Schöpfung habe nichts mit Naturwissenschaften zu tun, die gesamte Debatte um Glaube und Naturwissenschaft, die sich daran anzuschließen pflegt, sei verfehlt. Gehe es doch in den biblischen Schöpfungstexten um Gerechtigkeit, nicht um Weltentstehung. So wird oft argumentiert. Ohne Zweifel mag an dieser Abwehr manches nicht von der Hand zu weisen sein, gleichwohl meldet Martin Weyer-Menkhoff Widerspruch an.

Dem geschätzten Kollegen, Theologen und Physiker Prof. Dr. Andreas Benk (Schwäbisch Gmünd)

 

Theologischer Unsinn

Wenn Juden meinten, die Genesis (ebenso wie das Hohelied) nicht vor dem 30. Lebensjahr lesen zu dürfen, und Luther die Schöpfung als den schwersten Glaubensartikel bezeichnete, heißt das doch, dass Schöpfung nicht an den Anfang theologischer Überlegungen gehört, zumal ein bedeutender christlich-theologischer Gedanke trinitarisch strukturiert sein sollte. So jedenfalls legt es das NT nahe. Die Schöpfung als Werk des „Vaters“ für sich betrachtet führt für Christen lediglich in Aporien, also Un-Sinn.

 

Empirischer Unsinn

Die nächste Aporie besteht in der Aufrichtigkeit der Beobachtung. Natürlich ist die Welt schön und ein Wunderwerk an Kreativität und Raffinesse. Das Werden eines Menschen kann uns ebenso hinreißen wie die herrliche, zum Glück vorübergehende Geisteskrankheit der Verliebtheit. Und – die Welt ist furchtbar und raffiniert grausam. Dazu bedarf es keines Menschen. Die ausgefeilte Bosheit, mit der sich Leben gegenüber anderem Leben hinwegsetzt, hat nicht erst Darwin am Beispiel der Schlupfwespe und viel mehr noch beim Sterben seiner jungen Tochter an der Güte Gottes zweifeln lassen. Und wieso soll ein so winziger Ort wie unsere Erde von solcher Wichtigkeit sein, dass der Gott des Alls sich in einer Weise um ihn kümmert, wie es nur Liebende tun? Warum aber bleibt er dann auf halbem Wege stehen und wehrt dem Unglück nicht ein für allemal? Alle Theodizee scheitert, wenn sie nach einer vernünftigen Antwort sucht.

Auch Gottesbeweise taugen als Beweis nichts. Sind sie doch eher ein Ausdruck von Gotteslob. Auch das anthropische, sogenannte Prinzip klärt gar nichts, es ist lediglich eine Beschreibung, kein Prinzip. Gott wird es egal sein, ob wir ihn für möglich oder unmöglich halten. Er will vielmehr unser Vertrauen. Aus der Betrachtung der Welt als Gottes Schöpfung kann man aber nur auf eben so viel Gutes wie Böses schließen. Bleibt daher nur skeptische Gelassenheit, am besten, um es mit zwei jüdischen Stimmen auszudrücken, man lässt es sich bei Essen und Trinken mit dem Weibe seiner Jugend wohl gehen, überlässt im Übrigen aber den Himmel den Engeln und den Spatzen?

 

Kreationistischer Unsinn

Diese fundamentalistische Frömmigkeit zerschneidet das alte Band zwischen Glauben und Denken. Es ist demnach der Glaube an den dreieinen Gott dem heutigen Denken weder anzupassen noch korrigierend gegenüberzustellen. Der Glaube ist mit dem neuzeitlichen Denken nicht mehr mitgekommen, also, folgert man, stimmt etwas mit dem Denken nicht. Das heutige Denken muss sich dem Glauben unterordnen, meinten Kreationisten seit dem vorigen Jahrhundert. Dabei ist übersehen, dass es sich nicht dem Glauben, sondern einem 2000 Jahre alten Denken unterordnet.

Um in der Schule nicht mit dem religiös neutralen US-Staat anzuecken, verzichtete der Kreationismus ab 1990 auf das Wort Gott und ersetzte es kurzerhand durch den Begriff Konstrukteur, designer. Intelligent Design ist weitgehend biblischer Fundamentalismus, der in der Naturbeobachtung Spuren Gottes findet. Das geschieht hauptsächlich dort, wo die zahlreichen Lücken in der biologischen oder astrophysikalischen Forschung sind. Dort, in den Lücken setzt man den intelligenten Designer als Erklärung ein und hat so einen Gottesbeweis. Zwar könnte Intelligent Design gut Teil eines modernen Psalms, eines Schöpfungslobs sein, und damit kein Unsinn (Heinrich Balz); nun aber verwechselt man Glaube, der ein Weltverhaltensbekenntnis ist, mit Wissenschaft, die die Welt beschreibt und zu erklären sucht. Im Übrigen schließt die Bibel nicht von der Welt auf Gott, sondern von Gott auf die Welt.

Was treibt diese Schwestern und Brüder an? Der Wunsch nach Sicherheit in einer unübersichtlichen Welt. Wir hätten aber gern ein festes Fundament. Damit kritisieren wir, dass Gott sich in einem Winkel der Geschichte offenbart hat, bei einem einzelnen Mann, der zumal nur in den Sand, also nichts Erhaltenes geschrieben hat. Gott soll sich gefälligst zeitlos-eindeutig zeigen, am besten schriftlich auf säurebeständigem Material, sicher aufbewahrt, etwa wie es Allah mit dem Urkoran gemacht hat oder Joseph Smith im Walde vorfand, ein Buch aus Goldplatten.

Ein festes Fundament meint man zu haben, wenn man die Bibel wörtlich nimmt. Damit nimmt man sie aber eben gerade nicht ernst. Schon Till Eulenspiegel hat damit den größten Unfug anstellen können, dass er die Leute wörtlich, aber nicht ernst nahm. Dazu kommt, dass kein Mensch die Bibel wörtlich ernst nimmt, stets wird eine stillschweigende Auswahl darüber getroffen, was das Wichtigste ist und was unter den Tisch fällt. Der Kreationismus hat den Weg gewählt, das Fundament in einem geschlossenen rationalistischen System zu suchen. Ja, sie eifern für Gott, aber mit Unverstand! Hier ist intellektuelle Diakonie vonnöten. Bildung hilft! Sie ist ein Schöpfungsauftrag.

 

Naturwissenschaftlicher Unsinn

Es ist Physikunterricht. Grete soll erklären, warum das Wasser in einem elektrischen Wasserkocher kocht. Grete antwortet: „Weil sich Mutter einen Tee machen will.“ Die Klasse rast. Damit hat die kecke Grete den Vogel abgeschossen und zugleich der Lehrerin eine vorzügliche erkenntnistheoretische Steilvorlage geliefert. Denn beide Antworten, die erwartete der Physikerin und die gegebene der Schülerin, sind ja richtig, aber die zweite eben voll daneben; es ist eine Antwort in einer anderen Kategorie, in der finalen Perspektive. Im Physikunterricht mit seiner kausalen Perspektive muss die Mutter mit ihrem Tee draußen bleiben.

So ist es auch in den Naturwissenschaften, Gott muss draußen bleiben, jedenfalls als eine physikalische Größe, etwa dann, wenn mir keine andere Erklärung einfällt. So ist der Streit um die Evolutionstheorie in erster Linie kein naturwissenschaftliches Thema, sondern ein wissenschaftstheoretisches, eine Frage der Hermeneutik. Genauso ist es ein Kategorienirrtum, wenn Naturwissenschaftler behaupten, sie hätten durch ihre Forschungen entdeckt, dass es höchstwahrscheinlich keinen Gott gäbe. Da bleibt ein Schuster nicht bei seinen Leisten und macht Wissenschaft zur Weltanschauung. – Ich rede nicht vom Zweifel an Gott. Dieser, doch gewiss von niemand anderem als von Gott selbst initiiert, gehört geradezu zum Glauben, andernfalls werden wir Betonköpfe.

 

Nochmals: Theologischer Unsinn

Nicht erst seit Feuerbach wird in der Theologie Gott entlastet, um dafür dem Menschen weitere Lasten aufzuerlegen, womit er meist überfordert ist. Der Mensch schafft es nicht zum Messias und Weltretter. Seit 1983 ist im ökumenischen Kontext die Rede von der Bewahrung der Schöpfung, inzwischen öfter auch von der Heilung der Natur, die ein Auftrag der Menschen sei. Es war längst überfällig, dass man in der Theologie wieder begriffen hat, dass Gott es auch mit dem Leib und der Natur und ihrem Heil zu tun hat. Daher sind die Bemühungen zum Schutz der Natur wichtig, wenn manchmal auch schräg. Der Begriff Bewahrung der Schöpfung ist eine Übertreibung aus der Erzählung vom Garten Eden: „Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“

Nun hat man übersehen, dass dieser Auftrag dem Menschen im Paradies galt. Da hätte er bebauen und bewahren können und ist doch gescheitert. Wir aber sind jenseits von Eden. Den Garten können wir nicht mehr bewahren, eine solch friedliche Natur ist uns durch den Cheruben mit dem Schwert verschlossen. Da ist es ­Hybris (Gertz) und Überforderung, nun die Schöpfung bewahren zu wollen. Das kann nur Gott. Ihn aber hat man seit der Aufklärung als Garanten des Ganzen, der Ganzheit der Welt verloren. Außerdem verharmlost das Wort von der Bewahrung der Schöpfung den Sachverhalt, dass die Natur durchaus auch feindlich daherkommt und beherrscht, gestaltet werden will. Wir sollen uns, wie es im Segenswort des Schöpfungsgesangs Gen. 1 heißt, die Erde untertan machen und beherrschen; das ist viel weniger, als sie zu bewahren. Bonhoeffer sah bereits in seiner Auslegung zu Schöpfung und Fall, dass wir diesem Segenswort, die Erde zu beherrschen, nicht nachkommen und daher „erdfremd“ werden.

Durch die Gewalt von Mensch und Tier ist dieser Segen beschädigt, aber der Mensch bleibt nach der Sintflut Mitarbeiter Gottes, als Bild Gottes sein schöpferischer Stellvertreter auf Erden, aber nicht ihr Heiland. Der Berliner Gelehrte Wilhelm Schmidt-Biggemann beschrieb unlängst in seinem Dämon des 19. Jahrhunderts, wie eine überforderte, ruinierte christliche Theologie ihre protologische und messianische Geschichtsdeutung nicht mehr habe glaubhaft anbringen können. Der Wunsch nach einem Messias sei aber nicht verschwunden, sondern habe sich als Machbarkeitswahn in Naturwissenschaft, Technik und Politik begeben, wodurch das 20. Jh. in Totalitarismus und millionenfachem Mord verkommen ist. – Dass wir versuchen, Naturschäden, die wir in unserem Verfügungswahn anrichten, wieder gutmachen, ist nur recht und billig. Das muss aber mit Vernunft und Buße sowie Zuversicht geschehen und nicht messianisch bzw. mit destruktiver Gewalt.

 

Was heißt: Ich glaube an Gott, den Schöpfer?

Der Glaube an Gott den Schöpfer ist ein Bekenntnis, keine Erklärung. – Aber gibt es in den Schöpfungsgeschichten nicht eine Reihe von Erklärungen, Antworten auf Warum-Fragen, Ätiologien? Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts oder das Chaos? Warum ist Fleischkonsum lediglich erlaubt, nicht geboten? Warum sind Männer in Beziehungen oft solche Holzklötze? Zum einen: Auf die Frage nach dem (kausalen) Warum gibt es grundsätzlich keine Antworten, jedenfalls nur oberflächliche. Denn jede Antwort, die eine Ursache angibt, führt weiter zurück zu einer davor liegenden Ursache bis an einen letzten Punkt, der nicht mehr physisch-logisch zu beantworten ist, sondern auf meta-physische, letzte Fragen zielt. In diesem Sinn einer letzten Antwort sind wohl die Schöpfungs-Ätiologien zu verstehen. Dass wir Fleisch essen, Patriarchen sind und Frauen bei der Geburt leiden, zeigt an, dass mit unserem Leben etwas nicht in Ordnung ist. Das ist die letzte Antwort. Als Erklärung ist sie unzureichend. Dass es überhaupt eine Welt gibt zeigt an, dass Gott sie liebt; auch dies eine letzte Antwort; aber erklärt ist damit kaum etwas, eher im Gegenteil. Zum anderen: Dass die Priester und weisheitlichen Schriftsteller diese Antworten auf letzte Fragen mit einer Synthese von naturwissenschaftlichem und mythischem Material beantworten, ist ebenso wegweisend wie zeitbedingt. Dass aus diesen Erzählungen gleichwohl Gott heute zu uns spricht, ist eine Glaubenswahrnehmung. So ist der Glaube an Gott den Schöpfer ein Bekenntnis, keine Erklärung.

 

 

Anthropologischer Sinn

Der Schöpfungsglaube erklärt nichts, weder die Entstehung der Sterne noch der Arten, vielmehr bekennt er eine bestimmte Perspektive und Haltung, die ich in meinem Fühlen, Denken und Verhalten zur Welt einnehme, weil ich Gott als Erzeuger, Bewahrer und Vollender der Natur weiß. Es ist die Haltung des Dankes, der Geborgenheit und der Verantwortung Gott gegenüber, die sich in Resonanz und gutem Handeln gegenüber den Mitgeschöpfen und der Schöpfung zeigt. Luther sagt es deutlich: „Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen …“ Dabei wissen wir doch genau, dass und auf ungefähr welche Weise wir Vater und Mutter unser Leben verdanken. Diese geglaubte menschliche und göttliche Gleichzeitigkeit bei der Menschentstehung führte übrigens Darwin einmal als Argument dafür an, dass man bei seinen Gedanken zur Evolution keineswegs auf den Glauben an Gott, den er für sich selbst verloren hatte, verzichten müsse. In, mit und unter menschlichem und chaotischem Handeln glaubt ein Christ Gott am Werk. Dass ich von Gott geschaffen bin, heißt eben nicht, dass die Eltern belanglos wären, sondern dass es in Gottes Augen seinen Sinn hat, dass ich auf der Welt bin. Ich bin zuallererst ein von Gott gewolltes, geliebtes Geschöpf und gleichzeitig ein gewolltes oder ungewolltes Kind meiner Eltern und erst dann auch ein fleißiger Sünder.

Für den sogenannten Urstand und Sündenfall trifft der erste Teil des Untertitels von Andreas Benks Schöpfungsbuch zu: Was niemals war. Gen. 2ff ist voll von Ätiologien, die zeigen, welche Folgen die Abwendung von Gott hat: Mühe, Schmerzen und Patriarchat. Dies sind aber mehr Beschreibungen der Gegenwart als einer Ur-Vergangenheit. Menschliches Unglück ist zu einem wesentlichen Teil den zerbrochenen, zerschebberten (wie Juden sagten) Gottesgaben geschuldet; aber dieser von Menschen stets herbeigeführte Bruch ist zugleich in der Schöpfung angelegt und somit auch Gottes Sache. Damit ist natürlich nichts erklärt.

 

Leiblich-kosmischer Sinn

Auch die Weite des Kosmos ist Gottes Welt. Es fällt doch auf, dass Gott am 1. Tag das Licht schafft, am 3. die Vegetation, aber erst am 4. die Gestirne. Es ist die Aufzählung der Lebensgrundlagen. Da muss zuerst die Zeit geschaffen werden, was wiederum nicht ohne Licht möglich ist. Und weiter ist eben die Vegetation grundlegender, näher als die Gestirne. Sonne, Mond und Sterne fokussieren das längst geschaffene Licht als aufgehängte Lampen. Auch der Weltraum, der Himmel, ist nicht eine beliebige Um-Welt, sondern ein geheimnisvolles Konstrukt, das Gott gut findet. Der Glaube an den Schöpfer ist ein Aufruf, sich an der Leiblichkeit, an nahen und fernen Sachen zu freuen, Materie nicht geringzuschätzen und Gottes damit gegebene Aufträge auszuführen, Natur und Geist wahrzunehmen und zu kultivieren. Diesem Glauben verpflichtete Menschen wissen aber auch, dass die zerbrechliche Welt jeden Augenblick ins Nichts stürzen würde, hielte Gott das Ganze bis heute (Joh. 5,17) nicht in seinen Händen.

 

Dunkler Sinn

Ein dritter Aspekt des Glaubens an den Schöpfer ist grauenhaft und hoffnungsvoll zugleich. Er liegt im unzugänglichen Nebel einer Urzeit: Und die Erde war ein einziges Chaos und Tohu wa Bohu, und es war finster auf der Tiefe; aber der Geist Gottes machte sich da schon auf dem Wasser zu schaffen. Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen Tag eins.

Hier deutet sich an, dass bei aller sehr guten Schöpfung doch ein Schatten auf ihr liegt. Denn Finsternis und Nacht gehören wie das Meer zu lebensverneinenden Chaosmächten, die Gott nun zwar zurückdrängt, aber eingeschränkt gewähren lässt. Die Vernichtung der Finsternis steht noch aus und ist eine Verheißung für das Ende der Zeiten: Denn am 7. Schöpfungstag gibt es nur den Tag, von einer Nacht ist am 7. Tag nicht mehr die Rede. Dieser Tag ist für uns nur unvollständig angebrochen, wie es sich etwa in der das Eschaton vorwegnehmenden Abendmahlsfeier zeigt: Jesus nahm nicht teil, sein Tod wird verkündet.

Es ist keine sonderlich kluge Feststellung, dass Gott beim Schaffen mit vorgefundenem Material arbeitet, also von einer creatio ex nihilo nicht die Rede sein könne. Das Interesse von Gen. 1 liegt jenseits der Frage, ob Gott aus dem Nichts schafft. Vielmehr muss hier der Weltanfang unerkennbar im Nebel der Urzeit verbleiben, man weiß vom Anfang nur, dass Gott alles (Himmel und Erde) gemacht hat. Der in hellenistischer Zeit aufkommende Satz, dass Gott die Welt aus dem Nichts geschaffen habe, ist klugem Denken geschuldet, das Gott aus der Kausalkette heraus und den Monotheismus ernst nimmt. Die gleichzeitig aufkommende Behauptung dagegen, dass etwa der Tod und anderes Böse oder Eklige nicht von Gott geschaffen sei, verrät, dass sich Judentum und Christentum zu Teilen angeschickt haben, sich in einen Platonismus fürs Volk zu verwandeln.

Es ist also realitätsnah, wenn auch kompliziert, wenn wir an Gott den Schöpfer glauben, weil dies so umfassend und angefochten ist. Schöpfung heißt eben nicht nur Lob und Dank für die Gabe des Lebens in einer wunderbaren Welt voller Geheimnisse. Der Glaube an Gott den Schöpfer lässt uns nicht davon absehen, dass dieser Gott auch Finsternis, namenloses Leid verursacht, jedenfalls oft nicht verhindert. Jesaja, Deuteronomium und Luther reden vom verborgenen Gott, der ein ihm fremdes Werk tut.

Geschieht nicht die Weltwerdung wesentlich mit Leid und Tod als Motor? Denn die synthetische Evolutionstheorie bleibt ja die bisher überzeugendste Theorie. Wie passt das mit dem gütigen Gott zusammen? Hingegen sagt Paulus, der Tod sei Folge der Sünde. Offensichtlich ist der Tod als Folge der Sünde nicht der Tod an sich; denn schon im Garten Eden mussten die aus Erde bzw. Staub hergestellten Menschen sterben, vom Baum des ewigen Lebens sollten sie ja nicht essen. Der Tod gehört also zu unserem geschöpflichen Leben. Der Tod selbst eines Sperlings, den Gott zu „Fall“ bringt (Am. 3,5; Mt. 10,29), gehört als letzter Feind Gottes gleichwohl zu seiner guten Schöpfung. Aber die Art des Todes und der nach biblischer Vorstellung frühe Tod (unter 120 Jahren), das ist Gottes Fluch als Folge der Sünde, was Gen. 3, Gen. 6 und Paulus sehr unterschiedlich anführen.

Biologisch ist der Tod, zumal in Verbindung mit geschlechtlicher Vermehrung, eine geniale Erfindung, die für Platz und Vielfalt sorgt. Und wie ist es mit dem Leid, der Rücksichtslosigkeit, mit der sich die Schöpfung weiterentwickelt? Offensichtlich dürfen wir diesen Mechanismus bei Zellen und Tieren nicht moralisch beurteilen, er ist para-ethisch, jenseits von Gut und Böse. Offenbar gibt Gott das Leben und die Lebensentwicklung nur als „Gesamtpaket“ (Niels Henrik Gregersen) heraus, Freude gibt es immer nur zusammen mit Leid, auch bei Menschen. Wenn in der Vollendung Tod und Tränen nicht mehr sein werden, gehören also der kreatürliche Tod und das para-ethische Leid zu Gottes eigenem, fremdem Werk, das er korrigiert. Gott gegen Gott. Es bleibt tiefe Ratlosigkeit.

 

Der Sinn der Inkarnation

Da hat es etwas zu bedeuten, wenn das Johannesevangelium davon spricht, dass Gott Fleisch wurde. Es heißt nicht: Gott wurde Mensch, sondern „Fleisch“. Inkarnation, Einfleischung heißt es im lateinischen Glaubensbekenntnis. Diesen brutalen Ausdruck muss man nicht übertrieben (deep incarnation) auslegen, er hat einen philosophischen Hintergrund. Jede Vergeistigung Jesu sollte abgewehrt werden. Gott begibt sich in die wirkliche Leiblichkeit der Welt, das heißt auch, er leidet. Die Inkarnation Gottes besagt, dass Gott auch im Leid aller Kreatur gegenwärtig war und ist. Gott macht das Leid der Welt zu seinem eigenen. Wenn man fragt: Und was habe ich davon?, kann man nur sagen, dass ich nun die Frage nach dem Leid Gott überlassen kann und muss, weil er sich dieses unlösbaren Problems sowie der Schuld der Menschen angenommen hat. Allerdings ist die Behauptung, Gott hätte die Welt nicht anders als mit Tod und Leid schaffen können, übergriffig. Ebenso ist der biblizistische Verweis auf den „Sündenfall“ verfehlt, weil man damit den nach Röm. 8 durchaus vorhandenen schädlichen Einfluss menschlichen Abfalls von Gott auf die Natur überschätzt.

Das NT nennt Jesus in einer überzeitlichen Perspektive auch den Schöpfungsmittler, einen Mitarbeiter bei der Schöpfung. Jesus aber hat nicht als der Fitteste überlebt, sondern ist als Looser geendet. Als Verlierer trägt er das Leid, erlebt die Gottverlassenheit und alle gottwidrigen Mächte und Gewalten. Nicht übertrieben ist es zu sagen: Jesus starb am Kreuz nicht nur für die Sünden der Welt, sondern mit ihm trägt Gott wohl auch die Unkosten der natürlichen Selektion, so der Dänische Theologe Gregersen. Weil Jesus eben auch das Heil der Natur ist, hört er das Seufzen der Natur. Die sehr gute Natur ist unvollendet und wartet auf ihre Vollendung, sie wartet auf den 7. Tag, wie ihn Gott für Jesus bereits mit der Auferweckung bereitet hat.

Kann man Gottes Solidarität mit allem, was in einer Hölle lebt und lebte, stärker beschreiben als mit Jesu vierzigtägigem Aufenthalt bei den wilden Tieren in der Wüste sowie Übernachtungen bei Gespenstern und Toten? Vernünftige Juden wie Christen, die die Schöpfung und Leiblichkeit gegen alle Spiritualisierung hochschätzten, haben schon vor Jahrhunderten davon gesprochen, dass Gott mit seiner Weisheit beziehungsweise dem Heiligen Geist aller Kreatur intim präsent sei. – Die Raumbeschränkung verbietet es, hier noch auf weitere Denkbilder der Gegenwart Gottes einzugehen, wie sie etwa Jürgen Moltmann von Friedrich Christoph Oetinger übernommen hat.

 

Kein Sinn ohne neue Schöpfung

Die Auferweckung Jesu ist das Modell der neuen Schöpfung, in der Gott alle Tränen abwischen wird und alle Fragen und Klagen bezüglich seiner Gerechtigkeit auflöst. Auch Gott kennt den Zweifel und die Gottverlassenheit: Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen? In dieser Gottesfinsternis hat Hiob, der Gott gerade nicht verteidigt, recht von ihm geredet. Er hat Gott sein Leid geklagt, ihn angeklagt. Schließlich, nach einer Gottesbegegnung und weiterem Nachdenken, bekennt er: „Ich habe geredet über die Dinge, die ich nicht verstehe, die zu wunderbar für mich sind und die ich nicht begreife ... Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen; aber nun hat mein Auge dich geschaut. Darum gebe ich auf und bin doch getröstet ...“ (Hi. 42,3-6) An den Schöpfer glauben heißt, das Licht herbeiglauben, Gott daran erinnern, dass er ein Liebhaber des Lebens ist. Gerade in einer Zeit, in der wir Menschen die Welt zerstören, kann das Geschenk des Glaubens an Gott den Schöpfer aus uns zuversichtliche Leute machen, die davon überzeugt sind, dass die Welt weder ewig ist noch zum Teufel geht, und die wissen, was in dieser Zuversicht in evangelischer Umkehr, nicht in Panik, für die Erde zu tun ist.

 

Keine Ethik ohne Eschatologie

Die oben aufgezählten Unsinne sind darin stark, dass sie einen einzelnen Aspekt des Schöpfungsglaubens betonen, aber sie leiden daran, dass sie dabei anderes Wesentliches ausschließen, etwa die Schrecknisse. Zum Ganzen gehört, dass im Christentum von Schöpfung weder abgesehen von der vorhandenen Natur noch von Jesus Christus und Gottes Geist geredet werden kann und damit eben auch von Gottes Leidensgeschichte und der eschatologischen Vollendung in einer güldenen Zeit. Wenn mein Kollege Andreas Benk die ethische Seite des Glaubens an den Schöpfer herausstellt, ist das also völlig angemessen; man muss allerdings fragen, ob er dabei nicht die Natur (Physik) der Gott-Losigkeit anheimgibt und die Leidensgeschichte Gottes überspringt. Dieses ist eine Glaubensrede, jenes, das Ethische, ein Handeln. Dogmatisch ist die Gewichtung klar, das Handeln kommt aus dem Glauben; tatsächlich aber gibt es auch ein Handeln, das nachträglich zum Glauben gerechnet wird. Hat Jesus nicht Letzteres besonders geschätzt?1

 

Literatur

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Weinhardt, Joachim (Hg.): Naturwissenschaften und Theologie [I], Stuttgart 2010

 

Anmerkung

1 Endlich doch eine Anmerkung! Es gehört zum Übergang in den Ruhestand, gelassener zu werden, womit ich dem Geehrten hier ein Beispiel gebe. Nach wie vor ist präzise Arbeit, pünktliches Zitieren, klares Denken auch jenseits von Zeiten akademischen Berufsalltags unabdingbar. Aber man kann sich auch einmal die Freiheit nehmen, nicht alles, was man zu wissen glaubt, jeweils nachzuweisen. So mag es hier genügen, dass die Aufzählung wichtiger Literatur zeigt, wo ich neben vielem anderen geschöpft habe.

 

Über die Autorin / den Autor:

Prof. Dr. Martin Weyer-Menkhoff, Professor em. für Evang. Theologie und Religionspädagogik an der Päd. Hochschule Schwäbisch Gmünd.

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 9/2023

1 Kommentar zu diesem Artikel
28.01.2024 Ein Kommentar von Ueli Corrodi Vielen Dank für den spannenden Artikel. Da ich am Compi nicht recht lesen kann, drucke ich ihn mir aus. um ihn mir in Ruhe zu Gemüt zu führen. Zum "Intelligent Design" hier nur so viel: Dass die ganze Natur auf "Fressen und Gefressenwerden" beruht, finde ich mässig intelligent. Dass der Homo sapiens nach der Ausrottung des Säbelzahntigers zuoberst auf der Ernährungspyramide steht, mag fürs erste tröstlich sein. Dafür hat er sich umso mehr mit der eigenen Grausamkeit und Unbarmherzigkeit auseinanderzusetzen. Ob diese auch zum Intelligent Design gehören?
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