Das Verhältnis von Mensch und Tier ist durch die gesamte Kulturgeschichte hindurch problematisch und zwiespältig, was sich nicht nur an tierethischen Fragen der Nutztierhaltung oder vegetarischer bzw. veganer Ernährung zeigt. Die Bibel zeigt hier schöpfungstheologisch und eschatologisch einen anderen Rahmen auf, den Dorothea von Choltitz im Markusevangelium auf besondere Weise rezipiert sieht.
Kirche! Tu was!“ – Mit diesem Aufruf hat Eckhart von Hirschhausen seinen Artikel in der Juniausgabe 2023 von „chrismon“ überschrieben. Dort wünscht er sich, dass sich die Kirche in rechter Weise an die Spitze der Klimabewegung setzt. Mit dem von von Hirschhausen vorausgesetzten anthropozentischen Blick. Des Menschen Zukunft sieht er bedroht. Und darauf gilt es seiner Meinung nach zu reagieren. Ja, von Hirschhausen hat recht. Die Zeit drängt. Auch der Mensch ist längst schon vom anthropogenen Klimawandel betroffen. Aber warum in der Bibel ein ganz hochaktueller, hochrelevanter Blick auf Welt und Menschen verankert ist, der gerade jetzt unerlässlich ist, muss erst wieder neu theologisch erarbeitet werden, nachdem die 13. Synode der EKD 2022 bekannt hat, dass die evangelische Kirche Anteil hat an den Versäumnissen im Blick auf die Bewahrung der Schöpfung.
Ja, es genügt für die Kirche nicht, ihren eigenen Footprint mithilfe des Grünen Gockels zu verbessern. Es braucht auch mehr als potentielle kirchliche Handprintpläne voranzutreiben. Es reicht nicht, die Schöpfung als die von Gott dem Schöpfer einmal Herausgerufene zu begreifen. Denn seit mehreren Jahrhunderten wird die jetzt existierende, piepsende, brüllende, rauschende und gurgelnde, wachsende und sterbende, in Zeit und Raum belebte und unbelebte Schöpfung, die nach dem alten Theologen Leonhard Hutter als „creatio continua“ ohne die Unterstützung Gottes nicht „einmal einen Augenblick bestehen könnte“1, als solche theologisch nicht wirklich herausgearbeitet, sondern vegetiert in der christlichen Wahrnehmung dahin, ist in ein graues Schattendasein verbannt ohne dass ihr der biblisch zu belegende, herrlich direkte, aktuelle Bezug zu Gott zugesprochen wird! Leider hat dies relevante Auswirkungen im Blick auf den Umgang mit unserer aktuellen Welt.
Ein Grund für dieses problematische Schattendasein mag sein, dass die evangelisch-lutherische Welt Satan als den Fürsten der Welt beschreibt, gegen dessen Unordnung Gott als Bollwerk „nur“ Kirche und Staat eingesetzt hat. Der „Rest“ der lebendigen Schöpfung verliert sich damit leicht in einer Grauzone und kann damit auch „leichter zum Teufel“ gehen: leichter einem „Wohl“ des Menschen geopfert werden, das nicht nur die eigene Eingebundenheit in die Natur übersieht, sondern auch die wundervolle Eingebundenheit der Schöpfung in die Heilsgeschichte verkennt und die Hinweise in der Bibel überliest, die dazu zu finden sind.
Mit diesen Zeilen möchte ich einen bescheidenen Beitrag zur Beschreibung des Gottesbezuges im Blick auf unsere aktuelle Welt leisten, indem ich die christologischen und eschatologischen Implikationen auf den Begriff der Schöpfung im Markusevangelium vertieft wahrnehmen möchte. Mein Text versteht sich dezidiert nicht als „allein seligmachende Position“, möchte aber ein paar Einzelaspekte aus dem Ersten und dem Zweiten Testament zu bedenken geben, die eine eigene, frisch formulierte Gesamtperspektive im Blick auf die heutigen Tiere, Pflanzen und das Ökosystem präsentieren.
Zur Strukturanalyse des Markusevangeliums: Die markante Klammerszene der eschatologischen Wirksamkeit Jesu zu Beginn seiner Wirksamkeit
Einen bisher eher unvertieften Aspekt des Zweiten Testamentes möchte ich als Erstes herausgreifen, und zwar den kurzen Satz von Mk. 1,12f. Die revidierte Lutherübersetzung von 1984 übersetzt so: Und alsbald trieb ihn (Jesus) der Geist in die Wüste; und er war in der Wüste vierzig Tage und wurde versucht vom Satan und war bei den wilden Tieren und die Engel dienten ihm.
„Umstritten ist, wie weit die Eröffnung des Markusevangeliums reicht“2 (Gnilka, Bd. 1, 79). Man kann m.E. die Taufe Jesu noch zur mk. Vorgeschichte zählen wie auch Scholtissek sagt3, aber mit V. 12 beginnt mit einem großen Start und Auftritt das eschatologische Geschehen der Wirksamkeit Jesu: V. 12 und 13 bilden die Klammer zwischen Jesu Wirksamkeit auf Erden, die mit dem Messiasgeheimnis verbunden ist und der angekündigten Jüngerbegegnung nach der Auferstehung in Galiäa, bei der seinen Nachfolgern seine Macht vollends deutlich werden soll4. Doch dazu später mehr.
Mit Gnilka bin ich der Meinung, dass V. 12 und V. 13 als eine selbstständige Perikope zu werten ist. Das Verständnis, dass mit dieser Erzählung ein paränetisches Anliegen verbunden sein könnte (so Gnilka, Bd. 1, 58), das davor warnt, dass auch der Täufling dem Satan begegnen kann, ist zu kurz gegriffen. Was finden wir hier vor? In diesen beiden Versen wird Jesus vom Geist hineingeworfen in das (noch) Menschenleere, in die Wüste. Die Starbesetzung dieser Welt ohne den Menschen sind der Versucher, die Engel und – die wilden Tiere.
Zu stark war vielleicht bisher die evangelische Fokussierung auf den Satan als Fürst der Welt, als dass wahrgenommen werden konnte, dass hier neben dem Teufel in seiner auch im Ersten Testament typischen Arbeitsweise als Versucher und neben den dem Christus adäquat dienenden Engeln auch die Tiere gesetzt sind, die sich ebenfalls christusgemäß verhalten, das heißt, sie tun ihm nichts. Das heißt: Mit diesem markanten Start in eine sich neu formierende „gottgemäße Welt“, dessen „kosmische Sprache“ schon Robinson auffiel5 (Robinson, 5), sind neben der unbelebten Natur mit den wilden Tieren die nichtmenschlichen Lebewesen mitgesetzt!
Theologisch neu zu lesen in dieser vom Evangelisten Markus prominent gesetzten Anfangsszene ist, dass die Tiere nicht in ihrem Gehorsam und Bezug gegenüber Gott beschrieben werden, sondern gegenüber Jesus und eventuell auch gegenüber dem Geist, der Jesus in die (noch) menschenleere Welt hineinwirft. Hier wird „der eschatologische Tierfriede angedeutet sein, der in Jes 11,6-8 und Jes 65,25 beschrieben ist“ (Gnilka, Bd. 1, 57). Anhand der Tiere also ist nach Mk. das erste Mal zu erkennen, dass mit Jesus die eschatologische Zeit anhebt! Eine Parallelität zu der Schöpfung am sechsten Tag in Gen. 1,25f ist von Mk. vermutlich ebenfalls beabsichtigt. „Jesus ist der neue Adam, der das paradiesische Zeitalter ermöglicht hat“ (Gnilka, Bd. 1, 58).
Dass bei Mk. die Situation, die Vielstimmigkeit des Gottesbegriffes in Gen. 1 („Lasst uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei“) in Ansätzen schon trinitarisch gefüllt wird, sei ein Seitenhinweis, der nicht schon die gesamte trinitarische Entwicklung der folgenden Jahrhunderte in diese markante Stelle hineinsehen möchte; dennoch: zur theologischen Bestimmung des eschatologisch rechten Gott-Mensch-Weltverhältnisses gehört die direkt auf Christus bezogene Tierwelt prominent mit dazu! Relevant ist ebenfalls, dass hier wie in der priesterlichen Schöpfungsgeschichte Gen. 1f die Gewalt in diesem eschatologisch rechten Verhältnis zwischen Mensch und Tier ausgesetzt ist. Jesus wird nicht von den wilden Tieren bedroht, genauso wie im Ersten Testament des priesterlich beschriebenen „Ursprungsverhältnisses“ von Gott/Natur/Tieren/Mensch keines der atmenden Lebewesen dem anderen ein Leid antut, respektive es als Nahrung nutzt.
Zusammengefasst: Mit Scholtissek bin ich der Meinung, dass das mk. Initium Jesus mit dem identifiziert, der die eschatologische Heilszeit heraufführt (vgl. Scholtissek, 72): der präsentische
Jesus Christus erzeigt seine Macht als erstes an den Tieren, die eschatologische Neuschöpfung der Welt beginnt hier in Mk. 1,12f mit den nichtmenschlichen Lebewesen und der unbelebten Natur!
Das Markusevangelium und die Mitbeteiligung von Tieren und unbelebter Natur an der Offenbarung der Macht des Christus
Ich möchte diese mk. Perspektive des mit Christus nahegekommenen Reiches Gottes, das die Tiere und auch die unbelebte Natur als eigenständige Mitspieler der Heilsgeschichte präsentiert, am Text des Zweiten Testamentes weiter belegen: Bei Mk., Mt. und Joh. heißt der See Genezareth nach altjüdischer Tradition noch unzutreffend , d.h. Meer, während Lk. ihn zutreffender mit
, See, übersetzt. Hinter dem Wort „Meer“ verbirgt sich ein im Bereich von Palästina alter Bezug nicht nur auf die sog. Urflut bez. Sintflut. Meine These ist, der Bezug reicht bis hin zur
, der großen Tiefe, die in der Septuaginta
6 heißt. In diesem Fall wäre die mk. häufige Ortsangabe „am See“ bzw. „am Galiläischen Meer“ und Jesu Handeln dort vor Ort als ein vom κÏριος geschehendes Herausrufen zum eschatologisch neuen Leben zu begreifen, was für die Jüngerberufungen in Mk. 1,16 und Mk. 2,13 sehr wohl gelten kann wie auch für andere Szenen der Predigt und Heilung Jesu in Betracht zu ziehen ist. So findet sich in Mk. selbstverständlich mehr als nur ein Anklang des die Neuschöpfung als Reich Gottes mitgestaltenden
nach seinem Erstauftritt bei den Tieren.
Nach den vom historischen Jesu’ erzählten Gleichnisreden vom Reich Gottes7 (vgl. Wenz, 204) in Mk. 4 aber folgt dann schlüssig die Erzählung vom Seewandel in Mk. 6,45ff. Hier wird wiederum die „wahre Welt“ mit den rechten Machtverhältnissen sichtbar, in der Jesus auf dem Meer an den Jüngern vorbeigeht, der Messias also über die und das Wasser gebietet, während die Jünger ihn noch als falschen Geist, als widernatürliches „phantasma“ sehen. „Jesu Handeln auf dem See von Genezareth (ergänze: und am See von Genezareth) wird Zeichen seiner gottheitlichen Vollmacht über das Wasser als den Menschen bedrohende Flut“8 (Goppelt, 322).
Gleich im Anschluss wird dann der „tagesaktuelle“ Sieg Jesu über Satan und sein Gefolge, die unreinen Geister, wiederum anhand der Tiere deutlich. Jesus lässt in Mk. 5,1ff die unreinen Geister in die Säue fahren, die sich ins galiläische Meer werfen, eine Umkehrung der Schöpfung, das (gottwiderständige) Leben wird zurückgeworfen in die , wobei die Tiere, die Säue, ihren, ich trage ein: gottgegebenen, Selbsterhaltungstrieb, verlieren.
Das markinische Motiv des Messiasgeheimnisses wird durchgängig begleitet von dem Motiv der Offenbarung des Kyrios über Tiere und unbelebte Natur
An dieser Stelle soll nun nicht einer neuen alten Kosmologie das Wort geredet werden, die betonen möchte, dass unsere Welt, da sie Gottes schöpferischer Hand entspringt, „unmenschlich“ belastbar ist und alle Umweltsünden der Menschheit erträgt, bis dann Gott in aller Herrlichkeit kommen wird. Nein! Meine Behauptung: Neben dem mk. Messiasgeheimnis, das während Jesu Lebenszeit in Gänze nur den Jüngern gelüftet wird, gibt es einen parallel verlaufenden mk. Erzählstrang, der mit der Aufrufung eines rudimentären Weltbildes die erneute Neuschöpfung der Welt (die Herausrufung aus der ) durch Jesus Christus an den Tieren und an der unbelebten Natur schon vorexemplifiziert.
Damit ist aber, anders als so mancher Lutheraner es festhalten möchte, der Satan nicht der Herrscher der ganzen Welt, sondern differenzierter: die aktuelle Schöpfung (anhand der Gestalt der Tiere verdeutlicht) hat einen direkten Bezug zu Jesus Christus und zu dem eschatologischen Geschehen, was zu Lebzeiten Jesu offenbar wurde und auch heute zeichenhaft erlebbar werden kann. Die jetzige Schöpfung ist zwar (noch) der Vergänglichkeit unterworfen, aber dennoch ein direkter Partner Jesu in der je aktuellen Zeit und der Ewigkeit.
Die Tierwelt wird wieder relevant auf dem Weg zu Tod und Auferstehung: Verdeutlicht das Füllen, das Jesus reitet (Mk. 11,7) bei seinem Einzug in Jerusalem auf der gesellschaftlichen Ebene, wie denn der Messias in seiner Macht zu begreifen ist, so ist die einzige, mit Gewalt verbundene Aktion Jesu zu seinen Lebzeiten, das Umwerfen der Tische der Geldwechsler und Stände der Taubenkäfige (Mk. 11,15). Oft als ein Vorbote des Endes des für Christen nicht mehr relevanten jüdischen Opferkultus gedeutet, kann diese Tat jedoch auch als Vorbote der Befreiung der Tierwelt aus einem aktuellen „Seufzen der Kreatur“ begriffen werden, konkreter als die Befreiung aus einer auch von religiös geprägten Normen gelebten Wirtschaftsform, die die Tiere nicht in rechter Weise ansieht.
Wie schon in der Reihung des anfänglichen eschatologischen Auftretens Jesu in Mk. die wilden Tiere als erster Bezug zur vollendeten Macht Jesu auftreten und der Seewandel als Zweites die Macht Jesu auch über das Unbelebte demonstriert, findet sich am Ende von Jesu Leben der Hahnenschrei als erstes Erkenntnismoment des durch die Schuld von Menschen geprägten Todeswegs von Jesus (Mk. 14,72), bis dann als zweiter Höhepunkt wiederum die unbelebte Schöpfung auftritt: im Todesmoment zeigt die Finsternis den direkten Bezug Jesu über sämtliche Enden der Welt hinaus (Mk. 15,33).
Hier ist es nun an der Zeit, die neue Perspektive auf Welt, Mensch, Tiere und Natur, die nach den mk. Worten Jesu als ein Bund bezeichnet wird, genauer anzusehen. Denn dieser führt über den gewaltsamen Tod Jesu hinaus in eine neue eschatologische Perspektive.
Das markinische Abendmahl und die Tiere
In Mk. 14,12ff, in der Szene, in der ausgesprochen wird, dass Jesus mit seinen Jüngern ein Lamm essen wird, verändert sich nicht, wie üblicherweise wahrgenommen, im Zeichen von Blut und Fleisch „nur“ das Verhältnis zwischen Gott und Mensch. Warum? Anders als bei Lk. steht bei Mk. die Identifikation des Bechers mit dem Blut im Vordergrund: „Das markinische Becherwort insinuiert die Vorstellung von Bluttrinken, die für jüdisches Verständnis schwer zumutbar ist“ (Gnilka, Bd. 2, 242). Mk. trägt in das Essen von Fleisch, das im Judentum unter der Bedingung des koscheren Schlachtens, d.h. ohne Blutgenuss mit Gen. 9 erlaubt ist, also dezidiert das anstößigste Essen von Blut ein, die symbolische Christophagie! „Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird“ (Mk. 14,24), sagt Jesus. In welchem Zusammenhang sind diese Worte zu sehen?
Es ist mit Schmitz spannend zu sehen, was Markus von den anderen Zeugnissen unterscheidet9. Die Zeitgenossen Jesu wussten nichts von einer priesterlichen und einem jahwistischen Strang der gestreckten Schöpfungsgeschichte von Gen. 1-11. Sie lasen im Ersten Testament in Gen. 8 vom ersten Tieropfer Noahs, mit Gottes in Gen. 9 erfolgender Erlaubnis, Schrecken zu verbreiten über die Tiere und alles, was sich regt und lebt, zu essen, ausgenommen das Blut. Ist diese mk. Betonung des Blutes relevant, dann sind die Abendmahlsworte Jesu zu lesen als eschatologische Umkehrworte des Noahbundes: Anders als der Gottesbund in Gen. 9,2, den Gott mit Noah als dem gottgefälligen Menschen schließt und mit allem , was am besten mit jubelnder, atmender Kehle zu übersetzen ist, setzt Jesus mit seinem Bund ein neues „Ich aber sage Euch“. Dieser Bund hat, anders als der Noahbund, die radikale Perspektive auf das Reich Gottes als Neuschöpfung einer Welt ohne die Gewalt des Menschen gegenüber den Tieren – durch sein einmal und ein letztes Mal vergossenes Blut. Dieser Bund hebt für Christen nicht nur die Opferkultur von Tieren ein für alle Mal auf, dieser Bund bringt mit sich die „Version 2.0“ aller bisher bestehenden Bundesschlüsse Gottes – mit Noah und allem Getier, mit Abraham und dem Bund am Sinai eingeschlossen. Kein Blutvergießen mehr – Frieden ist intendiert – auch mit den Tieren.
Hier unter den Jüngern beim Abendmahl zeigt sich nicht der Jude Jesus im Kontrast zu Mose, sondern der lebendige Kyrios in seiner ganzen, im Leiden noch verborgenen Herrlichkeit über die gesamte Welt mit dem Blick auf Mensch und Tier, an dieser Stelle aber ähnlich „problematisch“, wie es übliche Einschätzung der Radikalität der Antithesen in der Bergpredigt aussagt.
Was trägt dieser Gedankengang aus? Natürlich entstehen Fragen wie bei jeder jesuanischen Antithese in der Bergpredigt auch: Was ist realistisch machbar in unserer Welt, was nicht? Was ist gefährliche Schwärmerei?
Nun, eine Reduzierung von Gewalt im Blick auf lebende Tiere kann in vielfältigster Weise durchbuchstabiert werden: eine Vermeidung der Produkte der Massentierhaltung, ein Blühmeter im eigenen Garten, die Nutzung des ÖPNV, keine Flüge mehr, Heizung reduzieren – die meisten kennen die Big Points im Blick auf Klimawandel und Tiergesundheit. Das zu tun ist alles gut. Sich verstärkt um Bündnisse mit Menschen guten Willens zu bemühen und Weitergehendes organisatorisch mit möglich zu machen, damit die Klimaschutzziele nicht auf den Sankt Nimmerleinstag verrutschen, auch: die Unterstützung einer nachhaltigen Ökonomie und der nötigen Transformation unserer Gesellschaften, die Stärkung der erneuerbaren Energien und der Forschung für neue Lebensmittelformen sind gut. Und es ist auch gut, die Begeisterung, die viele kleine Kinder haben, wenn sie Tieren helfen dürfen, als ein Urdatum und Zeichen des nahekommenden Reiches Gottes begrüßen und davon lernen zu können. Gut ist es, sich bewusst zu werden, dass Menschen wie Franz von Assisi keine Spinner waren und sind, sondern Gottbewegte. Gut ist eine Neubewertung des Verhältnisses des Menschen zur aktuellen Schöpfung: Im Eschaton wird die Fülle der Lebensbeziehungen und Wesen, die wir heute (noch) sehen, mit herausgerufen werden aus der Vergänglichkeit und ihrer Begrenzung und sie wird ihren Platz im Reich Gottes einnehmen. Jede Unterstützung, die wir heute hineingeben in das Verstehen und Stärken der vielfältigen Lebensformen unserer Erde und der Reduktion ihrer Qual und der Schmerzen und dem Dahinsiechen und Verschwinden von Lebewesen und Arten, ist verborgen schon ein Wegweiser auf die in aller Fülle kommende Herrlichkeit des Reiches Gottes inmitten all dem Töten und Sterben, dem Leiden und dem manchmal auch unbedachten „Sieg“ von Menschen über das andere Leben und der Gefahr, dass wir unser aktuelles Leben verfehlen und unsere Erde nach dem Menetekel vieler Kipppunkte ein deutlich unwirtlicherer Ort auch für Menschen ist als bisher schon.
Jesu neues Wort „vom Bund in meinem Blut“ als radikale Perspektive auf eine Neuschöpfung kann auch gehört werden als der Blick auf eine Welt, in der so mancher Mensch keine Tiere (mehr) isst, sondern „wieder“, wie Gen. 1,29 beschreibt als Rede Gottes an den Menschen, so lebt: „Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen …“ In Gen. 1-8, der Geschichte vom langgestreckten Schöpfungsgeschehen, essen Menschen ja explizit keine Tiere! Interessanterweise ist dieser markante biblische Befund allgemein sehr unbekannt, als sei diese Form von Beziehung zwischen Mensch und Tier nur ein kindischer Traum und nicht doch möglicherweise ein Zeichen unter vielen andern, das zum großen eschatologischen Geschehen dazugehören kann! Die christliche Reflexion zur Rolle der Tiere in der heutigen Welt kann sich nicht nur auf das Problem des Fleischgenusses beziehen. Aber auch diese Perspektive ist einer von mehreren möglichen Anfängen im Blick auf den Klimawandel, seine Ursachen und die Hoffnungen für unsere Welt, die uns Menschen in Bewegung setzen können.
Die Bedeutung der Klammerszene der Offenbarung des Kyrios an der Tierwelt von Mk. 1,12f im Blick auf den Markusschluss
Die Relevanz der Entdeckung von Tier und unbelebter Schöpfung als wichtige Partner in der Offenbarungsgeschichte von Jesus als Kyrios in einem Parallelstrang zum Messiasgeheimnis ist auch unter einem anderen Aspekt zu beachten: Die vollkommene Präsenz der Macht Jesu Christi in dem anfänglich menschenleeren Weltgebäude mit Satan, den Engeln und den Tieren (Mk. 1,12f) und der jeweiligen oben ausgeführten Ausgestaltung der Macht Jesu in diesem neuen Reich am Beispiel der Tiere im Verlauf des Mk. bietet auch eine Erklärung, wie es möglich ist, dass das ursprüngliche Mk. keinen vordergründig befriedigenden Schluss im Blick auf die Auferstehung aufzuweisen scheint, sondern ursprünglich mit der Engelbegegnung der Frauen und ihrem Schweigen endet.
Meine These: In Galiäa werden die Jünger als Menschen, die sich für den Glauben an ihren Herrn geöffnet haben, in ihrem Leben und Handeln an den eschatologischen Offenbarungen des die Schöpfung mitschaffenden, nun auferstandenen Jesus Christus in ihrem Leben teilhaben können und damit als das „letzte“ Puzzlestück Mensch in diesem neuen Weltgebäude des Reiches Gottes hinzukommen und entdecken können, was neben dem Messiasgeheimnis schon die gesamte Zeit offenbar war: den in seinem die Schöpfung in Zeit und Eschaton mitschaffenden Sein, der die Menschen als seine Mitarbeiter am Reich Gottes brauchen kann. Diese Form der Erkenntnis der Auferstehung genügt dem ursprünglichen Mk.
Fazit
Die „creatio continua“, die aktuelle Schöpfung des Schöpfergottes, die sich selbst noch nicht an die Gewaltlosigkeit der erträumten Welt von Gen. 1 halten kann, in der Mensch und Tier nur das grüne Kraut als Nahrung zugedacht war, möge sich an den Söhnen Gottes freuen, nach der sie sich sehnt (Röm. 8,19): Das in Jesus Christus nahegekommene Reich Gottes, das in Mk. vorwiegend als die Bezeichnung für das Eschaton gebraucht wird, braucht den freien Menschen, die Kirche und das christusorientierte Verhalten der Menschen, die die Wege der Gewalt verlassen – auch gegenüber dem Tier.
Manche Menschen werden vielleicht sogar ganz auf Genuss von Blut und Fleisch verzichten und auch damit ein Zeichen setzen, dass man die ganze existierende, jetzt lebendige Schöpfung, wie der Röm. es will, „auf Hoffnung hin“ verstehen darf (Röm. 8,20) als ein unglaublich reiches Gewebe lebendiger Wesen und deren Lebensräume, das nur „vorübergehend“ (!) unter der Last der Vergänglichkeit ächzt und im Eschaton, das heute schon zeichenhaft immer wieder sichtbar werden kann, mit dabei sein wird.
Anmerkungen
1 Hutter, L., Inbegriff der Glaubens-Artikel aus der heiligen Schrift und den symbolischen Büchern zusammengestellt, Leipzig 1837.
2 Gnilka, J., Das Evangelium nach Markus, Bd. 1. und Bd. 2, EKK zum Neuen Testament, Neukirchen-Vluyn, 1979/1984.
3 Scholtissek K., Der Sohn für das Reich Gottes, in: Söding, T. (Hrsg.), Der Evangelist als Theologe. Studien zum Markusevangelium, Stuttgarter Bibelstudien Bd. 163, Stuttgart 1995.
4 Venetz, H.-J., Er geht euch voraus nach Galiläa. Mit dem Markusevangelium auf dem Weg, Fribourg 2005.
5 Robinson, J.M., Messiasgeheimnis und Geschichtsverständnis. Zur Gattungsgeschichte des Markus-Evangeliums, München 1989.
6 Kittel, G., Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Bd. 8, Stuttgart 1969.
7 Wenz, G., Christus, Studium Systematische Theologie Bd. 5, Göttingen 2011.
8 Goppelt, L., Theologie des neuen Testamentes, Göttingen 1980.
9 Schmitz, B., Das Markusevangelium – Religionswissenschaftlich gelesen, Baden-Baden 2022.
Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 9/2023