bestandsaufnahme der Ruhestandsarbeit in den evangelischen Landeskirchen und Pfarrvereinen vorgenommen und festgestellt: Diese Arbeit geschieht noch sehr lückenhaft und uneinheitlich. Sie ist wesentlich den Regionen bzw. Kirchenkreisen überlassen, und es gibt keinerlei Kooperation zwischen Kirchen untereinander und mit den Pfarrvereinen. Seine Vorschläge zur Verbesserung: Kirchen wie Pfarrvereine sollten Beauftragte benennen, sie sollten zusammenarbeiten und sinnvolle Strukturen für ein verstärktes Engagement von Pfarrerinnen und Pfarrern schaffen und sie dabei besser unterstützen durch Fortbildung, Supervision, Seelsorge und Gesundheitsheitsmanagement.5
Das Emeriti-Projekt der EKvW
In der EKvW gibt es seit neun Jahren eine solche Beauftragung, die unter anderem die von Fellechner beschriebenen Vorschläge umsetzen soll.6 Um aber nicht nur die Ziele und Ideen aus (landes)kirchlicher Perspektive im Blick zu haben, sondern auch die Sichtweise der Betroffenen zu kennen und zu berücksichtigen, wurde Anfang 2022 eine Befragung aller Pfarrerinnen und Pfarrer im Ruhestand in der EKvW vorgenommen. Diese Befragung wurde im Rahmen einer Masterarbeit in Kooperation zwischen dem Institut für Aus-, Fort- und Weiterbildung der EKvW und dem Fachbereich Psychologie der Universität Münster durchgeführt und ausgewertet7. Im Fokus war dabei insbesondere eine wissenschaftlich fundierte Zuordnung von Faktoren wie Motivationen, Arbeitsbedingungen und Erfüllung von Grundbedürfnissen, um eventuelle Hinweise zu bekommen, was eine Kirche tun kann, um das Engagement von Pfarrerinnen und Pfarrern im Ruhestand gut zu fördern. Folgende Fragen waren u.a. von Interesse: Wie geht es den Pfarrerinnen und Pfarrern im Ruhestand? Inwieweit, in welchem Ausmaß und wo engagieren sie sich? Was sind ihre Motive? Wie zufrieden sind sie mit ihrem Engagement, und was brauchen sie dafür?
Der Untersuchung war auch daran gelegen zu überprüfen, ob für Pfarrerinnen und Pfarrer im Ruhestand dasselbe gilt, was in zahlreichen Ehrenamtsbefragungen zutage tritt: der Zusammenhang von Freiwilligenarbeit und positiven Facetten erfolgreichen Alterns, dass freiwilliges Engagement älterer Menschen anderen guttut und dazu ihre eigene Lebenszufriedenheit stärkt – eine wichtige Frage im Hinblick auf eine Berufsgruppe, für die die Pensionierung oft einen besonders drastischen Umbruch ihrer Lebenssituation bedeutet. Das Ende ihrer aktiven Berufszeit ist oft verbunden mit einem Wohnungs- und Wohnortwechsel, mit Veränderungen des sozialen Umfelds und dem Verlust sozialer Kontakte. Das kann nach der unweigerlich vergehenden „Flitterwochen“- bzw. „Urlaubsgefühl“-Phase beim Eintritt in den Ruhestand8 Probleme in der neuen Lebensphase bis hin zur Altersdepression verstärken.9 Wenn hier freiwilliges Engagement durch Aufgreifen und Anreichern von Bedürfnissen, die im früheren Berufsleben befriedigt wurden oder auch zu kurz kamen, entgegenwirkt, profitieren Kirche, Gemeinden und Einrichtungen und dazu die Ruheständlerinnen und Ruheständler selbst.
Im Hinblick auf all diese Fragestellungen verbindet die Untersuchung bisherige Forschung aus Bereichen der Freiwilligenarbeit, der Arbeitspsychologie und der Gerontologie.
2. Zur Auswertung der Forschungsarbeit
Überrascht hat, dass die Rücklaufquote der Befragung außerordentlich hoch war (38% der Befragten). Das unterstreicht die Relevanz der Ergebnisse und zeigt ein großes Interesse am Thema und eine hohe Identifikation mit der Institution Kirche, die ja die Befragung initiiert hat. Vereinzelt gab es auch kritische Rückmeldungen (z.B. „Kirche war bislang an meinem Wohlergehen nicht interessiert“). Die geringere Zahl von Pfarrerinnen, die geantwortet haben (nur 13%), spiegelt die noch niedrige Frauenquote dieser Generationen im Pfarrberuf wider.
Das Alter ist breit gestreut: 41% der Rückläufe kamen von 60- bis 70-Jährigen, 31% von 70- bis 80-Jährigen und 25% waren 80 oder älter. Bei den Hochaltrigen gab es viele Rückmeldungen, dass sie aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr engagiert sind.
Die Quantität des Engagements ist hoch: 82% der Befragten engagieren sich in der Kirche. Dabei sind sie mit ihrem Engagement weitgehend zufrieden, sowohl allgemein als auch im Hinblick auf den Umfang.10 63% sind (auch) außerhalb der Kirche engagiert.11 Durchschnittlich engagieren sich die Befragten 26 Stunden im Monat freiwillig. Hier deutet sich sogar ein etwas größeres zeitliches Engagement an als bei Ehrenamtlichen in der Kirche insgesamt laut der aktuellen Ehrenamtsbefragung der EKvW.12
2.1 Motive für das Engagement
Warum sich nach einer langen Tätigkeit für Gemeinde und Kirche im wohlverdienten Ruhestand noch weiter engagieren? Die Forschungsarbeit nähert sich dieser Frage mit wissenschaftlichen Methoden auf einer motivationalen Ebene. Es zeigt sich die Bedeutung von drei Motiven für freiwillige Tätigkeit: Selbstwert, Zugehörigkeit und persönliche Weiterentwicklung.13 Die Suche nach einer Stärkung des Selbstwerts und das Bestreben, sich durch die Tätigkeit weiter gebraucht und dadurch seiner selbst als wertvoll zu erleben, sind eine zentrale Motivation der Befragten. Es spielt ebenfalls eine wichtige Rolle, ob Bekannte und Familie, also das soziale Umfeld, der Tätigkeit einen hohen Stellenwert beimessen. Am erstaunlichsten ist jedoch das Ergebnis für das Motiv der persönlichen Weiterentwicklung: Den Emeriti liegt einerseits viel daran, sich durch die Tätigkeit im Ruhestand weiterzuentwickeln und eigene Stärken weiter auszubauen, und das drückt sich andererseits in einem größeren zeitlichen Umfang des Engagements aus. Überraschend ist dieses Ergebnis aber aus einem anderen Grund: In anderen Studien spielt diese Motivation bei Menschen im ähnlichen Alter kaum noch eine Rolle.14 Bei den befragten Pfarrerinnen und Pfarrern handelt es sich demnach um eine Zielgruppe, bei der sich Weiterbildungsmöglichkeiten besonders anbieten. Nach dem Übergang in den Ruhestand scheint es bei den Emeriti der Westfälischen Landeskirche weiterhin Bedarf nach neuen Erfahrungen und neuem Wissen zu geben.15
2.2 Förderliche Arbeitsbedingungen für das Engagement
Der Einfluss der verschiedenen Motive auf den Umfang der freiwillig geleisteten Arbeit lässt Hinweise darauf zu, wie eben diese Tätigkeit im Ruhestand gelungen gestaltet werden kann, um einen größeren Umfang der Tätigkeit zu erzielen. Das betrifft demnach also in den Tätigkeiten vorherrschende Arbeitsbedingungen. Auch die Arbeitsbedingungen werden in der Befragung systematisch erhoben. Es zeigt sich, dass Motive für freiwilliges Engagement wie Selbstwert, Zugehörigkeit und Prosozialität sich stärker in mehr freiwilliger Tätigkeit ausdrücken, wenn die Aufgaben der Pfarrer*innen innerhalb der Tätigkeit besonders vielfältig ausfallen. Eine hohe Aufgabenvielfalt meint eine Fülle von Fertigkeiten, die in der Arbeit zum Einsatz kommen, und das Sich-Kümmern um viele verschiedene Aufgaben gleichzeitig.
Den Arbeitsbedingungen kommt in dieser Erhebung eine weitere wichtige Rolle zu: Sie werden auf ihre Auswirkungen auf das Wohlergehen und Befinden der Pfarrerinnen und Pfarrer im Ruhestand überprüft. Aus einem psychologischen Blickwinkel betrachtet bildet sich das Wohlergehen durch die Erfüllung von drei menschlichen Grundbedürfnissen ab: Autonomie, Zugehörigkeit und Kompetenz. Alle drei Bedürfnisse erweisen sich in der Erhebung als substanzielle Einflussgrößen auf das Wohlbefinden. Eine besondere Bedeutung kommt in der Stichprobe dem Bedürfnis nach Kompetenz zu. Das Bedürfnis, effektiv mit der Umwelt zu interagieren und eigene Ergebnisse zu erzielen, nimmt die wichtigste Rolle für das Wohlergehen der Befragten ein. Einen fast ebenso großen Einfluss auf das Wohlergehen zeigt das Bedürfnis, seinem eigenen freien Willen folgen zu können und in Entscheidungsprozesse einbezogen zu sein (Autonomie). Aber auch das Gefühl, sozial eingebunden zu sein und zu einer Gruppe dazuzugehören (Zugehörigkeit), stellt sich als substanziell wichtig für das Wohlbefinden heraus.
Die Erhebung zeigt außerdem, dass sich diese allgemeinen Grundbedürfnisse teils durch die ausgeführte freiwillige Tätigkeit erfüllen lassen. Um das aber zu gewährleisten, kommt es auf die bei der Tätigkeit herrschenden Arbeitsbedingungen an. Um die beiden Bedürfnisse nach Kompetenz und Autonomie zu erfüllen, sollten die ausgeführten Tätigkeiten besonders vielfältig sein.
Die Ergebnisse der Erhebung liefern Hinweise, wie wichtig die Gestaltung der freiwilligen Tätigkeit ist, und vor allem, an welchen Stellschrauben von der Kirche gedreht werden kann, um die freiwillige Tätigkeit für die Engagierten attraktiver zu gestalten. Eine deutliche Stellschraube ist – wie gesagt – die Aufgabenvielfalt. Möchte man das allgemeine Wohlbefinden der Pfarrerinnen und Pfarrer im Ruhestand erhöhen, so ist die mögliche Vielfalt an Tätigkeiten im Ehrenamt ein effektiver Ansatzpunkt, um dieses Ziel zu erreichen. Die Förderung von eigenständigem Handeln hat den Erkenntnissen dieser Erhebung folgend einen ähnlich hilfreichen Effekt. Ein sozialer Austausch innerhalb der freiwilligen Tätigkeiten ist ebenfalls nicht zu vernachlässigen.
Den Ergebnissen folgend, kann das Bedürfnis nach Kompetenz über besonders vielfältige Tätigkeiten angesteuert werden. Aufgabenvielfalt und Weiterbildungsmöglichkeiten sind damit als wichtigste Stellschrauben für das Wohlbefinden der Pfarrerinnen und Pfarrer im Ruhestand erkennbar.
2.3 Weitere Ergebnisse
Die meisten Befragten (24%) übernehmen gern Gottesdienste, gefolgt von Kasualien (17%) – beides pastorale Kernaufgaben. Viele sind aber auch in sehr unterschiedlichen Feldern engagiert, gerade auch an Schnittstellen zwischen Kirche und Gesellschaft16 – Tätigkeiten, die bei zunehmender Arbeitsverdichtung für die aktiven Hauptamtlichen immer schwerer zu leisten sind. Sie fühlen sich in ihrem Engagement gut unterstützt von Teilnehmenden, Kolleginnen und Kollegen und ihrem privaten Umfeld, weniger hingegen von Leitungspersonen und -gremien.17 Die Befragten wünschen sich als unterstützende Rahmenbedingungen gute Absprachen, Aufwandsentschädigung, Aufgabenvielfalt und Fortbildung.
Hinsichtlich der Frage nach finanzieller Vergütung für ein Engagement im Ruhestand sind 17% dafür, 38% dagegen und 45% sagen: „Kommt drauf an.“ Finanzielle Vergütung bei punktuellen Einsätzen wird eher nicht gewünscht, bei längerfristigem Einsatz steigt das Interesse daran allerdings an.18
Ausbaufähig erscheint die Anbindung der Emeriti an die Kirchenkreise und die Landeskirche.19 Auf beiden Ebenen besteht der Wunsch nach mehr Information und Kommunikation. Der Wunsch nach mehr Begegnung untereinander und auch mit aktiven Pfarrpersonen ist auf kreiskirchlicher Ebene ausgeprägter.
Als zentrale Befragungserkenntnisse lässt sich zusammenfassen: Bei einer hohen Ausprägung der Motive Selbstwert, Zugehörigkeit und persönlicher Weiterentwicklung zeigt sich ein höheres Ausmaß an Engagement. Die Erfüllung von Grundbedürfnissen durch das Engagement führt gleichzeitig zu größerem Wohlbefinden.
3. Schlussfolgerungen
Die Befragungsergebnisse zeigen, dass die wachsende Zahl der pensionierten Pfarrerinnen und Pfarrer sich gern weiterhin in der Kirche engagieren möchte, sowohl bei den gemeindlich-pastoralen Kernaufgaben wie auch in der Vielfalt von Aufgaben in funktionalen Bereichen und den Grenzfeldern zu Kommunen und Gesellschaft. Für beides brauchen aktive Pfarrerinnen und Pfarrer und andere Hauptamtliche jetzt und zukünftig dringend Unterstützung.
„Wenn 2030 etwa drei bis vier Mal so viele Pfarrer:innen im Ruhestand sind als im aktiven Dienst, braucht es Konzepte, um die Kompetenzen der Babyboomer zu nutzen. Es braucht deshalb bereits heute Angebote der Personalentwicklung, die sich speziell um diese Generation kümmern und sie darin begleiten, ihre letzten Dienstjahre sinnvoll zu gestalten und Möglichkeiten zu eröffnen, sich auch im Ruhestand in das kirchliche Kerngeschäft einbringen zu können.“20
Eine gut strukturierte Weiterentwicklung des Engagements der Emeriti braucht entsprechende Beauftragungen, optimalerweise sowohl seitens der Landeskirchen als auch der Pfarrvereine. Beide Seiten können in bewährter Weise ihre unterschiedlichen Perspektiven zum Thema in enger Absprache zusammenführen.
Welche Maßnahmen und Angebote können helfen, dass die Bereitschaft der Emeriti am rechten Ort zur rechten Zeit sinnvoll und segensreich zum Zuge kommen kann?21
3.1 Wahrnehmung, Wertschätzung und Kommunikation
Mit der Entpflichtung darf bei den zukünftigen Pfarrerinnen und Pfarrern im Ruhestand nicht der Eindruck entstehen, sie seien nun ausgesondert. Die Pflicht ist vorbei, aber die Tür zur Kür für ein weiteres Engagement in der Kirche sollte offenbleiben bzw. neu aufgehen. Hier spielt z.B. eine große Rolle, ob das Schreiben seitens des Landeskirchenamts zur Pensionierung einer Pfarrerin oder eines Pfarrers behördlich-sachlich und kühl oder persönlich-wertschätzend formuliert ist.22
Ein Willkommensgespräch für kürzlich pensionierte Pfarrerinnen und Pfarrer in ihrer neuen Rolle seitens der Superintendentin oder des Superintendenten (oder einer dafür delegierten Person auf kreiskirchlicher Ebene) kann individuelle Zukunftsperspektiven der Emeriti mit möglichen Bedarfen im Kirchenkreis einladend vermitteln.
Die selbstverständliche Bereitstellung der Zugänge zu ihrem kirchlichen Mail-Account und zu landes- bzw. kreiskirchlichen Newslettern lässt die Emeriti weiterhin am Informationsfluss teilhaben, falls sie dem nicht widersprechen.
Attraktive Begegnungsformate untereinander und auch mit aktiven Hauptamtlichen auf kreiskirchlicher Ebene fördern das Miteinander und brauchen über die Geselligkeit hinaus inhaltliche Impulse.
Eine über die selbstverständliche Aufwandsentschädigung hinausgehende finanzielle Honorierung von längerfristig-verbindlichem Engagement23 kann die Motivation der Emeriti fördern.
3.2 Reflektion, Begleitung und Weiterbildung
Ruhestandsbeauftragte der Pfarrvereine und der Landeskirchen können in guter Absprache ein über finanzielle Fragen hinausgehendes Beratungsangebot zu Ruhestandsthemen entwickeln: fachlich, seelsorglich und supervisorisch. Eine hauptamtliche Ruhestandsbeauftragung auf landeskirchlicher Ebene bietet (Fortbildungs-)Kollegs an für Fragen im Vorfeld, Übergang und zu Beginn des Ruhestands (Wie gestalte ich meine letzte Dienstzeit und bleibe gesund dabei? Was wünsche ich mir für meinen Abschied? Wo wollen wir wohnen? Welche Perspektiven entwickle ich für den Ruhestand?).24 Dem ungebrochenen Wunsch der Emeriti nach Weiterentwicklung entsprechend organisiert sie Fortbildungen und Supervision zu ihrer Unterstützung.
3.3 Kooperation
Hier ist zunächst gründlich in den Blick zu nehmen, dass die aktuelle demografische Entwicklung einerseits die verstärkte Kooperation zwischen aktiven und emeritierten Pfarrerinnen und Pfarrern nahelegt und sie gleichzeitig massiv erschwert. „Die kirchliche Realität sieht vielerorts und insbesondere in den leitenden Ämtern und Gremien so aus, dass die Mehrheiten den Babyboomern gehören. Insofern überwiegt ein ideales Bild von einer ressourcenstarken und gesellschaftlich relevanten Kirche … und von daher ein eher mit Enttäuschung über den Relevanzverlust und entsprechend depressiver Verstimmung verbundener Grundton. Zugleich ist klar, dass die Zukunft den Jungen gehört.“25 Zum einen brauchen die Themen der Generationenübergänge und -konflikte Räume für kontroverse und vertrauensbildende intergenerationale Gespräche.26 Zum anderen sollen geeignete Maßnahmen Gelegenheitsstrukturen für ein verstärktes und passgenaues Engagement von Emeriti unterstützen, ohne die Dominanz der Babyboomer auf diese Weise zu stabilisieren und zu verlängern. Aufgabe der Älteren im Sinne von Generativität ist es, den Jüngeren „den Weg zu bahnen und ihnen … das Erfahrungswissen mitzugeben, das ihnen hilft, ihre Zukunftsvisionen angesichts der gegenwärtigen Verhältnisse … umzusetzen.“27 Deshalb ist es für eine gute Entwicklung der intergenerationalen Kooperation wichtig, dass die kreiskirchliche Mittelebene das zukünftige Engagement von Emeriti unterstützt, aber eben auch mit steuert.
Die Mittelebene sollte z.B. dafür sorgen, dass das Engagement von Emeriti in der Regel nicht im ehemaligen Gemeinde- bzw. Einsatzfeld geschieht, es sei denn, alle beteiligten Seiten wünschen das ausdrücklich. Das schützt aktive Hauptamtliche vor möglichem bremsenden oder konkurrierenden Einfluss ihrer Vorgänger. Die Mittelebene sollte auch darüber wachen, dass das Engagement von Emeriti notwendige Strukturveränderungen nicht ausbremst oder verhindert.28 Die Mittelebene kann darüber hinaus die Angebote von Emeriti passend in ihr kreiskirchliches Vertretungskonzept integrieren.
Bei einem längerfristig-verbindlichen Engagement von Emeriti helfen Vereinbarungen, die zeitlich befristet sind (z.B. für ein oder zwei Jahre, so dass beide Seiten ohne Gesichtsverlust das Engagement beenden können) und die die Aufgaben und Zuständigkeiten klar beschreiben.
Auf landeskirchlicher Ebene sind Strukturen förderlich, die Vertretungen für längere Vakanzen durch Emeriti schnell und flexibel ermöglichen (z.B. das Modell der „Gastdienste“ in der EKvW).29 Ebenso können Strukturen geschaffen werden, die das Engagement von Emeriti mit besonderer Expertise auf fachlicher bzw. auf Leitungsebene passgenau fördern in Richtung eines „Senior Expert Services“.30
Balance zwischen Bedürfnissen und Bedarfen
Bei allem gilt es, die Balance zu schaffen zwischen der Bereitschaft und den Bedürfnissen der Emeriti und den Bedarfen bei den Aktiven in den Gemeinden und Einrichtungen. Um das hohe freiwillige Engagement ihrer Pfarrer*innen im Ruhestand weiter zu fördern, sollte die Kirche ihnen daher vielfältige Aufgaben mit hoher Eigenverantwortung, Initiative und Autonomie sowie guten sozialen Austausch ermöglichen. Es gilt zu vermeiden, den Emeriti das Gefühl zu vermitteln, sie würden immer die gleichen unbeliebten Tätigkeiten ausführen sollen oder nur als lückenfüllender Ersatz für Ausfälle bei aktiven Kolleg*innen dienen. Stattdessen sollten ihre Kompetenzen wertgeschätzt und gefördert werden (z.B. durch Fortbildungen), sowie die eigenen Wünsche an die freiwillige Tätigkeit berücksichtigt werden (z.B. durch Wahl des Tätigkeitsgebiets).
Kommen wir vor dem Hintergrund der ermutigenden Befragungsergebnisse auf kreiskirchlicher und landeskirchlicher Ebene weiter in der Schaffung von guten Gelegenheitsstrukturen für das wachsende Potential des Engagements von Emeriti, gewinnen alle: die Menschen, für die Pfarrerinnen und Pfarrer im aktiven Dienst und im Ruhestand verantwortlich sind; die Gemeinden und Einrichtungen, in denen sich Emeriti segensreich engagieren; die aktiven Hauptamtlichen bei zunehmender Arbeitsverdichtung und nicht zuletzt die Ruheständler selbst, denen ihr Engagement gerade auch im fortschreitenden Alter guttut.
Anmerkungen
1 Vgl. Personalbericht der EKvW 2022, 3: „Ein tiefgreifender Generationenwechsel steht unmittelbar bevor: In den Jahren 2027-2031 gehen … über 500 Pfarrpersonen aus der ‚Baby-Boomer‘-Generation in den Ruhestand.“ Vgl. Verena Schneider, Von der „Theologenwelle“ zur „Pensionierungsdelle“. Landeskirchen brauchen dringend junge PfarrerInnen, DPfBl 6/2014, 328-331, 328.
2 Vgl. Clemens Tesch-Römer u.a., Implikationen der Ergebnisse des Alterssurveys für Gesellschaft, Wirtschaft und Politik, in: Dies. (Hg.), Altwerden in Deutschland. Sozialer Wandel und individuelle Entwicklung in der zweiten Lebenshälfte, Wiesbaden 2006, 520f.
3 Clemens Tesch-Römer u.a., a.a.O., 529.
4 Vgl. Petra-Angela Ahrens, Das Engagement der Älteren: Empirische Beobachtungen zu aktuellen Entwicklungen, in: Bernt Renzenbrink/Gerhard Wegner (Hg.), Engagement im Ruhestand, Leipzig 2022, 37-58, 38. Ahrens zieht hier Schlüsse aus dem Freiwilligensurvey 2019.
5 Ernst Fellechner, Die Ruheständlerarbeit in den evangelischen Landeskirchen und Pfarrvereinen, Ein Zustandsbericht und Vorschläge zur Verbesserung, DPfBl 11/2020 (auf pfarrerverband.de, aufgesucht am 25.09.23).
6 https://www.evangelisch-in-westfalen.de/service/mitarbeitende/infos-fuer-pfarrer-innen/ruhestand/#c5869 (aufgesucht am 25.09.23).
7 Kathrin Böhlemann, B.Sc., Das Emeriti-Projekt: Ehrenamtliche Tätigkeit im Ruhestand. Motive, Arbeitsbedingungen und die Erfüllung von Grundbedürfnissen im Zusammenhang mit Wohlbefinden, Masterarbeit, WWU Münster, 2022.
8 Vgl. Mark Schieritz, Man kann auch mit 70 noch Motoren bauen, Die ZEIT 11/23, 4.
9 Vgl. Jens Jessen, Erfüllung heißt: Tun, wozu man begabt ist. Gerade im Alter, Die ZEIT 11/23, 5.
10 Die Skala der Antwortmöglichkeiten der Befragung reicht von 0 (gar nicht zufrieden) bis 5 (sehr zufrieden). Für beide Einschätzungen betrug der Mittelwert 3,8.
11 Das außerkirchliche Engagement erstreckt sich z.B. vom Bürgerbus über Hospizarbeit, Seniorenrat bis hin zu Reiseleitung, Suppenküche und Bündnis für Vielfalt, Menschenwürde und Toleranz.
12 „Durchschnittlich 22 Stunden pro Monat bringen die Befragten in kirchliche Ehrenamtstätigkeiten ein.“ Ehrenamtsbericht für die EKvW, 4.3._-_Bericht_Ehrenamt.pdf (evangelisch-in-westfalen.de), 4.
13 Die Skala reichte in der Befragung von 1 (trifft überhaupt nicht zu) bis 5 (trifft voll und ganz zu). Die Mittelwerte für die Motive sind für „Selbstwert“ 3,1, „Zugehörigkeit“ 2,8 und „persönliche Weiterentwicklung“ 3,5.
14 Vgl. die Studie von Morris-A. Okun und Amy Schultz von 2003: Age and motives for volunteering: testing hypotheses derived from socioemotional selectivity theory. Psychology an aging, 18(2), 231-239.
15 Die meisten Fortbildungswünsche der Emeriti beziehen sich auf die Themenbereiche Theologie, Spiritualität/Glaubenspraxis und Kultur.
16 Z.B. Bildungsarbeit, Kulturelle Angebote, Gemeinwesenarbeit, Gremien/Aufsichtstätigkeit (insgesamt 32%).
17 Unterstützungswert von Teilnehmenden auf einer Skala von 1-5: M=4,3; von Familien und Freund*innen: M=4,2; von Kolleg*innen: M=3,5; von kirchenleitenden Gremien und Personen: M=3,0)
18 Finanzielle Vergütung bei punktuellem Einsatz: M=2; bei längerfristigem Einsatz: M=3.
19 Die Zufriedenheit mit der kreiskirchlichen Anbindung erhält den Wert M=2,9 und mit der landeskirchlichen Anbindung M=2,8.
20 Lars Charbonnier, „OK Boomer?!“ – oder warum der Umgang mit Pensionierung ein zentrales, aber kein einfaches Thema für die Personalentwicklung der Kirchen ist, in: Pastoraltheologie 111. Jg., 525-533, 529.
21 Vgl. dazu die Vorschläge von Fellechner, a.a.O., 4ff und 8ff, und von Charbonnier, a.a.O., 530ff.
22 Das ist eine immer wiederkehrende Rückmeldung von „frischgebackenen“ Ruheständlern und Ruheständlerinnen.
23 Z.B. für ein Engagement in der Altenheimseelsorge oder der Arbeit mit Geflüchteten.
24 Vgl. z.B. das Angebot der Bilanzkollegs nach 30 Dienstjahren und die Kollegs für Emeriti im Gemeinsamen Pastoralkolleg der EKvW, der EKiR, der Lippischen Landeskirche und der Evang.-reformierten Kirche: Gemeinsames Pastoralkolleg (institut-afw.de).
25 Lars Charbonnier, a.a.O., 527.
26 Hier sind die aktuellen Pfarrkonvente bzw. Kreiskirchlichen Dienstkonferenzen ein gutes Format, um zwischen den zahlreichen Pfarrerinnen und Pfarrern, die demnächst in den Ruhestand gehen, und den wenigen jungen Hauptamtlichen genau darüber und über mögliche gemeinsame Perspektiven ins Gespräch zu kommen.
27 Lars Charbonnier, a.a.O., 528.
28 Z.B. sollten Emeriti nach Streichung einer Pfarrstelle in einem Gemeindebezirk möglichst nicht deren Aufgaben einfach übernehmen und damit suggerieren, dass sich nichts ändern muss.
29 In der EKvW existiert z.B. die Möglichkeit des „Gastdienstes“, https://www.evangelisch-in-westfalen.de/service/mitarbeitende/infos-fuer-pfarrer-innen/ruhestand/#c5869 (aufgesucht am 25.09.23).
30 Vgl. im Bereich der Diakonie: Der Senior Consulting Service e.V., s. Bernt Renzenbrink/Gerhard Wegner, a.a.O., 241ff.
Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 11/2023